Editorial

Witzlose Wahrscheinlichkeitsmaschine

Uhr
Joël Orizet, stellvertretender Chefredaktor. (Source: Netzmedien)
Joël Orizet, stellvertretender Chefredaktor. (Source: Netzmedien)

KI-Aficionados sagen immer wieder: Chancen nutzen, nichts verpassen. Würde ich ja gerne, nur bleibt das Problem: Für meine Zwecke nützt er nichts – zumindest nicht im Arbeitsalltag. Denn als journalistisches Werkzeug taugt er weder als Schreibassistent noch als ­Rechercheinstrument. So mürrisch es klingt, das Zwischenfazit fällt vernichtend aus: ChatGPT ist ein stümperischer Tunichtgut von ­einem Bot.

Warum diese fiese Beurteilung? Zunächst einmal Enttäuschung, die – das muss man fairerweise sagen – stets eine Folge schlecht austarierter Erwartungen ist. Vielleicht habe ich mich von dieser KI-Euphorie mehr mitreissen lassen, als mir lieb ist. Ich bin allerdings nicht willkürlich enttäuscht, erst Recht nicht willentlich. Und ich gebe mir auch Mühe, erstelle fein säuberliche Prompts und fasse ­immer wieder nach. Doch in zwei Kriterien, die im Journalismus von höchstem Wert sind, fällt ChatGPT regelmässig krachend durch: im Umgang mit Fakten und im Story­telling. Ersteres geht übrigens immer vor.

Dass Dienste wie ChatGPT ein hoch problematisches Verhältnis zur Realität haben, ist inzwischen bekannt und hinreichend belegt. Die KI-Modelle leiden an Halluzinationen. Das bedeutet, sie liefern immer wieder überzeugend formulierte Falschinformationen. Und dieses Problem lässt sich nicht beheben, wie die Computerlinguistin Emily Bender gegenüber dem Wirtschaftsmagazin «Fortune» sagte. Die Konsequenz ist klar: Ein Chatbot ist keine vertrauenswürdige Quelle, wird es wohl auch niemals sein und als Recherchetool folglich unzuverlässig bleiben.

Ob die KI-Bots nun gute Geschichtenschreiber sind oder nicht, ist Ansichtssache. Aber die Funktionsweise dieser Dienste spricht dagegen, denn sie schreiben ja nicht wirklich, sie erzeugen Text auf Basis der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten. Das erklärt, warum den KI-basierten Texterzeugnissen vieles fehlt, was gute Geschichten auszeichnet: ein Gefühl für das Unwahrscheinliche, für Überraschungen und für Abwechslung, beispielsweise im Rhythmus der Sprache. Und nicht zu vergessen: Witz. Mit Chatbots kann man zwar durchaus lustige Dinge anstellen, doch ihr Humor ist so anregend wie ein Stück Zwieback in lauwarmem Wasser. 

Das klingt jetzt alles griesgrämiger als gemeint. Ich hätte diese Chatbots tatsächlich gerne gern – nicht nur, weil mich die Technologie dahinter durchaus fasziniert, sondern auch, weil ich davon überzeugt bin, dass sie für viele Menschen hilfreich sind. Deswegen bleibt es nicht bei dieser Zwischenbilanz. Die Experimente gehen weiter, die Prompts werden besser, die Ergebnisse hoffentlich auch. Und wer weiss: Vielleicht lasse ich mich eines Tages doch noch auf eine Co-Autorenschaft mit einer Maschine ein – wenn auch nur aus Freude am Versuch.

Webcode
5Zk7UwTZ