Interview mit Jürg Gabathuler, ZHAW-Dozent

Wie KI die Arbeitswelt verändert

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Jürg Gabathuler ist Dozent am Zentrum für Human Resources & Corporate Learning der ZHAW. Im Interview spricht er über die Trendwende in der Remote-Work-Bewegung, eine Arbeitswelt ohne Titel und Hierarchien und die Rolle, die künstliche ­Intelligenz dereinst im Arbeitsmarkt spielen wird.

Jürg Gabathuler, ZHAW-Dozent. (Source: zVg)
Jürg Gabathuler, ZHAW-Dozent. (Source: zVg)

Der Trend zum Homeoffice nahm während der Coronapandemie Fahrt auf, jedoch führen immer mehr grosse Unternehmen wieder die Anwesenheitspflicht im Büro ein. Ist der Trend wieder vorbei?

Jürg Gabathuler: Nein, ich glaube, durch Corona wurde ein Durchbruch erzielt. Das haben wir auch an der ZHAW deutlich gesehen. Wir haben lange daran gearbeitet, unsere Lehrveranstaltungen zu digitalisieren, aber es ging nie so richtig vorwärts. Corona zwang uns dann zur sofortigen Umstellung, und daraus ergab sich eine völlig neue Ausgangslage. Plötzlich zeigte sich, dass Homeoffice möglich ist, dass Funktionen trotzdem erhalten bleiben. Aber: Wenn man ausschliesslich im Homeoffice ist, ergeben sich bestimmte Nachteile, besonders bezüglich Innovation, Transformation und Arbeitszufriedenheit. Diese Faktoren werden im Homeoffice nicht begünstigt, sondern entstehen nur durch eine persönliche Interaktion im Büro. Deshalb glaube ich, wie es bei solchen Trends üblich ist, dass man zunächst ins Extreme fällt und sich danach wieder einpendeln muss. Unternehmen, die jetzt Schwierigkeiten mit Angestellten haben, die gerne im Homeoffice arbeiten, und Massnahmen ergreifen, um die Mitarbeitenden wieder ins Büro zu holen, befinden sich eben in der Einpendlungsphase. Man sucht nach dem Optimum, und das hängt stark von der Branche ab.

Der Spielraum für Hybrid Work hängt also vom Wirtschaftszweig ab. 

Genau, ich glaube, in Branchen, in denen Innovation und Kreativität eine Schlüsselrolle spielen, wird eher weniger Homeoffice möglich sein.

Warum?

Es gibt verschiedene Studien, die zeigen, dass innovative Leistungen durch zufällige Begegnungen und informelle Gespräche entstehen. Diese finden im Homeoffice nicht statt, sondern am Arbeitsplatz. Das wird wahrscheinlich von vielen Menschen unterschätzt. Innovation entsteht natürlich nicht, wenn ich von 8 bis 12 Uhr auf meinen Bildschirm starre. Aber die zufälligen Begegnungen in der Kaffeepause oder auf dem Gang sind es, aus denen neue Ideen hervorgehen. Durch den Austausch über Geschäftsthemen und das Hören einer anderen Perspektive entsteht eine neue Idee.

Unternehmen profitieren also von der Kreativität und Innovationskraft ihrer Angestellten, wenn diese im Büro sind. Welche unternehmensspezifischen Vorteile bietet das Homeoffice?

Unternehmen sparen vor allem Arbeitsplätze und Räume. Bei uns haben wir beispielsweise pro Mitarbeiter nur noch 0,75 Arbeitsplätze. Das bedeutet, wenn alle Mitarbeitende am selben Tag ins Büro kämen, hätte ein Viertel keinen Arbeitsplatz. Neben den räumlichen Ressourcen gibt es auch andere wirtschaftliche Vorteile, etwa weil weniger Spesen für Reisen und Verpflegung anfallen. Dann könnte man auch sagen, die Umwelt profitiert, weil weniger Leute mit dem Auto pendeln. Und natürlich gibt es Tätigkeiten, für die das Homeoffice geeignet ist. Angestellte können dann arbeiten, wenn sie am produktivsten sind.

Müssen Unternehmen ihren Angestellten beibringen, wie sie ­effizient remote arbeiten können?

Ja, das halte ich für sehr sinnvoll. Ich glaube, es ist wichtig, sowohl die Angestellten als auch Führungskräfte zu sensibilisieren und bestimmte Fragen zu klären: Was bedeutet es, wenn wir jetzt ins Homeoffice gehen? Was sind die Vorteile, was die Nachteile? Worin liegt der Sinn? Warum ermöglichen wir euch das Homeoffice? Und welche Konsequenzen hat das? Ich glaube, wenn die Leute das alles verstehen und begreifen, dass Präsenzarbeit nicht Ausdruck des Kontrollwillens eines Unternehmens ist, sondern dass zufällige Begegnungen und informelle Gespräche einen grossen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit, Innovation und Teamleistung haben, dann sind sie wahrscheinlich eher bereit, sich Regeln zu unterwerfen. Das könnte bedeuten, zweimal pro Woche dürfen wir ins Homeoffice, und dreimal treffen wir uns vor Ort im Büro. Wenn man die Leute jedoch nicht sensibilisiert und sie einfach ins Homeoffice schickt, so wie es während der Coronakrise passiert ist, und sie dann ohne Erklärung zurückholt, entstehen Konflikte. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es besonders wichtig, dass Unternehmen solche vermeiden.

