Interview

"Ich halte den Einbau von unfertigen Techniken in Browser für gefährlich"

Uhr | Aktualisiert
von René Mosbacher

Seit Mitte März ist die Version 9 des Internet Explorers fertig. Im Interview mit der Netzwoche gibt Ziad Ismail, Director Product Management IE, Einblicke in die neue Browser-Strategie von Microsoft.

Ziad Ismail von Microsoft
Ziad Ismail von Microsoft

Herr Ismail, warum beteiligt sich Microsoft überhaupt noch am Browser-Krieg? Alle Browser bieten mittlerweile ähnliche Funktionen und Leistungen und zudem sind sie auch alle gratis.

Die Windows-Nutzer verbringen immer mehr Zeit im Web. Wir wollen ihnen dabei weitere neue und spannende Erfahrungen vermitteln. Und das erreichen wir dadurch, dass wir unsere Browser schneller, leistungsfähiger und flexibler machen. Ich denke, davon sollte am Ende auch das Web als Ganzes profitieren.

Was heisst das konkret?

Wir gehen davon aus, dass sich die Nutzer vor allem für die Inhalte des Webs interessieren und nicht für den Browser selbst. Darauf aufbauend wollten wir einen Browser entwickeln, der Dinge kann, die bisher nur mit nativer Software möglich waren. Um dies zu ermöglichen, haben wir dem IE9 Zugriff auf grundlegende Ressourcen von Hardware und Betriebssystemen ermöglicht. Lassen Sie mich das am Beispiel der Grafik erklären: Die Grafikchips sind in den letzten Jahren viel leistungsfähiger geworden – denken Sie an die Entwicklung bei den Spielen. Diese Leistung wäre beim Betrachten von Bildern oder Videos im Web sehr nützlich. Bisherige Browser waren aber rein auf die Leistung des Hauptprozessors angewiesen. Der direkte Zugriff auf die Grafik eröffnet viele neue Möglichkeiten.

Warum schwenkt Microsoft jetzt offiziell auf den Webstandard HTML5 ein?

Microsoft hat schon immer aktiv im W3C und anderen Standardisierungsorganisationen mitgewirkt. In der Arbeitsgruppe HTML beispielsweise ist unser Mitarbeiter Paul Cotton einer der Ko-Vorsitzenden. Als wir uns entschieden, den IE9 auf die Basis von HTML5 zu stellen, wollten wir auch sicher sein, die Sache gut zu machen. Dazu gehört etwa, dass wir mit dem W3C Testsuiten entwickelt haben, mit denen man Interoperabilität tatsächlich messen kann. Ohne solche, durch die Standardisierungsorganisation vorangetriebene Testsuiten könnte jeder Browserhersteller behaupten, er unterstütze diesen oder jenen Standard – wirklich nachprüfen liesse sich das allerdings nicht.

Warum ist er trotzdem nicht vollständig implementiert?

Nun, die HTML5-Spezifikation ist ja noch immer nicht fertig. Bis im Mai dieses Jahres können noch Änderungsvorschläge eingebracht werden. Dies führt etwa dazu, dass die Site-Betreiber mit der Implementierung von HTML5 noch warten. Und für die Browserhersteller sieht die Situation ähnlich aus. Deshalb haben wir beim IE9 nur die fertigen Teile des Standards integriert. Es gibt auch andere Webspezifikationen, bei denen noch alles im Fluss ist, ich denke hier etwa an Websockets und IndexedDB. Dort ändern sich die Dinge manchmal mehrmals im Monat. Statt dass wir derart provisorische Funktionen in den Browser einbauen, stellen wir Prototypen auf unserer Site HTML5Labs.com zur Verfügung. Damit bieten wir den Entwicklern einen Einblick und das erst noch schneller als andere Hersteller, die ihre provisorischen Implementierungen dauernd auf den neuesten Stand bringen müssen. Ich halte den Einbau von unfertigen Techniken in Browser langfristig für gefährlich. Unsere Erfahrungen zeigen nämlich, dass Browser vielerorts kaum upgedated werden, besonders in Firmen und neuerdings auch auf mobilen Endgeräten. Das führt dazu, dass sich Entwickler und Nutzer auf Jahre hinaus mit solchen Altlasten herumschlagen müssen.

Worin unterscheidet sich der IE9 eigentlich noch von Mitbewerbern wie Chrome, Firefox oder Safari? HTML5 unterstützen sie ja alle.

Das Fundament des IE9 bilden seine volle Hardwareunterstützung und die Javascript- Engine der Spitzenklasse. Der Leistungsunterschied wird offensichtlich, wenn Sie Webanwendungen nutzen, die an die Grenzen des bisher Möglichen bei Grafik, Video, Audio und Interaktionen stossen. Benutzerseitig haben wir das Site Pinning eingeführt, das Ihnen erlaubt, Ihre favorisierten Sites auf die Taskleiste zu legen. So kommen Sie schneller an Ihre Inhalte und die Sites können sich entwickeln, ohne in ein Browserfenster eingezwängt zu sein. Beispielsweise können sie die Nutzer darauf aufmerksam machen, dass es wichtige News gibt, dass sie bei einer Auktion überboten wurden oder dass ihre Fussballmannschaft gewonnen hat. Schliesslich gibt es auch noch den rege diskutierten Aspekt des Datenschutzes respektive des Sammelns von Nutzerdaten. IE9 ist der einzige Browser, der den Sites mitteilt, wenn ein Nutzer kein Tracking will. Und den Nutzern gibt er die Mittel, das zu erzwingen, wenn es nicht respektiert wird.

Welche Rolle wird Silverlight künftig neben HTML5 noch spielen, wenn es um Rich Internet Applications geht?

Wenn HTML5 und die damit zusammenhängenden Standards sich weiter etablieren, werden Browser immer mächtiger. Die Welt bewegt sich in Richtung HTML5 und damit ist auch die strategische Richtung für Microsoft klar. Plug-ins wie Silverlight werden aber weiterhin als Ergänzungen wichtig sein, wenn bestimmte Funktionen genutzt werden sollen, für die es noch keinen Webstandard gibt. Das gilt beispielsweise für die Wiedergabe von DRM-geschütztem Videomaterial. Hierfür gibt es noch keinen Standard, aber mit Silverlight funktioniert es.

Wie wichtig ist IE9 für Ihre Strategie im Mobile-Bereich?

Mobile Endgeräte werden immer wichtiger für die Interaktion via Web. Daraus ergibt sich für uns eine sehr ähnliche Strategie wie im Desktop- Bereich: Wir wollen für die Nutzer neue Möglichkeiten schaffen. IE9 wird mit dem Mango-Update von Windows Phone 7 ausgeliefert.