Besuch in Polen

Dells steiniger Weg vom einfachen PC-Hersteller zum Komplettanbieter

Uhr | Aktualisiert

Dell hat Schweizer Kunden in seine Produktionsstätte nach Polen eingeladen. Der Konzern fertigt dort unter anderem seine Desktop-Linie. Die Einnahmen aus dem PC-Geschäft ermöglichen die Expansion in neue Geschäftsfelder. Doch die Entwicklung vom PC-Hersteller hin zum Komplettanbieter ist alles andere als einfach.

Der Eingang zu Dells europäischer Produktionsstätte in Polen. (Quelle: Netzwoche)
Der Eingang zu Dells europäischer Produktionsstätte in Polen. (Quelle: Netzwoche)

"Die Fertigung bestand aus drei Jungs, die mit Schraubenziehern an ihren Tischen sassen und Computer hochrüsteten", schrieb Michael Dell in seinem Buch über die Anfänge von Dell. Als er 1984 sein Medizinstudium an der University of Texas abbrach, hätte er sich nicht träumen lassen, dass sein Baby zu einem der grössten IT-Unternehmen weltweit heranwachsen würde.

Heute beschäftigt Dell alleine in Łódź, Polen, 1800 Mitarbeiter. Letzte Woche charterte das Unternehmen einen Flieger und lud rund 40 Schweizer Kunden zur Besichtigung seiner Produktionsstätte. Die Netzwoche war mit dabei.

IT im Herzen Polens

Łódź ist mit über 700'000 Einwohnern die drittgrösste Stadt Polens. Als die Weltwirtschaft vor vier Jahren in eine Rezession stürzte, trotzte das Gelobte Land mit Wachstum. Mittlerweile haben sich in der ehemaligen Textil-Hochburg nicht nur Unternehmen wie ABB, Gillette oder Ikea niedergelassen. Die Unterhaltungs- und Elektronik-Branche ist mit Fujitsu, Philips und Procter & Gamble ebenfalls gut vertreten.

Auch Dell ist in Łódź vor Ort und unterhält seit 2009 ein Produktions- und Logistikcenter. Der Konzern fertigt dort Hardware - unter anderem Server und Desktop-PCs - und betreibt ein eigenes Rechenzentrum. Die Kapazität von rund 1200 Servern nutzt das Unternehmen heute zu rund 70 Prozent. Dell setzt dabei auf die hauseigene Poweredge-Linie. Diese weise bis jetzt eine Uptime von 100 Prozent aus, sagte Marcin Porada, Leiter der Produktionsstätte, bei der Besichtigung nicht ohne Stolz.

Erst organisches Wachstum, dann Übernahmen

Als Michael Dell nach einer zweieinhalbjährigen CEO-Auszeit 2007 wieder in den Chefsessel zurückkehrte, stand er vor neuen Herausforderungen. Konkurrenten wie HP und Acer setzten nun ebenfalls auf verkürzte Lieferketten und mehr Nähe zum Kunden. Der CEO reagierte und änderte die Strategie: Statt wie bisher hauptsächlich organisch sollte sein Unternehmen von nun an auch über Partner und Akquisitionen wachsen. So fanden Dells Produkte den Weg in den Einzelhandel - in der Schweiz unter anderem bei Media Markt, Microspot, Steg, Brack und Digitec.

Die IT-Branche befand sich in einem radikalen Wandel. Kunden wollten Server-, Storage- und Netzwerk-Produkte nun vom gleichen Anbieter und das Geschäft mit Grosskunden wurde immer wichtiger. Und während Konkurrent HP mit IT-Dienstleistungen bereits viel Geld machte, war Dell noch immer stark vom PC-Verkauf abhängig.

