Kundenbeziehungsmanagement

"Die entscheidende Frage ist, wie schnell der Kunde eine Antwort erhält"

Uhr | Aktualisiert
von Simon Zaugg

Ihm können selbst die Digital Natives in Sachen Facebook & Co. kaum mehr etwas vormachen: Nils Hafner, Professor für Kundenbeziehungsmanagement an der Hochschule Luzern.

Nils Hafner, Professor für Kundenbeziehungsmanagement an der Hochschule Luzern.
Nils Hafner, Professor für Kundenbeziehungsmanagement an der Hochschule Luzern.

Herr Hafner, wie schaffen Sie es bei Ihrer Dozententätigkeit, den Digital Natives in Facebook & Co. etwas beizubringen, das sie nicht schon wissen?

Die Digital Natives wissen vielleicht, wie man Facebook & Co. bedient, aber nicht, wie man auf diesen Kanälen eine Story für eine Firma erzählt. Eine Kundenbeziehung ist eine sinnvoll aufeinanderfolgende Reihe von Interaktionen zum Nutzen von Unternehmen einerseits und von Kunden andererseits. Es geht darum, dass der Kunde etwas erlebt, dieses für sich als gut oder schlecht bewertet und weiterempfiehlt.

Wie bekommt man das hin?

Unternehmen müssen sich erstens über Inhalte Gedanken machen. Zweitens geht es um den Kontext, in dem der Kunde diese Inhalte nutzt. Drittens muss man ihn davon überzeugen, dass Inhalte, die in einem bestimmten Kontext für einige Kunden spannend sind, auch für den Kunden XY spannend sind. Mit anderen Worten: Wie bekommt man es hin, dass der Kunde etwas weiterempfiehlt? Der vierte Punkt ist, das Ganze nachhaltig aufzugleisen, damit es nicht nur ein Strohfeuer ist. Ich sehe viele Unternehmen, die jedes Jahr wieder über die gleichen Dinge nachdenken und kaum etwas gelernt haben. Die fünfte und letztlich wichtigste Frage ist, wie man damit Geld verdienen kann.

Was bringen Sie den Studenten genau bei?

Es geht darum, das Verständnis dafür zu wecken, was CRM eigentlich ist. Wenn sie das gelernt haben, dann geht es darum, dass sie dieses Wissen über die verschiedenen Bereiche wie Marketing, Services und Verkauf anwenden können. Der Kunde erwartet eine konsistente Kommunikation. Das heisst, wenn er dem Kundenservice etwas gesagt hat, muss das der für ihn zuständige Verkäufer wissen. Unternehmen sollten das Wissen über den Kunden sinnvoll teilen und den Kunden integriert als Person bedienen. Man muss vom Gärtchendenken wegkommen.

Ist es auch eine Frage der Firmenkultur?

Ja, das ist es – und auch eine der Führung. Es braucht Mitarbeiter mit der richtigen Einstellung. In der Schweiz wird bei der Rekrutierung interessanterweise noch viel zu wenig auf die Einstellung geschaut. Wenn Sie die Stellenanzeigen anschauen, dann werden Stellen meistens nach Fähigkeiten und Ausbildung besetzt. So ist es kein Wunder, dass wir nicht kundenorientierter werden. Zum Teil höre ich von Studenten, dass sie die Kundenorientierung überhaupt nicht interessiere. Es sei für die Fortführung ihrer Karriere nicht relevant. Das beunruhigt mich.

Was muss ein kundenorientierter Mitarbeiter mitbringen?

Es geht darum, dass der Mitarbeiter über einen gewissen Grad an Empathie verfügen sollte. Er muss sich in den Kunden hineinversetzen können. Beim Vorstellungsgespräch sollte man ihn fragen, was sein bestes oder schlechtestes Erlebnis mit Kunden war, wie er sich im Umgang mit Kunden fühlt und was er gerne tut. Es geht mir dabei darum, das Verständnis hervorzuheben, wer eigentlich den Lohn bezahlt – der Kunde nämlich. Gerade in der Schweiz ist man diesbezüglich noch zu bequem.

Was wird von einem Kundendienst erwartet?

