Interview mit Jim Whitehurst, CEO Red Hat

"Iteration ist der Schlüssel. Planung ist tot."

Uhr

Jim Whitehurst ist seit 2008 CEO von Red Hat. In dieser Zeit wurde das Unternehmen zu einem der global bedeutendsten Open-Source-Anbieter. Open Source ist für Whitehurst aber mehr als nur Kostenersparnis für die Kunden. Es geht ihm um Innovation und darum, wie sie skalierbar gemacht werden kann.

Jim Whitehurst, CEO von Red Hat. (Source: Tony Pearce)
Jim Whitehurst, CEO von Red Hat. (Source: Tony Pearce)

Wie hat sich das Geschäft von Red Hat in den vergangenen Jahren verändert?

Jim Whitehurst: Lassen Sie mich etwas ausholen: Das Open-­Source-Geschäft hat für uns zwei Komponenten. Für unsere Kunden ging es bisher klassischerweise vor allem darum, proprietäre Software abzulösen, damit sie Lizenzgebühren sparen können. Wir halfen damit also vor allem, Kosten aus der IT herauszunehmen, indem wir etwa Windows durch Linux ersetzen, Websphere durch JBoss oder VMware durch Red Hat Virtualisation. Unsere Leistung, die wir für unsere Kunden erbringen, besteht schliesslich darin, dass wir mit ihnen eine produktionsfähige Lösung für ihre IT-Infrastruktur auf Open-Source-Basis entwickeln, den Lifecycle managen und es ermöglichen, ein SLA darum zu schnüren. Dieses Geschäft funktioniert gut; wir machen das auch schon seit vielen Jahren. Aber unseren Kunden geht es heutzutage nicht mehr nur darum, IT zu kommodisieren. Das Open-Source-Modell ist in den vergangenen Jahren immer mehr der Ort geworden, an dem Innovation geschieht.

Wie meinen Sie das?

Nun, es ist fast unmöglich auf Basis proprietärer Systeme in einer mit auf Community basierenden Open-Source-Modellen vergleichbaren Geschwindigkeit Innovationen zu entwickeln. Bewiesen haben das die grossen Web-2.0-Unternehmen, wie etwa Google, die sich von Anfang an entschieden haben, ihre Infrastrukturen auf Open-Source-Plattformen zu betreiben. So trugen sie massiv zum Erfolg von Open Source als Innovationsmodell bei. Und zwar auch deshalb, weil Open Source für sie zur Basisinfrastruktur ähnlich wie Strom, Wasser oder Strassen geworden ist und sie ihr Wissen mit der Community teilen, statt es als Wettbewerbsvorteil für sich selbst zu vereinnahmen. Nur auf so einer offenen Infrastruktur können innovative Produkte entwickelt werden.

Heutzutage interessieren sich auch immer mehr traditionelle Unternehmen für Open Source. Wie erklären Sie sich dieses Interesse am Open-Source-Modell?

Unternehmen müssen digital transformieren und wollen von der Innovationsgeschwindigkeit des Open-Source-Modells profitieren. So interessieren sich etwa auch grosse traditionelle Unternehmen wie etwa Grossbanken für unsere Plattformen. Open Source ist dabei viel mehr als einfach eine Möglichkeit, etwa mithilfe einer Containerplattform die Entwicklung zu beschleunigen, obwohl natürlich Devops ohne Containertechnologie kaum mehr vorstellbar wären. Es geht den Unternehmen vor allem auch darum, einen kulturellen Wandel bei der IT-Entwicklung und beim -Betrieb herbeizuführen; also um nichts Geringeres als darum, die Kultur auf Open-Source-Art zu verändern. Unternehmen wollen ihre IT auf neue Beine stellen und hin zu einer agileren Architektur entwickeln, weg von den monolithischen Systemen, die sie vor 20 oder 30 Jahren gebaut haben. Und wir helfen ihnen dabei, diesen Schritt zu tun.

Was verbinden Sie ausser dem Technologie-Aspekt mit Open Source?

