"Genialer Werbekanal"

Die Werbebranche auf der Suche nach Mobile-Advertising-Konzepten

Uhr | Aktualisiert
von Simon Zaugg

Immer mehr Nutzer surfen auf ihren mobilen Geräten statt auf dem Desktop-Computer. Da haben selbst Branchengrössen ihre liebe Mühe, der rasanten Entwicklung mit entsprechenden mobilen Werbekonzepten zu folgen. Doch der Aufwand lohnt sich.

Mit der Onlinewerbung scheint derzeit ein Paradigmenwechsel in der Werbebranche Einzug zu halten. «Nicht mehr der Berater, sondern der Nutzer sagt uns, welche Werbekampagnen funktionieren und welche nicht», sagt Thomas Hanan, CEO der Online-Marketing-Agentur Webrepublic. «Data-Driven-Innovation» nennt er das Motto, nach dem seine Mitarbeiter leben. Es bedeutet im Grunde nichts anderes, als die Messbarkeit von Onlinewerbung auszunutzen und daraus neue Werbekonzepte zu erstellen, anstatt Konzepte nach dem Lehrbuch umzusetzen.

«Man sollte immer einen Ansatz fahren, bei dem neben dem Bewährten auch unkonventionelle Wege getestet werden», rät der ehemalige Google-Mitarbeiter Hanan. Der Grund dafür leuchtet ein, zum Beispiel hinsichtlich des rasanten Wachstums beim mobilen Internet: Dort haben sich die Nutzer rasch an die Bedienungsfreundlichkeit der Geräte gewöhnt. Sie erwarten von den Unternehmen, dass sie mit ihren Webangeboten auf dem neusten Stand sind – auch im mobilen Web. Werde der Graben zwischen der Erwartung des Kunden und dem Angebot des Unternehmens zu gross, erlebe dieses sehr bald einmal den sogenannten «Oh-Shit-Moment», so Hanan. Dies endet oft mit dem vernichtenden Resultat, dass die gesamte Onlinestrategie komplett überarbeitet werden müsse. Diese komme dann deutlich teuerer zu stehen als eine kontinuierliche Optimierung der Unternehmensstrategie zur Minimierung der digitalen Kluft zwischen Angebot und Nachfrage.

Facebook unter Zugzwang

Wenn es um Mobile-Werbemöglichkeiten geht, kommen selbst die Branchengrössen ins Grübeln. So muss etwa der Social-Media-Riese Facebook nach dem Börsengang mächtig Gas geben, um neue Werbemöglichkeiten für seine mobilen Plattformen aus dem Boden zu stampfen. Im Mai hat das Unternehmen einen eigenen App-Store lanciert. Seit Anfang Juni dieses Jahres ist es möglich, mit sogenannten «Sponsored Stories» Kampagnen ausschliesslich für mobile Nutzer zu schalten. Weiter soll das Unternehmen laut einem Bericht des «Wall Street Journals» von Anfang Juli auch an einem neuen individualisierten Werbesystem arbeiten, das auf der Basis der App-Nutzung personalisierte Werbung anzeigt.

Die Beweggründe sind klar: Die Nutzer surfen immer häufiger über mobile Geräte auf der Plattform. 2010 waren es laut Angaben von Facebook 150 Millionen, die die Plattform über ein mobiles Gerät besuchten. Im April des laufenden Jahres waren es schon über 500 Millionen der insgesamt rund 900 Millionen Nutzer. Laut Zahlen von Comscore verbrachten Personen, die die Plattform sowohl via Desktop als auch mit dem mobilen Gerät nutzten, im vergangenen Mai erstmals mehr Zeit mobil auf Facebook: 441 Minuten waren es im Vergleich zu 391 Minuten Desktop-Nutzung während des ganzen Monats.

Mobile Ads sehr effizient

Nicht nur Facebook rennt derzeit seinen immer mobileren Nutzern nach. Auch in der besonders mobile-affinen Schweiz bekunden Onlinewerber Mühe, rasch neue Mobile-Werbemodelle aus dem Boden zu stampfen und sie ihren Kunden schmackhaft zu machen. Die Budgets im traditionell konservativen Schweizer Werbemarkt hinken der Entwicklung hinterher: Laut Zahlen des Marktforscher Media Focus wurde für Onlinewerbung (inklusive Mobile) 2011 zwar 15 Prozent mehr Geld ausgegeben als im Vorjahr. Die insgesamt etwas mehr als 520 Millionen Franken entsprechen jedoch lediglich einem Anteil von 7 Prozent am gesamten Schweizer Werbemarkt.

