Finnova Session #5

Die Jagd auf Oligarchengelder und ihre Folgen für den Finanzplatz Schweiz

Uhr

Die Sanktionen gegen Russland stellen den hiesigen Finanzplatz erneut auf die Probe. Wie sich die Schweizer Aussenpolitik auf die Zukunftsfähigkeit der Bankenbranche auswirkt, diskutierte alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey mit den Teilnehmern der fünften Ausgabe der Finnova Sessions.

(Source: Claudio Schwarz / Unsplash.com)
(Source: Claudio Schwarz / Unsplash.com)

Verschwiegenheit und Geheimniskrämerei: einst ein Markenzeichen, heute ein Reputationsproblem für die Schweiz. Schon wieder. Fünf Jahre nach dem offiziellen Ende des Bankgeheimnisses – respektive seit der Einführung des automatischen Informationsaustauschs in Steuersachen – und nur wenige Monate nach dem sogenannten Suisse-Secrets-Leak zieht erneut ein Schatten über dem Finanzplatz auf. Tut die Schweiz genug, um russische Vermögen zweifelhafter Herkunft aufzuspüren und zu sperren? Oder schaut sie weg, wenn Oligarchen Schlupflöcher im hiesigen Geldwäschereigesetz ausnutzen, um Vermögenswerte vor Sanktionen zu schützen?

Kritiker aus dem In- und Ausland erwarten jedenfalls, dass die Schweiz aktiver nach verbotenen Oligarchengeldern sucht. Und dass man Anwältinnen, Notare, Treuhänderinnen und Finanzberater dazu verpflichtet, sanktionierte Kundinnen und Kunden zu melden. Die Forderung bringt die Politik allerdings ins Schwitzen: Unternimmt sie nichts, gerät die Schweiz womöglich als Gehilfin Putins in Verruf. Andererseits wäre eine finanzpolizeiliche Oligarchenjagd hierzulande jenseits jeder Rechtsstaatlichkeit, wie Rechtsprofessor Peter Kunz gegenüber dem "Tagesanzeiger" sagte.

Ein pragmatischer Weg aus diesem vermeintlichen Dilemma besteht in einem politischen Kompromiss, der keine Partei ergreifen, aber dennoch eine klare Haltung vermitteln soll. Man schlägt sich weder auf die eine, noch auf die andere Seite eines Konflikts, sondern auf die Seite des Rechts – so umschrieb die ehemalige Bundesrätin Micheline Calmy-Rey den von ihr geprägten Begriff der aktiven Neutralität. Wie wirkt sich diese Auslegung der aussenpolitischen Ziele der Schweiz auf die Zukunftsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes aus? Darüber diskutierte die alt Bundesrätin mit den Teilnehmern der fünften Ausgabe der Finnova Sessions.

Diplomatie auf der Wartebank

Zum Auftakt zog Calmy-Rey eine ernüchternde Zwischenbilanz. Seit fast vier Monaten führt der russische Präsident Wladimir Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine – und dennoch: "Die Zeit für Diplomatie ist noch nicht gekommen", sagte die ehemalige Aussenministerin. Dies werde auch so bleiben, so lange die Parteien weiterhin der Meinung seien, sie könnten den Krieg gewinnen. "Ein Sieg der Ukraine wäre zwar ein bevorzugtes Szenario, birgt jedoch die Gefahr, dass Russland Atomwaffen einsetzt und einen globalen Krieg auslöst."

Micheline Calmy-Rey, ehemalige Bundespräsidentin und Aussenministerin der Schweiz. (Source: Screenshot)

Eine vorzeitige Beilegung des Konflikts würde aber einen Teilsieg für Russland bedeuten, da die russische Regierung in der Lage wäre, mehr ukrainisches Territorium zu erobern als bereits 2014 mit der Annexion der Krim. "Und es stünde der Russischen Föderation frei, die Feindseligkeiten wieder aufzunehmen, wann immer sie dies für notwendig erachtet."

Das "andere Gesicht der Globalisierung"

Ohne Aussicht auf eine kurzfristige Lösung gerät der Krieg in der Ukraine ins Stocken und führt zu schweren globalen Energie- und Nahrungsmittelkrisen, wie Calmy-Rey sagte. Somit untergrabe der Krieg die Prinzipien der Globalisierung wie beispielweise das Argument, wonach der Handel den Frieden fördere. Und es scheint, als drohe in ganz Europa ein Rückzug ins Nationale.

Die Vorstellung von einer Deglobalisierung sei jedoch unrealistisch. Denn die Regierungen richteten ihre strategischen Abhängigkeiten neu aus, sagte die ehemalige Bundespräsidentin: Der Westen versucht, seine Energieabhängigkeit von Russland zu brechen, indem er Öl und Gas aus den USA, Norwegen, Algerien, Saudi-Arabien, Iran, Katar oder Venezuela bezieht. Durch dieses "andere Gesicht der Globalisierung" entstehe allerdings die Gefahr einer wirtschaftlichen Abkoppelung, und zwar zwischen den westlichen Ländern auf der einen Seite und China und seinen Verbündeten auf der anderen Seite. "China, das den Angriff Russlands nicht verurteilt hat, läuft Gefahr, in eine direkte Konfrontation mit den USA und Europa zu geraten – insbesondere wegen Taiwan", sagte Calmy-Rey und ergänzte: "Nun beginnt eine gefährliche Fragmentierung der Wirtschaft."

