Dark Patterns

Die dunkle Seite der User Experience

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von Sandro Morghen, Senior Experience Designer, Nexum

Amazon tut es, Google tut es, Facebook tut es und mit höchster Wahrscheinlichkeit sind wir alle schon einmal Opfer geworden. Die Rede ist von Dark Patterns - perfiden UX-Tricks am Rande der Legalität, mit denen User zu bestimmten Aktionen verführt werden, die sie womöglich gar nicht ausführen wollten.

Sandro Morghen, Senior Experience Designer, Nexum. (Source: Thomas Walser)
Sandro Morghen, Senior Experience Designer, Nexum. (Source: Thomas Walser)

Wer im Besitz eines Amazon-Accounts ist, dürfte bei der Erstellung seines Kundenkontos auf nicht allzu grosse Hürden gestossen sein. Im Gegenteil: Das Unternehmen rollt für neue User förmlich den roten Teppich aus. Wer jedoch sein Konto schliessen möchte, der wird auf eine bisweilen bizarr anmutende Odyssee durch die Tiefen der Amazon-Einkaufswelt geschickt, nur um am Ende der Klickstrecke feststellen zu müssen, dass die Seite eine Funktion zur Löschung des Kontos gar nicht anbietet und der Weg in die Freiheit über ein Kontaktformular an den Kundenservice führt. Experten sprechen bei diesem Muster vom «Roach Motel»-Prinzip, eines von verschiedenen Dark-Pattern-Strategien, mit denen manche Websites und Digitalunternehmen ihren Usern auf die Pelle rücken.

Beim "Roach-Motel"-Ansatz wird es dem User sehr einfach gemacht, in eine bestimmte Situation, etwa die Eröffnung eines Kundenaccounts, hineinzufinden, dafür aber umso schwieriger, aus derselben wieder herauszufinden. Die Folge: Der Nutzer resigniert, bleibt registrierter Kunde und die Chancen, dass er zu einem späteren Zeitpunkt doch noch einmal etwas bestellt, bleiben intakt.

Leider erfolgreich

Das Beispiel Amazon zeigt: Dark Patterns – der Begriff wurde 2010 zum ersten Mal von Harry Brignull, einem britischen UX-Designer, ins Spiel gebracht – sind kein Phänomen, mit dem sich User nur auf einem möglichen Streifzug durch die nebu­lösen Schattenwelten des Internets auseinandersetzen müssen. Dark Patterns sind ein fester Bestandteil unseres digitalen Alltags und werden von den führenden Global Playern der Digital­industrie gezielt eingesetzt, und das scheinbar nicht erfolglos. Die Gründe, warum einige Plattformen auf Trick-UX nicht verzichten können, sind vielseitig. Während Amazon dem Nutzer die Kündigung des Kundenkontos vergrault, haben Facebook und Google mit ihren Dark Patterns anderes im Sinn. So wollen das soziale Netzwerk und der Suchmaschinengigant laut einer Studie der norwegischen Konsumentenschutzorganisation «Forbrukerrådet» User über entsprechend gestaltete User Experience zu möglichst freizügigen Privacy-Einstellungen drängen – harmlos, verglichen mit den Maschen anderer Anbieter. Denn der Kampf um die frechsten UX-Patterns treibt bisweilen kreative Blüten.

Falscher Staub und viel Drama

Experten unterscheiden mittlerweile zwischen einem Dutzend unterschiedlicher Dark-Pattern-Ansätze. Ab­gesehen von der erwähnten "Roach Motel"-Strategie oder vom Drängen der User zu weniger Privatsphäre (gerne auch "Privacy Zuckering"-Methode genannt – offenbar stand Mark Zuckerberg unfreiwillig als Namensgeber Pate), ist das Suggerieren einer vermeintlichen Handlungsdringlichkeit ein beliebtes Muster, auf das – glaubt man den Vorwürfen – vor allem Hotelbuchungsplattformen gerne zurückgreifen. So sollen Pop-up-Meldungen wie "1 Zimmer in dieser Preisklasse noch übrig" oder "4 weitere Kunden schauen sich dieses Zimmer jetzt an", den Kunden gezielt in eine schnelle Impulshandlung schubsen und in manchen Fällen schlicht erfunden sein.

