Dossier

Netzwoche Nr. 1/2016

Editorial von Christoph Grau

Hinter der grossen Firewall

Als ich vor vier Jahren das letzte Mal in China war, konnte ich recht einfach auf Google verzichten. Ehrlich gesagt, fiel es mir damals gar nicht auf, dass Google in China nicht verfügbar ist. Denn mit der chinesischsprachigen Suchmaschine «Baidu» kommt man in China, insbesondere wenn man des Chinesischen mächtig ist, meist schneller ans Ziel. Damals hatte ich auch noch kein Smartphone und bewegte mich mehrheitlich in der analogen Welt.

Als ich in diesem Winter wieder einmal für längere Zeit in ­China weilte, wurde ich mir meiner jetzigen Abhängigkeit von Google erst richtig bewusst. Die Standardsuchmaschine in meinem Browser ist natürlich Google. Wie immer gab ich daher beim Surfen die Suchbegriffe in die Browserzeile ein und wartete und wartete und wartete ... Es kam aber kein Ergebnis. Dann erst fiel es mir wie Schuppen von den Augen: "Natürlich! Google funktioniert in ­China ja gar nicht!" Aber glücklicherweise gab es Alternativen. Für Suchanfragen auf Englisch und Deutsch bin ich dann auf Microsofts Bing umgestiegen. Die Ergebnisse waren zufriedenstellend, und mir fiel auch keine grosse Zensur auf. Bei chinesischen Themen nutzte ich natürlich Baidu.

Als viel störender empfand ich es, dass auch viele Dienste von Google nicht verfügbar waren, was bei einem Android-Smartphone schnell einmal auffällt. Der Google Play Store funktionierte genauso wenig wie Google Maps, Google Mail oder auch Google Translate. Ärgerlich war auch, dass der Kartendienst Here seit kurzem in China nicht mehr funktioniert. Ich musste mich daher mit chinesischen Karten-Apps begnügen. Diese verlangten aber viele Rechte auf meinem Smartphone, und offline funktionierten sie nicht so gut wie Here. Auch einige andere Apps liefen nicht mehr richtig, oder nur sehr unzuverlässig. Das mag damit zusammenhängen, dass die Dienste über die Google-Cloud abgewickelt werden. Auf so manches Browsergame musste ich daher während meines Aufenthalts verzichten.

Die Sperrung der Google-Dienste hatte aber auch einen positiven Effekt. Ich konnte keine Geschäfts-E-Mails von meinem Gmail-Account abrufen. Damit hatte ich eine gute Ausrede, warum ich auch auf dringende E-Mails nicht antworten konnte. Natürlich kann man durch VPN-Verbindungen die chinesische Firewall umgehen. Diese Mühe machte ich mir aber nicht, denn ich hatte ja schliesslich Ferien.

Andere gesperrte Dienste wie Twitter, Facebook oder Instagram vermisste ich hingegen nicht. Whatsapp funktionierte noch einigermassen zuverlässig, womit die Kommunikation in die Heimat sichergestellt war. Nur war die App sehr langsam, da alle Daten erst einmal über die chinesische Firewall klettern mussten. Für die Kommunika­tion in ­China verwendete ich daher lieber die chinesische Whatsapp-Alternative Wechat/Weixin. Denn Whatsapp ist den meisten Chinesen nur vom Hörensagen bekannt.

Es dauerte ein paar Tage, bis ich mich an die chinesischen Internet-Spielregeln gewöhnt hatte. Auch wenn ich zu Beginn so einige Male über die chinesische Google-Sperre geflucht habe, so war der Google-Entzug rückblickend doch recht angenehm.