Finnova Session #4

Was junge Menschen von Banken und der Arbeitswelt erwarten

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von Joël Orizet und gpa

Wie tickt die nächste Generation? Und was können Finanzinstitute tun, um die Erwartungen von morgen nicht heute schon zu enttäuschen? Antworten gab es an der vierten Ausgabe der Finnova Sessions.

(Source: Markus Spiske / Unsplash.com)
(Source: Markus Spiske / Unsplash.com)

Was eine Generation ausmacht, sind vor allem in der Jugend gemachte gemeinsame, prägende Erfahrungen – diese Vorstellung geht zurück auf den Soziologen Karl Mannheim. In seinem Ende der 1920er Jahren publizierten Aufsatz über "Das Problem der Generationen" (PDF) plädierte er dafür, Generationen nicht einfach nur durch Jahrgänge zu definieren, sondern durch historische Erlebnisse, die später zu generationsspezifischen Einstellungen und Werten gerinnen. Doch das Konzept hat einen Haken: Man braucht die Brille des Historikers, um zu erkennen, welches Ereignis sich zum ausschlaggebenden "Generationenerlebnis" entwickelt hat. Aus heutiger Sicht kann man zwar darüber streiten, ob nun eine "Generation Greta" oder eine "Generation Corona" heranwächst. Viel sinnvoller ist es jedoch, junge Menschen zu fragen, was sie beschäftigt, bekümmert und begeistert. Denn ihre Antworten sind nicht nur wertvoll, sondern oftmals auch viel schlauer als das, was ältere Semester über die heutige Jugend von sich geben.

Wer von jungen Menschen etwas lernen will, sollte ihnen gut zuhören. "Vielleicht hilft uns das, bessere Produkte zu machen, bessere Unternehmen zu bauen und Krisen besser als Chance zu nutzen", sagte Tillmann Lang, Mitgründer und CEO von Inyova, an der vierten Finnova Session. Die für dieses Jahr letzte Ausgabe der Veranstaltungsreihe bot denn auch Platz für ein Gespräch zwischen jungen klugen Köpfen, die sich selbst die Fragen stellten: Was bewegt und motiviert die sogenannte Generation Z? Wie will sie leben und arbeiten? Und was hält sie von Geld und den Banken?

Kurzfristige Rendite statt Zukunftsorientierung

Den Anstoss zum Gespräch machte Lang mit einigen Beobachtungen zum Wertewandel. Doch zunächst beschrieb der promovierte Mathematiker und Unternehmer das, wie er es nannte, "vielleicht grösste Problem im heutigen Kapitalismus" wie folgt: "Das Kapital ist ausser Rand und Band, denn die Eigentümer haben den Raum verlassen." Und was machen die Unternehmen? Sie würden von Top-Managern und Minderheitsinvestoren getrimmt – "auf kurzfristige Kurssteigerungen und auf übertriebenen Shareholder Value für eine kleine Gruppe von Menschen". Und das sei im Grunde genommen grotesk, sagte Lang. "Denn wir alle sind Eigentümer." Zumindest indirekt, und zwar "durch die Gelder in unseren Pensionskassen, Vorsorgeleistungen, in den Lebensversicherungen und Bausparverträgen, sowie durch die Gelder auf unseren Sparkontos und unseren Investmentportfolios".

Tillmann Lang, Mitgründer und CEO von Inyova. (Source: Screenshot Netzmedien)

Doch auch die indirekten Eigentümer hätten ihre Macht und Verantwortung delegiert. An Fondsmanager, an Vermögensverwalter und andere Finanzprofis. "Mit dem bedauerlichen Resultat, dass wir heute einen starken Fokus auf das nächste Quartal haben und einen viel zu geringen Fokus gauf unsere gemeinsame Zukunft", sagte Lang. Wenn er mit Jugendlichen über diese Themen spreche, sei die Reaktion immer gleich: Feuer, Frustration, aber auch viel Enthusiasmus. Warum diese Leidenschaft? Lang erklärt es sich durch eine grundlegende Veränderung im Selbstverständnis von uns Menschen. Er erläuterte diese These anhand von 5 Beobachtungen, die sich um die Interaktion von Mensch, Konsum und Technologie drehen.

