Interview mit Mathias Haussmann, CEO von Uepaa

"Einige unserer Kunden nutzen die App als Schutzengel in der Hosentasche"

Uhr | Aktualisiert
von Janine Aegerter

Mathias Haussmann ist CEO von Uepaa, dem Unternehmen, das hinter der gleichnamigen alpinen Rettungsapp steht. Im Interview erzählt Haussmann, welche Pläne er für 2014 hat und warum er die App interaktiver machen will.

Mathias Haussmann, CEO von Uepaa (Quelle: Netzmedien)
Mathias Haussmann, CEO von Uepaa (Quelle: Netzmedien)

Die Uepaa AG, ein ETH-Spin-off mit Sitz in Zürich, revolutioniert die Bergwelt mit einer mehrfach prämierten Notruf-App. Lanciert wurde die App 2013. Mit enger Unterstützung von Swisscom, Rega und Mammut werden Smartphones so in Tracking-, Alarmierungs- und Rettungsgeräte verwandelt.

Die Redaktion hat sich mit Uepaa-CEO Mathias Haussmann unterhalten.

Herr Haussmann, 2011 hatten Sie die Idee für Uepaa beim Skifahren in Engelberg. Ist dort etwas Bestimmtes passiert?

Nein, gar nicht. Ich war damals allein auf dem Gletscher zum Tiefschneefahren unterwegs, und es fiel ein halber Meter Neuschnee. Ich war damals schon Vater eines kleinen Sohnes und machte mir so meine ­Gedanken. Ich tat mich dann spontan mit einem Skifahrer zusammen. Wir tauschten die Nummern aus und teilten diese un­seren Angehörigen mit. So ist eigentlich der Gedanke an eine Art alpine Facebook-­App entstanden, die einen aufgrund einer Ad-hoc-Problematik verbindet.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe mich intensiv mit dem Markt auseinandergesetzt und versucht, die Technik, also die Peer-to-Peer-Technik, zu eruieren und zu sehen, wo damit gearbeitet wird. Ich wollte he­rausfinden, ob sie überhaupt auf Smartphones funktioniert. Danach sprach ich mit potenziellen Kunden und Partnern, angefangen bei der alpinen Rettung Schweiz, der Suva sowie dem SLF in Davos, um herauszufinden, ob überhaupt ein Bedürfnis nach meiner Idee vorhanden ist. Dabei erfuhr ich, dass Wanderunfälle von allen Sportarten die intensivsten Suchflüge verursachen. Hinzu kommt, dass die Suchen meist mitten in der Nacht starten mit Nachtsichtkameras und aufwendigen Suchaktionen am Boden. Die Stellen, die ich angefragt hatte, zeigten sich interessiert, falls sich dieses Problem mit Technik lösen liesse.

Wie sieht es denn mit Lawinenunfällen aus?

Lawinenunfälle werden von den Medien einfach eher aufgegriffen und verlaufen oft auch sehr tragisch. Aber laut BFU sterben statistisch gesehen mehr Wanderer als Schneesportler, die von Lawinen erfasst werden. Gemäss Statistik sind es oft Männer ab 50 Jahren, die beispielsweise einen Herzinfarkt erleiden oder abstürzen. Tiefschneefahrer hingegen sind schnell unterwegs und meistens auch gut vorbereitet. Oft fahren sie zudem in Gruppen und sind mit Sonden, Lawinensuchgeräten und Schaufel ausgerüstet.

Können Sie die technischen Details hinter Uepaa erklären?

Es ist eine Peer-to-Peer-Technik, basierend auf einem Wi-Fi-Netzwerk. Ursprünglich stammt sie von der ETH Zürich, wo sie für andere Zwecke entwickelt wurde. Wir haben diese weiterentwickelt zur heutigen Uepaanet-Technik. Wichtig ist, zu wissen, dass diese Technik zeittolerant ist. Das heisst, wenn einmal kein Peer- respektive Uepaa-Nutzer in der Umgebung verfügbar ist, bricht das Netz nicht gerade zusammen, sondern wartet, bis die Informationen weitergegeben werden können. Das ist eine Art epidemische Verbreitung. Solange man eine Information besitzt, versucht man sie viral zu verbreiten. Sobald also eine Person nahe genug ist, werden die Daten übertragen. Auf diese Art und Weise sucht sich die Information einen Weg zurück ins Netz.

Standen anfangs auch andere technische Möglichkeiten zur Diskussion?

Wir haben nach einer idealen Lösung für die beiden Plattformen Android und iPhone gesucht. Bluetooth wäre auch eine Möglichkeit, generell könnte man sich auch überlegen, auf der GSM-Frequenz etwas zu machen, dort spielt aber die Thematik der Operator eine Rolle, die diese Technik nicht für alternative Zwecke freigeben. Darum ist Wi-Fi die naheliegendste Übertragungsstrecke. Sie ist standardisiert und bietet die höchste Reichweite.