Keine Neutralitätspolitik ohne Sanktionsregime

Welchen Platz soll die Schweiz in dieser auseinanderdriftenden Welt einnehmen? Was den Krieg in der Ukraine betrifft, gilt das Neutralitätsrecht, wie die alt Bundesrätin sagte. Das heisst: Die Schweizer Regierung verbietet die Ausfuhr von Kriegsmaterial an die Kriegsparteien, setzt aber die von der EU beschlossenen Sanktionen um. "Hätten wir gegen die Russische Föderation, die sich einer militärischen Aggression schuldig gemacht hat, keine Sanktionen verhängt, wären wir mit Sicherheit das Ziel von Vergeltungsmassnahmen der USA und der NATO-Mitgliedsstaaten geworden." Denn die Enthaltung der Schweiz hätte es ermöglicht, die Sanktionen zu umgehen und zu schwächen, was wiederum bedeutet hätte, sich auf die Seite des Aggressors zu stellen.

Sanktionen zu verhängen ist das eine, sie durchzusetzen etwas anderes. Nach Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) sind bis dato russische Vermögenswerte im Wert von nur 6,3 Milliarden Franken eingefroren. Das ist nicht gerade viel im Vergleich zur Schätzung der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg), die von 150 bis 200 Milliarden Franken spricht, die russische Kundinnen und Kunden allein auf Schweizer Banken deponiert haben sollen.

Von Briefkastenfirmen und Berufsgeheimnissen

"Über unserem Land schwebt also ein Geheimnis: das Geheimnis der Oligarchen", sagte Calmy-Rey. Scheinbar lässt es sich nicht so leicht lüften. Zumindest gibt es Schwierigkeiten, die verbotenen Oligarchengelder aufzuspüren – aus verschiedenen Gründen. Das SECO, das die Sanktionen nach dem Embargo-Gesetz durchsetzen soll, hat keine polizeilichen Durchsetzungskompetenzen und arbeitet nicht proaktiv. Man hat es mit komplexen Offshore-Finanzkonstrukte zu tun, die über Briefkastenfirmen laufen, von denen man aufgrund fehlender Transparenzregister kaum weiss, wer tatsächlich dahintersteckt. Und vor allem gibt es das Anwaltsgeheimnis, das es möglich macht, solche Finanz- und Firmenkonstrukte zu schützen.

Micheline Calmy-Rey: "Das Geheimnis um die bei uns versteckten Vermögen der Oligarchen belastet den Ruf unseres Landes." (Source: Screenshot)

Der internationale Druck steigt. Besonders kritisch äusserte sich die US-amerikanische Helsinki Commission, in der 18 US-Parlamentarierinnen und- Parlamentarier sitzen. Der Vorwurf dieser Kommission für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa: Die Schweiz helfe seit langem ausländischen Schwerverbrechern und führe diese Tradition nun fort, indem sie sich weigere, die Sanktionen gegen Russland ernsthaft umzusetzen. Und obwohl die offizielle Schweiz diese Vorwürfe vehement zurückweist, lassen sie sich nicht einfach so von der Hand weisen, wie der emeritierte Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth gegenüber dem "SRF" sagte. Seiner Ansicht nach müsste die Schweiz das Anwaltsgesetz oder das Geldwäschereigesetz erneut revidieren.

"Auf die Frage, ob der Finanzplatz Schweiz für die Zukunft gerüstet ist, möchte ich antworten, dass dies nicht selbstverständlich ist", sagte Calmy-Rey zum Schluss ihres Referats. Die Durchsetzung des Sanktionsregimes werde die Schweiz wahrscheinlich noch lange beschäftigen. Und: "Das Geheimnis um die bei uns versteckten Vermögen der Oligarchen belastet den Ruf unseres Landes – so wie seiner Zeit die Steuerhinterziehungsaffären."

Micheline Calmy-Rey: "Ich wünsche mir eine selbstbewusste Schweiz, die weiss, was sie will." (Source: Screenshot)

Mehr Mut zur Regulierung

Die Frage bleibt, was zu tun ist. Wie könnte eine aussenpolitische Zukunftsvision für die Schweiz aussehen? "Ich wünsche mir eine selbstbewusste Schweiz, die weiss, was sie will, sich engagiert, sich gegenüber anderen Ländern solidarisch zeigt und fähig ist, Brücken zu bauen", sagte Calmy-Rey im anschliessenden Podiumsgespräch.

