Santosh Ritter im Interview

Was Visa mit Kryptowährungen und KI vorhat

Uhr

Die Digitalisierung verändert den Zahlungsverkehr – auch in der Schweiz. Santosh Ritter, Schweiz-Chef von Visa, spricht über die wichtigsten Payment-Trends wie Embedded Finance, über den Vorwurf zu hoher Interchange-Gebühren und über die Pläne, die Visa mit Kryptowährungen und generativer KI verfolgt.

Santosh Ritter, Country Manager Switzerland & Liechtenstein, Visa. (Source: zVg)
Santosh Ritter, Country Manager Switzerland & Liechtenstein, Visa. (Source: zVg)

Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell wichtigsten Trends im Zahlungsverkehr?

Santosh Ritter: Ich erlebe zurzeit, dass viele Innovationen der Nutzerfreundlichkeit dienen, ohne dass Abstriche bei der Sicherheit gemacht werden müssen, ganz im Gegenteil. Ein Beispiel dafür ist die Branchenlösung Click to Pay, welche die Kartenzahlung im Internet vereinfacht. Nach einmaliger Anmeldung entfällt das Eingeben von Kartendaten. Bei jeder Zahlung über Click to Pay mit Visa kommt gleichzeitig die Token-Technologie zum Einsatz – und unsere Analysen zeigen: Wo die Token-Technologie in Europa im Onlinehandel zum Einsatz kam, war die Betrugsrate 50 Prozent niedriger. Weitere spannende Themen sind etwa grenzüberschreitende Peer-to-Peer Payments, Instant Payments oder Open Banking.

Bargeld ist in der Schweiz ein emotionales Thema – einige haben Angst, dass es verschwindet und betrachten Lösungen fürs bargeldlose Bezahlen mit Argwohn. Können Sie das nachvollziehen?

Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Konsumenten und Händler Wahlfreiheit haben, so zu bezahlen und bezahlt zu werden, wie sie wollen. Das unterstützen wir und das spornt uns auch an, das digitale Bezahlen noch weiter zu verbessern. Ich glaube, die Vorteile des digitalen Bezahlens liegen auf der Hand: Zum einen ist es einfach und spart Wege, wie etwa zum Bankomaten. Zum anderen geht es sehr schnell an der Kasse, besonders mobil beziehungsweise kontaktlos – und kontaktloses Bezahlen an der Kasse ist inzwischen zum Standard geworden. Darüber hinaus ist es sehr sicher – denn selbst wenn einmal etwas schiefgehen sollte, greift der Haftungsschutz bei nicht autorisierten Zahlungen gemäss den AGB der kartenausgebenden Finanzinstitute. Wenn Bargeld abhandenkommt, ist es hingegen oft unwiederbringlich verloren.

Auch unter hiesigen KMUs, Händlern und Gastronomiebetrieben gibt es Vorbehalte gegenüber bargeldlosem Bezahlen, und zwar insbesondere bezüglich der neuen Debitkarten. Der Vorwurf: Visa und Mastercard würden zu hohe Interchange-Gebühren verlangen. Was sagen Sie dazu?

Jedes Zahlungsmittel kostet. Das gilt auch für Bargeld, was oft vergessen wird. Denken Sie zum Beispiel an die Personalkosten für die Abrechnung und an Kosten für Einzahlung, Wechselgeldbeschaffung oder Diebstahlrisiken. Für Händler bietet die Akzeptanz von digitalen Zahlungen dabei eine Reihe von Vorteilen. Sie können nicht nur Zahlungen aus der ganzen Welt – also auch von Touristen oder Geschäftsreisenden – annehmen, sondern Zahlungen sind für sie nach erfolgter Autorisierung auch garantiert. Nicht zuletzt erreichen sie insbesondere die jüngere Generation, die lieber digital bezahlt und vermeiden will, dass ihnen Umsätze entgehen: Unsere Marktforschung zeigt, dass 30 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer inzwischen Geschäfte meiden, in denen sie nicht bargeldlos einkaufen können. Lassen Sie mich zur Interchange-Gebühr noch einordnen: Visa erhält keinen Anteil an der Interchange-Gebühr. Die Interchange unterstützt Banken bei der Ausgabe und Verwaltung von Karten und digitalen Zahlungsmitteln. Dabei fördert sie Innovationen und die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen für Konsumenten. Die Gebühr ermöglicht es Finanzinstituten zudem, Massnahmen zur Erhöhung der Sicherheit und zur Verhinderung von Betrug zu ergreifen. Wir haben die Interchange-Gebührensätze für inländische Debit-Zahlungen hierzulande im Übrigen Mitte 2023 um durchschnittlich ein Drittel gesenkt.

Wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach der Trend in Richtung Embedded Finance in der Schweiz?

Bei Embedded Finance geht es vereinfacht gesagt darum, dass Nutzer Finanzangelegenheiten direkt innerhalb des Kanals erledigen können, in dem sie sich gerade in einem anderen Kontext bewegen. Möglich wird Embedded Finance dank APIs, die es verschiedenen Anwendungen und Akteuren ermöglichen, miteinander zu kommunizieren. Der Trend zu Embedded Finance ist sicherlich auch hierzulande relevant, denn er bietet Chancen, die Nutzerfreundlichkeit für Konsumentinnen und Konsumenten zu er­höhen.

Finanzdienstleister versprechen sich von Embedded Finance neue Umsatzquellen. Kann das auch ohne Super-Apps wie etwa Wechat oder Alipay funktionieren?

Natürlich. Im Kern geht es darum, Finanzprozesse wie etwa das Bezahlen in andere Prozesse und Anwendungen zu integrieren. Dazu ist keine Super-App notwendig. Für Embedded Finance sind Partnerschaften wichtig, ähnlich wie im Payment, das auch nur in Partnerschaften funktioniert. Dabei muss ­natürlich das gesamte Ökosystem betrachtet und aufeinander abgestimmt werden. Hier kommt uns als Netzwerk eine zen­trale Rolle zu.

Gemäss der SBVg haben Schweizer Banken die Chancen von Open Banking erkannt. Dennoch bleiben die meisten Finanzinstitute passiv und überlassen das Feld anderen Playern, wie etwa Fintechs oder Technologieunternehmen. Wie erklären Sie sich diese paradoxe Haltung der hiesigen Bankenbranche?

Das sehe ich anders. Die Finanzwelt hat schon länger erkannt, dass es wichtig ist, eine ganzheitliche Sicht auf ihre Kundinnen und Kunden zu haben. Das erleichtert es, Dienstleistungen und eine Kundenbetreuung anzubieten, die bisher noch nicht möglich waren. Mit Tink bieten wir hier API-basierte Lösungen an. Hier in der Schweiz sieht die Bankiervereinigung ebenfalls das Potenzial, das sich aus der Öffnung von Schnittstellen und der Zusammenarbeit zwischen Banken und Drittanbietern ergibt. Sie hat erst kürzlich ein gemeinschaftliches Memorandum of Understanding verabschiedet, das darauf abzielt, Multibanking-Angebote zu ermöglichen.

Visa setzt seit einigen Jahren auf künstliche Intelligenz für die Betrugserkennung. Gibt es im Unternehmen weitere Einsatzgebiete für KI oder sind welche geplant?

Bereits 1993 haben wir als erstes Zahlungsnetzwerk im Zahlungsverkehr KI-basierte Technologie für das Risiko- und Betrugsmanagement eingesetzt. Mit 30 Jahren Erfahrung sind wir bei Visa gut vorbereitet, die Möglichkeiten generativer KI zu nutzen. Generative KI wird die Art und Weise verändern, wie wir zusammenarbeiten und wie wir mit unseren Partnern und der Kundschaft interagieren. Ich glaube, sie hat das Potenzial, eine der transformativsten Technologien unserer Zeit zu werden. Bei Visa wird sie die Entwicklung neuer Produkte ermöglichen und die Produktivität unserer Mitarbeitenden steigern. Bei uns sollen bis Ende des Jahres 100 Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen mit generativer KI arbeiten. Wir erproben zudem bereits generative KI-Funktionen für die tägliche Programmierung und Prüfung unserer Software. Dies ermöglicht es unseren Entwicklerteams, von fortschrittlichen KI-Paarprogrammierungstechniken zu profitieren.

Was genau hat Visa mit Kryptowährungen vor?

