Finnova Sessions #2

Open Banking: Warum Banken die Finger von der Snooze-Taste lassen sollten

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von Joël Orizet und cka

Aus Sicht der Fintechs scheinen Schweizer Banken das Thema Open Banking zu verschlafen - am zweiten Tag der Finnova-Sessions gab es dementsprechend einen Weckruf. Im Bargespräch waren sich die Teilnehmenden einig: Rauft sich die Branche nicht zusammen, muss wohl der Regulator ran.

(Source: Tatsianama / iStock.com)
(Source: Tatsianama / iStock.com)

Steht es wirklich so schlimm um Open Banking in der Schweiz? Mit dieser rhetorischen Frage eröffnete Simon Kauth, CPO von Finnova, die zweite Finnova-Session. Nach dem Auftakt zum Thema Banking der Zukunft ging es diesmal um Schlagworte wie Embedded Finance, Ecosystems und um die Gretchenfrage im Ringen um Open Finance in der Schweiz: Regulieren oder nicht?

Die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) bevorzugt den Weg der Selbstregulierung. Im Gegensatz zur EU, wo es mit der PSD2-Verordnung einen bindenden Rechtsrahmen gibt, sollen Schweizer Banken auf freiwilliger Basis den Zugang zu spezifischen Kundendaten für Drittanbieter wie etwa Fintechs öffnen. Die SBVg setzt sich allerdings zunehmend dafür ein, dass die Banken mit der Öffnung vorwärts machen. Denn der Verband der Schweizer Banken "anerkennt das grosse Potenzial von Open Banking für den Finanzplatz Schweiz", wie es in einer Auslegeordnung der SBVg vom Sommer 2020 (PDF) heisst.

Für die Fintech-Branche geht es jedoch noch längst nicht schnell genug. "Nur mit der API-Economy können wir die Effizienz steigern und neue Geschäftsmodelle aufbauen", sagte Simon Kauth von Finnova. Und die Grundlage, um das Geschäftsmodell von morgen zu entwickeln, bezeichnen die Verfechter von Open Banking wahlweise als Value Networks - Wertschöpfungsnetzwerke - oder als partnerschaftliches Ökosystem.

Simon Kauth, Chief Product Officer von Finnova. (Source: Screenshot)

Doch wie passen die Banken da rein? Einer, der es wissen muss, ist Thierry Kneissler, ehemaliger CEO und Mitgründer von Twint und heute Geschäftsführer seiner eigenen Consulting-Firma. Sein Inputreferat ist ein Weckruf an die Branche, wie Kauth sagte. Kneissler referierte unter dem Titel: "Mauern abreissen und Windmühlen bauen?"

Die Bank als Spieler ohne Stammplatz

Wenn man Wertschöpfungsnetzwerke analog zum Fussball als Spielfeld betrachtet, fällt mit Blick auf die Finanzen etwas auf: Die Bank hat keine Stammposition, spielt aber überall mit. Das sei nicht erstaunlich, sagte Kneissler, denn "Finance ist kein Primärbedürfnis." Die gute Nachricht: Banking ist nicht nur überall mit dabei, sondern gestaltet alles mit - sofern sich die Banken auf das Spiel einlassen.

Thierry Kneissler, Geschäftsführer Kneissler Consulting. (Source: Screenshot)

Das Spiel heisst Embedded Finance. Darunter versteht man Finanzdienstleistungen, die in Angeboten von "Nicht-Banken" integriert sind, beispielsweise die Bezahl-Funktion bei Uber und WeChat oder die Ratenzahlung mit der Shopping-App Klarna, die nun auch in die Schweiz drängt.

Ein hart umkämpftes Feld

Für die Banken kann einiges dabei herausspringen. Sie können in diesem Spiel neue Umsatzquellen anzapfen, Produkte schneller auf den Markt bringen und von Skaleneffekten profitieren, wie Kneissler sagte. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Banken nichts weiter werden als eine "dumb pipe" - eine "dumme Leitung", die den anderen Marktteilnehmern zu einem Riesengeschäft verhelfen, aber von sich aus keinen Mehrwert bieten und deswegen schlechte Wachstumsaussichten haben.

Wer spielt eigentlich alles mit ausser den Banken? Auf dem Platz tummeln sich die Tech-Giganten, also Google, Amazon, Facebook und Apple. Ebenfalls im Spiel sind die beiden grossen Kreditkartenherausgeber, nämlich Visa und Mastercard. Die seien inzwischen fast so wertvoll wie die grössten Banken, sagte Kneissler. Weniger wertvoll, aber mit ähnlich vielen Kundinnen und Kunden an Bord, seien die "Super Apps": WeChat, Alipay und Grab. Und dann gibt es noch die sogenannten E-Commerce-Gateways, darunter Paypal, Shopify, Stripe und Klarna.

