Warum Axa Schweiz die Jobtitel abschafft und auf KI setzt
Axa Schweiz hat die Jobtitel aus dem Organigramm gestrichen. Was der Versicherungskonzern mit diesem Schritt erreichen will, wie sich die Umstellung auf die Mitarbeitenden auswirkt und warum diese nun mit einem "sicheren ChatGPT" arbeiten, erklärt Technologiechefin und Geschäftsleitungsmitglied Kathrin Braunwarth.
Anfang 2024 hat die Axa Schweiz angeblich sämtliche Jobtitel abgeschafft. Sind nun tatsächlich alle Titel weg? Auch der Ihrige und jene der anderen Geschäftsleitungsmitglieder?
Kathrin Braunwarth: Ja, wir haben Titel wie AVP, VP oder Director per Anfang 2024 abgeschafft, da diese in erster Linie einen symbolischen Charakter hatten. Funktionen wie eine Geschäftsleitung, Head ofs oder Teamleiterinnen und Teamleiter wird es aber nach wie vor geben. Dass es so erklärungsbedürftig ist, was wir denn nun abgeschafft haben, ist aus meiner Sicht ein Indiz dafür, dass der Schritt richtig war.
Künftig soll es also keine Direktorinnen oder Vizepräsidenten mehr geben. Was spricht gegen solche Bezeichnungen? Und welches Ziel verfolgt die Axa mit deren Abschaffung?
Titel kommen aus einer anderen Zeit, in der Status weitaus wichtiger war als heute. Wir möchten auf Augenhöhe miteinander kommunizieren, unabhängig davon, wer welche Funktion oder Position im Unternehmen hat. Jede und jeder soll sich gleichermassen einbringen und mitgestalten können.
Die Titel mögen verschwinden, doch das Prinzip der Hierarchie bleibt – neu gibt es allerdings 13 Verantwortungsstufen. Wie hat sich die Rangordnung für die Mitarbeitenden konkret verändert?
Neu arbeiten wir mit einer Verantwortungs- statt einer Status-Hierarchie. In allen 13 Stufen werden die Aufgaben, der Verantwortungsrahmen und die Anforderungen an die Mitarbeitenden der jeweiligen Stufe beschrieben. Dieses System spiegelt die Verantwortungshierarchie wider.
Wie wirkt sich die neue Arbeitsorganisation auf die Mitarbeitenden aus?
Eine kollaborative Kultur, in der sich alle Mitarbeitenden einbringen können und auf Augenhöhe zusammenarbeiten, pflegen wir nun schon seit einigen Jahren. Mit der Titelabschaffung erhielt diese nun jedoch einen offiziellen Charakter. Daher kam es für unsere Mitarbeitenden zu keinen drastischen Änderungen in ihrem Arbeitsalltag.
Welche Bedenken gab es im Vorfeld der Veränderung und wie sind Sie damit umgegangen?
Natürlich gibt es bei einem Unternehmen unserer Grösse immer Personen, denen Veränderungen weniger leichtfallen als anderen, weshalb wir die Mitarbeitenden auf diesem Change eng begleitet haben. Durch eine proaktive und transparente Kommunikation blieben wenig Fragen offen und eventuelle Unsicherheiten konnten abgefangen werden. Das war mitunter ein Grund, weshalb die Resonanz auf das neue System sehr positiv war.
Für hochrangige Mitarbeitende bedeutet die Abschaffung von Titeln einen Statusverlust. Inwiefern gab es Widerstand aus den Reihen des Top-Managements?
Die Mitarbeitenden haben diesen Change über alle Hierarchiestufen hinweg mitgetragen und die Vorteile darin erkannt. Von rund 4200 neuen Arbeitsverträgen, die aufgrund des neuen Systems ausgestellt wurden, wurden nur vier abgelehnt. Ob dies ausschliesslich auf die Titelabschaffung zurückzuführen ist, lässt sich nicht sagen.
Wie funktioniert die Zuweisung von Verantwortlichkeiten in einer Organisation, in der sich alle auf Augenhöhe begegnen wollen? Und wer übernimmt Verantwortung, wenn sich die Aufgaben einzelner Teammitglieder überschneiden?
Wir arbeiten bereits heute in vielen Bereichen agil oder über Divisionsgrenzen hinweg. Die Entscheidungsbefugnisse liegen hier schon lange bei den Expertinnen und Experten und in den Teams selbst. Viele Aufgaben sind heute zudem so komplex, dass nicht nur eine Einzelperson alle Entscheidungen treffen kann.
Wie gestaltet sich aktuell die digitale Transformation für die Axa Schweiz?
Die digitale Transformation hat für die Axa Schweiz hohe Priorität. Ausser auf strategischen Initiativen liegt der Fokus auch auf der Optimierung und dem Ausbau unserer digitalen Plattformen. Gleichzeitig beschäftigen wir uns damit, wie die Transformation zur Entwicklung unserer Arbeitskultur sowie zum Erreichen unserer Klimaambitionen beitragen kann. Eine entscheidende Rolle spielen dabei unsere Daten sowie KI, respektive das Potenzial, das wir aus den beiden Bereichen schöpfen können.
