Tao Tao im Interview

"Kein erfolgreicher Unternehmer kann sagen, dass Glück nicht auch eine Rolle gespielt hat"

Uhr | Aktualisiert
von Simon Zaugg

Getyourguide.com-Mitgründer Tao Tao hat während eines Praktikums gemerkt, dass "Big Corp" eher nichts für ihn ist. Jetzt will er mit der ursprünglich als Social Network angedachten E-Commerce-Plattform so richtig durchstarten. Die Netzwoche hat ihn zum Gespräch getroffen.

Tao Tao, Mitgründer des Schweizer Start-ups Getyourguide
Tao Tao, Mitgründer des Schweizer Start-ups Getyourguide

Herr Tao, Sie sind Mitgründer des aufstrebenden Schweizer Start-ups Getyourguide.com. Wie kam es dazu?

Wir wollten einfach mal loslegen und haben uns gedacht, wenn wir es jetzt nicht machen – in zehn Jahren wird es nicht leichter. Im schlimmsten Fall sieht es gut aus im CV, im guten Fall schaut etwas Cooles dabei heraus, und im besten Fall wird es ein Erfolg.

Ich muss aber gestehen: Wir haben mit einer Idee angefangen, die am Anfang schlecht funktioniert hat. Ursprünglich war es eher ein Social Network für lokale Reiseführer und Reisefreudige. Das haben wir dann umgestellt auf eine reine E-Commerce-Plattform zum Buchen von touristischen Aktivitäten.

Es gab eine Abkehr vom ursprünglichen Konzept. Weshalb?

Ursprünglich wollten wir eine Plattform machen ähnlich jener von Couchsurfing. Nur wollten wir nicht Couches anbieten, sondern eine Community für Reisefreudige, die dort ortskundige Leute finden können und umgekehrt. Wir mussten jedoch bald erkennen, dass der Amateurmarkt nicht so gut funktioniert. Dann haben wir den professionellen Markt entdeckt: Anbieter von Helikopterflügen, Busrundfahrten, Eintrittskarten in den Vatikan etc. Da es damals noch keine globale Lösung dafür gab, haben wir gesagt: Ja, das machen wir jetzt!

Fanden Sie denn in der Schweiz genügend Unterstützung für die Gründung Ihres Start-ups?

Den Start-ups wird am Anfang durchaus unter die Arme gegriffen. Fast jede Bank hat heute einen Start-up-Fond, und es gibt die Technoparks. Es ist hier auch relativ gut möglich, an das Seed-Funding heranzukommen – etwa durch wohlhabende Familien, Freunde oder Förderinitiativen. Auch die Steuerstruktur ist in der Schweiz sehr interessant für Start-ups, insbesondere wegen der Kapitalsteuern. Das wird dann zum Thema, wenn eine Firma dereinst verkauft werden sollte. Wenn man aber wirklich wachsen und höhere Investitionen tätigen will, wirds bedeutend schwieriger und man muss sich europaweit umschauen.

Berlin, wo Sie auch ein Büro haben, soll besonders attraktiv sein für Start-ups.

Der grosse Vorteil Berlins ist, dass es dort deutlich günstiger ist als in der Schweiz. Wenn es für ein Start-up hart auf hart geht, ist das ein entscheidender Faktor. Gute Leute zu finden, insbesondere solche, die Englisch als Muttersprache sprechen, ist dort auch einfacher als hier. Es gibt zudem bedeutend mehr Communitys von Programmiersprachen. Dann ist Berlin auch eine Medienstadt und gilt als cool: Start-up ist auch immer eine Lifestyle-Entscheidung. Nachteile sind demgegenüber die Lohnnebenkosten und die komplizierten Arbeitsgesetze.

Wie haben sich die Umstände in der Schweiz in letzter Zeit verändert?

