30 Jahre Abacus

"Auch der Abacus-Mensch lebt nicht von Software allein"

Uhr | Aktualisiert
von Thomas Köberl, Mitglied der Geschäftsleitung, Abacus

Vor 30 Jahren gründete Claudio Hintermann gemeinsam mit zwei Studienfreunden ein Unternehmen namens Abacus. Claudio Hintermann, heutiger CEO und Chefstratege bei Abacus Research, erklärt, wie sich das Softwarehaus zu einer Marktgrösse entwickeln konnte.

Claudio Hintermann hat nach seinem Wirtschaftsstudium an der Hochschule St. Gallen gemeinsam mit seinen Studienfreunden Eliano Ramelli und Thomas Köberl vor 30 Jahren die Softwarefirma Abacus gegründet. Heute beschäftigt das Ostschweizer Unternehmen gruppenweit über 300 Mitarbeiter und ist im Bereich Standardgeschäftslösungen für KMU in der Schweiz einer der grossen Anbieter. Seit mehreren Jahren ist die Firma auch in Deutschland tätig. Claudio Hintermann, heutiger CEO und Chefstratege bei Abacus Research, erklärt, wie sich das Softwarehaus zu einer Marktgrösse entwickeln konnte.

Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass in der IT-Branche ein Unternehmen nach 30 Jahren immer noch existiert. Wie konnten Sie sich so lange am Markt halten und wachsen?

Claudio Hintermann: Unsere Software ist nur mit Hilfe vieler Entwickler, Produktmanager und Supporter zu dem geworden, was sie heute ist. Unser Bestreben war es daher immer, unseren Mitarbeitern die Möglichkeit zu bieten, sich in ihrem Aufgabenbereich optimal zu entfalten und somit das Beste aus sich herauszuholen, um letztlich stolz auf die eigene Arbeit sein zu können. Mit jeder neuen Version haben sie die einzelnen Programme nicht nur funktional erweitert, sondern immer gleichzeitig auch substanziell verbessert und perfektioniert.

Welche Rolle spielte der Standort St. Gallen für die Entwicklung des Unternehmens?

Bei unseren Anfängen waren die Ostschweiz und insbesondere St. Gallen in der Tat ein guter Boden, auf dem sich ein Start-up wie Abacus optimal entwickeln konnte. Dankbar bin ich auch heute noch, dass wir damals gleich zu Anfang mehrere Aufträge von der Öffentlichen Hand erhalten haben. Dazu zählten Auftraggeber wie verschiedene Kantonsschulen oder das Kantonsforstamt. Mit Hilfe unserer ersten Fibu-Software konnten diese ihre Buchhaltung führen und wir uns damit zumindest so lange über Wasser halten, bis auch grössere Unternehmen auf unsere Programme aufmerksam wurden.

Ging danach so richtig die Post ab?

Ja, das kann man so sagen. Nach der öffentlichen Hand entdeckten mit der M-Informatic ein Tochterunternehmen der Migros und gleich anschliessend auch grosse Treuhandfirmen wie OBT, BDO, KPMG und die damals noch unter dem alten Namen Revisuisse firmierende Pricewaterhouse Coopers unsere Produkte. Sie alle entschieden sich, unsere Software sowohl selber einzusetzen, als auch ihren Kunden anzubieten. Das hat uns den endgültigen Durchbruch gebracht und zu einer grossen und schnellen Verbreitung der Software im KMU-Markt geführt. Ohne diesen Multiplikatoreffekt wären wir bei weitem nicht so erfolgreich geworden.

Für Abacus und dessen Produkte spricht, dass diese Partner und Anwender der ersten Stunde auch nach 30 Jahren immer noch auf Ihre Programme setzen.