Für uns bedeutet Open Source viel mehr als einfach nur Open-Source-Software. Der Open-Source-Way ist auch eine Art und Weise, ein Unternehmen zu führen, eine Haltung den Mitarbeitenden gegenüber, eine Haltung den Kunden gegenüber. Es geht um Offenheit und Transparenz. Open Source ist ein Entwicklungsmodell, das die Partizipation aller ermöglicht und erfordert. Wir sind leidenschaftliche Verfechter des Open-Source-Gedankens und glauben, die Welt damit zum Besseren verändern zu können. Open Source wird helfen, Krankheiten zu heilen, den Hunger auf der Welt zu besiegen. Solche Veränderungen sind in der nötigen Geschwindigkeit nur mit Open Source zu erreichen. Mit dem Open-Source-Way haben wir es geschafft, Skaleneffekte bei der Innovation zu generieren. Tausende Mitglieder einer sich selbst regulierenden Open-Source-Community arbeiten etwa an Linux mit und schaffen Innovationen in viel kürzerer Zeit, als es in der traditionellen, gemanagten Entwicklung möglich wäre.

Aber Sie müssen ja trotzdem das Unternehmen managen und die Produkte im Auge behalten. Wie schaffen Sie den Rahmen für Innovation bei Red Hat?

Es geht darum, den Kontext und die Umgebung herzustellen, in denen es den Menschen möglich ist, innovativ und kreativ zu sein. Statt von oben herab eine «Innovations-Agenda» zu befehlen und damit vorzugeben, wie Innova­tion zu erfolgen hat, versuchen wir, einen guten Mix zu finden zwischen dem, was wir vorgeben, und dem, was die Mitarbeitenden selbst entwickeln sollen. Vieles soll Bottom-up geschehen, nicht in festgefahrenen Strukturen, dafür agil. In vielen Unternehmen funktioniert Management aber heute noch so, dass die Unternehmensleitung Top-Down eine Strategie entwickelt. Um diese Strategie dann möglichst effizient umzusetzen, schafft das Management die benötigten Strukturen, und für die Ausführung halten sich die Mitarbeitenden an einen vorgegebenen Plan. Wir bei Red Hat geben nur grob vor, was wir erreichen wollen und wir stellen ein Rahmenwerk zur Verfügung, innerhalb dessen gearbeitet wird. Zudem stellen wir die kulturellen Normen und die Art und Weise zur Verfügung, in denen festgelegt ist, wie wir uns gegenüber Mitarbeitenden, Kunden und Partnern verhalten und dann heisst es: Macht mal!

Also weg von der Planung, hin zur Iteration?

Ja, Iteration ist der Schlüssel. Um es provokativ zu sagen: Planung ist tot. In einem Umfeld, das sich so schnell bewegt, können wir nicht lange planen und hoffen, dass die Zukunft dann so eintrifft, wie wir sie geplant haben. Denn wahrscheinlich irren wir uns. Stattdessen wollen wir einen Kontext schaffen, in dem es darum geht auszuprobieren, zu lernen und modifizieren.

Hat Red Hat schon so funktioniert, als sie 2008 als CEO gekommen sind?

Ja, so haben wir schon damals gearbeitet und es ist keine Erfindung von mir. Diese Art zu arbeiten entwickelte sich aus der Open-Source-Bewegung. Schauen wir dazu konkret Linux als Beispiel an: Unsere Enterprise Linux Distribution ist ja kein einzelnes Produkt, sondern besteht aus 1500 Paketen, die zusammenspielen müssen, um eine funktionstüchtige Linux-Distribution bereitzustellen. Diese Modularität ist ein wichtiger Kern des Open-Source-Gedankens. Die verschiedenen Module können sich so in ihrer jeweils eigenen Geschwindigkeit entwickeln. Und es wird auch nie zwischendurch ein einzelner Bug gefixt, sondern erst beim nächsten Release. Das bedingt, dass es viel mehr Releases gibt. Es sind viele kleine Schritte, die es in der Summe ermöglichen, dass wir so schnell entwickeln und Innovationen ausrollen können.

Was halten Sie davon, dass sich auch Microsoft seit einiger Zeit für Open Source interessiert?

Ich finde das grossartig. Denn grundsätzlich sind wir der Meinung, je mehr Leute mit Open Source zu tun haben, desto besser. Microsoft hat verstanden, dass viele neue Entwicklungen und Innovationen auf Open-Source-Basis geschehen und sie deshalb bei Open-Source-Plattformen mitmachen müssen, wenn sie relevant bleiben wollen.

Hätten Sie es vor ein paar Jahren, etwa zu Zeiten von Steve Ballmer, für möglich gehalten, dass Microsoft einen derartigen Paradigmenwechsel und eine Öffnung zu Open Source vollführen könnte?