Alles aus einer Hand

In den folgenden Jahren ging Dell auf Einkaufstour. 2009 übernahm der Konzern für 3,9 Milliarden US-Dollar den IT-Dienstleister Perot Systems. Der Zukauf des Unternehmens, das ebenfalls aus Texas stammt, sollte die Abhängigkeit vom Hardware-Geschäft reduzieren. Dieses wurde mit sinkenden Gewinnmargen, kürzeren Produktzyklen und einem brutalen Verdrängungswettbewerb immer weniger lukrativ.

Dell wollte vom Computerspezialisten zum Komplettanbieter aufsteigen und setzte seinen Übernahmekurs fort. Alleine in der Storage- und Netzwerksparte verleibte sich Dell etliche Unternehmen und Technologien ein: Equallogic (iSCSI-SAN-Arrays, November 2007), Exanet (Cluster-Dateisystem, Februar 2010), Ocarina Networks (Deduplizierung, Juli 2010), Scalent (Virtualisierung, Juli 2010), Compellent (Enterprise-SAN, Dezember 2010), RNA Networks (Cloud Memory, Juni 2011), Force10 (Netzwerktechnik, Juli 2011) und Appassure (Backup, Februar 2012). Alle diese Akquisitionen dürften Dell über 4 Milliarden US-Dollar gekostet haben.

Auch das Geschäft mit der Wolke forciert Dell. Im November 2010 schnappte sich das Unternehmen den amerikanischen Cloud-Computing-Spezialisten Boomi. 2012 folgten Akquisition von Secureworks, Sonicwall, Wyse Technology, Clerity und Make Technologies. Sie alle sollen mithelfen, Dell für das Geschäft mit der Cloud fit zu machen.

Bruch mit EMC

Die Niederlage gegen HP im Kampf um den Speicherspezialisten 3Par scheint Dell heute gut zu verkraften. Der Erzrivale bezahlte für das kalifornische Unternehmen im September 2010 rund 2,4 Milliarden US-Dollar. Eine andere Entwicklung wiegt schwerer: Die Erstarkung von Dells Storage-Sparte führte im Oktober 2011 zum Bruch mit dem langjährigen Partner EMC. Die beiden Unternehmen hätten sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt, sagte Mich Jäger, Dells Storage-Chef für den Schweizer Markt, diplomatisch.

Laut The Register machte Dells Umsatz mit Storage im dritten Quartal 2011 rund 30 Prozent der Sparten Server und Netzwerke aus. Ein Jahr später waren es noch 15 Prozent. Überhaupt waren die Zahlen für das dritte Quartal 2012 enttäuschend: Ausser bei Netzwerken und Servern, die um rund 11 Prozent zulegten, schnitt Dell nicht gut ab - der Gewinn reduzierte sich im Vergleich zum Vorjahresquartal um die Hälfte.

Wachstum in der Schweiz

In der Schweiz jedoch laufe das Geschäft gut, liess Jäger auf der Polen-Reise durchsickern. Die Sparten Storage, Server und Netzwerk seien allesamt gewachsen. Mit Speicherlösungen habe man gar Wachstumsraten "im mittleren zweistelligen Bereich" erzielt, so Jäger.

Ende 2011 setzte Dell die CEO-Vorgabe, vermehrt auf Partner zu setzen, auch in der Schweiz um. In Zürich verkündete das Unternehmen eine Distributionspartnerschaft mit Alltron. Die Aargauer vertreiben primär Business-Produkte wie Desktops, Notebooks, Drucker, Monitore, Beamer, Server und Storage. Dell wolle über den Channel Marktanteile gewinnen, verkündete Senior Regional Manager Stephan Muehlemann damals - das ist offenbar gelungen. Der Direktbezug ist aber weiterhin möglich.