Darauf bin ich besonders stolz. Von den ersten fünfzig Kunden, die vor dreissig Jahren eine Fibu-Lizenz gekauft haben, setzt ein Drittel weiterhin die Abacus-Software ein – selbstredend in aktuellen Programmversionen. Diese Anwender haben uns von der allerersten Fibu-Version, die unter dem Betriebssystem MS Dos lief, über die Windows- bis zur heutigen Internet-Version begleitet und alle Update-Schritte dazwischen mitgemacht. Dasselbe gilt auch für die meisten unserer heutigen Vertriebspartner, die nicht nur unsere Software ihren Kunden empfehlen und bei ihnen implementieren, sondern ebenfalls über all diese Jahre sämtliche unsere Entwicklungsschritte mitgemacht und damit stets top aktuell geblieben sind. Heute bieten alle unsere Treuhandpartner die Abacus-Software ihren Kunden zusätzlich als Mietversion aus der Cloud an. Es sind heute bereits über 6500 Schweizer KMU, welche die verschiedenste Programme von uns über das Internet bei ihren Treuhändern nutzen. Mit Zufriedenheit dürfen wird feststellen, dass es von Jahr zu Jahr immer mehr werden.

Aber wie wichtig ist für Abacus der bisherige Vertriebskanal über Channelpartner noch, wo Kunden heute die Software im Abo direkt über das Internet beziehen und mit ihr online arbeiten können?

Ob die Software lokal installiert oder aus der Cloud via Internet bezogen wird, ist unerheblich. Denn Buchhaltung bleibt Buchhaltung. Geschäftsprozesse müssen mit geeigneten Instrumenten optimal unterstützt werden, seien diese in der Produktion, in der HR-Abteilung mit dem Bewerbermanagement oder dem Employee-Self-Service, bei der Projektplanung und -überwachung mit Zeitrapportierung oder im Bereich des immer wichtiger werdenden digitalen Dokumentenaustausches über E-Business-Plattformen. Dies alles richtig abzubilden und umzusetzen, benötigt ein umfassendes Branchen- und Prozess-Know-how, wie es nur unsere Vertriebs- und Implementierungspartner zu bieten in der Lage sind. Es gilt ihnen hier und jetzt unseren Dank auszusprechen, denn die vielen erfolgreichen Umsetzungen mit unserer Software sind vor allem ihren langjährigen Erfahrungen mit ERP-Projekten geschuldet. Unsere Vertriebspartner spielen eine ganz entscheidende Rolle, wenn es wie immer am Schluss eines jeden Projekts darum geht, den versprochenen und somit von den Kunden eingeforderten Nutzen zu offerieren. Die beste Software nützt nichts, wenn ihr Anwender nicht in der Lage ist, sich ihre Vorteile zu Nutze zu machen.

Wie die Geschichte lehrt, braucht eine Firma Visionen, um nicht nach ein paar Jahren wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Wie lautet Ihre Vision?

Die IT ist eine extrem schnelllebige Branche. Sie ist einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen. Deshalb lohnt es sich, immer über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, um Trends frühzeitig zu erkennen und zu antizipieren. Bei uns sind damit mehrere Personen beschäftigt. Sie tragen die Puzzlesteine aus der Branche und den gesetzlichen Vorgaben zusammen und holen zudem die Wünsche unserer Partner und Anwender ein. So hatte uns beispielsweise ein Vertriebspartner auf die Idee gebracht, unser ERP mit Funktionen zur kompletten Digitalisierung sämtlicher Geschäftsdokumente – von der Lieferantenrechnung bis zur Bilanz mit integrierten PDF-Originaldokumenten – zu ergänzen und somit ein produktiveres Arbeiten zu unterstützen. Die Version war unter dem Namen "Digital ERP" sehr erfolgreich.

An was arbeiten Sie und Ihre Entwickler zur Zeit?

Wir programmieren derzeit Apps für Smartphones unter iOS und Android. Diese können nicht nur im Zusammenhang mit unserer Business Software nützlich sein, sondern lassen sich von allen Besitzern eines Smartphones nutzen. Mit der App Abaclik können etwa Spesenbelege fotografiert und anschliessend geordnet werden. Einen Mehrnutzen lässt sich daraus ziehen, wenn eine Firma, die bereits Abacus-Software einsetzt, bei den Spesenerfassungen in der Buchhaltung auf Papier verzichten will. In diesem Fall lassen sich solche Belege via Smartphone automatisch zur Weiterverarbeitung an die Buchhaltung schicken.