Ebenfalls für mehr Selbstbewusstsein, allerdings vor allem bezüglich der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Innovationen, plädierte Ante Plazibat, Leiter des Bereichs Emerging Business bei Finnova. Die EU sei in puncto Regulierung teilweise sehr langsam – "ich wünschte mir, dass sich die Schweiz stärker darum bemüht, diesen Vorteil, selbstständig regulieren und so Technologien vorantreiben zu können, besser auszunutzen". Auf dem Gebiet der Blockchain-Technologien funktioniere das gut. Hier habe sich die Schweiz eine Vorreiterrolle erarbeitet, sagte Plazibat. Im Finanzsektor sei hingegen mehr Mut gefragt, was Regulationen betrifft.

Die Gestaltungsmöglichkeiten für Bankenregulierung sind allerdings beschränkt, wie Christoph Basten, Assistenzprofessor für Banking an der Universität Zürich, zu bedenken gab. Über die Grundzüge entscheidet nämlich der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht. Je nach Jurisdiktion gibt es zwar Ermessungsspielraum für die Umsetzung – doch dieser Spielraum ist begrenzt.

Zudem sei die hiesige Bankenregulierung im Vergleich zu anderen OECD-Staaten in nur einem Punkt weniger strikt, und zwar im Bereich der Geldwäsche. Da stellt sich die Frage: Ist das gut oder schlecht? "Weniger strenge Geldwäschereigesetze bieten den Schweizer Banken zunächst einmal mehr Chancen", sagte Basten. "Doch wenn die USA oder die EU eine striktere Regulierung haben, dann besteht immer das Risiko, dass hiesige Finanzinstitute dortige Regeln verletzen und schliesslich Probleme kriegen."

Christoph Basten, Assistenzprofessor für Banking an der Universität Zürich. (Source: Screenshot)

Insofern müsste jegliche neue Form von Regulierung durchaus konsistent sein mit dem, was in anderen Märkten passiere. "Wir brauchen Zugang zum europäischen Markt und am US-amerikanischen Department of Justice kommen auch Schweizer Banken nicht vorbei."

Auch bei der Technologisierung brauche es globale, und nicht mehr nationale Abkommen, ergänzte Ante Plazibat. Dasselbe gelte auch für das momentan dringendste Problem für den Schweizer Finanzplatz: den Rohstoffhandel. Einige Commodity-Trader würden mittlerweile den EU-Sanktionen folgen. Die Konsequenz: Russische Rohstoffhändler wandern nach und nach von Genf und Zug nach Dubai ab. "Und wir müssen damit rechnen, dass weitere russische Wirtschaftspartner ihre Geschäfte in den Osten verlagern."

Andreas Schaffner (l.), ehemaliger Chefredaktor von CNN Money im Gespräch mit Ante Plazibat, Leiter des Bereichs Emerging Business bei Finnova. (Source: Screenshot)

Für die Banken hatte Plazibat immerhin eine gute Nachricht parat, die allerdings nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hat, sondern mit der digitalen Transformation zusammenhängt. Durch die Digitalisierung seien die Eintrittsbarrieren in den Finanzplatz kleiner geworden, was dazu geführt habe, dass die Wertschöpfungskette aufbrach. Das klingt zwar nach Kontrollverlust, bietet den Banken jedoch die Chance, ihr Geschäftsmodell neu zu gestalten, wie Plazibat sagte. "Banken können heute nicht nur Banking anbieten, sondern als Orchestrator fungieren und vollumfängliche Customer Journeys befriedigen." Das setze allerdings voraus, dass die Banken damit anfangen, holistischer zu denken und Bankgeschäfte nicht mehr als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck konkreter Problemlösungen begreifen.

Die Podiumsdiskussion an der fünften Finnova Session (v.l.): Christoph Basten, Micheline Calmy-Rey, Andreas Schaffner und Ante Plazibat. (Source: Screenshot)

Mit dem Format der Finnova Sessions will die Lenzburger Bankensoftwareschmiede Diskussionen über Themen anregen, die den Markt bewegen, wie Hendrik Lang, CEO von Finnova, zum Auftakt der aktuellen Ausgabe sagte. Die erste Veranstaltung drehte sich um das Thema "Banking der Zukunft" - das Eröffnungsreferat hielt die IT-Ökonomin und Unternehmerin Sita Mazumder, die fünf Thesen zur Zukunft des Finanzwesens formulierte. In Session-Nummer zwei ging es um Open Banking in der Schweiz. Thierry Kneissler, ehemaliger CEO und Mitgründer von Twint, gab einen Überblick über den Markt für Embedded Finance und erklärte, warum sich Banken so schwer damit tun. Die dritte Ausgabe drehte sich um das Thema "Man vs. Machine": Der Publizist, Ökonom und ehemalige SRG-Generaldirektor Roger de Weck sprach über das schwierige Verhältnis zwischen Mensch und Maschine - und über die Frage, ob Deep Learning einen Paradigmenwechsel darstellt. Und die vierte Session stand ganz im Zeichen der nächsten Generation: Was können Finanzinstitute tun, um die Erwartungen von morgen nicht heute schon zu enttäuschen? Antworten und Anregungen lieferte Tillmann Lang, Mitgründer und CEO von Inyova.

Webcode
DPF8_260681