Es hat sich durchaus einiges getan. Die Idee, eine Art Schweizer Silicon Valley zu schaffen, finde ich nicht grundsätzlich falsch. Ich bin jedoch skeptisch. Das Silicon Valley ist in erster Linie durch Gründer entstanden, die noch mehr Gründer angezogen haben. Über Jahre hat sich ein Ökosystem entwickelt und es gab zunehmend einen Mix an Unternehmern – auch von solchen, die schon gescheitert sind und sich wieder hochgearbeitet haben. Die können dann junge Leute bei der Gründung eines Start-ups betreuen. Wenn jetzt beispielsweise eine Infrastruktur gebaut wird, wie hier in der Schweiz, ist das zwar hilfreich und die Eintrittsschwelle zur Gründung eines Unternehmens wird tiefer. Doch was hat es gebraucht, um Facebook zu bauen?

Eine Studentenwohnung tut es auch …

Richtig. Kommt dazu, dass die Eintrittsbarriere für eine Unternehmensgründung inzwischen sowieso tiefer wurde. Man kann heute beispielsweise über Amazon EC2 oder Heroku hosten. Es gibt Plattformen wie Facebook oder die App-Stores. Dann wissen die Leute immer besser, wie SEO (Suchmaschinenoptimierung) funktioniert. Dank viraler Mechanismen ist es zudem leichter geworden, schnell an Reichweite zu gewinnen, aber natürlich nur, wenn das Produkt an sich stimmig ist.

Wo liegen die Hauptunterschiede zwischen der Schweiz und anderen Standorten wie etwa den USA?

Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind hier nicht so sehr auf Start-ups ausgerichtet wie etwa in den USA. Dort ist es beispielsweise gang und gäbe, Stock-Options zu geben. Das ist in der Schweiz ganz anders: Da gibt es Mitgründer und auf der anderen Seite die Mitarbeiter. Für Stock-Options muss man sich hier irgendetwas Kompliziertes einfallen lassen oder viel beim Anwalt zahlen. Zum Beispiel, dass jemand im Falle eines Verkaufs eine zusätzliche Entschädigung zu einem bestimmten Prozentsatz bekommt.

In den USA ist es demgegenüber üblich, erst für einen tiefen Lohn zu arbeiten, der dann beim Erfolg des Unternehmens auch entsprechend steigt. Zudem kommt hinzu, dass der Schweizer Markt begrenzt ist und man sich schnell international oder zumindest auf den gesamten deutschsprachigen Raum ausrichten muss.

Welche Rolle spielen die Mentalitätsunterschiede?

Dazu habe ich ein Beispiel: Ich ging ein Jahr lang in den USA zur Schule. Da gibt es Science-Contests, bei dem man etwas gewinnen kann. Es geht also weniger darum, den Schülern Dinge einzutrichtern und das Prinzip zu vermitteln: Du, lerne das gut! Vielmehr sollen Schüler motiviert werden, etwas zu kreieren. Es geht um die Grundeinstellung der Gesellschaft. Dazu gehört auch die Botschaft, dass Scheitern nicht per se schlimm ist. Man wird in den USA viel weniger geächtet, wenn man einmal gescheitert ist als etwa in Europa.

 Statt die «Warum»- wird eher die «Warum nicht»-Frage gestellt. Die Risikobereitschaft ist auch generell höher. Ein Bekannter hat für das initiale «Seed Funding» seiner jetzt sehr erfolgreichen Firma einfach mal seine Kreditkarte um 20 000 Dollar überzogen.

Wie schaut es mit amerikanischem Venture Capital (VC) für europäische oder schweizerische Start-ups aus? Tätigen diese auch Investments in Übersee?

VCs schauen sich in erster Linie die Menschen und den Markt an. Eine Idee, die sich nur auf den deutschsprachigen Markt fokussiert, hat es aufgrund der Grösse im Vergleich zum US-Markt schon mal ganz schwierig. Ich glaube, es ist dann viel eher so, dass man als Start-up in die USA zieht. Beispiele wie das in Berlin ansässige Researchgate zeigen aber, dass amerikanische VCs mittlerweile auch bereit sind, in europäische Start-ups zu investieren, weil sich vor allem in Berlin und London in den letzten Jahren viel getan hat.

