BI-Tools

BI ermöglicht immer bessere Prognosen, verleitet aber gleichzeitig zu Kontrollwut

Uhr | Aktualisiert
von Simon Zaugg

Business Intelligence und riesige Datensätze gibt es schon seit längerer Zeit. Doch jetzt werden zuverlässige Prognosen aufgrund der wirtschaftlich unsicheren Lage aktueller denn je. Aber aufgepasst: Der unüberlegte Einsatz von BI-Tools kann mehr Schaden anrichten, als er nützt.

Managementberater Lukas Michel von Sphere Advisors hat bereits in seiner Antwort auf die Interviewanfrage angekündigt, dass er eine "ganz andere Sichtweise" zu Business Intelligence (BI) geben werde. Und er kommt beim Gespräch gleich auf den Punkt: Neulich bei einem Geschäftsleitungsworkshop zeigte ihm ein Manager sein neustes Performance-Management-Tool. Er erzählte Michel stolz, dass er auf dem Bildschirm mit einer anschaulichen Visualisierung die Fortschritte bei allen laufenden Projekte und Daten zu jedem Mitarbeiter abrufen könne.

Die Begeisterung hielt sich indes bei Michel in Grenzen. Er selbst findet den Nutzen neuer technischer Möglichkeiten für die Performance-Analyse zwar nicht per se schlecht. Doch er ist skeptisch: "Manager verbringen heute immer mehr Zeit damit, schöne Grafiken anzuschauen. Die Ressourcen Zeit und Aufmerksamkeit sind knapp. Es ist nicht die Aufgabe des Chefs, ständig alles und jeden zu kontrollieren." Gleichzeitig zementierten die Daten einen «alten Führungsstil», die dem Chef noch mehr Informationen, sprich Macht, in die Hand geben. "Die Mitarbeiter haben dadurch das Gefühl, dass der Chef ihnen ständig auf die Finger schaut. Ein optimales Umfeld nach modernen Führungsgrundsätzen sieht anders aus", so Michel.

Das bekannteste Beispiel für die "Überwachung" von Mitarbeitern dürfte Google sein. Der Suchmaschinenkonzern entwickelte, wie das "Wall Street Journal" 2009 erstmals berichtete, einen Algorithmus, der möglichst früh kündigungswillige Mitarbeiter eruiert. Daraufhin kann das Unternehmen frühzeitig reagieren und zu verhindern versuchen, dass der kündigungswillige Mitarbeiter das Unternehmen verlässt.

Der Google-Algorithmus ist gleichzeitig ein anschauliches Beispiel für eine weitere Entwicklung: Es steht nicht mehr "nur" die Auswertung bestehender strukturierter Datensätze etwa aus ERP-Systemen oder Unternehmensdatenbanken im Zentrum. Vielmehr versucht man mit Konzepten wie Predictive Analytics, die Datenbasis dank nun verfügbarer Rechenleistung und ausgeklügelten Algorithmen direkt für Zukunftsprognosen zu nutzen. Dazu kommen die Big Data, der exponentiell wachsende Datenberg an unstrukturierten Textdaten beispielsweise aus den sozialen Netzwerken oder Sensoren in Smartphones, GPS-Daten oder Satelliten.

Zusätzlich kommt die unsichere wirtschaftliche Lage als Argument für den Einsatz von Analysetools ins Spiel. "Wer hätte im letzten Jahr gedacht, dass der vermeintlich so stabile Schweizer Franken so grossen Schwankungen unterliegt", sagt Volkswirt und BI-Experte Karlheinz Schwer von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). "Dieser Umstand erhöht das Bedürfnis nach zuverlässigen Prognosen", so Schwer. Josef Schmid vom Analysesoftware-Anbieter Dynelytics (ehemals SPSS) kennt gar noch einen weiteren Grund für den steigenden Bedarf an verlässlichen Prognosen: "Der Kostendruck und der Wettbewerb zwingt Firmen heute dazu, sich kompetitiver aufzustellen." Laut Schmid hat die Schweiz im Vergleich zum angelsächsischen Raum noch erheblichen Nachholbedarf.

BI laut CIOs Top-Thema 2012

Derweil hat BI in der Prioritätenliste von mehr als 2000 nordamerikanischen und europäischen CIOs laut Marktforscher Gartner die Cloud vom Spitzenplatz verdrängt (siehe Tabelle unten). Auf dem zweiten Platz folgt Mobile. Cloud Computing ist neu auf dem dritten Platz klassiert. Das Institut sieht die wichtiger gewordene BI als Anhaltspunkt dafür, dass die CIOs die IT nebst dem Kostensenken zunehmend dazu nutzen, das Business besser zu unterstützen und Innovationen zu ermöglichen.