1. Der Wandel zum bewussten Konsumenten

Der "bewusste Konsument" fordere moralischen Verhalten ein, sagte Lang. Das sehe man in so gut wie allen Lebensbereichen: Speisepläne in den Restaurants würden vegetarischer, mehr und mehr Menschern verlangten CO2-freien Strom und die Wählerinnen und Wähler aller Parteien belohnten immer mehr Grünes in den Parteiprogrammen.

"Marken und Firmen sind heute moralische Wesen", was sich vor allem in Social Media zeige. Am Weltfrauentag oder am Human Rights Day sei Instagram voll mit "inspirierenden Pledges und Statements" der Unternehmen. Dahinter steht der Versuch, sich aus ökonomischen Gründen als moralische Organisation zu inszenieren. "Die Moral mag dabei nicht immer gewinnen – die Unternehmen haben viele Möglichkeiten, sich durchzutricksen – aber die Menschen versuchen inzwischen viel aktiver, zwischen gut und schlecht zu unterscheiden. Und das lassen sie in ihre Konsumentscheidungen einfliessen."

2. Wir bewundern die Macher wieder mehr als die Karrieristen

Nach seinem Studienabschluss 2009 sei man sich einig gewesen, sagte Lang: Für den Berufseinstieg gibt’s nur eine lukrative Option, nämlich die Strategieberatung. Das Investmentbanking hatte diesen Status im Zuge der Finanzkrise gerade erst verloren. Und so sei klar gewesen: "Wer Prestige, Macht und gute Löhne wollte, der musste ins Consulting." Doch schon wenige Jahre später habe sich dies geändert. Das Unternehmertum wurde schnell zu einer vielversprechenden Alternative, wie Lang sagte.

"Selbermachen statt etablierten Karrierepfaden zu folgen, war plötzlich mindestens genauso prestigeträchtig – egal, ob als Start-up-Gründer oder als Social Media Influencer". Das zeige sich heute im Web: "Die Generation Z und die Millennials kreieren die Inhalte, die Generation Y kommentiert und verteilt und die Boomer-Generation konsumiert Inhalte."

3. Für die Suche nach dem Sinn des Lebens muss man sich nicht mehr schämen

Yoga, Chia-Samen, Kombucha und ganz allgemein die Suche nach dem Sinn – das sei heutzutage nicht mehr nur etwas für Hippies und Esoteriker, sondern auch für die Breite der Gesellschaft. Auch die junge Datenwissenschaftlerin, der junge KI-Coder im Silicon Valley und der Top-Banker in der Schweiz gehen inzwischen ganz selbstverständlich mit Themen um wie Meditation und Achtsamkeit, wie Lang sagte.

"Um die Top-Talente der Welt zu rekrutieren, müssen Firmen heute Sabbaticals und Teilzeitarbeit anbieten." Dies, um den Talenten Raum zu geben, um sich mit sich selbst zu beschäftigen.

4. Digital muss heute menschlich sein

Digitale Lösungen müssten heute menschlich rüberkommen, sagte Lang und nannte als Beispiele etwa "Conversational Surveys" und automatisierte Chats, die "mit völliger Selbstverständlichkeit Emojis und warme Worte einsetzen".

Empathie denn auch zum zentralen Skill in der Arbeitswelt geworden, "und zwar für Menschen genauso wie für Maschinen und Technologien". Das funktioniere schon ziemlich gut: KI-Modelle würden inzwischen als vollautomatisierte Tools zur Suizidprävention eingesetzt, wobei Chatbots die Gespräche mit akut Suizidgefährdeten führten – "mit erstaunlichem Erfolg", sagte Lang.