Banken teilen sich das Spielfeld mit Tech-Konzernen, Kreditkartenherausgebern, Super Apps und E-Commerce-Anbietern. (Source: Screenshot)

Spielstärken und -schwächen

Im Vergleich zu all diesen Mitspielern haben die Banken einige Nachteile. Sie haben proprietäre Systeme, die zwar in sich gut funktionieren, wie Kneissler sagte. Doch die Verbindungen zwischen den Banken seien komplex, teuer und langsam - insbesondere im grenzüberschreitenden Geschäft. Den Banken bleibe zurzeit keine andere Wahl, als sich über Drittanbieter in die Wertschöpfungsnetzwerke einzubinden. Die grosse Frage sei: Schafft man die Direktanbindung?

Die Kundinnen und Kunden hätten schon längst Gefallen am Spiel gefunden - ganz im Gegensatz zu den hiesigen Banken. "Embedded Finance und Value Networks sind noch nicht in den Strategien der Schweizer Banken angekommen", sagte Kneissler.

Immerhin bleibe noch Zeit. Und die Schweiz biete einige Vorteile, die den Banken in die Hände spielen könnten - beispielsweise die Kleinräumigkeit und die vier Landessprachen. Für ausländische Player sei das unattraktiv, sagte Kneissler. Wir haben eigene Regulationen und eine eigene Währung, die als Schutzmechanismen dienten. Zudem würden Kundinnen und Kunden hierzulande ihr Verhalten vergleichsweise langsam verändern. Und lokale Lösungen hätten in der Schweiz gute Chancen, zu bestehen, sagte Kneissler und nannte als Beispiele Twint, Ricardo und Digitec Galaxus.

Vier Strategietipps und eine Empfehlung

Was sind die Erfolgsfaktoren für Banken? Das Wichtigste sei das richtige Mindset, sagte Kneissler. Was das bedeutet, brachte er durch ein chinesisches Sprichwort zum Ausdruck: "Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen."

Kneissler nannte auch vier Punkte, wo Banken solche Windmühlen bauen respektive Mauern niederreissen könnten:

  1. Finance in die Kundenprozesse einbauen - und nicht umgekehrt. Embedded Finance drehe sich weder um die Anbieter noch um Produkte, sondern nur darum, Banking-Funktionen in die bestehenden Prozesse der Kundinnen und Kunden möglichst nahtlos einzubinden.

  2. Open Banking realisieren, was wiederum Standards erfordert. In der Schweiz gebe es aufgrund der fehlenden Regulierung mindestens acht verschiedene Initiativen. "Ich sehe da zwei Probleme", sagte Kneissler. "Wenn es keine Standards gibt, kann man nicht skalieren. Und wenn man nicht skaliert, wird niemand investieren." Dies führe zurück zur Frage nach dem richtigen Mindset: Ist Open Banking in der Schweiz wirklich gewollt?

  3. Plattform-Geschäftsmodelle nutzen: "Die Banken haben zwei Vorteile: Kunden und Vertrauen", sagte Kneissler. Beides enorm wichtige Elemente, wenn es um Plattformökonomie geht. Ein weiterer Pluspunkt seien die Investitionsmittel. Ein Plattformgeschäft aufzubauen, brauche viel Zeit. Da sei es von grossem Vorteil, wenn man nicht schon morgen zwingend Geld verdienen müsse.

  4. Der "Game Changer": Account to Account Instant Payment, also Direktzahlungen zwischen zwei Bankkonten. Dadurch rücke der Kunde wieder ganz nahe an die Bank heran und das Bankkonto werde wieder zentral, sagte Kneissler. Das bedeute allerdings, dass die "Middle Men" - in diesem Fall die Kreditkartenherausgeber - aus der Gleichung herausfallen würden. Dafür bräuchte es allerdings eine nationale Infrastruktur: Es gebe diesbezüglich zwar einen Zeitplan der Börsenbetreiberin Six - dieser sei allerdings zu langsam, sagte Kneissler. Und es stelle sich die Frage, ob die Six aufgrund der Beteiligung am Zahlungsdienstleister Worldline in einem Interessenkonflikt stehe.

Die Empfehlung zum Schluss: "Spielen Sie, um zu gewinnen", sagte Kneissler. Schweizer Lösungen seien möglich, es brauche allerdings diese vier Zutaten: Mindset, Mut, Investitionen und Zusammenarbeit.