Dabei gilt insbesondere Mobile Advertising innerhalb der Onlinewerbung als besonders effizient. Laut Leonardo Kopp, Leiter Business Development beim Online-Werbevermittler Admazing, sind es die im Vergleich zu Desktopkampagnen höheren Klick-, Response- und Conversion-Raten, die den Mobile-Kanal interessant machen. Hier zeigen wiederum Zahlen von Facebook, in welche Richtung es gehen könnte. Zwei Wochen nach der Lancierung der «Mobile Sponsored Stories» Anfang Juni verzeichneten diese laut Zahlen von TBG Digital über 13-mal höhere Click-Through-Raten und 11,2-mal mehr Umsatz pro Impression (eCPM) verglichen mit allen Facebook-Desktopanzeigen. Schaut man sich die «Sponsored Stories» beim Desktop an, waren es 1,93-mal höhere Click-Through-Raten und ein 2,65-facher Umsatz pro Impression.

Höhere Hürden als beim Desktop

Doch nicht zuletzt das Beispiel Facebook zeigt, dass es nicht einfach ist, geeignete mobile Werbeformen zu finden. «Bei der Entwicklung mobiler Werbekampagnen gilt es, im Vergleich zum Desktop zusätzliche Hürden zu überwinden», sagt Kopp. Weniger Standards, unterschiedliche Plattformen mit ihren zugehörigen App-Stores und die Frage, ob mobile Website oder App, spielten hier mit eine Rolle. «Diese Faktoren wirken sich auf den Preis aus», so Kopp. Und zu guter Letzt ist es auch eine Frage des Know-hows: Spezialisten für Mobile Advertising sind derzeit noch rar gesät.

Kopp ist aber ganz klar der Meinung, dass Mobile ein «genialer Werbekanal» ist. Unter anderem deshalb, weil das mobile Gerät viel intensiver genutzt werde als der Desktop-PC. So besagt etwa die Google-Studie «Our mobile Planet», dass von jenen 43 Prozent Schweizern, die ein Smartphone besitzen, mehr als die Hälfte täglich damit auch auf das mobile Internet zugreift und ein Drittel es unterwegs nutzt. iOS-Besitzer nutzen ihr Smartphone dabei besonders intensiv. Der Online-Marketing-Verband IAB Switzerland zitiert im dieses Jahr erstmals erschienenen «Mobile Kompendium 2012» Zahlen von Netmarketshare: Demnach machen die iOS-Nutzer 88 Prozent des mobilen Traffics in der Schweiz aus, Android-Nutzer folgen mit rund 10 Prozent vor den anderen Plattformen. Zum Vergleich die aktuellen Zahlen zum Smartphone-Markt aus dem «Weissbuch»: Gut 50 Prozent besitzen ein iPhone, knapp 40 Prozent ein Android-Gerät.

Mobile-Websites oft ungenügend

Die Bedingungen für mobile Werbekampagnen könnten besser nicht sein: Es gibt Geräte, mit denen Nutzer auch unterwegs komfortabel surfen können, sowie eine zunehmende Anzahl mobiler Websites. In vielen Fällen ist jedoch weiteres Potenzial vorhanden.

Doch ist nicht alles Gold, was glänzt. Dies gilt zum Beispiel auch für die Verwendung von QR-Codes, die laut Hanan in neun von zehn Fällen auf nicht mobile-optimierte Websites führen. Die Nutzungsstatistiken der Webangebote seiner Kunden helfen ihm dabei, diese von Investitionen in den mobilen Bereich zu überzeugen. So habe er einem Kunden aus der Konsumkredit-Branche beispielsweise zeigen können, dass eine beträchtliche Anzahl Nutzer dessen Antragsformular auf einem mobilen Gerät ausgefüllt hatte, obwohl die Website nicht mobile-optimiert war. In der Folge realisierte der Kunde eine Mobile-Website.

