Interview mit Ralf Wölfle

"Der Inselcharakter der Schweiz ist schon eine Eigenheit"

Uhr | Aktualisiert

Das Jahresthema der Best of Swiss Web Awards ist E-Commerce. Ralf Wölfle von der FHNW beschäftigt sich täglich damit. Die Redaktion sprach mit ihm über Trends, Schweizer Konsumenten und ausländische Konkurrenz.

Ralf Wölfle, Leiter des Kompetenzschwerpunkts E-Business am Institut für Wirtschaftsinformatik der FHNW
Ralf Wölfle, Leiter des Kompetenzschwerpunkts E-Business am Institut für Wirtschaftsinformatik der FHNW

Herr Wölfle, Sie sind Präsident der Jury Business bei Best of Swiss Web 2015. Wie war der diesjährige Jahrgang?

Der Jahrgang war hervorragend. Aus ganz unterschiedlichen Branchen, von grossen und von kleinen Unternehmen wurden viele gute Projekte eingereicht. Die Schweizer Wirtschaft hat sich von ihrer kompetenten Seite gezeigt – unterstützt durch die beteiligten Webdienstleister.

Der Fokus von Best of Swiss Web liegt dieses Jahr auf dem Thema E-Commerce. Hat man das bei den Eingaben gemerkt?

In einem positiven Sinn, ja! Weil die einreichenden Unternehmen offensichtlich verstanden haben, dass es hier nicht in einem engen Sinn um Onlineshops geht. Wir verstehen unter E-Commerce die Gestaltung der Beziehung zu Kunden mit Hilfe vernetzter elektronischer Medien. Und die einreichenden Unternehmen zeigen sich in ihren Projekten sehr kundenorientiert.

Als Leiter des Kompetenzschwerpunkts E-Business am Institut für Wirtschafts-informatik der FHNW befassen Sie sich täglich mit E-Commerce. Wo fängt E-Commerce eigentlich an, und wo hört es auf?

Wir denken in einem 5-Phasen-Modell. In jeder Phase können vernetzte elektronische Medien einen Beitrag leisten, es müssen aber nicht alle zusammen sein. E-Commerce fängt da an, wo ein Unternehmen elektronische Medien nutzt, um potenzielle Kunden auf sich aufmerksam zu machen. Und es hört da auf, wo ein einzelnes Geschäft abgeschlossen ist, aus den gewonnenen Informationen aber bereits das nächste anvisiert werden kann.

Was sind aktuell Trends in diesem Umfeld?

Ein wichtiger Trend lässt sich ebenfalls am Phasenmodell aufzeigen: Cross-Channel-Management und Cross-Device-Lösungen. Sie tragen dem Rechnung, dass ein Kunde in einem Kauf mehrere Phasen durchläuft, von der Anregung über die Information und so weiter. Nicht selten wechseln Kunden dabei den Kanal und das Gerät. Anbieter wie Ex Libris oder Manor sind recht erfolgreich, Kunden via elektronische Medien zu einem Ladenbesuch zu veranlassen.

Laut dem Media Use Index greift die Schweizer Bevölkerung heute dreimal so viel mit Smartphones auf das Web zu wie 2010. Haben E-Commerce-Anbieter auf diese Entwicklung bereits reagiert?

Mobile ist in der Tat der zweite grosse Trend im E-Commerce. Die ambitionierten Anbieter haben sich in den letzten Jahren fit dafür gemacht, was wieder einmal mit erheblichen Investitionen einherging. Der Relaunch von swiss.com ist ein Beispiel, das es ja auch in die Top 12 der Masterkandidaten bei Best of Swiss Web geschafft hat.

Wie wirkt sich das Thema Mobile auf E-Commerce sonst noch aus?

Es entstehen differenziertere Use Cases. Anbieter entwickeln Personas und typische Kaufszenarien, in denen Nutzer situativ Smartphones, Tablets oder Desktops verwenden. Die spezifischen Anforderungen werden differenziert unterstützt, so dass sich die Abläufe auf verschiedenen Geräten unterscheiden können. Bei Tickets und Rabattcodes haben QR-Codes bereits eine ansehnliche Verbreitung – wann der nächste Schritt auf Mobile Payment klappt, steht aber noch in den Sternen.

Wie beeinflusst Social Media das Thema E-Commerce?

