Interview mit Andy Fitze, Präsident Swiss IT Leadership Forum

Wo die Demokratie der Digitalisierung im Weg steht

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von Marc Landis und kfi

Der Verein Swiss IT Leadership Forum, dem rund 70 Senior-ICT-Executives der grössten Schweizer Unternehmen angehören, feiert dieses Jahr das 25-jährige Jubiläum. Grund genug, einen Blick hinter die Kulissen dieses CIO-Clubs zu werfen, der sonst kaum in der Öffentlichkeit auftritt. Ein Gespräch mit Präsident Andy Fitze.

Andy Fitze, Präsident des Swiss IT Leaderhip Forum. (Source: Netzmedien)
Andy Fitze, Präsident des Swiss IT Leaderhip Forum. (Source: Netzmedien)

Das Swiss IT Leadership Forum feiert dieses Jahr das 25-jährige Bestehen. Was bedeutet dieses Jubiläum für den Verein?

Andy Fitze: Es überrascht mich nicht, dass wir mit dem Swiss IT Leadership Forum dieses Jahr bereits das 25-Jahre-Jubiläum feiern. Der Peer-to-Peer-Austausch zwischen Leadern von IT-Organisationen in Unternehmen war und ist ein offensichtliches Bedürfnis und wichtiger denn je. CIOs sind heutzutage auf multiple Art und Weise herausgefordert und das gilt nicht nur für einzelne Individuen, sondern universell. Die Herausforderungen sind technologischer, finanzieller und organisationaler Natur. Auch die Anforderungen des Business an die IT, New Work, also die Art und Weise, wie in modernen Organisationen digital vernetzt in Teams von überall her zusammengearbeitet wird, stellt die IT vor vielfältige Probleme. Insbesondere in puncto Cybersicherheit, aber auch bezüglich Leadership ergeben sich dadurch neue Anforderungen.

Wie sehen Sie die Rolle des Senior-ICT-Managements heute und in Zukunft?

CIOs verantworten im Rahmen der Business-Applikationen und ICT-Infrastruktur einen grossen Betriebskostenblock und sie entscheiden bei der Beschaffung von Investitionsgütern zu einem erheblichen Teil mit. Anders formuliert: Sie sind also quasi gleichzeitig sowohl Komponisten als auch Dirigenten eines Orchesters bestehend aus Menschen, Rollen, Business Units, Prozessen, Daten, Informationen, Software und Hardware. Im Swiss IT Leadership Forum bringen wir diese "Komponistendirigenten" in einer Art Think-Tank der IT zusammen, um über brennende Themen zu diskutieren und uns durch den gegenseitigen Austausch sowie durch unsere Referierenden inspirieren zu lassen. Im Normalfall meiden wir mit dem Swiss IT Leadership Forum die breite Öffentlichkeit und bleiben an unseren Anlässen in der Regel unter uns. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens machen wir eine Ausnahme und möchten einen Einblick geben.

Wie muss man sich die Atmosphäre an einem solchen Forumsanlass vorstellen?

Das Programm ist kein Geheimnis und jeweils öffentlich. Dieses Jahr eröffnete der Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli, das Forum zur aktuellen geopolitischen Lage. Der zweite Tag des Anlasses stand dieses Jahr unter dem Thema Cybersecurity, über das unter anderen Mr. Cyber, Florian Schütz, sprach. Neben Praxisberichten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik stehen immer auch Erfahrungen und Trends über die strategische Positionierung und Ausgestaltung der ICT-Funktionen im Fokus der Veranstaltung. Ausserdem gab ein Unternehmen Auskunft dazu, wie es eine Cyberattacke er- und überlebte. Am dritten Tag inspirierten uns Vorträge zur Rolle von CIOs. Sie fragten auch nach der Atmosphäre. Ich finde die Anlässe immer sehr inspirierend. Es gibt uns Führungskräften Gelegenheit zum intensiven Gedankenaustausch, wozu wir im normalen Berufsalltag kaum Gelegenheit finden. Dank unseres Netzwerks, das wir auch während des Jahres pflegen, finden sich oft wertvolle Anregungen zur Lösung von wichtigen Problemen. Der vertrauensvolle Austausch "off the record", "off the business", "off any supplier" ist der Kern des Forums, an dem jeweils, organisiert als Verein, die CIOs der grössten IT-Anwenderfirmen in der Schweiz sowie öffentlicher Verwaltungen zusammenfinden.

