Umsetzung der MEI

"Die Auswirkungen auf die Schweiz wären dramatisch"

Uhr | Aktualisiert
von Christoph Grau

Wegen der Masseneinwanderungsinitiative hat der Bundesrat die Kontingente für Drittstaatler gekürzt. Mit der Übertragung der Kontingente auf den EU/EFTA-Raum könnte sich die Lage noch verschärfen.

Vor genau zwei Jahren, am 9. Februar 2014, hat das Schweizer Stimmvolk die eidgenössische Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung", kurz MEI, angenommen. Die Entscheidung fiel mit nur knapper Mehrheit. Seitdem steht das Freizügigkeitsabkommen mit der EU zur Diskussion. Eine Einigung zwischen der Schweiz und der EU zeichnet sich bisher nicht ab, denn die Initiative fordert eine Beschränkung der Einwanderung für EU- und EFTA-Bürger durch Kontingente.

Als eine erste Reaktion hat der Bundesrat die Kontingente für Drittstaatler, also Personen ausserhalb der EU und des EFTA-Raums, deutlich gesenkt. Seit 2015 gilt die Grenze von 2500 Aufenthaltsbewilligungen B (5 Jahre) und 4000 Kurzaufenthaltsbewilligungen L (3-12 Monate). Diese Beschränkungen gelten für alle Kantone und Wirtschaftszweige.

Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung für die ICT-Branche der Schweiz, die schon jetzt mit einem Fachkräftemangel kämpft? Welche Probleme drohen, wenn die Kontingente auch auf EU- und EFTA-Bürger ausgeweitet werden? Schweizer ICT-Grössen und -KMUs sprachen mit der Redaktion über die Erfahrungen und Erwartungen.

Netzwoche-Umfrage zur Masseneinwanderungsinitiative

Auswirkungen schon spürbar

Laut Patrik Stampfli, Head of Operations Elca Zürich, gab es bei Elca schon mehrere Fälle, in denen Stellen trotz passender Bewerber aus Drittstaaten nicht besetzt werden konnten. "Teilweise wurden diese potenziellen Mitarbeitenden sogar an der ETH oder einer anderen Schweizer Universität ausgebildet, beherrschen unsere Sprache und sind integriert", ergänzte er. Dadurch gingen gut ausgebildete und integrierte lokale Fachkräfte verloren.

IBM Schweiz machte ähnliche Erfahrungen. Laut dem Unternehmen kam es durch die Reduktion der Kontingente bereits zu Problemen. Besonders die konzerninterne Entsendung sei "massiv erschwert" worden. Probleme bereiteten vor allem Ad-hoc-Einsätze. In einigen Projekten sei es zu Engpässen gekommen, da wichtige Positionen durch Entsendung von "IBM-Mitarbeitern aus Drittstaaten" nicht besetzt werden konnten.

International tätige Unternehmen sind jedoch nicht per se stark von der Kontingentverschärfung betroffen. Beispielsweise berichteten weder T-Systems Schweiz noch SAP Schweiz von gravierenden Problemen. Bei SAP ist die Rekrutierung sowohl bei inländischen wie auch ausländischen Fachkräften schwieriger geworden. Dies liege am veränderten Rekrutierungsspektrum des Unternehmens, und die MEI habe hier kaum einen Einfluss gehabt.

Für T-Systems Schweiz spielen Drittstaatler kaum einen Rolle. Das Unternehmen begründete dies mit dem hohen Zeitaufwand bei der Anwerbung von Fachkräften aus Drittstaaten. Schon jetzt müsse das Unternehmen nachweisen, dass es keine passenden Fachkräfte in der Schweiz gebe. Daher werde dieses Verfahren nur bei "ausgewiesenen Spezialistenfunktionen" angewendet.

Regionalität als eine mögliche Antwort

Bei mittelständischen Schweizer ICT-Unternehmen wie Noser Engineering oder Opacc hat die Kontingentverschärfung noch keine Spuren hinterlassen. Beide Unternehmen setzen auf einheimische Fachkräfte oder beschäftigen nur sehr wenige Ausländer, wie sie mitteilen.