Social Media sind ein Kanal, dem interessierten Teil des Publikums ein Markenge-sicht zu präsentieren und direkt mit Kunden zu kommunizieren. Im E-Commerce ist die Differenzierung von Wettbewerbern ja schwieriger als in anderen Kanälen. Einigen Anbietern gelingt es, Social Media für sich zu nutzen, viele tun sich aber auch schwer damit.

Wie hat sich das Einkaufsverhalten der Konsumenten in den letzten Jahren verändert?

Konsumenten bauen ihre Kompetenz im Umgang mit elektronischen Medien immer weiter aus. Sie nehmen nicht einfach alles an, probieren Neues aber aus und nutzen, was ihnen gefällt. Schweizer Konsumenten sind umfassend anspruchsvoll: nicht einseitig auf den billigsten Preis oder die allerschnellste Lieferung fixiert, ein Anbieter sollte in allen Dimensionen gut sein.

Gibt es Eigenheiten im Schweizer Markt?

Der Inselcharakter des kleinen Schweizer Marktes, umgeben vom grossen EU-Binnenmarkt, ist schon eine Eigenheit. Sie hat zunächst einmal dazu geführt, dass Schweizer Anbieter in den ersten Jahren der Marktentstehung überhaupt eine relevante Grösse und Leistungsfähigkeit entwickeln konnten. Mit der zunehmenden Durchlässigkeit der Grenze und den gestiegenen Ungleichgewichten bei Beschaf-fungsmöglichkeiten und Kosten wird die Insellage für manche Schweizer Online-Champions allerdings zu einer Belastung.

Wie weit ist die Schweiz im Vergleich zum Ausland?

Ich persönlich beurteile den Entwicklungsstand des Schweizer E-Commerce als hoch und proportional passend zur Schweizer Wirtschaft. Natürlich gibt es Unterschiede, aber der Einzelhandel unterscheidet sich in den Ländern ja auch. Im Ausland ist das angebotene Sortiment grösser, zum Beispiel weil viele Marken den Verkauf in der Schweiz blockieren. Im Ausland sind die Logistikkosten niedriger, weil sich Wettbewerber zur nationalen Post etablieren konnten. Im Ausland findet man mehr spezialisierte Anbie-ter, weil sich solche Nischenangebote für die kleine Schweiz nicht rechnen. Im Aus-land haben Marktplätze eine grössere Bedeutung, weil analog zum Marktpotenzial mehr in sie investiert wurde – jeder kann selbst entscheiden, ob er das als Vor- oder Nachteil für die Schweiz ansieht. Die Top 100 Schweizer Onlineanbieter haben je-denfalls ein sehr hohes Leistungsniveau und sind sehr kundenorientiert.

Wie hoch ist das Potenzial für Schweizer Onlinehändler? Gibt es überhaupt noch Luft nach oben?

In der alljährlichen Befragung zu dem vom Zahlungsverarbeiter Datatrans herausge-gebenen E-Commerce Report Schweiz wird diese Frage auch gestellt. In einzelnen Branchen schwächt sich das Wachstum spürbar ab, z.B. im Medienhandel. Trotzdem ist der Trend zur zunehmenden Nutzung vernetzter Medien im Kontext von Kaufvorgängen ungebrochen. Das gilt insbesondere, wenn wir Cross-Channel-Konzepte in die Betrachtung einbeziehen.

Laut einer Studie von Rackspace fühlen sich 41 Prozent der Schweizer Online-Kunden von personalisierten Angeboten in ihren favorisierten Web-Shops nicht abgeholt. Warum ist das so?

Sie haben die Antwort selbst gegeben: "nicht abgeholt". Es ist überhaupt nicht trivial, personalisierte Angebote zu entwickeln, die der Kunde als natürlich nützlich ansieht.

Wie könnte sich das Thema E-Commerce in Zukunft verändern?

Bei Best of Swiss Web kann man die Entwicklung sehr gut mitverfolgen: immer mehr Vielfalt, Differenzierung, massgeschneiderte Services, Leistung! E-Commerce wird von noch mehr mobilen Devices unterstützt werden. E-Commerce wird zu einem Portfolio von Microservices mutieren, die der Kunde für einzelne Teilfunktionen in seinen Kaufprozess einbezieht und nach Belieben mit lokalen oder persönlichen Diensten kombiniert. Einkaufen und alle damit verbundenen Tätigkeiten werden für Kunden aufgrund von mehr Optionen immer angenehmer – zumindest solange uns das Geld nicht ausgeht.

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