Focus: Elektronisches Patientendossier

Was die Schweiz von Liechtenstein in Sachen E-Health lernen kann

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Während in der Schweiz die Einführung eines «Opt-out»-Modells für das elektronische Patientendossier (EPD) zur Debatte steht, hat Liechtenstein sein «EGD» bereits eingeführt. Christian Wolf, Präsident des Vereins eHealth Liechtenstein, erklärt im Interview, wie das ankommt.

Christian Wolf, Co-Projektleiter EGD, Präsident des Vereins eHealth Liechtenstein und Partner bei der BDO Liechtenstein. (Source: zVg)
Christian Wolf, Co-Projektleiter EGD, Präsident des Vereins eHealth Liechtenstein und Partner bei der BDO Liechtenstein. (Source: zVg)

Seit Anfang Juli 2023 sind Gesundheitsdienstleister im Fürstentum Liechtenstein dazu verpflichtet, Patientendaten im elektronischen Gesundheitsdossier (EGD) abzulegen. Wie kommt diese neue Pflicht an? 

Christian Wolf: Die Einführung neuer Anwendungen und damit verbundener Prozessanpassungen schürt oftmals zunächst Ängste vor potenziellen Mehraufwänden. Wir haben aber insbesondere von Arztpraxen, die eine integrierte Schnittstelle zwischen ihrem Praxisinformationssystem und dem EGD eingerichtet haben, durchweg positive Rückmeldungen erhalten. Viele Gesundheitsdienstleister sind sehr positiv überrascht, dass der Upload gesetzlich definierter Dokumente weitgehend vollautomatisiert abläuft. Entsprechende Rückmeldungen haben wir etwa auch vonseiten des Landesspitals, vom Labor Risch oder von den Apotheken erhalten. 

Die Patientinnen und Patienten haben das Recht, ­Widerspruch einzulegen, sodass keine gesundheitsrelevanten Daten in ihrem EGD gespeichert werden. Wie viele Personen haben schon von dieser Opt-out-Regelung Gebrauch gemacht? 

Es sind aktuell rund 5 Prozent aller in Liechtenstein krankenversicherten Personen, worunter auch viele Grenzgänger mit Erwerbstätigkeit in Liechtenstein fallen. 

Wie gross war der Widerstand gegen das EGD? Und wie sind Sie damit umgegangen?  

Der Widerstand scheint mir weder vonseiten der Gesundheitsdienstleister noch der Bevölkerung sehr gross oder breit abgestützt zu sein. Es gibt aber durchaus Gruppierungen auf beiden Seiten, die dem EGD unverändert skeptisch gegenüberstehen, was aber vielfach auch falschen Annahmen geschuldet ist. Wir nehmen die Ängste und Sorgen sehr ernst und versuchen, durch faktenbasierte Kommunikation und die stetige Weiterentwicklung der EGD-Lösung diesen Vorbehalten Rechnung zu tragen. 

Wie wichtig ist das EGD für die digitale Transformation der Liechtensteiner Gesundheitsversorgung?

Ich bin überzeugt, dass das EGD in Zukunft einen zentralen Beitrag im Rahmen der Digitalisierung im Gesundheitswesen spielen wird. Entsprechend ist das EGD auch in der «digitalen Roadmap» der Initiative digital.liechtenstein verankert, die heute von über 50 Unternehmen in Liechtenstein getragen wird. Wir müssen uns aber bewusst machen, dass das in Liechtenstein eingeführte EGD zum aktuellen Zeitpunkt lediglich eine «Version 1.0» ist. Viele Entwicklungsschritte stehen bevor, beispielsweise die strukturierte E-Medikation, das E-Rezept und natürlich auch die Anbindung an unsere Nachbarländer. Österreich ist Liechtenstein und der Schweiz mit der ELGA-Lösung weit voraus. Gleichzeitig sind andere europäische Staaten, wie etwa Dänemark oder besonders auch Estland, selbst im Vergleich zu Österreich bereits weiter vorangeschritten.

Gegner des EDG haben im Frühling eine Volksini­tiative angemeldet, die zwischenzeitlich für zulässig erklärt wurde. Die Initianten wollen die Umstellung auf ein Opt-in-Modell erwirken. Was halten Sie von diesem Anliegen? Und was würde eine ­Annahme dieser Initiative für die E-Health-Bestrebungen in Liechtenstein bedeuten? 

Die Schweiz hat die Einführung des EPD auf Basis der «doppelten Freiwilligkeit» versucht und ist damit gescheitert. Deshalb zielt die Gesetzesrevision nicht überraschend auf die Umstellung vom «Opt-in-Modell» auf das «Opt-out Modell», wie es heute in Liechtenstein gilt. In Österreich hat dasselbe «Opt-out-Modell» dazu geführt, dass heute weit über 95 Prozent der Bevölkerung ein elektronisches Dossier besitzen. Und nur breit abgestützt kann das Dossier helfen, die Qualität im Gesundheitswesen zu erhöhen und die Kostenzunahme zu dämpfen. Wer keine medizinischen Daten im EGD möchte, kann einen Widerspruch einfach von zuhause aus online tätigen oder ein einfaches Formular von der Website des Amtes für Gesundheit ausfüllen – fertig! Aufgrund der Tatsache, dass bis heute nur rund 5 Prozent der Bevölkerung Widerspruch eingelegt haben, frage ich mich, weshalb das System umgestellt werden soll, was bedeuten würde, dass nicht mehr eine kleine Minderheit aktiv werden muss, um Widerspruch einzulegen, sondern die grosse Mehrheit aktiv werden müsste, um ein Dossier zu eröffnen. Eine Umstellung würde die Einführung des EGD um Jahre zurückwerfen, weil es viel länger dauern würde, bis das Dossier in der Breite etabliert wäre. Eine unerwünschte Entwicklung wie bis dato in der Schweiz wäre folglich denkbar. 

