Swiss E-Health-Forum

Unterwegs im Gesundheitsökosystem

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von Yannick Züllig und jor

Am 21. März ist das E-Health-Forum in Bern über die Bühne gegangen. Von Digisanté über EPD und E-Rezept bis hin zum ChatGPT-Zahnarzt machten die Referierenden eine Reise quer durch das Schweizer Gesundheitsökosystem.

Matthias Becher, Leiter der Abteilung Digitale Transformation beim BAG, hat am E-Health-Forum über das Programm Digisanté gesprochen. (Source: zVg)
Matthias Becher, Leiter der Abteilung Digitale Transformation beim BAG, hat am E-Health-Forum über das Programm Digisanté gesprochen. (Source: zVg)

Das Swiss E-Health-Forum 2024 hat ein dichtes Programm vorgelegt. Denn die Veranstaltung, die dieses Jahr am 21. März in Bern über die Bühne ging, fand anders als gewohnt nicht an zwei Tagen statt, sondern als "Short Edition" an einem einzigen Tag.

Das gestraffte Forum begann mit einem Grusswort von Marc Oertel, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI), und Roland Blättler, Vorstand VGI – Vereinigung Gesundheitsinformatik Schweiz. Digitalisierung sei nicht etwas, was man einfach einkaufen könne, sagte Blättler. "Digitalisierung muss man leben."

Matthias Becher, Programmleiter Digisanté, BAG. (Source: zVg)

Der Bund plant, die Digitalisierung des Gesundheitswesens mit dem "Digisanté"-Programm voranzutreiben. Wie Matthias Becher, Leiter des Programms beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), ausführte, ziele das Programm auch darauf ab, einen "Gesundheitsdatenraum Schweiz" zu schaffen. Darin sollen sich Daten in interoperablen Formaten zwischen den einzelnen Gesundheitseinrichtungen austauschen lassen.

Daten- & Health-Literacy

Becher stand mit einem Arm in der Schlinge auf der Bühne. Schulterbruch beim Snowboardfahren. Dass Digisanté notwendig sei, zeige auch, dass er die Röntgenaufnahme des Bruchs via USB-Stick ausgehändigt bekommen habe und diese selbst in sein EPD hochladen müsse, sagte der Digitalisierungschef des BAG beiläufig.

Eine Realität sei jedoch: "Die Mehrheit der Bevölkerung interessiert sich nicht für Gesundheitsdaten abseits der Smartwatch." Doch eine nationale, strukturierte Dateninfrastruktur erleichtere es nicht nur der Bevölkerung, auf Daten zuzugreifen - damit liessen sich auch sehr viele Arbeitsstunden einsparen, sagte Becher. 

Als Beispiel nannte er Laborberichte, die sich Arztpraxen, Spitäler, Apotheken und Labore gegenseitig hin und her schicken. Ohne die heute bestehenden Medienbrüche liessen sich schweizweit pro Jahr über 200’000 Arbeitstage einsparen. Um das zu erreichen, brauche es jedoch die Zusammenarbeit aller Akteure - sowohl seitens des Bundes als auch der Gesundheitsdienstleister und der Entwickler von medizinischen Informationssystemen.

Ob Digisanté in der aktuellen Fassung überhaupt umgesetzt wird, ist allerdings noch offen. In der Frühjahrssession sprach sich zumindest der Nationalrat - mit Änderungen - für das Programm aus. Der Ständerat behandelt das Geschäft frühestens im Sommer 2024.

Ein digitales Rezept

Weiter fortgeschritten ist das Projekt "E-Rezept", welches Urs Stoffel, Vorstandsmitglied des Ärzteverbands FMH, präsentierte. Das E-Rezept wird durch die FMH in Zusammenarbeit mit dem Apothekerverband Pharmasuisse entwickelt und soll, wie der Name verrät, das auf Papier gedruckte Arzneimittelrezept überflüssig machen. Stattdessen erhält die behandelte Person einen QR-Code, entweder auf Papier oder in der dazugehörigen App. Dieser wird anschliessend in der Apotheke gescannt.

Urs Stoffel, FMH-Zentralvorstand. (Source: zVg)

Vorteil hier sei etwa, dass man beim Urlaub in den Bergen ein dringend benötigtes Medikament beziehen könne, auch wenn das Rezept dafür nicht mitgeführt oder in der heimischen Apotheke hinterlegt sei, sagte Stoffel und ergänzte: "Heute bekommen sie das Medikament zwar meistens auch, aber eigentlich ist das illegal."

Der Plan sei, dass das E-Rezept bis Ende 2024 schweizweit eingeführt ist und ab 2029 zum "Regelfall" wird. Eine Herausforderung bei diesem Unterfangen sei es, die Entwickler von Klinik- oder Praxisinformationssystemen (KIS/PIS) zu überzeugen, das E-Rezept in ihre Systeme zu integrieren. Um Druck auszuüben, ziehe die FMH in Betracht, Empfehlungen für gewisse KIS/PIS-Produkte auszusprechen, sofern diese die E-Rezept-Integration anbieten.

Zahnarzt Dr. ChatGPT

Auch am E-Health-Forum kam man nicht um das Thema künstliche Intelligenz herum. Schon länger setzt die Medizin auf Machine Learning zur Verbesserung der Diagnostik-Qualität, etwa bei der Analyse von Röntgenbildern. Doch der Vortrag von Thomas Müller, Zahnarzt und Gründer des Instituts für angewandte Dentronik, konzentrierte sich stattdessen auf den Nutzen von generativen KI-Tools in Zahnarztpraxen. Solche Tools seien in der Lage, die Digitalisierung in kleinen Betrieben voranzutreiben, die ansonsten nicht über die Mittel verfügen, Digitalisierungsmassnahmen umzusetzen.