Der Konkurrent stolpert

Zurück nach Polen: Kaum in Łódź angekommen, machte eine Neuigkeit von HP die Runde. Der Konkurrent verkündete eine Abschreibung auf dem Unternehmen Autonomy in der Höhe von 8,8 Milliarden Dollar. Dies sorgte nicht nur beim Dell-Management für Gesprächsstoff. HP hatte für den Softwarehersteller 10,3 Milliarden bezahlt. Als Grund für die Wertkorrektur nennt das Unternehmen Unregelmässigkeiten in der Bilanzierung. Das Beispiel zeigt, dass Diversifizierung - weg von Hardware, hin zu Software, Cloud und Services - alles andere als einfach ist.

Dell verstärkte sich weiter und kaufte das Unternehmen Quest Software für 2,4 Milliarden Dollar. Ein Desaster wie bei HP ist aber nicht zu erwarten: Die Übernahme sei erfolgreich abgeschlossen, sagte Dell vor zwei Monaten. Das Unternehmen gewann so rund 100'000 Kunden, 5000 Vertriebspartner, 1500 Verkaufs- und PR-Angestellte und 1300 Softwareentwickler. Integriert wurden diese in die neu gegründete Software Group.

Verkauf an Foxconn abgeblasen

Dell wolle weiter wachsen, sagte Facility-Manager Marcin Porada bei der Besichtigung der Produktionsstätte. Schon jetzt produziere das Werk mehr Hardware, als die polnische Volkswirtschaft in einem Jahr aufnehmen könne. Auch im Rechenzentrum (RZ) gebe es noch Raum für Wachstum. Die Energie- und Kühlungssysteme seien erst zu 30 Prozent ausgelastet, und Virtualisierung werde noch nicht genutzt. Der Grund dafür sei, dass das RZ vor sechs Jahren konzipiert wurde.

Eines aber teilte Porada nicht mit: 2009 überlegte sich Dell, das Werk an Foxconn zu verkaufen. Nach eineinhalbjährigen Verhandlungen - die Genehmigung der EU lag bereits vor - entschied man sich im letzten Moment gegen einen Verkauf. Gründe dafür nannte Dell nicht.

Die Arbeitsbedingungen in der Produktionsstätte seien gut, sagte Porada. Im Werk werde von Montag bis Samstag im Zweischicht-Betrieb gearbeitet. Die Mitarbeiter hätten 26 Tage Ferien und seien durchschnittlich 28 Jahre alt. Ein "Floor Worker" (Montage, Fertigung) verdiene rund 2000 Zloty im Monat. Umgerechnet sind das 590 Franken oder 3,70 Franken pro Stunde. Zum Vergleich: Laut der EU-Behörde Eurostat betrug das durchschnittliche Bruttoeinkommen in Polen 2011 rund 3420 Polnische Zloty - also etwa 1000 Schweizer Franken.

"Der Client wird nicht verschwinden"

Eines ist sicher: Michael Dell wird nicht ruhen und sich weiter nach Partnern und Übernahmekandidaten umschauen. Erst gerade gestern machte das Gerücht die Runde, Dell wolle beim kriselnden Elektronik-Konzern Sharp als Investor einsteigen. Wie die neusten Quartalszahlen zeigen, garantiert diese aggressive Akquisitionspolitik aber keinen Erfolg.

Die Entwicklung vom PC-Hersteller zum Komplettanbieter ist für Dell noch nicht abgeschlossen. Das Geschäft mit Notebooks und Desktop-Rechnern generiert noch immer rund die Hälfte des Umsatzes. Sinken die Margen im PC-Geschäft weiter, drängt sich gar die Frage auf, ob Dell dieses nicht abstossen will - so wie IBM 2004 mit Lenovo. Dies sei momentan kein Thema, sagte das Schweizer Dell-Management in Polen geschlossen.

Auch Michael Dell denkt nicht an eine Aufgabe der PC-Sparte. "Wir glauben immer noch an die Wichtigkeit des Client-Business", sagte er erst gerade kürzlich in einem Interview. "Es wird nicht verschwinden."

Interessenbindung: Der Autor wurde nach Polen eingeladen. Die Kosten für Flug und Unterkunft bezahlte Dell.