Welche Herausforderungen und Projekte stehen ganz oben auf Ihrer Prioritätenliste?
Ein zentraler Aspekt der digitalen Transformation bildet die laufende Optimierung des Kundenerlebnisses. In diesem Zusammenhang stehen diverse Digitalisierungsprojekte, um die wichtigsten Prozesse zu vereinfachen und zu automatisieren. Hier beschäftigt uns aktuell beispielsweise die Ablösung der klassischen Grossrechner und die entsprechende Modernisierung unserer Anwendungslandschaft. Zudem gilt es, das Potenzial im Bereich generative KI zu erkennen und in unsere Optimierungsprozesse miteinzubinden. Zukünftig möchten wir unseren Kundinnen und Kunden so noch schneller, effizienter und individueller zur Verfügung stehen.
Vor etwas mehr als zwei Jahren gründete die Axa Schweiz eine Insurtech-Tochterfirma mit dem Ziel, die Schadensabwicklung mithilfe von künstlicher Intelligenz effizienter zu gestalten. Wie steht es um dieses Vorhaben?
Das Unternehmen «noimos» beschäftigt mittlerweile rund 20 Mitarbeitende und erarbeitet derzeit Modelle im Umfeld des Schadenprozesses in der Motorfahrzeugversicherung. In der Schweiz sind bereits erste Lösungen livegegangen, gleichzeitig sind Piloten in anderen europäischen Einheiten der Axa angelaufen oder in Planung.
Seit dem Aufkommen von ChatGPT steigen die Erwartungen an die Fähigkeiten von Chatbots. Was bedeutet das für den Chatbot der Axa, der schon seit einigen Jahren in der Kundenkommunikation im Einsatz ist?
Unsere Kundinnen und Kunden sind sehr zufrieden mit unserem Chatbot – Axas digitaler Assistentin Ada. Die Liste neuer Technologien ist sehr lange und wir prüfen entsprechend laufend, wie wir Ada noch weiter ausbauen können.
Wie sieht es mit dem internen Einsatz von KI-Assistenten bei der Axa aus? Dürfen die Mitarbeitenden beispielsweise ChatGPT bei der Arbeit nutzen? Und wenn ja: zu welchem Zweck?
Kürzlich haben wir allen unseren Mitarbeitenden ein sicheres ChatGPT («Secure GPT») für den internen Gebrauch zur Verfügung gestellt. Wir wollen uns als gesamte Organisation schrittweise an die Möglichkeiten der generativen KI herantasten, unsere Produktivität weiter steigern und unseren Kundinnen und Kunden noch besseren Service bieten. Gemeinsam erschliessen wir Potenzial, indem unsere Expertinnen und Experten aus dem Technologie- und anderen Fachbereichen gemeinsam KI in den verschiedenen Prozessen einsetzen, um unsere Mitarbeitenden mit verschiedenen Assistenzfunktionen zu unterstützen.
Wie beurteilen Sie grundsätzlich die Chancen und Risiken der KI? Und was überwiegt Ihrer Ansicht nach?
KI soll in erster Linie Kundennutzen generieren. KI ist aber auch ein sehr mächtiges Instrument, mit dem besonders verantwortungsvoll und ethisch umgegangen werden muss, um die Chancen zu maximieren und die Risiken zu minimieren. Bei der Axa gelten deshalb strenge Grundsätze, Richtlinien und Prozesse, die unter anderem Transparenz und Fairness gegenüber unseren Kundinnen und Kunden gewährleisten und sicherstellen, dass neben der Maschine immer auch ein Mensch an der Entscheidungsfindung beteiligt bleibt.
Zum Schluss noch ein Ausblick: Welche Technologien werden die Zukunft der Versicherungs- und Finanzbranche wohl am stärksten prägen?
Die Zukunft lässt sich glücklicherweise auch mit der heutigen Technologie noch nicht vorhersagen. Dennoch sollte aus meiner Sicht hier die generative KI genannt werden, da sie die Kundeninteraktionen und die Anforderungen an diese massgeblich beeinflussen wird. Gleichzeitig ist es mir wichtig, zu betonen, dass das Versicherungsgeschäft nach wie vor ein People Business ist und bleiben wird – gerade auch weil die Technologie so schnell voranschreitet.
Zur Person
Kathrin Braunwarth leitet seit September 2023 den Geschäftsbereich «Data, Technology & Innovation» bei der Axa Schweiz. Zudem ist sie Mitglied der Geschäftsleitung des Versicherers. Zuvor war Braunwarth in leitenden Positionen für den öffentlich-rechtlichen deutschen Allbranchenversicherer «Versicherungskammer» tätig, zuletzt als Bereichsleiterin IT. Von 2010 bis 2015 arbeitete sie bei der Allianz Deutschland. Kathrin Braunwarth hat ein Betriebswirtschaftsstudium als Diplomkauffrau sowie ein Masterstudium in Financial Management & Electronic Commerce abgeschlossen und anschliessend in Wirtschaftsinformatik promoviert.