Cisco und das Internet of Everything

Heute Pneuproduzent, morgen Big Data Company

Uhr | Aktualisiert
von George Sarpong

Bis Ende dieses Jahrzehnts wird alles mit allem vernetzt sein. Das prophezeien zumindest Ciscos Manager. An der Hausmesse Cisco live erklärten die Ingenieure und Manager des Herstellers die Gründe für ihre Behauptungen. Was sie bereits demonstrieren konnten, wirkte vielversprechnd.

Vernetzte Städte, vernetze Industrien, vernetzte Welt: Cisco will mit dem Internet of Everything einen Billionenmarkt erschliessen. (Quelle: Netzmedien)
Vernetzte Städte, vernetze Industrien, vernetzte Welt: Cisco will mit dem Internet of Everything einen Billionenmarkt erschliessen. (Quelle: Netzmedien)

Das Messegelände von Mailand bereitet sich auf die Expo 2015 vor. Vor und in den Messehallen wird gebaut: Draussen hieven Kräne Beton, Glas und Stahl auf neue Hochhäuser, drinnen zeichnen Ciscos Techniker, Ingenieure und Marketing-Spezialisten gemeinsam mit Partnern ein Bild von der Zukunft: Dem Internet of Everything (IoE). Eine Welt in der alles mit jedem überall über eine IP-Adresse verknüpft sein wird. Natürlich nur zum Wohle der Menschheit. Datenschutzbedenken einmal ausgeblendet, demonstrierten Ciscos Mitarbeiter im Rahmen der Cisco live anschauliche und sinnvolle Beispiele, die teilweise bereits heute umgesetzt werden.

Keine Parksorgen und stadtweites WLAN

Wie in Barcelona, wo Sensoren im Boden von Parkplätzen der nächsten Strassenlaterne mit Access Point melden, dass sie gerade frei sind. Über eine App können Autofahrer sich von ihrem Smartphone zu einem freien Parkplatz lotsen lassen. Nach Berechnungen von Cisco können Autofahrer dadurch ein Sechstel ihrer Benzinkosten sparen. Und nicht nur das: In Frankreich etwa vergeuden Autofahrer im Schnitt 4 Jahre ihres Lebens mit dem Suchen und Finden von Parklücken, erklärte Ciscos Joseph Bradley, Managing Director, Internet of Everything Practice, Cisco Consulting Services.

Ausserdem liesse sich durch die vernetzten Strassenlaternen auch noch ein stadtweites WiFi-Netz aufbauen und unterhalten. Dabei wären verschiedene Kostenmodelle denkbar, wie kostenpflichtige Upgrades auf einen gratis Basisdienst, ein Abomodell oder Quersubventionierung, durch die Einnahmen aus dem Parkplatzgeschäft.

Kasse machen mit Bits und Bytes

Städte und Gemeinden könnten zu grössten Gewinnern der Vernetzung zählen. In den nächsten zehn Jahren könnten Städte weltweit rund 4,6 Billionen US-Dollar durch Anwendungen, die auf Vernetzung basieren, entweder einsparen oder gar verdienen.

Italien, das Gastgeberland der Cisco live, könnte im Idealfall 110 Milliarden Dollar erwirtschaften, behaupteten Ciscos Manager. Unterstützt wurden sie bei ihren Prognosen durch IDC. Die Marktforscher fokussieren bei ihren Analysen allerdings auf das Geschäft für Unternehmen. Deren Umsatz könnte bis 2020 auf 9 Billionen Dollar steigen. So genau scheinen es aber weder Cisco noch IDC zu wissen. Ihre Zahlen waren teilweise sehr unterschiedlich. Dennoch sind beide Parteien davon überzeugt, dass das Internet of Everything den Alltag verändern und neue Geschäftsmodelle ermöglichen wird.

Hersteller werden zu Big Data Companies

"Praktisch jedes Unternehmen wird zu einer IT-Firma", sagte Bradleys Kollege David Bevilacqua, VP Cisco für den Bereich South EMEAR. Bereits heute würden KMU durch das Internet ihre Effizienz um 10 Prozent steigern. Mit dem Internet of Everything könnten Unternehmen sogar noch mehr für sich herausholen.

So konnte der Minenbetreiber Dundee Precious Metals durch die komplette Vernetzung seiner Minen, Mitarbeiter und Fahrzeuge die Effizienz um 44 Prozent steigern. Meldeten etwa Mineure früher erst nach der Schicht Probleme, kommunizieren sie mittels VoIP heute direkt mit der Zentrale.

