Swiss E-Health Forum

Der lange Weg zum elektronischen Patientendossier

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In der Schweiz geht es voran mit dem elektronischen Patientendossier – aber nur langsam. Die Akteure im Gesundheitswesen müssen noch viele Hürden bewältigen. Das hat der erste Tag des Swiss E-Health Forums in Bern gezeigt.

Roland Naef, Bereichsleiter Medizinische Applikationen & Services des Universitätsspitals Zürich, am Swiss E-Health Forum in Bern
Roland Naef, Bereichsleiter Medizinische Applikationen & Services des Universitätsspitals Zürich, am Swiss E-Health Forum in Bern

Am Swiss E-Health Forum in Bern geschah gestern Aussergewöhnliches: Um Punkt 12:22 Uhr unterbrach das ansonsten eher zurückhaltende Publikum einen Vortrag mit spontanem Szenenapplaus. Roland Naef provozierte diesen mit folgenden Worten: "Ohne MPI können wir die personalisierte Medizin in der Schweiz nicht voranbringen. Vergessen Sie das!" Der Bereichsleiter Medizinische Applikationen & Services am Universitätsspital Zürich traf mit dieser Aussage offenbar den Nerv der Zuhörer.

Mit MPI meinte Naef den Master Patient Index: die Zusammenführung aller Gesundheitsdaten eines Patienten aus verschiedenen Quellen in einen zentrale Identität. Ein MPI sei für alle Patienten, die sich nicht bewusst für ein Opt-out entscheiden, dringend nötig, sagte Naef. Nur so sei eine Automatisierung von Prozessen überhaupt erst möglich. "Wir sind an die ärztliche Schweigepflicht gebunden und werden die Daten ohne explizite Einwilligung nicht weiterverwerten." Naef richtete seine Worte explizit an (kantonale) Datenschützer, die sich immer wieder gegen einen Master Patient Index aussprechen.

Offene Standards statt Monopole

"Die folgende Präsentation beinhaltet die Sicht eines direkt Betroffenen und ist als Aufruf zu verstehen", sagte Naef gleich zu Beginn seines Referats. E-Health komme in erster Linie den Patienten und Prämienzahlern zugute. Es senke mittelfristig die Kosten im Gesundheitswesen und helfe, die Ziele von E-Health Suisse zu erreichen. "Machen Sie deshalb bitte möglichst zahlreich mit und achten Sie bei Ihren privaten Apps und Portalen auf offene Datenstandards." Auch an die Leistungserbringer hatte Naef eine Botschaft. Sie sollten ihre knappen ICT-Budgets in offene Datenaustauschstandards investieren, "sodass sich Zuweiser und Patienten nicht mit 800 Log-ins und Apps herumschlagen müssen".

Und die Plattform-Anbieter? Sie sollten davon absehen, alles selbst zu machen und neue Monopole zu schaffen, warnte Naef. Statt den Kunden einzuschliessen, sollten sie auf bestehende Ökosysteme setzen. "Und nein, damit meine ich nicht abgekoppelte webbasierte Workflows und auch nicht die Cross-Domain-Integration von Stammgemeinschaften", hiess es auf der Folie von Naef.

Einfache Theorie, komplizierte Praxis

Aktuell stelle er bei der Umsetzung des elektronischen Patientendossiers (EPD) die Tendenz fest, dass einfach nur die gesetzlichen Auflagen erfüllt würden. So werde aus dem EPD ein Compliance-Projekt, und die notwendige Business-Transformation oft auf die lange Bank geschoben. Das sei gefährlich.

"15 Jahre Digitalisierungserfahrung am Unispital Zürich haben mich gelehrt, dass elektronische Dokumente nur wenig mehr bringen als eine Papierakte", sagte Naef. Die Leistungserbringer müssten die medizinischen Informationen unbedingt in ihre Workflows integrieren. "Und zwar in Form von aufbereiteten Daten, sonst werden sie übersehen oder aus Zeitgründen ignoriert."

