VR-Lehrmittel

Virtual Reality in der Zahnmedizin

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von Universität Zürich

Der Kieferchirurg Bernd Stadlinger hat zusammen mit dem Biologen Reinhard Gruber das Drehbuch für eine Virtual-Reality-Anwendung und eine App rund um die Prozesse des Knochenauf- und -abbaus entwickelt. Sie erlauben, wichtige biologische Grundlagen spielerisch zu erlernen.

In einer virtuellen Umgebung lassen sich Prozesse des Knochenumbaus simulieren. (Source: Screenshot youtube.com/watch?v=18g45I7c6Bc&t=56s)
In einer virtuellen Umgebung lassen sich Prozesse des Knochenumbaus simulieren. (Source: Screenshot youtube.com/watch?v=18g45I7c6Bc&t=56s)

Stellen Sie sich vor, Sie stehen in der Mundhöhle. Ihr Headset gibt den Blick frei auf das Innere der stark vergrösserten Kieferknochen-Struktur und zeigt, wie spezialisierte Zellen mit ihren Enzymen eine Stelle aushöhlen. Aus einem Blutgefäss strömen Vorläuferzellen, die unter dem Einfluss von Wachstumsfaktoren in aufbauende Knochenzellen differenzieren. Sie bilden die Basis für die Regeneration des Gewebes, ein Prozess, den Sie nicht nur beobachten, sondern den Sie interaktiv durch die Zugabe von Gewebsfaktoren mitbestimmen. Mit den Händen lassen sich die zellulären Komponenten hin- und herbewegen. Als Akteurin oder Akteur greifen Sie in die Vorgänge ein und eignen sich spielerisch Grundlagenwissen an.

Willkommen in der virtuellen Welt (VR) der Zahnmedizin und Kieferchirurgie. Der beschriebene Ausschnitt zum Knochenumbau stammt aus "VR Osteoclasts", einer virtuellen Realität zur Vermittlung von medizinischem Grundlagenwissen für Studierende und Interessierte. Sie basiert auf einer App für Smartphones namens "AR Osteoclasts", die eigens für das Lehrbuch "Kommunikation der Zellen – Visualisierte Biologie in der Oralen Medizin" entwickelt wurde. Dabei sind Osteoklasten Zellen, die Knochensubstanz abbauen – im Gegensatz zu den aufbauenden Osteoblasten.

Die AR-App soll Zahnmedizinern und -medizinerinnen die Prozesse des Knochenumbaus spielerisch vermitteln. (Source: gtc.inf.ethz.ch)

Die AR-App soll Zahnmedizinern und -medizinerinnen die Prozesse des Knochenumbaus spielerisch vermitteln. (Source: gtc.inf.ethz.ch)

Massgebend verantwortlich für den Inhalt der immersiven Lehrmittel, die biologisches und zahnmedizinisches Grundlagenwissen eindrücklich visualisieren, sind Bernd Stadlinger, Professor am Zentrum für Zahnmedizin der UZH und Reinhard Gruber, Professor an der Medizinischen Universität Wien. Für die technische und künstlerische Umsetzung besorgt war das Game Technology Center (GTC) der ETH Zürich.

Fasziniert von Filmen

Spricht man mit Bernd Stadlinger, wird schnell klar, dass den Wissenschaftler zwei Leidenschaften umtreiben: Zum einen sein Fachgebiet der Oralchirurgie, in dem er sich unter anderem mit 3D-Bildgebung, Knochenaufbau und Biomaterialien beschäftigt. Zum anderen die Anwendungen von VR und computeranimierten Filmen, die ihn seit Jahren faszinieren und neue Formen der Wissensvermittlung ermöglichen.

"Die komplexe Biologie des Knochenumbaus wird mit diesen Techniken erleb- und begreifbar", sagt Stadlinger, "sie macht das Unsichtbare sichtbar." Dies dank leistungsfähigen Computern und Graphikkarten, die unterdessen medizinische Vorgänge absolut überzeugend darstellen können. Haupttreiber dieser technischen Innovationen, so Stadlinger, war die Gaming Industrie, die leistungsfähige Systeme entwickelt hat, um die Spieler und Spielerinnen mit realitätsnahen virtuellen Welten an sich zu binden.

Bernd Stadlinger, Kieferchirurg, Zentrum für Zahnmedizin, UZH.

Bernd Stadlinger, Kieferchirurg, Zentrum für Zahnmedizin an der Universität Zürich. (Source: uzh.ch)

Für Stadlinger ist klar, dass diese immersiven Technologien je länger je mehr für die Lehre genutzt werden müssen, ganz zu schweigen von den Anwendungen in Forschung und Klinik, Stichwort Operationen. Er rechnet mit grossen Auswirkungen dieser Technologien auf die Lehre sowie die theoretische und klinische Praxis der Zahnmedizin.

Heute seien Virtual Reality und die weniger weit gehende Augemented Reality leicht zugänglich für die aktuelle Generation von Studierenden, die mit Computergames aufgewachsen sind und die diese Technologien und ihre Anwendungen bestens kennen. Sie sind sozusagen ein niederschwelliges Angebot an die Lernenden, sich mit komplexen Sachverhalten auseinanderzusetzen.

Herausforderung dieser Art der Wissensvermittlung sei, die biologischen Prozesse gleichzeitig medizinisch korrekt aber nicht zu komplex zu visualisieren. "Vereinfachungen sind zwar teilweise nötig", räumt Stadlinger ein, "der virtuelle Raum wird sozusagen entleert." Schliesslich gehe es darum, in den visuellen Darstellungen die grossen Zusammenhänge zu vermitteln – "the big picture". Die Vorgänge können anschliessend im Detail in begleitenden Publikationen und Lehrbüchern vertieft werden, zum Beispiel im erwähnten Fachbuch Visualisierte Biologie in der Oralen Medizin.

Computeranimierte Lehrvideos

Dieses von Bernd Stadlinger und namhaften Kollegen wie Reinhard Gruber und Hendrik Terheyden sowie insgesamt 47 Autoren verfasste Buch erfolgte im Übrigen im Anschluss an die Produktion einer Serie von sechs computeranimierten Lehrvideos, in denen die Wechselwirkungen der verschiedenen Zellen in unserer Mundhöhle visualisiert werden. Diese und weitere Projekte haben den technikaffinen Kieferchirurg, der schon immer von graphischen Darstellungen und Videos fasziniert war, zur Virtual Reality gebracht.

Stadlinger weist darauf hin, dass sich in diesem Umfeld in Zürich mit seinen Hochschulen und Techfirmen (Google, Disney) gerade eine neue Industrie etabliere, die enormes Potential habe. Dazu passt Facebook mit Metaverse oder Apple mit ihrem angekündeten Headset, das virtuelle Welten massentauglich machen soll. Die Lerntools der Zahnmediziner liegen eindeutig im Trend.

Dieser Beitrag ist zuerst auf der Website der Universität Zürich erschienen

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