Auch können inzwischen Fahrzeuge dank on-Board-Sensoren genau geortet und ihr Zustand kontrolliert werden. Ein Computer im Fahrzeug meldet der Zentrale ein defektes Rad genauso wie die Drehzahlen des Motors und des sich daraus ergebenden Wartungsintervalls.

"Big Data alleine ist nichts wert"

Möglich wird das durch die inzwischen erschwingliche Auswertung von Daten im grossen Mass. Derzeit in aller Munde als Big Data und ebenfallsein Teil des Internet of Everything. Nur schon der Begriff Big Data treibt Analysten und IT-Herstellern die Dollarzeichen in die Augen.

Nicht aber Ciscos Bradley: "Big Data alleine ist überhaupt nichts wert!", rief er während seiner Präsentation Medienvertretern entgegen. Doch als Teil einer vernetzten Welt könnte es gewinnbringend eingesetzt werden. Indem Anwender die richtigen Daten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort empfangen, um ihre Geschäftsmodelle anpassen zu können.

Internet of Things ist nicht das gleiche wie das Internet of Everything

Was heisst das genau? Kritiker monieren, dass Internet of Everything sei letztlich nur Marketing. Ein Begriff der bekannte und im Sande verlaufene Hypes wie Internet of Things nur wieder hochkocht. Für Bradley unterscheiden sich diese Begriffe deutlich, da sie für unterschiedliche Entwicklungen stehen.

Das Internet of Things kombiniert M2M-Kommunikation mit dem Web. Prozesse, etwa in der produzierenden Industrie sollen Daten liefern und etwa Schichtleitern helfen, Unterbrüche im Produktionsablauf zu vermeiden.

Das generiert Daten. Die Kaffee-Kette Starbucks verlor wöchentlich eine Million Dollar durch Ausfälle in seinen Röstereien. Durch den Einsatz von Sensoren konnten die Produktionsabläufe deutlich verbessert werden. Auch weil Menschen besser in die Abläufe miteinbezogen wurden.

Gemeinsam vernetzen sich die vier Komponenten Dinge, Prozesse, Daten und Menschen zum Internet of Everything (IoE). "Was wir heute mit dem Internet erleben, ist nichts im Vergleich zu dem, was wir in den nächsten 10 Jahren erleben werden, dank dem Internet of Everything", sagte Bradleys Kollege Bevilacqua voller Begeisterung. Er prophezeite sogar, dass wir mit dem IoE sogar die nächste industrielle Revolution erleben werden. Was das bedeuten könnte, erklärte Bernd Heinrichs, Managing Director Industrial Solutions – IoT bei Cisco, zuständig für Europa.

Ciscos Nebelmaschine

Mit der Weiterentwicklung des Webs und der Zunahme an Daten wird sich auch die Rolle des Netzwerks in der IT ändern. "Das Netz wird ein Teil des Computings werden", sagte Heinrichs überzeugt, als hätte er die Zukunft bereits gesehen.

In Heinrichs Gedankenspiel verteilt sich die Rechenarbeit auf mehrere Ebenen. Dabei arbeitet der Client mit dem Rechenzentrum zusammen, wie heute auch schon. Doch in naher Zukunft werden Router und Switche nicht mehr nur die Daten und Prozesse vermitteln. Sie werden diese bereits auswerten. "Fog" nennt Heinrichs dieses Modell.

Cisco bietet in seinen Netzwerkprodukten deshalb neben dem Kernel mit Ciscos Betriebssystem künftig einen zweiten Kernel für die fortwährende Datenanalyse an. "Dadurch werden aus unseren Geräten Kommunikations- und Datenmaschinen in einem", schlussfolgerte Heinrichs. Das sei alleine schon deshalb wichtig, da die Bandbreiten für die aufkommenden Datenmengen nicht mehr ausreichen würden. Oder weil es zu lange dauert, bis die Antwort auf eine Frage vom Datacenter beim Empfänger ankommt.

Heinrichs nannte ein Beispiel: Bei Googles autonomen Fahrzeugen arbeitet etwa ein Rechner im Auto, tauscht aber auch über das Web Daten mit den Rechenzentren des Webriesen aus. Doch was wenn das Auto in einer Strassenschlucht in der Rush Hour schlechten Empfang hat und eine Entscheidung treffen muss? Hier könnte das Netz helfen. "Google-Car ist eine existierende Anwendung von Fog", hob Heinrichs hervor.