Dennoch befürchtet Geri Moll, CEO von Noser Engineering, dass die wortgetreue Umsetzung der MEI die Fachkräfteproblematik verschärfen werde. Das Wachstum in der Informatik sei in den letzten Jahren auch durch die Zuwanderung angetrieben worden, jedoch nicht nur ausschliesslich, sagte Moll weiter.

Auch Swisscom setzt als Schweizer Unternehmen vor allem auf den heimischen Arbeitsmarkt, wie der Telko mitteilt. Zudem sei dem Unternehmen die regionale Verankerung im Arbeitsmarkt wichtig. Damit könne Swisscom den grössten Teil seiner Bedürfnisse nach Fachkräften decken.

"Wir rekrutieren zwar den absoluten Grossteil unserer Mitarbeiter aus der Schweiz, aber die Schweizer Talente reichen rein mengenmässig nicht aus, sodass wir auch aus dem Ausland rekrutieren", schränkte Stampfli von Elca Zürich die Möglichkeiten des Schweizer Arbeitsmarktes ein. Seiner Meinung nach reichen die Schweizer Fachkräfte nicht aus und es braucht Ergänzungen aus dem Ausland.

Oft noch keine Antworten in den Schubladen

Nur wenige der befragten Unternehmen wollten einen Einblick in ihre Plänen bei einer wortgetreuen Umsetzung der MEI geben. Für IBM ist es noch zu früh zu spekulieren, da noch keine politischen Entscheidungen gefällt wurden. Auch T-Systems Schweiz will erst reagieren, wenn die Höhe der beschlossenen Kontingente feststeht.

SAP werde bei einer wortgenauen Umsetzung seine Suche in "alternativen Talentpools" ausweiten. Damit meint das Unternehmen, dass es eigene Trainings- und Ausbildungsprogramme intensivieren will. Diese bestünden zum Teil schon.

Einen ähnlichen Weg geht auch Swisscom. Schon seit mehreren Jahren setzt das Unternehmen laut einer Stellungnahme auf vorhandene Talente. Diese werden durch interne Förderungen und Ausbildungen bedarfsgerecht gefördert. Dadurch könne das Unternehmen auch sogenannte "Talent Pipelines" aufbauen, die den künftigen Bedarf abdecken. Daher spiele die MEI in der Rekrutierungsstrategie für das Unternehmen momentan kaum eine Rolle. Dennoch erwartet Swisscom auch eine Verschärfung der Situation bei einer wortgenauen Umsetzung der MEI. Das Unternehmen sieht sich aber durch die getroffenen Massnahmen gut aufgestellt.

Befürchtungen sind gross

Anders sieht es bei KMUs aus, die sich keine grosse "Talent Pipeline" aufbauen können. Beispielsweise erwartet Elca, dass die Rekrutierung noch schwieriger wird. Stampfli rechnet damit, dass 10 bis 20 Prozent weniger Fachkräfte eingestellt werden können. Damit könnte das Unternehmen seinen jetzigen Wachstumskurs nicht fortsetzen.

Bereits jetzt stellte Elca einen deutlichen Rückgang der Bewerbungen aus dem deutschsprachigen Raum fest. Stampfli führt dies auf die negative Berichterstattung über die MEI in den Medien zurück, die dem Arbeitsmarkt Schweiz geschadet habe. Gerade bei Spezialisten mache sich dies bemerkbar und der sprichwörtliche "War for Talents" habe sich verschärft.

IBM befürchtet, dass der Standort Schweiz durch die wortgenaue Umsetzung der MEI an Attraktivität verlieren könnte. Besonders Forschung und Entwicklung würden leiden. Laut IBM riskiert die Schweizer Wirtschaft, dadurch an Innovationskraft zu verlieren.

Von ICT-Switzerland-Geschäftsführer Andreas Kaelin kamen daher warnende Worte: "Die Auswirkungen auf den ICT-Werkplatz Schweiz wären dramatisch. Die Wertschöpfung würde dann im Ausland stattfinden – zum Schaden der Schweiz". Er hoffe daher, dass der Bundesrat mit der EU eine Lösung finde, welche die Situation des ICT-Werkplatzes Schweiz in der Schweiz berücksichtige.

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