Thomas Müller, Gründer und CEO, Institut für angewandte Dentronik IAD. (Source: zVg)

Generative KI können etwa helfen, Mitarbeiterschulungen zu vereinfachen, Prozesse zu optimieren oder auch die Literatursuche zu automatisieren. KI könne zwar den klassischen Mediziner nicht ersetzen, sagte Müller. Der Zahnarzt geht jedoch davon aus, dass das Gesundheitswesen der Zukunft "KI-augmentiert" sein wird.

"In einer Welt, in der Technologie die Grenzen des Möglichen neu definiert, riskieren Ärzte ohne Einsatz von künstlicher Intelligenz, den Anschluss zu verlieren."

Heikle Daten, wichtiger Schutz

Die durch Digisanté angestrebte nationale Infrastruktur für den Austausch von medizinischen Daten ruft auch Datenschützer auf den Plan. Franziska Sprecher vom Zentrum für Gesundheitsrecht der Berner Fachhochschule stellte diesbezüglich die Frage: "Was möchten Patientinnen bzw. Bürger?"

Rechtsanwältin Franziska Sprecher. (Source: zVg)

Einer Umfrage zufolge wünscht sich die Mehrheit der Bevölkerung, dass entweder der Staat oder die medizinischen Leistungserbringer für das Speichern und Verwalten von Gesundheitsdaten zuständig sind. Krankenkassen oder privatwirtschaftliche Unternehmen sollen möglichst aussen vor bleiben. Besonders wichtig sei der Bevölkerung ausserdem, dass sie die Kontrolle über ihre eigenen Daten behalte und eine staatliche Kontrolle der Infrastruktur stattfinde, sagte Sprecher.

Eine besondere Herausforderung sei hier allerdings die Zweitnutzung von Daten zu Forschungs- oder Statistikzwecken. Die EU habe hier mit dem "European Health Data Space" ein Referenzmodell vorgestellt, welches die unionsweite Nutzung von Gesundheitsdaten ermöglicht. Hierbei sollen die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit erhalten, über ein Onlineportal eine Übersicht über ihre Daten zu haben und den Zugriff auf diese zu verwalten.

Auch der Bund strebe eine "Nationale Koordinationsstelle für Gesundheitsdaten" an. Doch bevor diese Vision Realität wird, muss einiges geschehen. Noch immer sei das Gesundheitswesen der Schweiz zu stark fragmentiert, so Sprecher. Es fehle noch an Kompetenz im Umgang mit Daten und auch einer Kultur des offenen Datenaustauschs zwischen den einzelnen Stellen und Akteuren.

Verhaltene Offenheit

Ähnliches zeigt auch das "Swiss eHealth Barometer" von GfS.Bern, welches Instituts-Co-Leiter Lukas Golder vorstellte. Die Schweizer Bevölkerung sei insgesamt "verhalten offen", wenn es um Themen rund um die digitalisierte Gesundheit geht.

Lukas Golder, Co-Leiter, GfS Bern. (Source: zVg)

Für das Barometer befragte GfS sowohl Gesundheitspersonal als auch die allgemeine Bevölkerung zu ihrer Haltung zu E-Health. Eine grosse Mehrheit der Gesundheitsfachpersonen zeigt sich demnach überzeugt, dass digitale Tools - insbesondere KI - das Gesundheitswesen verbessern können. Auch die Bevölkerung hält die Digitalisierung für eine gute Sache. Ein Viertel der Bevölkerung zeigt sich jedoch unentschieden. Ob diese Unentschlossenheit auf tatsächliche Skepsis oder Unwissenheit zurückzuführen sei, könne man nicht sagten - wahrscheinlich sei allerdings eine Kombination aus beidem, sagte Golder.

Auch das EPD hat einen schweren Stand. Hier habe sich Ernüchterung eingestellt, so Golder. "Gesundheitsfachpersonen erkennen den grundsätzlichen Nutzen eines EPD, sind aber mit der aktuellen Umsetzung nicht zufrieden." Die Mehrheit der Bevölkerung hält das EPD immer noch für eine gute Idee und zeigt Bereitschaft, eines zu eröffnen. Doch das Onboarding sei noch zu komplex und der Nutzen des Dossiers nicht ausreichend gegeben. Auch er selbst stecke seit einigen Monaten im Eröffnungsprozess fest, merkte Golder an.

Die Ernüchterung sei jedoch eine gute Sache, sagte der Politikwissenschaftler. Als Vergleich zog er den "Gartner Hype Cycle" heran. Wäre das EPD auf diesem Trendbarometer vertreten, hätte es nun das "Tal der Enttäuschungen" erreicht. Dies bedeute allerdings auch, dass es nun an der Zeit sei, das EPD neu anzugehen und die Schwächen auszumerzen.

Das nächste E-Health-Forum findet am 27. und 28. März statt. Für die "Short Edition" bleibt es also bei einer Premiere.

 

Übrigens: Im selben Rahmen wie das E-Health-Forum fand kurz davor das Swiss E-Government-Forum statt - der erste Tag drehte sich insbesondere um Digitalisierungsstrategien; der zweite um digitalpolitische Erfolgsgeschichten aus allen föderalen Ebenen der Schweiz

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