Zielgruppe Industrie

Eines ist für Ciscos Manager aber auch klar: "Wir sind nicht Google", wie unter anderem Heinreichs mehrmals betonte. Der Hersteller konzentriert sich bei seinem Vorhaben die Welt zu vernetzen weniger auf Consumer, dafür verstärkt auf die öffentliche Hand und die Industrie. Um diese zu begeistern, lancierte der Netzwerkspezialist Pilotprojekte wie jene mit Herstellern wie Starbucks und Dundee Precious Metals oder Städten wie Barcelona.

Mit Leuchtturmprojekten und Schönrederei wird Cisco das IoE aber nicht herbeizaubern können. Deshalb baut Cisco auf seine Stärken im Partnergeschäft. Cisco arbeitet mit ersten Technologiepartnern wie Schneider Electric zusammen und verhandelt mit weiteren, etwa mit Siemens oder Bosch. In Ciscos Vision entwickelt etwa Bosch Sensoren für den Maschinenbau. Siemens verbaut anschliessend die Sensoren in seinen Robotern die letztlich bei einem Hersteller, etwa aus der Automobilbranche, eingesetzt werden, die wiederum vom Mechatroniker auf ihren Zustand hin kontrolliert werden. Die Daten des Sensors im Roboter erhält der Spezialist über Ciscos Netzwerktechnik. Damit rennt Cisco bei Unternehmen im produzierenden Gewerbe offene Türen ein, glaubt man Heinrichs.

Seinen Ausführungen nach träumt Elmar Degenhart, CEO beim Autozulieferer Continental bereits davon, in wenigen Jahren Sensor-Daten wie den Reifendruck an Autohersteller oder die öffentliche Hand weiterverkaufen zu können. Dadurch würde sich Continental vom Reifenhersteller zum Big-Data-Unternehmen weiterentwickeln. Bereits heute würden in einem Auto 300 Mbit/Sekunde an Daten produziert von denen höchstens 10 genutzt würden. Gesucht seien deshalb Systeme für die Datenauswertung in Echtzeit.

Hindernisse aus dem Weg räumen

Bis sich Fog und IoE den Durchbruch gebahnt haben, müssen noch ein paar Barrieren aus dem Weg geschafft werden. Ein banales Beispiel sind die proprietären Protokolle die etwa Maschinenbauhersteller ihren Robotern einprogrammieren.

Denn Sensoren sollten mit den Robotern reden können, um Daten zu erhalten. Deshalb vermuten einige Analysten, dass es auf dem Weg zum IoE einen Kampf der Protokolle geben könnte. IDC-Analyst Pierfrancesco Manenti vertrat in der anschliessenden Diskussion an Heinrichs Vortrag jedoch eine andere Meinung und zeigte eine Lösung des Problems auf.

Demnach werde es für das IoE kein Kernprotokoll geben. Stattdessen werden die gut 15 Milliarden Devices im Jahr 2020 unterschiedliche Sprachen sprechen und dennoch verstanden werden, so wie das heute bereits der Fall ist. So tauschen Geräte heute ihre Nullen und Einsen via Bluetooth, Zig Bee, WiFi oder 4G aus.

Neben den IT-Problemen ergeben sich auch handfeste, physische Hindernisse: Sensoren müssen mindestens sieben Jahre funktionieren. Heutige Sensoren fallen jedoch nach fünf Jahren aus. Auch müssen neue Formfaktoren für Sensoren und Netzwerkprodukte entwickelt werden, damit sie in bestehende Geräte passen. Dagegen lassen sich rüttelfeste oder staub- und wasserdichte Formfaktoren einfach umsetzen, beziehungsweise existieren bereits.

Ein anderes Problem ist die Sicherheit. Erst kürzlich war bekannt geworden, dass webfähige Kühlschränke für den Versand von Spam missbraucht wurden. Manenti sieht die Situation pragmatisch-fatalistisch: "Es wird drei bis fünf schwerwiegende Ereignisse, ausgelöst durch das Netz der Dinge, brauchen, bevor die Hersteller die Sicherheit verbessern werden."