Die entscheidende Frage ist, wie schnell der Kunde zu seiner Antwort kommt. Denn, je eher er die Antwort bekommt, desto weniger Kosten verursacht er. Ausserdem wartet er für die richtige Antwort auch gerne länger. Es geht also darum, zu vermeiden, dass er wegen desselben Problems zweimal anruft. Früher dachte man daran, besser nicht zu viele Leute ans Telefon zu setzen, um die Kosten im Griff zu behalten.

Sie kündigten in Ihrem Blog eine neue Ausbildung zu CRM-Trends an. Um was geht es da?

Wir haben immer mehr digitale Touchpoints, um mit dem Kunden zu arbeiten. Kunden wollen zudem individuell bedient werden. Das bedeutet, dass Unternehmen sehr viel über den Kunden und dessen Bedürfnisse wissen müssen. Sie sollten also in der Lage sein, mit Daten umzugehen.

Wie weit sind moderne CRM-Konzepte heute verbreitet?

Ich bin häufig unterwegs und halte Vorträge zum Thema. Ich stelle dabei fest, dass Unternehmen zu realisieren beginnen, was sie alles machen könnten, und vor allem, wie sie Technologie einsetzen müssten. Das bestätigen meine Kontakte mit den meisten Herstellern von Datawarehouse- und Datamining-Technologien.

Wie sieht es bezüglich der verschiedenen Branchen aus?

Wenn wir von Branchen sprechen, dann sind es am ehesten die Telekommunikations- und die Autoindustrie, die am weitesten sind. Dies ist deshalb so, weil der Margenzerfall in den vergangenen Jahren so radikal war, dass sie handeln mussten. Insgesamt geht es jedoch weniger um Branchen, sondern eher um einzelne Unternehmen, die Dinge besonders toll machen.

Wie beurteilen Sie die Finanzindustrie?

Den Banken geht es noch zu gut. Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass alles über den persönlichen Kanal gehe. Der Berater sei alles. Und dorthin fliessen dann auch die Investitionen. Ich glaube, dass die Banken sich das in den nächsten Jahren nicht mehr leisten können. Sie werden anfangen müssen, darüber nachzudenken, was der Kunde eigentlich will.

Viele Banken lancieren doch gerade Mobile-Banking-Angebote. Sind sie nicht auf dem richtigen Weg?

Das stimmt schon. Bloss, was sie dort machen, ist nicht richtig in das Angebot integriert. Es wird kaum Werbung für die neuen Möglichkeiten gemacht. Ich habe den Eindruck, dass man diese primär deshalb lanciert, weil es andere auch machen.

Was tun die Versicherungen?

Bei den Versicherern sieht es schon etwas besser aus. Sie nutzen Technologie. Sie machen allerdings den Fehler, dass sie es zu technologielastig betrachten und nicht die adäquaten Konzepte dahinterlegen. Das heisst, dass viele Firmen erst das Tool einführen, bevor sie wissen, was sie konkret damit anstellen wollen.

Woran liegt das?

An zu wenig Strategie und zu wenig systematisches Überlegen an der Kundenschnittstelle. Man muss sehen, dass die Marketingleute in der Schweiz häufig «unterausgebildet» sind. Die meisten haben einen Diplom-Marketingleiter oder -planer gemacht. Das genügt den Anforderungen hinten und vorne nicht mehr. Sie müssen schon in der Lage sein, eine mehrjährige Strategie ausarbeiten zu können. Häufig besteht Marketing immer noch aus bunter Werbung. Davon müssen wir dringend weg. Gerade wenn wir hier über Internetnutzung sprechen, dann glaube ich, dass diese Kombination aus Marketing und IT in den nächsten Jahren die Schlüsselstelle in Unternehmen sein wird. Es braucht sogenannte Datawhisperer, die in der Lage sind, Zusammenhänge aufzuzeigen. Und dann braucht es natürlich den Strategen, der in der Lage ist, einen Plan zu machen und daraus dann operative Kundenentscheidungen zu unterstützen.

Die Kommunikation zwischen Marketing und IT, wie funktioniert die idealerweise?