Ist damit Ihre Software mobil geworden?

Das ist sie schon seit einer geraumer Zeit. Für das iPad bieten wir bereits seit mehreren Jahren eine eigene Lösung an. Sie wird von unseren Anwendern etwa für die Leistungserfassung bei Serviceeinsätzen oder auf den Baustellen für die Tagesrapporterfassung eingesetzt. Ausserdem haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass sämtliche Auswertungsfunktionen der Abacus-Software sich auch auf einem Tablet ganz nach dem Motto "man bekommt, was man braucht", nutzen lassen.

Seit einer Weile wird die Abacus-Software auch in Deutschland angeboten. Wie läuft das Geschäft auf der anderen Seite des Rheins?

Wir sind nun bereits im sechsten Jahr in Deutschland aktiv und können heute mit Freude feststellen, dass wir es in der Branche der Planer, Ingenieure und Architekten bereits geschafft haben, uns einen guten Namen zu schaffen. Voraussetzung dafür war auch, wie in der Schweiz, die richtigen Leute am richtigen Ort zur Verfügung zu haben. So konnten wir mit Rainer Kaczmarczyk, dem ehemaligen Geschäftsführer von Compaq und Hewlett-Packard Schweiz, einen auch mit den deutschen Markteigenheiten erfahrenen IT-Profi für die Leitung unserer Münchner Niederlassung gewinnen. Mit der Eröffnung eines zweiten Büros in Hamburg beweist er gerade dieser Tage mit seinem bereits 20 Mitarbeitende zählenden Team, auf dem richtigen Weg zu sein. Das Deutschlandgeschäft dürfte zukünftig nicht nur umsatz- und ertragsmässig wichtig für die ganze Abacus-Gruppe werden. Es wird auch die Weiterentwicklung unserer Software, wie wir sie in der Schweiz anbieten, beeinflussen und in mehrfacher Hinsicht bereichern. Für den Deutschen Mark haben wir bereits mehrere Anpassungen vorgenommen, von denen längerfristig auch Schweizer Anwender profitieren werden. Ich denke da beispielsweise an den elektronischen Zahlungsverkehr, der sich derzeit gesamteuropäisch stark verändert und worin Deutschland eine Vorreiterrolle spielt. Dazu gehören auch vereinfachte, gemeinsame Buchungsprogramme wie sie von den Finanzabteilungen Deutscher Unternehmen gefordert sind.

Wenn Sie in die Zukunft schauen, wie soll Abacus weitergeführt werden?

Wir haben vorletztes Jahr das Aktionariat unserer Firma auf langjährige Mitarbeiter ausgeweitet. Das bedeutet einen ersten Schritt, Verantwortung für das Unternehmen mit anderen, sprich erfahrenen Mitarbeitern, zu teilen. Wir sind es unseren Anwendern und Vertriebspartnern schuldig - die zum Teil seit vielen Jahren auf unsere Software setzen - alles zu unternehmen, damit die Erfolgsgeschichte von Abacus auch weiter fortgeschrieben wird.

Welchen Herausforderungen werden Sie sich in nächster Zeit stellen müssen?

Die nächste steht sozusagen bereits vor der Tür: Für den nächsten Frühling ist der Baubeginn unseres zweiten Firmengebäudes geplant. Damit hoffen wir, endlich die von uns dringend benötigten Arbeitsplätze schaffen zu können. Mangels Platz waren wir bis jetzt dazu gezwungen, über 40 Mitarbeitende überbrückungsweise in der Nachbarschaft unterzubringen. Gleichzeitig wollen wir damit Raum für zusätzlich weitere 100 Arbeitsplätze schaffen.