Inwiefern spielt der Faktor Glück bei der Gründung eines Start-ups eine Rolle?

Kein erfolgreicher Unternehmer kann sagen, dass Glück nicht auch eine Rolle gespielt hat. Es spielt eine sehr wichtige Rolle, welche Mitgründer man findet. Und die Investorensuche ist beim ersten Mal ein Blindflug. Wir hatten da sicher Glück, dass wir gute Investoren wie Roland Zeller, Gründer von Travel.ch, finden konnten. Allerdings kann Glück auch etwas überbewertet werden. Marc Andreessen, einer der Gründer von Netscape, hat zum Thema Glück auf Quora kürzlich ein sehr gutes Zitat geliefert: Er sagt, es sei weniger eine Frage des Glücks als eine Frage des Timings. Unternehmer leben in der Zukunft, und es gehe mehr um die Frage, wann der Markt bereit ist, neue Produkte und Technologien aufzunehmen. Das Endresultat könne dann von aussen oft wie pures Glück erscheinen.

Was macht denn aus Ihrer Sicht einen guten Investor aus?

Wenn man das Gefühl hat, dass man mit dem Investor durch dick und dünn gehen kann, dann ist es ein guter Investor. In der Regel ist es das Beste, wenn sie selbst erfolgreiche Unternehmer waren. Wichtig neben dem Geld sind ja auch Ratschläge – und da vor allem, was man nicht machen sollte. Dann sollen sie Kontakte knüpfen mit potenziellen Businesspartnern und Kunden.

Warum haben Sie denn eigentlich den Schritt zum Unternehmer gemacht und nicht eine Karriere in einem Grosskonzern angestrebt?

Während des Studiums an der ETH war ich Präsident bei ETH Juniors, der studentischen Unternehmensberatung der ETH, und habe dort Unternehmerluft geschnuppert. Einen der Mitgründer von Getyourguide.com und mein Vorgänger als ETH Juniors Präsident, Pascal Mathis, habe ich dort kennengelernt. Mit einem anderen Mitgründer, Johannes Reck, habe ich die Studentenorganisation «ETH Model United Nations» gegründet, die heute die grösste nicht-fakultätsbezogene Studentenorganisation der ETH ist.

Beides hat mir gezeigt, dass es spannend ist, etwas zu kreieren, wo man sich verwirklichen kann. Zudem habe ich ein kurzes Praktikum bei Siemens in China gemacht, das mir aufgezeigt hat, dass «Big Corp» eher weniger etwas für mich ist.

Was halten Sie eigentlich von den Begriffen Lean-, Fat- und Stealth-Start-ups?

Die Stealth-Start-ups sind die, die lange Zeit nicht sagen, was sie eigentlich machen. Ein bekanntes Beispiel war die als Google-Konkurrenz angedachte Suchmaschine Cuil. Dort wurde die Entwicklung lange unter Verschluss gehalten und sehr viel Geld investiert – das Projekt scheiterte dennoch.

Ich bin der Ansicht, dass man in der Entwicklung die Stufen der Kundenfindung und Kundenvalidierung erst durchlaufen muss, um danach skalieren und mehr Geld aufnehmen zu können. Lean erachte ich deshalb durchaus als sinnvoll.

Und Fat-Start-ups?

Hier buttert man von Anfang an viel Geld rein. Das macht vor allem in einem sehr umkämpften Markt Sinn, wo dann oft derjenige gewinnt, der mehr Geld hat. Das gibt es durchaus. Ich habe kürzlich mit einem Senior Manager von Open Table gesprochen – das ist eine Reservierungsplattform für Restaurants, die den Dotcom-Crash überstanden hat und heute in den USA an der Börse ist. Er hat mir gesagt, dass sie vor allem deswegen überlebt hatten, weil sie damals mehr Geld als vergleichbare Konkurrenzplattformen hatten. Ich denke jedoch nicht, dass das eine prinzipiell richtig und das andere prinzipiell falsch ist. Es kommt auf die Situation an.