"Es wird neue Partner brauchen"

Laut Manenti lässt sich noch nicht völlig abschätzen, welche Geschäftschancen sich durch die weltweite Komplettvernetzung ergeben. Doch sie dürften gewaltig sein. Um das Marktpotenzial auszuschöpfen, brauche es aber eine neue Art von Partner, glaubt IoE-Guru Heinrichs. Allen voran technische Schlüsselpartner die Cisco den Weg in weitere Industriezweige öffnen, wie die produzierende Industrie oder der Energiesektor. Partner wie Hersteller Philips, der seine Leuchtmittel zunehmend mit WiFi-kompatibler Technik ausstattet. Ein weiterer Schlüsselpartner ist Schneider Electric. Der Energiespezialist und Ausrüster von Rechenzentren liefert bereits heute Sensoren für industrielle Anwendungen und will mit Cisco Lösungen für das Smart Grid entwickeln. Eine mögliche Anwendung wäre etwa, dass bei einem Stromausfall ein Sensor im Router dem lokalen Stromversorger den Ausfall meldet und der Anbieter bei seinem Kunden anruft und ihm auf diese Weise aktiv hilft.

Mit dem Aufbau von Entwickler-Communities sollen ausserdem Software-Partner gewonnen und ein zusätzlicher Markt für Apps aufgebaut werden. Auf Verkaufsseite schweben Cisco verschiedene Szenarien vor. Reseller könnten zusammenarbeiten, um ihre Fähigkeiten zu kombinieren oder sich spezialisieren, was bestehenden Integratoren neue Märkte eröffnen dürfte.

Wenn immer mehr Unternehmen, wie etwa aus dem produzierenden Gewerbe, ihre Geschäftsstrategie auf das Web und Daten ausdehnen, dann sei eine robuste Netzwerkarchitektur matchentscheidend. "Das ist für Ciscos Partner natürlich hochinteressant", erklärte Milo Schacher, VP EMEAR für die Partner Organisation Schacher in einem anschliessenden Hintergrundgespräch.

Nike sei hierfür ein gutes Beispiel: Der Sportartikelhersteller habe sich durch sein Sportband Fuel vom reinen Sportausrüster zu einem Datenkonzern gewandelt. Fuel besteht aus einem Gummiband, das um das Handgelenk gebunden wird und etwa den Puls misst oder Schritte zählt. Fuel kommuniziert über ein App mit dem Smartphone oder einem Computer. Über eine Datenbankapplikation können Anwender ihre Fitness messen und ihr Training verbessern. Im zweiten Quartal, das im November 2013 zu Ende ging, kletterten Nikes Umsätze auf 6,4 Milliarden US-Dollar. Ein finanzstarker Kunde. Und nicht nur das. Nike unterhält seit 2010 ein eigenes Entwicklungszentrum für Sporttechnik.

Doch um diese Hersteller als Kunden zu erreichen, müssten klassische Systemintegratoren und Reseller ihre Fähigkeiten ausbauen, sind sich Ciscos Manager einig. Partner müssten etwa verstehen, was ein Automobilbauer in seinem Maschinenpark benötigt. Das bedeutet im Endeffekt auch, dass für Cisco mit dem IoE und seiner zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten das Service-Geschäft zunehmend in den Mittelpunkt rückt. Im Gegenzug will Cisco zusätzlich sein Channelprogramm anpassen, um den Partnern zu helfen im IoE-Markt Fuss zu fassen.

Sorgen bereitet dem Unternehmen aber der Fachkräftemangel im Netzwerktechnikbereich, betonte Schacher. Zwar vergebe Cisco eine Million Abschlüsse an Studierende, etwa das Industriediplom Cisco Certified Engineers im Rahmen seiner Networking Acacemy. Ausserdem bildet der Hersteller auch Lehrlinge aus. Doch der Markt lechzt nach mehr. Was wiederum symbolisch dafür stehen dürfte, dass der Markt für das IoE allmählich in Fahrt kommt. 

Expo Milano 2015

Cisco wählte Mailand auch deshalb für seine Messe live aus, da der Hersteller die Expo Milano 2015 mit seiner Netzwerktechnik versorgen wird. Cisco will aus dem Expo-Gelände eine Smart-City für die Besucher schaffen.

Es dürfte spannend sein, zu sehen, welche der prophezeiten Szenarien bereits nächstes Jahr unseren Alltag durchdringen werden, welche bis zum Ende dieses Jahrzehnts und welche es überhaupt nie schaffen werden, Teil des Internet of Everything zu werden.

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