5. Unsere Werte und Meinungen werden von KI geprägt …

Und manchmal von ihr auf den Kopf gestellt. Das sei vermutlich die grundlegendste Beobachtung, sagte Lang. Moderne Technologie verändere nicht nur unsere Jobs. Social Media, Kaufempfehlungen, autonomes Fahren, Übersetzungsroboter, Dating-Apps, vorselektierte News-Feeds, Siri und Alexa – all diese Dinge veränderten unsere ganze Lebensweise, unsere Erfahrungen und zwischenmenschlichen Interaktionen.

"KI und Algorithmen beeinflussen, welche Lieder wir hören, welche Bücher wir lesen, welche Fernsehshows und Serien wir anschauen, welche Menschen wir kennenlernen und worüber wir mit den Menschen sprechen, welche Diskussionen und Meinungen wir verfolgen." Auf diese Weise beeinflussen Algorithmen unsere innersten Werte, unsere Glaubensgrundsätze und die Beziehungen mit unseren Mitmenschen. "Man kann sich gar nicht genug vor Augen führen, wie tiefgreifend KI schon heute, schon seit Jahren in unser Menschsein eingreift", sagte Lang und folgerte daraus: "Wir sind schon heute viel weniger autonom als wir denken."

Die Diskussionsrunde im Anschluss an das Impulsreferat. (Source: Screenshot Netzmedien)

Selbstbezogenheit ist auch eine Frage des Alters, aber nicht der Generation

Was halten junge Menschen von solchen Einschätzungen? Wie sehen sie sich selbst als Teil der Gesellschaft? Und was treibt sie an? Auf letztere Frage heisst es in den meisten Fällen: Spass haben und möglichst viel Zeit mit Freundinnen und Freunden verbringen, wie Tim Kesseli, Project Manager bei Jim&Jim, sagte. Kesseli befragte gemeinsam mit Trendforscher Simon Schnetzer rund 1200 Jugendliche und junge Erwachsene in der Deutschschweiz zu Themen aus ihrer Lebens- und Arbeitswelt. "Die grossen Themen wie soziales Engagement und Klimaschutz müssen oftmals hinten anstehen – vor allem bei den ganz Jungen, weil sie vielfach sehr stark mit sich selbst beschäftigt sind", sagte Kesseli.

Tim Kesseli, Project Manager bei Jim&Jim. (Source: Screenshot Netzmedien)

"Aber ist das nicht eher eine Frage des Alters und weniger eine Frage der Generation?" Diese Frage kam von Priszilla Medrano, Design-Studentin und Content Creator. Die Frage der Berufswahl habe sich ja zeitlich nach hinten verschoben, fuhr sie fort, "auch, weil es heutzutage so viele Möglichkeiten gibt – in der Arbeitswelt und in der Lebenswelt, die sich durch Social Media vielfältiger darstellt als zuvor."

Priszilla Medrano, Design-Studentin und Content Creator. (Source: Screenshot Netzmedien)

Wie junge Menschen mit der neuen Ungewissheit umgehen

Corona-, Wirtschafts- und Klimakrise: Was macht das mit den jungen Menschen? Was gibt ihnen Halt und welche Rolle spielt dabei Geld? "Die Pandemie war sicherlich sehr einschneidend für viele junge Leute", sagte Kesseli. "Geld wurde plötzlich sehr relevant." Er selbst habe während den Sommermonaten an Festivals und Bars gearbeitet. Dann mussten die Bars zumachen und die Festivals absagen. "Viele Studierende konnten nicht mehr arbeiten und verloren dadurch an Sicherheit." Hinzu kommt: Die Zukunft ist ungewiss. Niemand weiss, was nächstes Jahr kommt.

Das falle auch ihm auf, wenn er mit Gleichaltrigen oder Jüngeren spreche, sagte Ruben Feurer, Partner bei Dezentrum: "Der Blick in die Zukunft ist eher negativ konnotiert." Im Hinblick auf die Klimakrise wisse man ja, dass die Probleme in absehbarer Zeit eher zu- statt abnehmen würden. "Die optimistische Zukunft, wie wir sie früher vielleicht noch öfters hatten, ist nicht mehr so präsent."

