Studie der Stiftung "Zugang für alle"

Schweizer Apps haben ein riesiges Accessibility-Problem

Uhr
von René Jaun und cka

Nur jede dritte populäre Schweizer App ist für Menschen mit Behinderungen nutzbar. Die anderen weisen schlicht zu grosse Accessibility-Mängel auf. Darunter sind Apps von Behörden, Telkos und eines Retailers.

(Source: Reneshia/AdobeStock.com)
(Source: Reneshia/AdobeStock.com)

Mehr als 40 populäre Smartphone-Apps hat die Schweizer Stiftung "Zugang für Alle" hinsichtlich Barrierefreiheit untersucht. Die Ergebnisse sind "relativ ernüchternd, auch für uns", wie es Philip Keller, Leiter des Technologie & Innovation bei "Zugang für alle", anlässlich der Fachtagung E-Accessibility 2023 ausdrückte. Insgesamt, schreibt die Stiftung, wiesen 80 Prozent der Apps Barrieren auf, die "aus diesem gesellschaftlich wichtigen Ökosystem aus Kommunikation, Produktivität und Information ausschliessen". Mehr als 60 Prozent der Apps bewertet "Zugang für alle" als ungenügend zugänglich.

Gute Noten für US-Apps

Schaut man sich ausschliesslich Apps aus der Schweiz an, trübt sich das Bild weiter: Nur vier Apps erhalten eine Note von 4.5 und höher. Immerhin: Darunter ist auch die einzige mit 5 benotete App, "SBB Inclusive". Die SBB hatte diese auch spezifisch für Menschen mit Behinderung entwickelt. Gute Zugänglichkeit attestiert "Zugang für alle" auch der App "Fairtiq", den iOS-Versionen des Messengers "Threema" sowie "SBB Mobile", deren Android-Pendants jeweils einen halben Bewertungspunkt schlechter abschneiden. Weitere mit 4 von 5 Punkten bewerteten Schweizer Apps sind "SRF News", "Postfinance", "Migros" (nur iOS), "Twint", "RTS News" und "Voteinfo".

(Source: zVg)

Philip Keller, Leiter des Technologie & Innovation bei der Stiftung "Zugang für alle". (Source: zVg)

Die Mehrheit der mit 4 bis 5 Punkten bewerteten Apps kommt jedoch aus den USA. Dazu gehören der Messenger "Whatsapp", die Kollaborations-Tools "Microsoft Teams" und "Webex" sowie die Fahrdienst-App "Uber".

Dafür, dass US-Apps hinsichtlich Accessibility überdurchschnittlich gut abschneiden, nannte Keller zwei mögliche Interpretationen: Einerseits stecken dahinter grosse Firmen mit mehr Ressourcen. Zum anderen habe es wohl auch damit zu tun, dass "der regulatorische Druck etwas prononcierter ist als bei uns hier".

Mehr Sichtbarkeit, strengere Gesetze

Mehr als 20 Schweizer Apps beurteilt die Stiftung als schlecht zugänglich. Darunter finden sich Apps von Retailern wie "Migros" (Android, 3,5 Punkte) und "Coop" (3 Punkte), Behörden-Apps wie "Alertswiss" und "Meteoswiss" (je 3 Punkte), Apps bundesnaher Betriebe wie "My Swisscom" (3 Punkte) und "ePost" (3,5 Punkte). Am unteren Ende der Tabelle finden sich beispielsweise "Watson News", "Parkingpay" und "Teletext" mit je 2,5 Punkten.

Die Bewertung könne je nach Person oder deren Behinderung unterschiedlich ausfallen, merkte Keller an. "Es geht uns nicht um das Ranking; es ist kein Wettbewerb", sagte Keller. "Es geht darum, ein Gesamtbild darzustellen, wie der jetzige Zustand an Zugänglichkeit für Mobile Apps wirklich aussieht." Und dieses Gesamtbild zeigt folgende Ergebnisse:

  • Im Mobilitäts- und Geschäftsumfeld werden bessere Resultate erzielt als in Bildung und Gesundheit. Im Mittelfeld stehen Information und Informationsvermittlung.
  • Bei der Verteilung nach Accessibility-Profilen ist die Konsistenz und Vorhersehbarkeit im Vergleich zu Webinhalten übermässig gut. Dagegen schneiden "Mobile Bedienbarkeit" und "Tastaturbedienbarkeit" gesamthaft ungenügend ab. Sehr schlecht sieht es auch mit der Zugänglichkeit von Multimedia-Inhalten aus.
    • Bei den Leistungserbringern zeigen sich zwischen Service Public und Privatwirtschaft wenig Unterschiede, abgesehen von Multimedia-Inhalten, bei denen behördliche Erbringer besser abschneiden.
      • iOS und Android sind sich in puncto Accessibility insgesamt sehr ähnlich. Einzig bei der Tastaturbedienbarkeit zeigt sich ein signifikanter Unterschied, bei dem iOS besser wegkommt. Unterschiede zeigen sich aber bei einzelnen Apps. Die Stiftung schreibt dazu: "Wir schliessen daraus, dass die umsetzenden Teams unterschiedliche Fähigkeiten haben, verschiedene Aspekte der Zugänglichkeit zu realisieren."

Alles in allem konkludiert "Zugang für alle" in der Mitteilung, muss die Situation für alle Stakeholder besser sichtbar gemacht werden und entsprechendes Fachwissen muss zu den umsetzenden Agenturen, Designer- und Entwicklerteams kommen. An die Regierung gerichtet, empfiehlt die Stiftung zudem, gute Accessibility auch von privatwirtschaftlichen Anbietern zu fordern.

Die ganze Studie finden Interessierte auf der Website der Stiftung.

Vor vier Jahren präsentierte "Zugang für alle" ebenfalls eine Accessibility-Studie. Die Stiftung kam damals zum Ergebnis, dass nur ein Viertel der Schweizer Onlineshops barrierefrei seien. Mehr dazu lesen Sie hier.

 

 

 

 

Webcode
W5BGiTKi