Editorial

Die heisse Nummer – oder: Leben auf der grossen Strasse

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René Jaun, Redakteur (Source: Netzmedien)
René Jaun, Redakteur (Source: Netzmedien)

Die SMS der Umzugsfirma, die vor wenigen Tagen bei mir eintraf, war unmissverständlich und kurz: «Lieber Herr Goldmann, leider ­haben wir nichts mehr von Ihnen gehört. Wir können Ihren Wunschtermin nicht mehr länger reservieren. Bitte melden Sie sich unverzüglich bei uns.»

Das Problem dabei: Mir war die Firma bis zu dieser SMS völlig ­unbekannt. Ich hatte nie um einen Umzugstermin ersucht – und mein Name ist auch gar nicht «Herr Goldmann». Dennoch erstaunte mich die Nachricht nicht, denn ich erhalte immer wieder solche ­Bot­schaften.

Ich bin gewissermassen selbst schuld an der Sache. Denn vor vielen Jahren – ich hatte gerade meinen ersten Monatslohn verdient – wollte ich mir etwas richtig «Nerdiges» leisten. Bei meinem Handynetzanbieter kaufte ich mir eine sogenannte «Goldene Nummer» – eine, die man sich ganz leicht merken kann. Meine Telefonnummer entspricht seither in etwa dem, was man im Würfelspiel ­Yatzy als «Grosse Strasse» bezeichnet – oder anders gesagt: Wer rückwärts zählen kann, kann mich auch anrufen – richtig cool, ­finde ich!

Doch mit der Einfachheit meiner Nummer kamen auch die ­selt­samen Nachrichten – die meisten von irgendwelchen Firmen.
Ich erfuhr, dass «Frau Matter» bald schon neue Hörgeräte braucht, dass «Herr Rapp» nicht zur Testfahrt bei seinem Autohändler erschienen war, und dass «Sandro» mit einer Betreibung rechnen muss, wenn er seine Gitarre nicht endlich bezahlt. Manchmal melden sich auch ­Privatpersonen bei mir. Ein Herr mit unterdrückter Rufnummer warf mir einmal eine Reihe italienischer Fluchwörter an den Kopf, ein «Steven» fragte mich während Wochen, wie es mir geht und was ich gerade mache, und eine «Melissa» bedankte sich eines Sonntag­nachmittags für die «heisse Nummer gestern Abend im ­Hinterzimmer dieser Winterthurer Bar» und fragte, wann wir uns wiedersehen.

Es ist nicht so, dass ich die fremden Kontaktversuche als extrem störend empfände: Aber sie bringen mich oft dazu, über unseren ­Umgang mit persönlichen Daten nachzudenken. Manche Menschen mögen es nicht, einem Unternehmen oder einer Privatperson ihre Telefonnummer anzuvertrauen. Vielleicht verstehen sie schlicht nicht, warum sie das tun sollten, befürchten Belästigungen oder
sind einfach feige, und entscheiden sich dann dafür, nicht ihre eigene, sondern meine Handynummer weiterzugeben – also das System mit ­Fake-Daten zu füttern. Doch was bringt diese Leute dazu, überhaupt Daten zu hinterlassen? Können sie einfach nicht nein sagen? Oder fühlen sie sich von der Gegenpartei unter Druck gesetzt – vielleicht durch den schlichten Hinweis «Zur Erfüllung des Auftrages MÜSSEN Sie eine Telefonnummer angeben»?

Zu wissen, wer welche Daten über uns sammelt und warum,
war immer schon wichtig. Gerade in Smart-City-Zeiten, in denen wir ­faktisch umgeben sind von Sensoren, die uns ständig erfassen, sind sowohl das Einhalten des Datenschutzes als auch eine frühe, klare Kommunikation zur Datenverwendung essenziell, zumal es zunehmend schwieriger wird, den Datensammlern auszuweichen. Dass Transparenz zur Akzeptanz von Smart-City-Projekten sehr viel beitragen kann, zeigen die Beiträge im Focus dieser Ausgabe ab Seite 16.

Was die Geschäftswelt angeht, könnte ich mir vorstellen, dass weniger Kunden Fake-Daten eingäben, wenn sie nachvollziehen ­könnten, wozu das Unternehmen sie nutzt und was es tut, um sie zu schützen. Und es muss unbedingt die Möglichkeit bestehen, auf eine Angabe zu verzichten. Auch im Privatleben ist Vertrauen notwendig, bevor wir unsere Kontaktdaten weitergeben. Freilich wird es immer Feiglinge geben, die ihr Gegenüber anlügen, egal wie sehr man sich auch um Vertrauen bemüht. Ich hoffe, dass «Melissa» ihr nächstes Date mit jemandem verbringt, der nicht nur einige heisse Stunden, sondern auch seine richtige Handynummer mit ihr teilt.

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