Dabei ist klar: Die Zeitspanne, in der ein Website-Besucher entscheidet, ob er bleibt oder wegklickt, ist kurz. Sie dürfte im mobilen Web kaum länger als die durchschnittlich drei Sekunden sein, die bei Desktop-Websites gemeinhin gelten. «Die mobile Website muss klar auf das Wichtigste reduziert, gut lesbar und einfach navigierbar sein. Die Kampagne selbst ist nur die halbe Miete», ergänzt Hanan. Eine Rolle spielt dies beispielsweise im Newsletter-Marketing, wie im «Mobile Kompendium 2012» hervorgehoben wird: Das Gros an E-Mail-Marketing werde zunehmend via mobile Geräte gelesen, und die Response bedinge deshalb eine mobile-optimierte Landingpage.

Harte Konkurrenz bei den Apps

«Viele Unternehmen haben noch keine gute Mobile Landingpage», findet Kopp. Das Testing der Mobile-Website werde hier und da vernachlässigt. Die Apps funktionierten dagegen häufig besser. Im Unterschied zur Mobile-Website müssten Apps sehr stark beworben werden, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden sollen. Das sagt auch Reto Senn, COO beim Mobile-App-Spezialisten Bitforge. «Man kann die App nicht einfach in den App-Store stellen und meinen, sie habe automatisch Erfolg.» Deshalb könne die Lancierung sehr rasch gleich viel kosten wie die Produktion der App selbst – zwischen 50 000 und 150 000 Franken. «Die Ankündigung einer App gleicht oft jener eines Kinofilms», so Senn. «Sie wird zuerst in reichweitenstarken klassischen Medien angekündigt.»

Erreiche sie dann nach dem ersten Tag nicht gleich eine kritische Menge an Downloads, sinke die Chance auf einen Erfolg mit jedem Tag. «Die Konkurrenz in den App-Stores ist enorm», sagt Senn. 200 000 Downloads zu erzielen, das liege in der Schweiz – wenn es gut laufe – jedoch durchaus im Bereich des Möglichen. Während die Fahrplan-, Telefonverzeichnis- oder Facebook-App regelmässig genutzt werde, sehe es beispielsweise bei Spielen bisweilen anders aus. So dürfte die Grill-Game-App von Coop, die Bitforge umgesetzt hat, in kalten Tagen kaum mehr ähnlich häufig genutzt werden wie derzeit. Auch zur durchschnittlichen App-Nutzung gibt es Zahlen: Laut der Studie «Our mobile Planet» haben Schweizer Smartphone-Nutzer durchschnittlich 34 installierte Apps und 13 davon in den letzten 30 Tagen verwendet. 15 der 34 sind bezahlte Apps.

Jedem das Seine

Dass derzeit kein Entweder-oder-Szenario zwischen Apps und mobiler Website abzusehen ist, belegen wiederum Zahlen von Comscore aus den USA: Demnach gaben 51,1 Prozent der 30 000 befragten Nutzer von mobilen Geräten an, dass sie im vergangenen Mai Apps genutzt haben. 49,8 Prozent nutzten Mobile-Browser. Kopp sieht die Daseinsberechtigung von Apps insbesondere im Kundennutzen, die sie erfüllen – oder als Teil einer speziellen Werbekampagne. Dagegen sieht er die Rolle von Mobile-Websites eher in einem mobiltauglichen Abbild der Desktop-Website.

IAB Switzerland schreibt im «Mobile Kompendium» zudem, dass die Nutzer Apps grundsätzlich als hochwertiger einschätzen als eine Mobile-Site. Schliesslich sei das Engagement des Nutzers grösser, weil er sich bewusst für den Download der App entscheidet. In der Schweiz zeigen seit März von Netmetrix neu erhobene Zahlen zum mobilen Traffic, dass bei den beiden populärsten Medien-Websites «20 Minuten» und «Blick» sowohl die Apps als auch die Mobile-Website fleissig genutzt werden. Während die 20-Minuten-Apps im Juni mit 805 000 Unique Usern bei der Net-Metrix-Mobile-Statistik Spitze waren, folgt der «Blick» mit der Mobile-Site auf dem zweiten Platz mit 593 000 Unique Usern.