Kann man Hybrid Work noch als Bonus betrachten, den ­Unternehmen Arbeitssuchenden bieten können?

Das ist inzwischen fast schon vorbei. Wenn Sie etwa in der IT-Branche tätig sind und Hybrid Work nicht anbieten, sind Sie einfach nicht mehr wettbewerbsfähig. Dort ist es kein Bonus mehr, sondern wird einfach erwartet. Natürlich gibt es noch Bereiche, in denen Hybrid Work als Bonus hervorgehoben werden könnte, aber es hängt sehr von der Branche ab. In einer Bank könnte man es noch eher als Bonus betrachten, wenn man Homeoffice dort ermöglicht, wo es funktioniert. Ich glaube, es sind eher alternative, flexible Arbeitsmodelle, die einen Unterschied machen können. Ein Wechsel zu einer 4-Tage-Woche ist etwa in Krankenhäusern möglich, aber auch in Handwerksbetrieben. Das sind Dinge, über die man sich vor Corona kaum Gedanken gemacht hat. Jetzt findet eine Diskussion darüber statt, wie man Arbeitszeiten flexibilisieren kann und vor allem, wie man Unternehmen für die jüngere Generation attraktiv machen kann, die andere Bedürfnisse in Bezug auf Freizeit hat.

Im Januar gab die Axa Schweiz bekannt, künftig auf Titel und ­Hierarchien zu verzichten. Was halten Sie davon?

Ich bin der Meinung, dass die Schlagzeilen zu diesem Thema etwas zu verführerisch sind. Bei der Axa braucht es nach wie vor Führung. Es wird immer noch Menschen geben, die bestimmte leitende Funktionen einnehmen, aber sich nicht mehr Führungskräfte nennen. Führung und Struktur wird es immer brauchen, nur in einem anderen Gewand und vielleicht nicht mehr so hierarchisch spürbar. Es ist ein grosser Fehler, zu glauben, es bräuchte keine Führung mehr. Die Verantwortung verteilt sich jetzt mehr auf ganze Teams, aber wenn diese Verantwortung von den Teammitarbeitenden nicht wahrgenommen wird, wird eine andere Instanz eingreifen und die Verantwortung einfordern. Aus meiner Perspektive ergibt der Schritt der Axa also durchaus Sinn.

Werden andere Unternehmen ähnliche Schritte unternehmen? 

Wenn das Modell der Axa erfolgreich ist, werden auch andere Unternehmen bereit sein, etwas auszuprobieren. Andernfalls ergibt sich für die anderen Unternehmen ein Wettbewerbsnachteil, wenn sich das Modell der Axa in Bezug auf Arbeitsqualität, Arbeitszufriedenheit und -geschwindigkeit als überlegen erweist.

Wie verändert die fortschreitende Digitalisierung die Einstellungen der Schweizerinnen und Schweizer gegenüber ihrer Arbeit?

Ich kann mir gut vorstellen, dass es bei Menschen, die in Branchen arbeiten, die noch wenig digital sind, derzeit Ängste gibt. Gerade künstliche Intelligenz kann zu einer Bedrohung werden für Menschen, die einer eher einfachen, repetitiven Tätigkeit nachgehen, auch weil es für diese Menschen keine einfachen Ausweichmöglichkeiten gibt. Dort fände ich es wichtig, dass Unternehmen versuchen, ihre Mitarbeitenden in Sachen Digitalisierung aktiv zu fördern. Ich kenne wenige Unternehmen, deren Digitalisierungsstrategie sich auch damit befasst, die eigenen Mitarbeitenden digital fit zu machen oder Kurse zu Themen wie KI oder ChatGPT anzubieten. Solche Tools sind ja durchaus nützliche Helfer, und solche Kurse können den Mitarbeitenden auch die Angst nehmen. Gerade für Menschen, die etwa in einem Produktionsumfeld arbeiten, ist es schwierig abzuschätzen, was eine KI kann und was nicht. Für Führungskräfte gibt es schon diverse KI-Schulungen, aber ich kenne wenige Unternehmen, die auch ihren Angestellten etwas über KI vermitteln. Das ist aus meiner Sicht ein Fehler, denn KI kommt, und sich dagegen zu wehren, ist sinnlos.

Wie wird das Thema KI die Arbeitswelt künftig noch verändern?

Wir stehen noch immer am Anfang. Es ist verrückt, ChatGPT ist kaum ein Jahr alt und schon in aller Munde. In meinen Lehrveranstaltungen an der ZHAW-IAP habe ich alle Leistungsnachweise umgestellt, weil ChatGPT genauso gute Blogbeiträge schreibt wie die meisten Studierenden. Das ist ein riesiger Impact innerhalb von zwölf Monaten, und ich bin sehr gespannt, was da noch passieren wird. Das betrifft auch meine Tätigkeit als Dozent. Wenn ich Lerneinheiten in Zukunft mit künstlicher Intelligenz erstellen kann, muss ich mir auch Gedanken machen, wie sich mein Job in den nächsten 10, 15 Jahren verändern wird.

Kann man schon von "Work 5.0" sprechen, dem Zeitalter der KI?

Ja, ich glaube, das kann man durchaus so sagen.

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