Eine Kapazität, wenn es um Big Data und Analytics geht, ist zweifelsohne IBM. Dies macht Uwe Höhne, Leiter Business Analytics & Optimization, gleich zu Beginn des Gesprächs klar: "IBM will seine führende Rolle im Markt für Analytics-Lösungen und Beratungsleistungen ausbauen und hat in den letzen fünf Jahren weit über 10 Milliarden US-Dollar in entsprechende Lösungen und Kompetenzen investiert." Einerseits könnten Unternehmen dank BI und Analytics ihre Angebote besser auf die Endkunden zuschneiden, so Höhne. Im Zentrum stünden andererseits die Minimierung von Risiken durch den Einsatz von entsprechenden Tools. Besonders die Finanzindustrie habe Nachholbedarf. Genauso wie exportorientierte KMUs, die Währungs- und Absatzrisiken besser kalkulieren müssen.

Ein Beispiel der sogenannten prognostischen Analytik beschreibt Giuseppe Scattarreggia, Technical Manager Schweiz beim BI-Anbieter Information Builders: "Der US-Gebrauchtwagenfinanzierer Dealer Services Corporation nutzt eine Kombination aus BI und Predictive Modeling, um die Kreditrisiken von Händlern beim Autoverkauf genauer einschätzen zu können." Vor Einführung der heutigen Lösung habe die durchschnittliche Ausfallquote der Kredite 27 Prozent betragen. Dabei sei die Risikobewertung rein subjektiv gewesen. Mit der neuen Lösung beruhe die Einschätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit auf Fakten. "Durch eine Kundensegmentierung liess sich zunächst einmal die Ausfallquote in den einzelnen Gruppen ermitteln", so Scattarreggia. "Das schlechteste Segment hatte eine Ausfallquote von 52 und das beste eine von 8 Prozent. Wichtig an der Stelle sind natürlich auch Werkzeuge, mit denen die Qualität der Daten, die in das Modell eingehen, begutachtet und sichergestellt wird." Allein durch eine restriktivere Vergabe von Krediten an die riskantesten Klienten habe sich die durchschnittliche Ausfallquote von 27 auf 22 Prozent senken lassen.

Erfolgsfaktor Technologie

Die Gründe, warum derzeit dennoch längst nicht alle in Begeisterungsstürme über die heutigen Analysetools ausbrechen, sind indes vielfältig. "Der Endanwender bekommt etwas vorgesetzt, das zwar tolle Funktionalitäten hat, aber am Bedürfnis vorbeigeht", sagt Schwer. Als eine der Hauptanwendergruppen sieht er die CFOs. Bei den Finanzchefs kommen die Unternehmenszahlen zusammen. Sie müssen die richtigen Schlüsse ziehen und Handlungsempfehlungen abgeben. "Die Technologie wird da immer stärker zum Erfolgsfaktor", ergänzt Schwer.

 Siegfried Hampl (S. Hampl & Partner), der neben seiner beruflichen Tätigkeit zusätzlich Leiter des Schweizer Ablegers des Internationalen Controllervereins ist, kennt die Bedürfnisse der CFOs. Er berät Unternehmen beim Aufbau und der Reorganisation von Accounting- und Controlling-Organisationen und bestätigt, dass zur Sicherstellung der Datenqualität heute ein sehr hoher manueller Aufwand betrieben werde. "Die ungeprüfte Aggregierung der Basisdaten aus den jeweiligen Geschäftsprozessen zu Reportinginformationen und Kennzahlen führen zu umfangreichen manuellen Abstimmungen und Korrekturen. Diese erfolgen häufig zentral auf aggregierter Ebene und in den jeweiligen Reportingsystemen und werden nicht an der Basis verbessert", so Hampl.

Er sieht jedoch einen klaren Trend hin zu proaktivem Datenqualitätsmanagement und der Einführung von Cockpits, die eine einfache Validierung der Daten zulasse. Eine weitere Entwicklung werde sein, dass sich Controller in Zukunft weniger mit der Aufbereitung des Zahlenmaterials beschäftigen müssen und sich dadurch stärker auf die Rolle als Businesspartner für das Management konzentrieren können.