Grundsätzlich sehen wir unsere Rolle darin, Brücken zu bauen, die das digitale Krypto-Ökosystem mit der Welt der traditionellen Fiat-Währungen verbindet. Wir ermöglichen es Konsumenten auf der einen Seite, digitale Assets mit ihrer Visa Karte zu kaufen (On-Ramp). Auf der anderen Seite arbeiten wir mit Krypto-Plattformen zusammen, die krypto-verknüpfte Visa Karten ausgeben. Damit können die Nutzer Krypto-Guthaben einsetzen, um einfach und komfortabel bei mehr als 100 Millionen Händlern in Fiat-Währungen zu bezahlen (Off-Ramp). Auch haben wir Partnerschaften mit Zentralbanken – hier wollen wir unsere Erfahrung und Expertise in den Entwicklungsprozess von CBDCs mit einbringen. Darüber hinaus stehen wir unseren Kunden mit unserem Crypto Advisory Service zur Seite und helfen ihnen dabei, eine Krypto-Strategie zu entwickeln. Zudem erproben wir das Potenzial des Nutzens von Blockchains für die Abwicklung von grenzüberschreitenden Zahlungen mittels Stablecoins. Hier sehen wir Chancen für Finanzinstitute und Zahlungsdienstleister, was Schnelligkeit und Komfort im Zahlungsverkehr angeht.

Angenommen, Bitcoin würde sich eines Tages als Zahlungsmittel etablieren – und es gäbe auch bedienungsfreundliche Apps für P2P-Zahlungen, fürs Bezahlen von Rechnungen, Onlineshopping usw. und fürs dezentrale Kreditwesen. Wozu bräuchte es dann noch Zahlungsabwickler wie Visa?

Visa ist ein globales Zahlungsnetzwerk und Technologieunternehmen. Unser Anspruch ist es, Verbrauchern und Unternehmen die beste Art zu zahlen und bezahlt zu werden zu bieten – und zwar weltweit in mehr als 200 Ländern und Regionen, offline wie online. Ob sie per physischer Karte oder virtuell zahlen wollen, und in welcher von über 160 Währungen, ist dabei unerheblich. Zudem bieten wir unseren Partnern eine Vielzahl anderer Leistungen. Unter anderem unterstützen wir Banken bei der Betrugserkennung und -prävention, ermöglichen die Einführung von Echtzeitzahlungen und grenzüberschreitenden B2B-Zahlungen – und wie bereits geschildert im Bereich Krypto. Kryptowährungen wie Bitcoin sehe ich im Moment eher als digitale Anlageklasse, denn als Bezahlform. Auch wenn es hier Entwicklungen und Ansätze gibt, haben sie eine hohe Volatilität und eine begrenzte Interoperabilität. Davon zu unterscheiden ist eine andere Form digitaler Währungen: Stablecoins, die aus der Payment-Perspektive aktuell interessanter und auf einem guten Weg sind, ein wichtiger Teil der digitalen Transformation von Finanzdienstleistungen der Zukunft zu werden. Weil sie die Blockchain-Rails als Zahlungs-Rails nutzbar machen.

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf den globalen Zahlungsverkehr und auf das Thema finanzielle Inklusion. Wie kann man Ihrer Ansicht nach Menschen, die bislang davon ausgeschlossen sind, am besten in den digitalen Geldverkehr einbeziehen?

Finanzielle Inklusion ist ein Thema, das uns auf der ganzen Welt bewegt. Wir sind der Überzeugung, dass eine Wirtschaft, die alle Menschen miteinbezieht, auch alle voranbringt. Daher unterstützen wir weltweit Programme, die mehr Menschen einen Zugang zu Finanzdienstleistungen ermöglichen. In Europa arbeiten wir mit Behörden zusammen, um Menschen ohne Bankkonto den Zugang zu staatlichen Leistungen und digitalen Zahlungen zu ermöglichen. Und auch die Einführung der neuen Debitkarte in der Schweiz erfüllt in gewisser Weise eine inklusive Funktion. Denn sie eröffnet Menschen, die bisher keine Kreditkarte hatten, eine neue Möglichkeit bequem und sicher im Internet zu bezahlen.
 

Webcode
WnD8PsFB