Nein, niemals. Ich habe eine gute Beziehung zu Micro­softs CEO Satya Nadella und wir sprechen oft miteinander. Wir haben auch eine gute Pace bei den Dingen, die wir miteinander machen. Hätten Sie mir das vor fünf Jahren prophezeit, ich hätte gesagt: Das ist verrückt, no way. Ich glaube, Satya hat viel dazu beigetragen, dass es möglich wurde. Microsoft ist heute viel offener und besonnener als früher. Und wenn man einmal von Linux und Windows absieht, sehen wir in unserer Zusammenarbeit viel mehr gute Geschäftsmöglichkeiten als den gegenseitigen Wettbewerb.

Sie sind nun seit zehn Jahren im Unternehmen. Werden es noch weitere zehn Jahre werden?

Ich hoffe es. Ich bin auch noch nie aufgewacht und hatte den Eindruck, dass meine Arbeit getan wäre. Es ist ja auch eine so unglaublich spannende Zeit, und wir haben noch viel vor. Wir wollen weiter wachsen und die 5 Milliarden Dollar Umsatz erreichen. Dafür wird auch unsere Workforce von heute rund 11 000 Mitarbeitern auf rund 20 000 wachsen müssen. Wir machen einen wichtigen Wandel mit dem Unternehmen durch. Einmal abgesehen von der schon angesprochenen Kommodisierung und der Kostenreduktion durch Open-­Source-Alternativen geht es ja eben auch um das Ermöglichen von Innovation bei unseren Kunden. Dafür müssen wir aber noch viel besser als bisher verstehen, wie die Geschäftsmodelle unserer Kunden funktionieren. Und natürlich müssen wir die Technolo­gien unserer Mitbewerber genau verstehen. Das bedeutet auch, dass wir unsere Verkaufsprozesse anpassen müssen. Wir verkaufen heute an ein Business-Publikum, das mit Technologie Businessprobleme und nicht Technologieprobleme lösen will. Für Red Hat geht es nun darum, unsere Expertise in den verschiedenen vertikalen Märkten, in denen wir tätig sind, weiter zu verbessern, also im Retail, im Finanzsektor, bei Healthcare, in der industriellen Fertigung, in Telekommunikation etc. Das ist eine spannende und interessante Reise, die wir zurzeit machen. Gerade bei den Telkos erwarte ich in den kommenden Jahren riesige Geschäftschancen für Red Hat.

Warum?

Telkos müssen ihre Infrastruktur für 5G aufrüsten und dafür werden sie ihre IT-Architekturen ziemlich radikal verändern müssen. Früher hätten sie dafür spezialisiertes Equipment der entsprechenden Netzwerkausrüster wie etwa von Ericsson eingekauft. Wenn sie nun aber die erwartete Nachfrage und das damit verbundene Wachstumspotenzial anschauen, merken die Telkos, dass sie dafür Infrastrukturen bauen müssen, die mit der rasanten Entwicklung von 5G und den zahllosen mobilen IoT-Anwendungen Schritt halten können. Praktisch alle Telkos sind heutzutage dabei, ihre Infrastrukturen auf Commodity-x86-Hardware zu bauen, auf denen Open Stack läuft. Und die virtuellen Netzwerkfunktionen laufen ebenfalls auf Open Stack. Und wir sind einer der grössten Open-Stack-Upstream-Beitragenden, zudem bei Weitem der grösste Open-Stack-Anbieter. Für uns ist es eine Multimilliardendollarmöglichkeit, mit den Telkos zusammen 5G auf einer Open-Source-Plattform auszurollen.

Wie wichtig ist der Schweizer Markt für Red Hat?

Jedes grössere Unternehmen hierzulande ist ein wichtiger Anwender unserer Lösungen. Wir haben in der Schweiz an unserem juristischen Hauptsitz in Neuchâtel auch einen Entwicklungsstandort. Insgesamt arbeiten rund 80 Mitarbeiter für Red Hat in der Schweiz. Die Mehrheit davon in unserer Zürcher Niederlassung. Das ist ziemlich gross für ein Unternehmen wie das unsere mit weltweit nur 11 000 Mitarbeitenden. Zudem ist die Schweiz natürlich wichtig für den Kontakt zu vielen multinational tätigen Unternehmen, die hier einen Standort haben.

Webcode
DPF8_75884