Damit wird Abacus nicht nur in der Standortgemeinde St.Gallen-Wittenbach zu einem grossen Arbeitgeber.

In Wittenbach haben wir es diesbezüglich schon länger zur Nummer eins gebracht. Eigentlich war und ist es ja nicht unsere ursprüngliche Ambition gewesen, immer mehr zu wachsen. Aber wer A sagt, muss auch B sagen.

Rückblickend betrachtet können Sie heutigen Jungunternehmern Tipps geben, wie auch sie erfolgreich sein können?

Patentrezepte gibt es nicht. Aber man sollte bei einer Firmengründung versuchen, die richtigen Leute, die richtigen Partner zu finden, die mit ihren Stärken die eigenen Schwächen kompensieren und gemeinsam ein starkes Team bilden können. Auch den Spass an der Arbeit sollte man nie aus den Augen lassen. Denn wenn man etwas mit Freude macht, macht man es besser. Meine grösste Motivation ist es auch nach 30 Jahre immer noch, die beste Business Software zu programmieren. Der Anspruch, damit auch viel Geld zu verdienen, war und ist für mich sekundär. Wenn man sich hohe Ziele steckt – die durchaus auch etwas "daneben" sein dürfen – und man dazu auch das nötige Quäntchen Glück hat, stellt sich der Erfolg fast von selber ein. Und mit steigendem Erfolg kommt auch das Geld, das man für die Weiterentwicklung seiner Idee braucht.

Aber reich müssen Sie ja nach 30 Jahren erfolgreichen Unternehmertums doch geworden sein?

Reich an Erfahrung, das bestimmt! Wir haben stets das, was wir erwirtschaftet haben, in den weiteren Aufbau unseres Unternehmens gesteckt. Zugegeben, wir haben uns auch das eine oder andere Extra geleistet, das auf den ersten Blick als ausgefallen erscheinen mag. So führen wir etwa in unserem Firmensitz zwei Restaurants, die nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für alle Mitarbeiter von Abacus gedacht sind. Das eine ist durchaus der High-end-Klasse zuzuschreiben, indem es einen ausgewiesenen Haubenkoch, eine voll ausgebaute Spitzenküche und einen gut dotierten Weinkeller vorweisen kann. Auch der Abacus-Mensch lebt schliesslich nicht von Software allein!

Am Hungertuch scheinen Sie also nicht zu nagen. Haben Sie denn überhaupt Zeit, die Annehmlichkeiten Ihres Campus zu geniessen?

In unserem Spitzenrestaurant bin ich vermutlich der beste Gast. Bei der Mehrzahl meiner dort eingenommenen Mahlzeiten handelt es sich jedoch um Geschäftsessen mit Partnern oder Mitarbeitern. Ich bin der Überzeugung, dass es sich in ungezwungener Atmosphäre, vor allem wenn dazu einem das Essen erst noch mundet, vieles einfacher besprochen werden kann als in einem sterilen Sitzungssaal.

"Management by Haute Cuisine"? Ist das Ihr Erfolgsrezept?

Es gehört dazu, das ist sicher. Es geht mir darum, zusammen mit unseren Leuten und Partnern jeweils das bestmögliche Resultat im Dienst unsere gemeinsamen Kunden zu realisieren. Dazu braucht es Ideenreichtum, Engagement auf allen Positionen und Wertschätzung. Erst durch die Wertschätzung und auch Anerkennung aller Beteiligten kann Zufriedenheit geschaffen werden. Zufriedenheit ist der Brennstoff für Leistung und Motivation. Fehlt dieser Brennstoff, kommt der Motor ins Stottern und schliesslich ins Stocken. Das Wertvollste, was ich deshalb unseren Mitarbeitenden bieten kann, um zu optimalen Resultaten zu kommen, ist es, ihnen meine Zeit, meine Aufmerksamkeit und einen Freiraum zu bieten, um kreativ zu denken und demgemäss auch zu handeln.

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