Die Zusammensetzung der SILF-Mitgliederschaft - bestehend aus den CIOs der grössten Schweizer Unternehmen - ist hochkarätig. Welche Themen beschäftigen Ihre Mitglieder aktuell vor allem?

Der Vorstand, dem ausschliesslich CIOs angehören, setzt jeweils die Agenda. Wir bleiben immer an relevanten Themen dran, etwa AI & Quantencomputing, agile Organisationsstrukturen bis hin zu operativen Themen wie aktuell "Cybersecurity".

Fitze sieht in der Schweiz viele Baustellen puncto Digitalisierung. (Source: Netzmedien)

Welche Baustellen gibt es in der Schweiz in puncto Digitalisierung aus Ihrer Sicht vor allem?

Leider sind das viele! Aus der Vogelperspektive betrachtet stehen wir im Vergleich zum Rest der Welt nicht so gut da, wie wir das gerne hätten und wie wir es uns oft einreden. Ich stelle eine gewisse Selbstgefälligkeit fest und ehrlich gesagt weiss ich gar nicht, woher diese rührt. Wenn ich daran denke, wie lange wir schon an der E-ID oder am elektronischen Patientendossier basteln, steigt so etwas wie eine verzweifelte Wut in mir hoch. Und es gibt weitere Themen, die wir ebenfalls verschlafen oder die hierzulande behindert werden, von denen ich hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige nennen möchte: 5G, Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung– und nein, PDFs haben nichts mit Digitalisierung zu tun –, autonome industrielle Fertigung, Vertical Farming, autonomer Güterverkehr. Ausserdem verstehe ich nicht, dass immer noch Laien an den Schulen in der Grundbildung Informatik unterrichten. Deutschlehrer müssen ja auch Deutsch studieren oder zumindest sprechen, um Deutsch unterrichten zu dürfen. Zudem geht mir die Weiterentwicklung der Berufsbilder in die digitale Richtung nicht schnell genug. Warum etwa bilden wir immer noch kaufmännische Angestellte im KV aus statt beispielsweise "Office-Automatiker"? Überdies stört mich, dass Expertinnen und Experten aus der Jurisprudenz und Wirtschaftswissenschaften in Verwaltungsräten viel häufiger anzutreffen sind als Berufe aus den Natur-, Ingenieurs- oder Computerwissenschaften, wie Informatikerinnen und Informatiker oder Digitalisierungexpertinnen und -experten. Auch fehlen mir die Spielfelder oder Sandboxen, in denen es möglich ist, neue Technologien in realistischen Umgebungen ausprobieren zu können. Ich denke da etwa an einen Autobahnabschnitt für autonome Lastwagen, einen dedizierten Luftraum für Drohnen und autonome Flugzeuge und so weiter.

Sie nennen hier viele wichtige Handlungsfelder, aber den Fachkräftemangel nicht. Welche Rolle spielt er und in welchen Bereichen ist er besonders akut?