Naef untermauerte seine Aussage mit einem Beispiel: Eine Ärztin habe ein durchschnittliches Zeitbudget von 5 bis 15 Minuten pro Patient und schaue darum eher nicht in ein mehrseitiges EPD, bevor sie den Patienten befrage – womöglich nicht einmal, wenn das Spital das mit einer internen Weisung verlange.

Ohne Vertrauen kein Fortschritt

Das erste Referat hielt Michael Jordi, Zentralsekretär der Gesundheitsdirektorenkonferenz. Auch er betonte die Wichtigkeit von offenen Schnittstellen. Sie würden Telemedizin, automatisierte Behandlungsabläufe und Big-Data-Analysen überhaupt erst ermöglichen und so die Kosten senken.

Das Wichtigste sei, dass die Akteure im Gesundheitswesen das Vertrauen der Patienten gewännen. Vertrauen in IT-Sicherheit, Technik und die Übermittlung, Speicherung und Interpretation von Daten. "Jedes Leck kann uns um Monate zurückwerfen", sagte Jordi. In einigen Jahren würden die neuen Werkzeuge im Gesundheitswesen so selbstverständlich sein wie ein Toaster. Bis dahin sei es aber noch ein weiter Weg. Nur eines lasse sich nicht digitalisieren: die seelische Befindlichkeit der Patienten.

Es braucht tragfähige Geschäftsmodelle

Spannend war auch der Vortrag von Richard Patt, Geschäftsführer von eHealth Südost. Der Verein vertritt eine Region mit 350’000 Einwohnern, die Graubünden, Glarus, das Einzugsgebiet St. Galler Rheintal, drei Sprachregionen, mehr als 150 Täler und 1000 Gipfel umfasst. eHealth Südost habe heute rund 70 Mitglieder. Patt referierte über die Herausforderungen beim Aufbau einer Stammgemeinschaft.

Eine der grössten Herausforderung sei es, tragfähige Geschäftsmodelle zu finden. "Die Finanzierung hat Priorität", sagte Patt. "Wir müssen zuerst Geld haben, bevor wir einen Nutzen für den Patienten erzielen können." Auch die Anbieter müssten schauen, dass die Geschäftsmodelle ihrer Kunden tragfähig seien. Denn ohne Stammgemeinschaften gebe es auch keine Anbieter, so Patt.

Aus den individuellen Geschäftsmodellen der Gemeinschaften würden sich wohl die besten etablieren und zum Standard werden. Aber das werde noch Jahre dauern. Positiv sei aber, dass nun alle Teilnehmer im Gesundheitswesen zusammensitzen und miteinander sprechen, schloss Patt.

Positive Signale aus dem Kanton Genf

Laut Adrian Schmid, Leiter eHealth Suisse, dem Koordinationsorgan zwischen Bund und Kantonen, gibt es 11 Stammgemeinschaften. Die Spitäler müssten in 2 Jahren einer Stammgemeinschaft angeschlossen sein und sollten aktiv werden. Die Stammgemeinschaften wiederum sollten mit der organisatorischen Zertifizierung beginnen, sobald anerkannte Zertifizierungsstellen auf dem Markt seien, so Schmid.

Im Kanton Genf hätten rund 8 Prozent der Bevölkerung ein elektronisches Patientendossier. Jeden Monat gebe es rund 800 neue Anmeldungen. Die Hauptgründe, warum Patienten ein Dossier eröffneten, seien folgende: Einen leichteren Zugang zu den eigenen Gesundheitsdaten, eine bessere Koordination der Behandelnden, Interesse an der neuen Technologie und Neugier. Meistens werde ein Spitalaufenthalt genutzt, um ein Dossier zu eröffnen. Es brauche viel Beratung, um die Patienten vom EPD zu überzeugen. "Wir bewegen uns aber in die richtige Richtung", sagte Schmid.

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