Ruben Feurer, Partner bei Dezentrum. (Source: Screenshot Netzmedien)

In solch einer unsicheren Zeit erhalte das Gefühl von Sicherheit einen grösseren Stellenwert – "wobei Geld etwas ganz Grundlegendes ist", sagte Priszilla Medrano. Gleichzeitig erlebe sie aber auch, wie junge Menschen eine kritische Haltung gegenüber Geld entwickelten. Manchmal grenze es an Misstrauen, weil es mit einer grossen Macht konnotiert werde und Schlagworte wie "Kapitalismus" und "Grosskonzerne" mitschwingen würden. "Ich finde es wichtig, dass man auch darüber spricht und sich fragt: Woher kommt diese negative Konnotation? Wovor fürchten wir uns eigentlich? Und wie können wir das als Chance nutzen?"

Banken sollen endlich ehrlich sein

Und was erwarten junge Menschen von den Banken? Da gebe es auf jeden Fall noch Luft nach oben, sagte Ruben Feurer. Zunächst sollten die Finanzinstitute mehr Verantwortung übernehmen. "Der Finanzplatz Schweiz schreibt sich ja auf die Fahnen, im Bereich Nachhaltigkeit zu den Progressiven gehören zu wollen. Insofern erwarte ich von den Banken wesentlich mehr als nur ein Bekenntnis zum Ziel, die Treibhausgase bis 2050 auf Null senken – das müssen wir ja sowieso und die Schweiz hat sich zu diesem Ziel verpflichtet. Progressiv würde heissen, nochmals einen Schritt weiter zu gehen und vielleicht auch eine gewisse Vorbildfunktion einzunehmen." Ebenfalls von den Banken gefordert ist Transparenz. Das heisst, sie sollen zeigen, wie man die gesetzten Ziele konkret erreichen will.

Die Banken sollten denn auch lernen, transparent mit den Kundinnen und Kunden zu kommunizieren, sagte Priszilla Medrano. "Sehr schön fände ich auch, wenn die Banken auch mal eine fragende Haltung einnehmen würden: Dass man sagt: Okay, auch wir wollen Veränderung – aber wie schaffen wir das? Sodass man spürt: Hier gibt es Authentizität; ein echtes, ernsthaftes Interesse; ein Bedürfnis nach Austausch und ein Wille, gemeinsam vorwärts zu kommen."

Dem pflichtete Tillmann Lang bei. Die Banken müssten ihre Rolle überdenken und ehrlicher sein mit den Menschen. Denn lange Zeit habe die Kernkompetenz in der Finanzindustrie darin bestanden, "Menschen hinters Licht zu führen", ihnen versteckte Gebühren aufzudrücken und die Möglichkeit auszunutzen, dem "Rest der Gesellschaft den Zuckerguss vom Kuchen zu nehmen". Wenn die Banken ihre Kundenbeziehungen also tatsächlich zu einer Love Story weiterschreiben wollen, sollten sie ihren Kundinnen und Kunden auf Augenhöhe begegnen und sie als Menschen bedienen, sagte Lang. Die Mittel zum Zweck lauten: Transparenz, Zuhören und Ehrlichkeit. "Die Liste der Skandale ist lang – damit muss einfach Schluss sein."

Tillmann Lang, Co-Founder und CEO von Inyova. (Source: Screenshot Netzmedien)

Die erste Veranstaltung der Finnova Sessions drehte sich um das Thema "Banking der Zukunft". Das Eröffnungsreferat hielt die IT-Ökonomin und Unternehmerin Sita Mazumder, die fünf Thesen zur Zukunft des Finanzwesens formulierte. In Session-Nummer zwei ging es um Open Banking in der Schweiz. Thierry Kneissler, ehemaliger CEO und Mitgründer von Twint, gab einen Überblick über den Markt für Embedded Finance und erklärte, warum sich Banken so schwer damit tun. Und in der dritten Ausgabe ging es um das Thema "Man vs. Machine": Der Publizist, Ökonom und ehemalige SRG-Generaldirektor Roger de Weck sprach das schwierige Verhältnis zwischen Mensch und Maschine - und über die Frage, ob Deep Learning einen Paradigmenwechsel darstellt.

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