Interview mit Tino Senoner

Was sich die Schweiz von Singapur abschauen kann

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Die Zahl der offenen Stellen in der ICT-Branche war zuletzt leicht rückläufig. Arbeitsmarktexperte Tino Senoner von ­Dynaskills spricht über die Faktoren, die den Stellenmarkt beeinflussen, die Trends am Markt und seine Prognose für das Jahresende.

Tino Senoner, Geschäftsführer, Dynaskills. (Source: zVg)
Tino Senoner, Geschäftsführer, Dynaskills. (Source: zVg)

Wie hat sich der ICT-Jobmarkt in den letzten Monaten entwickelt?

Tino Senoner: Die Entwicklung des ICT-Jobmarktes der vergangenen Monate entspricht dem typischen Zyklus einer wirtschaftlichen Krise. Der Rekrutierungsbremse folgte eine Überkompensation, nun pendelt sich der Markt wieder auf den langfristigen Trend ein.

Wie sieht die Prognose für den Rest des Jahres aus?

Der ICT-Jobmarkt bleibt weiterhin angespannt und die Bedürfnisse werden in diesem Bereich wieder zunehmen. Anfang 2024 wird sich die Lage bedeutend zuspitzen.

Index offene Stellen

Die Entwicklung der Anzahl offener ICT-Stellen in der Schweiz. (Source: Dynaskills)

Welche aktuellen politischen und gesellschaftlichen Geschehnisse beeinflussen diese Entwicklung?

Die Schweizer Bevölkerung verfolgt aufmerksam die Entwicklungen bei der UBS. Noch nie zuvor war die Sensibilität für die Entwicklung eines Unternehmens so ausgeprägt wie heute. Es wird der Bevölkerung zunehmend bewusst, dass weder Sicherheit noch Wohlstand selbstverständlich sind. Es ist absehbar, dass die Schweiz nach 2025 in vielen Bereichen anders aussehen wird als vor 2020. Als Folge steigen entsprechend die Erwartungen an die Politik in den kommenden Jahren.

Wie kann die Schweiz von diesen Entwicklungen profitieren?

Es können jetzt wichtige Weichen gestellt werden. Das Beispiel der UBS verdeutlicht, dass der Ausspruch «was uns nicht umbringt, macht uns stärker» auch in der heutigen Zeit Gültigkeit besitzt. Die UBS wurde stärker von der Finanzkrise getroffen als die Credit Suisse, hat sich jedoch entsprechend besser entwickelt. Die Schweiz könnte am meisten profitieren, wenn die Entwicklung durch viel schnellere Prozesse unterstützt würde. Dafür müssen neue Führungsinstrumente umgesetzt werden.

Was muss getan werden, um dies zu erreichen?

Ein Unternehmen muss seinen Mitarbeitenden eine Zukunftsperspektive bieten, selbst für den Fall, dass das Unternehmen die Mitarbeitenden möglicherweise nicht mehr benötigt. Es ist erforderlich, den Dschungel der Weiterbildungsmöglichkeiten zu durchdringen und den Fokus auf die künftigen Anforderungen zu legen. Die grosse Mehrheit der ICT-Mitarbeitenden bei der UBS wird bis 2030 voraussichtlich nicht mehr dieselbe Rolle innehaben wie heute, unabhängig davon, ob sie innerhalb oder aus­serhalb des Unternehmens tätig sind.

Welche Trends sind im ICT-Bereich ausserdem erkennbar? 

Weltweit nimmt die Innovation im ICT-Bereich stetig zu und ihr Einfluss auf die gesamte Arbeitswelt wächst exponen­tiell. Enorme Summen werden etwa in KI-Technologien investiert. Länder wie die USA und China, die als Trendsetter agieren, sind immer schwieriger zu überholen. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Arbeitswelt und beschleunigt den Einsatz von ICT-Lösungen. Angesichts der begrenzten Ressourcen in der Schweiz müssen Prioritäten gesetzt werden: Innovation bleibt von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Schweiz. In vielen Bereichen besteht nach wie vor das Potenzial, Trends zu setzen. Höhere Bildung nimmt weiter an Bedeutung zu. Für über 100 international nachgefragte Profile ist eine höhere Bildung unerlässlich. Bereiche wie Cybersecurity, Darknet, Projektmanagement, internationale Entwicklungsprojekte, interkulturelle Kenntnisse und andere müssen in der Schweiz verstärkt gefördert werden. Branchenübergreifende Prozessoptimierungen, digitale Transformationsprozesse und Kundenberatung können nur schwer ausgelagert werden. Anwendungsentwicklung, insbesondere Front-End-Entwicklung, wird zunehmend zu einer Komfortdienstleistung. KI-Technologien unterstützen diesen Bereich immer stärker. Aus Kostengründen lohnt es sich immer weniger, diese Art von Entwicklung in der Schweiz zu betreiben. Insgesamt ist die Schweiz gefordert, ihre Ressourcen gezielt einzusetzen, um auf globale ICT-Trends zu reagieren und gleichzeitig ihre Innovationsfähigkeit und Bildungsniveau zu stärken.

Gibt es Beispiele dafür? 

Ein herausragendes Beispiel für diese Vorgehensweise ist " learn@ibf" des Finanzbereichs in Singapur. Das Institute for Banking and Finance (IBF) erkannte bereits vor Jahren die immense Bedeutung der zukunftsorientierten Weiterbildung für den Finanzplatz Singapur. Das Institut hat erhebliche Ressourcen investiert, um 1200 strategische Berufsprofile für den Finanzplatz zu identifizieren, diese um zukunftsweisende Perspektiven zu erweitern und mit Unterstützung von Schweizer Technologien die notwendigen Weiterbildungsmaßnahmen einzuführen.  Als Ergebnis hat Singapur Hongkong auf dem Podium der besten Finanzplätze im Global Finance Center Index (GFCI) überholt und eine noch stärkere führende Rolle in der Entwicklung von Fintech eingenommen. Zürich liegt übrigens aktuell auf dem 20. Platz im GFCI, allerdings nur 19 Punkte hinter einem Podiumsplatz. 

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