In der Schweiz steht das EPD schon seit über zehn Jahren zur politischen Diskussion. Wie nehmen Sie die Debatte wahr? 

Wir verfolgen die Debatte intensiv und pflegen einen regen Austausch auf verschiedenen Ebenen. Die Lösungsplattform, die von der Schweizerischen Post vertrieben wird, ist dieselbe wie in Liechtenstein und Österreich. Aber die rechtlichen Bestimmungen und architektonischen Vorgaben sind in der Schweiz aus meiner Sicht derart über das Ziel hinausgeschossen, dass eine gute Lösung verunmöglicht wird. An der IT-Lösung selbst liegt es nicht.

Auch in der Schweiz soll künftig ein Opt-out-Modell zum Einsatz kommen. Liesse sich das EPD mit dieser Regelung retten? 

Die aktuellen Überlegungen zur Gesetzesrevision, insbesondere der Wechsel zum «Opt-out-Modell», würde ich persönlich voll und ganz unterstützen – aber meine Stimme zählt in der Schweiz natürlich nicht. Gleichzeitig müssen aber auch, wie in der Revision vorgesehen, ambulante Gesundheitsdienstleister zur Teilnahme verpflichtet werden. Diese beiden Punkte sind aus meiner Sicht minimale Voraussetzungen zur Rettung des EPD.

Was unterscheidet das Liechtensteiner EGD vom ­heutigen Schweizer EPD? 

Wie ausgeführt ist es nicht die technische Lösung. Es sind die rechtlichen Bestimmungen. Mir ist bewusst, dass Liechtenstein sehr viel kleiner ist als die Schweiz. Viele unserer Gesetze sind deswegen im Vergleich aber nicht zwingend kürzer oder einfacher. Im Beispiel EGD allerdings schon: Das Gesetz über das elektronische Gesundheitsdossier war bewusst als Rahmengesetz ausgestaltet, das lediglich die Kernelemente für die Funktionsweise des EGD abbildet, während die dazugehörende Verordnung spezifisch ausgewählte Punkte für den Vollzug regelt. 

Am E-Health-Forum in Bern bezeichneten Sie den ­ersten EGD-Anlauf in Liechtenstein als eine «EPD-geprägte Lösung, die nicht alle Fragen löste, die ­hätten gelöst werden müssen». Was lief damals ­konkret schief?

Wir hatten damals auf eine andere IT-Plattform gesetzt, gleichzeitig war aber das Gesetz über das elektronische Gesundheitsdossier noch nicht in Kraft, weshalb wichtige Punkte ungeklärt waren. Es konnten folglich insbesondere noch keine Dossiers mit Medizinaldaten befüllt werden. Mit «EPD-geprägt» hatte ich beispielsweise darauf angespielt, dass die damalige Lösung einen «Master Patient Index (MPI)»-Algorithmus hatte, wir in Liechtenstein aber für alle krankenversicherten Personen eine eineindeutige Identifikationsnummer haben, sodass wir keinen aufwendigen MPI-Algorithmus benötigen. Dies war mit der damaligen Lösung bis zuletzt nur sehr aufwendig und bedingt umsetzbar.

Was kann die Schweiz bezüglich der Digitalisierung im Gesundheitswesen von Liechtenstein lernen? 

Es wäre aus meiner Sicht übereilt, aus Liechtenstein der Schweiz gute Ratschläge erteilen zu wollen. Das EGD muss sich auch bei uns zuerst etablieren und behaupten. Vielmehr sehe ich eine Chance für beide Seiten darin, Erfahrungen auszutauschen. Darüber hinaus sind wir natürlich sehr interessiert da­ran, einen Datenaustausch mit der Schweiz sicherzustellen, da sich viele Patientinnen und Patienten aus Liechtenstein in der Schweiz behandeln lassen. Dabei generierte Daten und Dokumente sollten natürlich ebenso im EGD abgelegt werden, damit das jeweilige Dossier möglichst vollständig ist. Ebenso glaube ich, dass sich auch im umgekehrten Fall, also wenn Schweizer Patientinnen und Patienten medizinische Behandlungen in Liechtenstein in Anspruch nehmen, die Abbildung der entsprechend anfallenden Dokumentation in deren EPD positiv auswirken würde.

Und wie sieht es umgekehrt aus? Was läuft in der Schweiz in puncto E-Health besser als im Fürstentum Liechtenstein? 

Die Schweiz hat heute ein ganzes E-Health-Ökosystem mit Anbietern in unterschiedlichsten Bereichen. Dies fehlt in Liechtenstein. Wenn es der Schweiz gelingt, dieses Potenzial noch besser zu nutzen, so mache ich mir um die Schweiz punkto E-Health keine Sorgen. Ich persönlich bin darüber hinaus der Auffassung, dass solch ein System vonseiten des Staates zentral administriert werden sollte. Die ursprünglich verfolgte und bis heute mitschwingende Dezentralisierung entlang von Kantonen beziehungsweise Stammgemeinschaften verstehe ich aus ausländischer Perspektive nicht. Aber für dieses Verständnis denke ich wohl trotz vieler Jahre Ausbildung und beruflicher Tätigkeit in der Schweiz noch zu wenig föderalistisch.

Wie geht es mit dem EGD weiter? Wo sehen Sie ­Verbesserungspotenzial?

Die zwei wichtigsten nächsten Schritte sind die Einführung einer strukturierten E-Medikation sowie die Anbindung an die Schweiz. Abgesehen von diesen beiden grossen Zielen gibt es natürlich auch viele Optimierungen im kleinen Rahmen, an denen wir arbeiten.

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