Fachkräftemangel? Den gäbe es nicht, würden wir die Digitalisierung richtig einsetzen. Leider glauben grosse Teile der Bevölkerung und auch viele Führungskräfte immer noch, dass Digitalisierung in erster Linie der Rationalisierung und der Kostensenkung diene. Das ist aber ein Irrtum. Wenn wir die Digitalisierung als Werkzeug verstehen, wie früher die Industriepioniere die Dampfmaschine als Werkzeug sahen, um die menschliche Arbeitskraft zu vervielfachen, dann sprechen wir von etwas ganz anderem. Ich mache ein Beispiel: Stellen Sie sich Kranführer auf einer Baustelle am Prime Tower vor. Auf der Baustelle gibt es fünf Baukräne, die jeweils von einem Kranführer bedient werden müssen. Keiner dieser Kranführer ist während seines Arbeitstages komplett ausgelastet. Lange Wartezeiten alleine in einem Kabäuschen 30 oder mehr Meter über der Erde zu warten, bis der nächste Kranzug fällig ist, sind die Regel. Stellen Sie sich weiter vor, ein durch künstliche Intelligenz und zusätzlichen Daten "augmentierter" Kranführer könnte heute schon aus seinem Homeoffice – ja, aus seinem Homeoffice – die fünf Baukräne gleichzeitig sicher und effizient bedienen. Sofort wäre der Mangel an Kranführern auf Baustellen behoben. Die Digitalisierung erlaubt es, Experten mit smarten, schnellen Entscheidungsgrundlagen zu versehen, damit diese ihre echten und sehr kreativen Kompetenzen in multiplen Szenarien zur Verfügung stellen, quasi skalieren, wie es ohne "Augmentierung" nicht möglich wäre. Damit ist auch klar, dass wir die Digitalisierung in erster Linie nutzen können, um unsere wertvolle, durch Ausbildung und Berufserfahrung gewonnene Expertise zu erweitern. Ich möchte, dass wir endlich aufhören, Angst vor der Digitalisierung zu haben und lernen zu verstehen, wie wir sie zu unserem Nutzen einsetzen können, statt zu fürchten, Maschinen könnten uns ersetzen.

Wie sind Ihrer Meinung nach die Aussichten, dass die Schweiz auch zukünftig Innovationsleader bleibt?

Unser Problem in der Schweiz ist, dass uns die global denkenden Visionäre fehlen. Hierzulande glauben viele, wir könnten digitale Innovation über demokratische Prozesse erreichen. EPD und E-ID und auch das 5G-Gezerre zeigen exemplarisch, dass dem nicht so ist. Echte Innovation ist nicht das Resultat eines evolutionären, zähen Entscheidungsprozesses mit möglichst vielen Beteiligten. Ideen, die ihre disruptive Kraft entfalteten, kamen und kommen immer von Visionären. Sie heissen etwa Johann Heinrich Pestalozzi, Guillaume-Henri Dufour, Henri Nestlé, Alfred Escher, Adolf Ogi oder Nicolas G. Hayek. Oft wurden ihre Ideen jeweils erst im Nachhinein demokratisch legitimiert. Ich wünsche mir, dass wir unsere junge Generation noch viel mehr zu globalen Vordenkern, Visionären, Entrepreneuren heranziehen und dann vor stolz fast platzen und sie feiern, wenn sie es schaffen. Aber das ist halt nicht sehr schweizerisch.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, der auch tatsächlich in Erfüllung geht, welcher wäre das?

Jeder mit einem Vermögen von mehr als 673'962 Franken sollte 20'000 davon in ein Start-up investieren.

Zur Person

Andy Fitze ist Präsident des Swiss IT Leadership Forum, das als Verein organisiert ist und dessen rund 70 Mitglieder allesamt ICT-Führungskräfte der grössten Unternehmen in der Schweiz sind. Ausserdem ist Andy Fitze gemeinsam mit Dalith Steiger Mitgründer von Swiss Cognitive – World-Leading AI Network. Fitze gilt als globaler Top-AI-Advisor, Strategist und Influencer.

Mit seiner Leidenschaft für intelligente Technologien berät er weltweit Führungskräfte auf Vorstandsebene im Bereich der digitalen Transformation und hält als "Digital Prophet" Keynote-Referate auf allen Kontinenten.

Andy hat einen Ingenieursabschluss in Elektrotechnik, Mess- und Regeltechnik (IoT) und einen Executive MBA der Universität St. Gallen. Er wurde ausserdem 2015 mit dem Swiss CIO Award als bester IT-Manager der Schweiz ausgezeichnet. Zudem ist er Mitglied in diversen Verwaltungsräten.

Er unterrichtet an der ETH Zürich und an diversen Fachhochschulen. Während seiner 25-jährigen Tätigkeit in internationalen Unternehmen bekleidete er verschiedene Führungspositionen als CIO und Konzernleitungsmitglied. Er ist auch Segelinstruktor auf den Weltmeeren, aber vor allem in den hohen Breitengraden - Segeln ist seine grosse Leidenschaft und gibt ihm eine gute Balance für Kopf und Seele. (Quelle: Swiss Cognitive)

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