32-Millionen-Projekt

Das Projekt Viacar kann endlich starten

Uhr | Aktualisiert
von Claudio Dionisio

Nach einigen politischen Querelen hat der Kanton Aargau vor über einem Jahr das 32-Millionen-Projekt Viacar – eine Systemlösung für Strassenverkehrsämter – an die Bedag Informatik AG vergeben. Die Bedag plant dazu einen Entwicklerstandort in Aarau und sucht rund 30 Top-Cracks.

Die beiden Geschäftsführer: Thomas Fuhrer, Viacar AG (links), Peter Schmutz, Bedag Informatik AG.
Die beiden Geschäftsführer: Thomas Fuhrer, Viacar AG (links), Peter Schmutz, Bedag Informatik AG.

Wie bei so vielem liegt in der Schweiz die Verantwortung für beinahe alles, was Fahrzeuge und Fahrer anbelangt, bei den Kantonen und ihren Strassenverkehrsämtern. Trotz ähnlicher Aufgaben sind diese Ämter je nach Kantonsgrösse sehr unterschiedlich dotiert und organisiert. Einige beschäftigen nur ein Dutzend, andere mehrere hundert Mitarbeiter. Allen gemein ist: Ohne spezielle IT-Applikationen wären die Aufgaben nicht zu erledigen. Einige wenige Kantone (etwa Basel-Stadt) haben hierfür eigene Geschäftsfallsoftware entwickelt.

Die meisten anderen nutzen entweder das von Networkers Interactive und Abraxas entwickelte System Cari oder eben das von der IT-Abteilung des Kantons Aargau entwickelte Viacar. Letzteres wird in grossen Kantonen wie Zürich, Waadt, Luzern oder Aargau eingesetzt, aber auch in einigen kleineren Kantonen. Mit Viacar werden rund 2,5 Millionen Fahrzeuge und deren Halter verwaltet, was einem Anteil in der Schweiz von über 40 Prozent entspricht.

Viel Knatsch um das 32-Millionen-Projekt

Viacar ist rund zehn Jahre alt. 2008 begann die IT-Abteilung des Kantons Aargau mit einigen an sich nötigen Erneuerungen und Ausbauten – allerdings ohne die notwendige Zustimmung des Aargauer Parlaments abzuwarten. Das führte zu Knatsch mit letztlich weitreichenden Folgen. Zuerst wurde die Weiterentwicklung auf Eis gelegt. Im Herbst 2009 entschied das Parlament, dass es nicht Aufgabe des Kantons sei, Software zu entwickeln. Deshalb müsse für die Weiterentwicklung und auch für den Betrieb ein externer Dienstleister gefunden werden. Die folgende WTO-Ausschreibung basierte auf den WTO-Regeln mit klaren Leistungsvorgaben und einer verbindlichen Kostenkontrolle.

Im Herbst 2010 erhielt die Bedag Informatik AG den Zuschlag für dieses prestigeträchtige 32-Millionen-Projekt. Dies mochte Konkurrent Abraxas so nicht schlucken. Das Unternehmen zweifelte das Ausschreibungsverfahren an und reichte eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Dabei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass die Bedag dem Kanton Bern gehört und Abraxas den beiden Kantonen Zürich und St. Gallen. Da der Preis beim Vergabeentscheid eine grosse Rolle gespielt hatte, nimmt Abraxas offenbar an, dass die Bedag nicht mit Marktpreisen, sondern mit Berner Steuergeldern operierte.

Peter Schmutz, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Bedag, vermutet jedoch einen ganz anderen Grund: Mittlerweile sei es üblich, dass "Grossprojekte der öffentlichen Hand durch Einsprachen blockiert werden". Ob es dabei immer um die Sache gehe, sei nicht immer klar. "Auf jeden Fall ist es mit unserer Lösung mit Abstand am günstigsten, ein Fahrzeug zu administrieren." Das juristische Verfahren blockierte das Viacar-Projekt für Monate. Erst nachdem die Rechtsmittelfrist abgelaufen ist, kann es nun losgehen. Die Viacar ist mittlerweile eine Aktien gesellschaft, an der ab März 2012 der Kanton Aargau mit 60 Prozent sowie Schaffhausen und Zug mit je 20 Prozent beteiligt sein werden. Die Laufzeitverträge mit den anderen Kantonen wurden für die nächsten mindestens sechs Jahre verlängert.

Workflow und Usability, C# statt Cobol

Die nächste Version von Viacar wird von Grund auf neu konzipiert. Datenorganisation, Applikationsintelligenz, Funktionsumfang und Nutzeroberfläche werden rundum erneuert und erweitert. Gemäss Thomas Fuhrer, seit 1. November 2011 Geschäftsführer von Viacar, stehen die Workflow-Orientierung und eine massive Usability-Verbesserung im Zentrum. Der bisher auf Cobol aufgebaute Business-Layer wird neu in C# entwickelt. Dies ermöglicht den Betrieb auf virtuellen Maschinen im .Net Framework und bringt mehr Flexibilität. Für Fuhrer ist dies die Grundlage, um künftig einfacher mobile Lösungen entwickeln zu können und in einigen Jahren auf die jeweiligen Kantone zugeschnittene SOA-Modelle zu ermöglichen.

Aarau als neuer Bedag-Standort

Die Bedag AG, die 450 Personen beschäftigt und im aargauischen Wettingen bereits ein Rechenzentrum betreibt, baut jetzt auch einen Produktionsstandort im Kanton auf. In Aarau werden ab sofort 20 bis 30 Programmierer gesucht, die vor allem das Viacar- Projekt entwickeln werden. Jedoch soll der neue Standort ein Zentrum für innovative E-Government-Lösungen werden. Peter Schmutz ist sich bewusst, dass ein IT-Betrieb, der vollständig einem Kanton gehört, da und dort gegen Image-Vorurteile angehen muss. Aber mit Viacar und einem weiteren eben gewonnenen Auftrag für die UNO habe man spannende und komplexe Projekte in Arbeit. Ein ausführliches Interview mit Peter Schmutz und Thomas Fuhrer lesen Sie in der ersten Ausgabe der Netzwoche 2012.