Die grosse R-Frage

Wie soll es nun mit Open Banking weitergehen auf dem Finanzplatz Schweiz? Drücken die Banken endlich auf die Tube oder braucht es nun doch eine Form von Regulierung? Was sagt eigentlich der Regulator dazu? Die letzte Frage ging im Bargespräch an Nicolas Brügger, Senior Policy Advisor beim Staatssekretariat für internationale Finanzfragen.

"Wir wollen Open Finance in der Schweiz fördern", sagte er. Es gebe einige Banken, die in diesem Bereich wirklich etwas machen wollten. Andere wiederum wüssten zwar um die steigende Bedeutung, doch "aus verschiedenen Gründen machen sie noch nichts und warten erst mal ab."

Nicolas Brügger (l.) vom Staatssekretariat für internationale Finanzfragen und Rino Borini von Scarossa im Bargespräch. (Source: Screenshot)

Er vermisse tatsächlich etwas Mut und Geschwindigkeit, fuhr Brügger fort. Ein hemmender Faktor sei insbesondere die fehlende Standardisierung. "In der Schweiz sollte es einen API-Standard pro Bereich geben", sagte Brügger. "Sonst gibt es Fehlinvestitionen." Dennoch zeigte sich Brügger optimistisch. Die Grundarbeiten seien im Gange, man spreche häufiger miteinander. "Wenn es losgeht, werden alle mitmachen."

Man wolle jedoch keine Regulierung wie in der EU. Denn der eingeschlagene Weg sei für die Banken ein Mehrwert. "Wir glauben, dass es ohne Regulierung klappen kann", sagte Brügger. Man behalte eine Gesetzgebung zwar in der Hinterhand, allerdings: "Regulierung ist für uns nur die second best option", sagte Brügger. Die bestmögliche Lösung bleibe weiterhin die Selbstregulierung.

"Ich hätte mir eine andere Antwort gewünscht", sagte Stefanie Auge-Dickhut, Head of CC-Ecosystems beim Business Engineering Institute St. Gallen. Den besagten Mehrwert des jetzigen Stands der Dinge erkenne sie nicht. Nun sei es an der Zeit, einen Standard pro Bereich einzuführen - und zwar im Rahmen eines kollaborativen Prozesses, möglichst Open Source sowie im Einklang mit dem europäischen Kontext. Es brauche "ein Gefäss, in dem alle Player mit dabei sind und gemeinsam Gas geben".

Stefanie Auge-Dickhut (l.) vom Business Engineering Institute St. Gallen und Simon Kauth von Finnova über die Frage: Regulieren oder nicht? (Source: Screenshot)

Simon Kauth von Finnova pflichtete bei. Selbstverständlich wäre ein marktgetriebener Ansatz optimal, sagte er. Doch "wenn die Geschwindigkeit nicht stimmt - und wenn wir das ändern wollen - dann kann man das nur über mehr Regulierung erzwingen."

Wer aufsteigen will, muss sich von der Trägheit trennen

Wie sehr die Zeit drängt, verdeutlichte Rino Borini, Mitgründer und CEO von Scarossa. "Wir spielen nicht mehr in der Champions League - wenn die Schweiz wieder ganz oben mitspielen will, müssen sich die Banken endlich zusammenraufen." Entscheidend sei allerdings wiederum die Frage nach dem richtigen Mindset: "Will man überhaupt Messi sein oder nicht?" Man könne es gut und gerne sein lassen und stattdessen in der unteren Liga mitmischen. "Das hätte aber einen Impact auf die ganze Wertschöpfung, auf die Berufsbilder und auf die Talente", sagte Borini.

Rino Borini, Mitgründer und CEO von Scarossa. (Source: Screenshot)

Die Branche komme also kaum um ein Umdenken herum, fuhr Borini fort. "Wir müssen Open Banking als eine Riesenchance sehen." Das wiederum bedeute, man solle jetzt in Schnittstellen investieren. Und vielleicht brauche es dazu tatsächlich eine Art Drohgebärde aus Bundesbern. "Ich bin zwar kein Fan von Regulierung", sagte Borini, "aber ab und an habe ich das Gefühl: Jetzt braucht es den Regulator, damit es vorwärts geht".

Die SBVg hat übrigens kürzlich eine Studie über neue Wertschöpfungsmodelle der Schweizer Banken veröffentlicht. Der Hauptbefund: 60 Prozent der Banken wollen ihr Geschäftsmodell weiterentwickeln, wobei der Ausbau von Partnerschaften mittels Open-Banking- respektive API-Integrationen nur eine von neun verschiedenen Stossrichtungen ist.

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