Es muss zumindest ein gewisses Interesse füreinander da sein. Zudem sollte man sich überlegen, sinnvolle Schnittstellen einzuführen. Es kann nicht sein, dass jemand aus dem Marketing, der eine Kampagne machen will, heute zwei Wochen warten muss, bis ihm der IT-Mensch eine Liste aus dem System zieht. Sorry, das hat man in den 90er-Jahren gemacht. Da müssten die Unternehmen eigentlich darüber hinweg sein.

Darüber, wie man Tools einführen soll, haben wir schon gesprochen. Welches sind denn nun die massgebenden Tools im CRM-Umfeld?

Auf der operativen Seite sehe ich Trends hin zu integrierten Tools. Das heisst, dass dasselbe Tool Marketing, Vertrieb und Services abdeckt. Damit kann man die Daten systematisch nach dem gleichen Muster sammeln. Auf der anderen Seite sehe ich den Trend, dass dahinter eine starke analytische Maschine steht.

Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen CRM im B2C und B2B?

Die Funktionsweise ist grundsätzlich gleich. Es werden jedoch andere Touchpoints gebraucht. Während im B2C beispielsweise Facebook enorm wichtig ist, kommen im B2B eher eigene Plattformen zum Einsatz, die nach den Prinzipien von Social Media funktionieren. Im B2B ist zudem ein grosses Fachwissen vorhanden. Solche Community-Plattformen funktionieren da besonders gut, weil Experten mit Experten sprechen. Im B2C wird demgegenüber vor allem auf die Unterhaltung fokussiert. Es ist jedoch klar, dass es auch im B2B Unterhaltung braucht. Das stelle ich bei meinen Vorträgen fest. Da sitzen in der Regel Unternehmer, leitende Angestellte und Manager im Saal. Wenn ich da nicht unterhaltsam bin, dann lernen die Leute nichts. Es geht also um den idealen Mix zwischen Information und Unterhaltung, sowohl im B2B wie auch im B2C. Mit dem Unterschied, dass im B2B mehr Informationen drin sind und im B2C mehr Unterhaltung.

Wie geht ein Unternehmen mit den verschiedenen Touchpoints im Web um?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Die erste ist, alles, was irgendwo geschrieben und gesagt wird, zu ignorieren. Die zweite ist, diese Kanäle zu monitoren. Die dritte ist, selbst in diesen Kanälen zu partizipieren – mit allen Chancen und Risiken. Hier wird alles, was das Unternehmen schreibt, von den Nutzern wahrgenommen, sowohl im positiven wie im negativen Sinn. Die vierte Möglichkeit ist, die Kunden abzuholen und auf eine eigene Plattform zu bringen. Durch das Zur-Verfügung-Stellen einer eigenen Infrastruktur und von Moderationskräften zeigt man ein Interesse für die Bedürfnisse des Kunden.

Sollte man dabei unbedingt auf eine Lösung setzen, die nach den Prinzipien von Social Media funktioniert, oder reicht das Betreiben eines konventionellen Forums weiterhin?

Es geht bei beiden immer wieder um die gleichen Dinge, um Moderation und Qualitätssicherung. Es kommt auf das Konzept und die Leute an, die das betreiben. In einem Forum ist dies das Gleiche wie bei Yammer, Chatter, Jive oder Lithium, die massgebenden Tools in diesem Bereich.

Von den Buzzwords der heutigen IT-Welt – Big Data, Cloud, Social und Mobile: Was bleibt, und was verschwindet?

Schauen Sie, den Fax gibt es schon ewig. Bei über 20 Prozent aller Anrufe bei Banken geht es nach wie vor um die Abfrage des Kontostands. Ich glaube deshalb, dass alles, was jetzt erfunden worden ist, bleibt. Die Frage ist eher, inwiefern die konkreten Touchpoints bleiben. Ob Facebook in fünf Jahren noch da ist, haben Gartner-Analysten fragen dürfen. Die Schätzungen, wie viele Nutzer Facebook in fünf Jahren haben werde, reichten von 2 Milliarden bis 100 Millionen. Mit anderen Worten: Das weiss kein Mensch. Es wird neue Touchpoints geben. Mir ist als Trendforscher die Funktionsweise wichtig; das Erleben, Bewerten und Weiterempfehlen. Alles andere ist Kaffeesatzleserei.