Etwas subtiler gehen Digitalplattformen zu Werke, die sich psychologischen Tricks wie des "Confirmshamings" bedienen, um bei Kunden zu punkten. Dabei werden Call to Actions, mit denen der User bestimmten Aktionen ausdrücklich widersprechen kann, so unattraktiv formuliert, dass dem Nutzer fast nichts anderes übrig bleibt, als auf seinen Widerruf zu verzichten. Wer auf der Amazon-Plattform beispielsweise gefragt wird, ob er sich dem kostenpflichtigen Premium-Service Amazon Prime anschliessen und dabei von unlimitierten Same-Day-Deliveries profitieren möchte, muss auf den Link mit dem Drama getränkten Text "No thanks, I don’t want Unlimited One-Day Delivery" klicken, um zu widersprechen. Im E-Commerce fallen Kunden aber noch auf dreistere Methoden herein. Manche Online-Shopping-Plattformen setzen auf die "Sneak into basket"-Technik, bei der während der Customer Journey, irgendwo zwischen Produktsuche und Checkout-Prozess, Produkte wie von Geisterhand in den Warenkorb des Käufers wandern. Auch im Umfeld von Bannerwerbung sind Kunden vor Dark Patterns nicht sicher, obschon hier die Grenzen zwischen kreativer Werbeidee und dunkler UX zugegebenermassen fliessend sind. Raffiniert, wenn nicht perfide, mutet die Idee der Mobile-App "Chatmost" an. Das Start-up schaltete verschiedene Mobile-Banner, um auf seine Kleinanzeigenplattform aufmerksam zu machen. In das Design des Werbebanners integrierte das Online-Marketing-Team von "Chatmost" zwei verschwindend kleine Punkte, die wie winzige Staubpartikel auf dem Bildschirm wirkten. Als User versuchten, diese mit dem Finger vom Touchscreen zu entfernen, öffnete sich auch bereits die dazugehörige Landingpage. So einfallsreich wie die Aktion war, die Einstellung des Marktplatzes konnte auch sie nicht verhindern.

Am Rande der Illegalität

Wenig überraschend ist, dass manche Dark Patterns nicht nur ärgerlich sind, sondern die Grenze zur Illegalität überschreiten. Prominentes Beispiel: Linkedin. Das Social Network für berufliche Kontakte entwickelte ein perfides, wenn auch effektives Dark Pattern, das User dazu verleitete, Einladungen zur Plattform an ihre eigenen E-Mail-Kontakte zu senden. Die zweifelhafte Praxis führte dazu, dass Linkedin 2015 zu einer Zahlung von 13 Millionen US-Dollar verurteilt wurde. Dem Unternehmen scheint die Episode indes nicht geschadet zu haben. Das weltweit führende Netzwerk legte in der Zwischenzeit ein beachtliches Wachstum hin. An der Kundenzentriertheit führt kein Weg vorbei. Dark Patterns stehen der ungeschriebenen Regel, nach der die maximale User-Fokussierung und die ständige Verbesserung des Nutzererlebnisses aus der Kundenperspektive mit Geschäftserfolg belohnt wird, auf geradezu groteske Weise entgegen. Auch wenn grosse Digitalplattformen mit gelegentlich eingesetzten UX-Tricks punktuell Vorteile erzielen und dabei mitunter unbeschadet Grenzen überschreiten: In der übergeordneten Betrachtung kommen auch Google, Facebook, Linkedin & Co. nicht ohne eine nutzerfreundliche Gesamt-Experience auf ihren Plattformen aus. Sobald die Balance zwischen positiven und negativen User-Erfahrungen ins Negative kippt, werden sich Nutzer und Kunden abwenden. Das gilt für die digitalen Global Player und umso mehr für kleinere Anbieter. Nicht selten müssen in Businessmeetings nämlich die bekannten Digitalriesen als Blaupausen für die Onlinestrategien von Start-ups oder kleineren E-Commerce-Websites herhalten: Schliesslich kann das, was bei Amazon funktioniert, fürs eigene Geschäft ja nicht verkehrt sein. Von solcherlei Planspielen ist dringend abzuraten. Nutzer wissen durchaus zwischen globalen Firmen, die ihre Angebote oft alternativlos anbieten können, und dem nationalen Unternehmen, das um jeden Kunden kämpfen muss, zu unterscheiden. Oder anders formuliert: Während man Google die eine oder andere Ungehörigkeit durchgehen lässt, wird dafür beim heimischen Onlinehändler umso genauer hingeschaut.

Deshalb gilt für alle, die in ihrem Berufsalltag an der perfekten User Experience feilen: User und Kunden gehören ins Zentrum der Aufmerksamkeit und Dark Patterns in den Papierkorb.

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