Vermittlerrolle fehlt

Eine Vermittlerrolle zwischen Technik und Management ist eine Lücke, die heute noch vielerorts klafft. Berater Michel sieht genau da Optimierungsmöglichkeiten. "Die IT auf der einen Seite stellt tolle Tools bereit. Das Management auf der anderen Seite muss mit den ausgespuckten Resultaten arbeiten. Meines Erachtens müsste die IT heute viel stärker dafür sorgen, dass das Management nicht nur schöne Grafiken bekommt, sondern auch effizienter arbeiten kann." Schon vor der Anschaffung neuer Tools, so viel ist für Schmid von Dynelytics klar, muss das Unternehmen die Ziele klar definiert haben, die es damit erreichen will.

Besonders gefragt seien heute Freitext-Analysen und Ad-hoc-BI, denn "man hat weder Zeit noch Geld, ganze BI-Kapazitäten von Grund auf aufzubauen." Und langsam aber sicher komme auch die Realtime-Integration, so Schmid. Diese Prognosen decken sich mit den Trendvoraussagen von BI-Spezialisten. Sie verknüpfen moderne BI zusätzlich mit anderen technologischen Trends wie Mobile, Social oder der Cloud. Sind die Daten entsprechend aufbereitet, können Anwender Mission-Critical-Businessinformationen auf ihren unterschiedlichen Endgeräten sichten, weiter analysieren und Daten in den Quellsys¬temen ändern. Das Ergebnis ist eine schnel¬lere Entscheidungsfindung.
Zudem hat Gartner in einer Ende Januar publizierten Umfrage herausgefunden, dass immer mehr Unternehmen BI-Anwendungen in der Cloud benutzen. Ein Drittel der 1364 befragten CIOs nutzt bereits entsprechende Tools oder plant, dieses Jahr Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Dabei nutzen sie die bekannten Vorzüge der Cloud, Leistungen in kurzer Zeit implementieren zu können, nicht riesige Investitionen tätigen und entsprechen¬des internes Know-how aufbauen zu müssen.

Hardware da, aber noch teuer

Dazu kommen neue Möglichkeiten in der Hardware wie In-Memory-Appliances. Diese nutzt den gegenüber der Festplatte erheblich schneller zugreifbaren Arbeitsspeicher des Computers zur Datenspeicherung und ermöglicht damit gegenüber den herkömmlichen Anwendungen Auswertungen mit höherer Performance. Damit können auch sehr grosse Datenmengen direkt aus der operativen Anwendung herausgezogen und analysiert werden.

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick zurück an die Hausmesse des Softwarehauses SAP Ende 2011. Dort illustrierte Udo Patzelt von AOK Systems die Möglichkeiten von "SAP HANA". AOK Systems ist der für die IT verantwortliche Dienstleister des grössten deutschen Krankenversicherers AOK. Die Suche, wie viele Versicherte eine bestimmte Krankheit schon hatten, war zwar nicht kürzer. Doch das Kombinieren mit allen möglichen weiteren Daten (z. B.: Wo kommt die Krankheit am häufigsten vor? Wie sehen Krankheitsverläufe aus?) dauerte mit "HANA" statt 150 Stunden nur noch 20 Minuten. Sehr oft, so witzelte Patzelt, müsse man sich bei Tests von neuen Produkten überlegen, wie man eher dürftige Ergebnisse "schönreden" könne. Bei "HANA" sei es dagegen gerade umgekehrt. Die Ergebnisse seien so verblüffend gewesen, dass er Angst gehabt habe, dass man ihm nicht glauben würde. Die Appliances, insbesondere SAP, bewegen sich allerdings preislich noch in relativ hohen Sphären, wie bei der Recherche durchdringt.

Die technologischen Möglichkeiten sind also beinahe unergründlich. Der gezielte und effiziente Umgang mit Analyseresultaten bleibt indes eine Knacknuss. Ein gutes Bild, um die eingangs erwähnte Kontrollwut der Chefs zu entschärfen, gibt Schwer: "BI-Software ist vergleichbar mit einem Messer. Ich kann damit jemanden bedrohen oder es ihm geben, um Brot zu schneiden", so Schwer. "Ein Ansatz könnte deshalb sein, dass auch der Mitarbeiter vermehrt BI-Werkzeuge bekommt, um eine bessere Informationsbasis für seinen Job zu bekommen, anstatt dass der Chef BI-Software bekommt, um den Mitarbeiter zu kontrollieren."

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