Sie sind ja auch noch Investor in Loqize.me, einem Portal eines Schweizer Start-up-Gründers in New York. Weshalb ist das Unternehmen in New York und nicht Zürich?

Loqize.me ist ein typisches «Go big or go bust»-Start-up. Da gibt es kein Zwischending. Für ein derartiges Start-up ist es nur in den USA möglich, entsprechendes VC-Funding zu bekommen. Entscheidend war aber auch, dass der typische New Yorker ein sehr technikversierter Nutzer ist, der bereit ist, neue Sachen auszuprobieren. Die Amerikaner sind zudem etwas exhibitionistischer und teilen vieles mit. Dann ist die Stadt auch sehr gross. Es macht keinen Sinn, ein derartiges Portal in einer Kleinstadt testen zu lassen, wo sich dann vielleicht eine Handvoll Nutzer austauscht. Für soziale Applikationen benötigt es ein grosses, fruchtbares Umfeld, um schnell Netzwerkeffekte aufzubauen.

Warum glauben Sie, dass diese Plattform ein Erfolg wird?

Q&A, also Frage- und Antwort, sowie Location sind ganz heisse Trends. Das wird in Loqize.me kombiniert. Es geht jetzt darum, dass das Team den Product-to-market-fit findet, eine Community aufbauen und dann entsprechend skalieren kann. Dazu muss man schon in den USA sein, sonst kann man nicht mithalten mit der Konkurrenz wie Loqly, Crowdbeacon, Ditto, Hipster oder Localmind.

Gerade auf Quora, das genauso eine Q&A-Plattform ist, haben Sie zahlreiche Beiträge verfasst. Es scheint, als tummeln sich viele Start-up-Gründer dort. Wie schätzen Sie diese Plattform ein?

Quora ist mit Abstand die beste Informationsquelle für Start-up-Gründer, abgesehen von ein paar Blogs. Quora ist sehr clever vorgegangen bei der Nutzer-Akquisitionsstrategie: Am Anfang waren es in erster Linie Freunde der Quora-Gründer, in der Regel Top-Shots aus dem Silicon Valley, die gute Inhalte ablieferten. Dadurch wurden Leute angezogen, die ähnlich gut waren. Darüber hinaus kamen dann schnell auch generell Tech-Interessierte und schliesslich allgemein an Wissen Interessierte dazu.

Wie geht es jetzt mit Getyourguide.com weiter?

Der weltweite Markt an Touren und Aktivitäten ist heute über 80 Milliarden Dollar gross, davon gehen aber nur 10 bis 15 Prozent über den Onlinekanal. Davon sind wieder nur weniger als 5 Prozent durch E-Commerce-Plattformen aggregiert. Das Potenzial ist also enorm gross. Wir haben kürzlich eine Partnerschaft mit Tripadvisor, der weltweit grössten Reisewebsite mit etwa 40 Millionen Besuchern im Monat, abgeschlossen.

Unsere Vision ist einfach: Wir möchten die weltweit grösste Website sein, auf der man lokale touristische Aktivitäten transparent vergleichen und bequem buchen kann, egal in welcher Stadt auf der Welt. Bis Ende des Jahres werden wir schon mal die grösste Produktpalette an Touren und Aktivitäten anbieten können. Wir sind mittlerweile bei 4000 Produkten – Ende des Jahres sollen es 8000 sein. Damit wären wir dann zumindest produktmässig Weltmarktführer. Darüber hinaus müssen wir dann die Distribution über Partner und uns selbst ausbauen. Im Markt der Touren und Aktivitäten gibt es auch noch keine Standards. Die wollen wir definieren.

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