Wie nutzt die App diese Technik?

Einerseits bieten wir die Möglichkeit der Alarmierung in Gebieten ohne Netzabdeckung. Andererseits bieten wir Tracking-Lösungen, damit Angehörige daheim auf dem PC verfolgen können, wo sich jemand befindet, wenn man das Netz verlässt, weil eben diese Daten zurückgetragen werden.

Nehmen wir an, ich wandere in einem entlegenen Gebiet und habe ein Problem. Was ist die maximal mögliche Entfernung zwischen meinem eigenen und den Smartphones in der nächsten Umgebung, damit die App funktioniert?

Bei Wi-Fi beträgt die ideale Distanz zwischen zwei Smartphones 450 Meter. Nach oben in die Luft vergrössert sich diese Distanz, und die Datenübertragung kann bis zu einer Distanz von eineinhalb Kilometern funktionieren. Das kommt dann zum Zug, wenn ein Hubschrauber nach einer verunfallten Person am Boden sucht und das Smartphone orten muss.

Das heisst, wenn die nächste Person zu weit weg ist, funktioniert die App nicht?

Das ist richtig. Man muss hier aber auch beachten, dass man die Applikation ja morgens startet, bevor man losläuft. Zudem gibt man auch sein Tagesziel an. Im Verlauf des Tages teilt man also als Nutzer mit anderen Uepaa-Nutzern, die man kreuzt, Daten aus. Dazu gehören die aktuellen Koordinaten sowie Angaben zur eigenen Person. Hat man dann wirklich ein Problem und das nächste Smartphone ist einen Kilometer entfernt, hat man doch kurze Zeit zuvor seine Daten mit einer anderen Person ausgetauscht. Würde es zu einer Vermisstenmeldung kommen, können wir herausfinden, wo diese Person zuletzt gesehen wurde. Bei anderen Applikationen, beispielsweise der ­Rega-App, ist dies anders. Die startet man ja meistens erst, wenn man ein Problem hat.

Wie viele Alarme verzeichnen Sie total?

Insgesamt haben wir etwas mehr als 300 Alarme total, viele davon waren auch Test­alarme. Das waren Vertrauensprüfungen neuer Nutzer, die wir aber auch gerne sehen, weil es einerseits unsere Notrufzentrale schult, andererseits aber auch einen Marketing-Effekt hervorruft, weil die Leute merken, dass wirklich etwas passiert, weil jemand antwortet oder zurückruft. Wir hatten etwa 15 Notrufe, die bearbeitet werden musste, entweder via Telefon mit Anweisungen oder mit professioneller Hilfe. In vier Fällen ist professionelle Rettung ausgerückt.

Falls ich die App aktiviere und einen anderen Wanderer treffe, der die Uepaa-App nicht installiert hat, bringt das etwas?

Nein, im Moment nicht. Wir sind aber derzeit daran, die App in zwei Teile zu trennen. Das heisst, wir wollen die Peer-to-Peer-Technik von der restlichen Software abkoppeln, weil wir glauben, dass sie noch einiges an Potenzial birgt. Dieses Jahr wollen wir daher diese Technik so weit Whitelabel-fähig machen, dass sie von anderen Apps auch genutzt werden kann oder gar einmal Bestandteil des OS sein könnte.

Welche Ziele haben Sie sonst noch für das Jahr 2014?

Derzeit ist die App mehrheitlich auf den maximalen Schutz optimiert. In den meisten Fällen braucht man sie also hoffentlich nicht. Erweiterte Tracking-Funktionen mit Social-Media-­Komponenten beispielsweise würden die App interaktiver machen, damit man sie auch regelmässiger nutzt. Zudem wollen wir das Thema Batterie weiter verbessern und werden uns nach der ersten PR-Welle auf die nachhaltige Vermarktung der App fokussieren.

Haben Sie ein Beispiel zu möglichen Social-­Media-Komponenten?

Man könnte die Route, die man gewandert ist, beispielsweise mit anderen teilen. Man kann auch heute schon Wegmarken setzen. Aber wir versuchen, den Sicherheitsgedanken aufzugreifen, damit unsere Nutzer in der App auch Warnsignale hinterlegen können, beispielsweise bei Steinschlag. Aber sie sollen auch positive Signale hinterlegen können, die dann in dem Ad-hoc-Netzwerk für Nutzer in der Nähe verfügbar sind.

Und das Thema Batterie?

Unsere App benötigt wie jede andere Tracking-App relativ viel Strom. Das versuchen wir zu verbessern, indem wir dem Nutzer in Zukunft mit High oder Low Accuracy GPS selbst überlassen, wie genau er getrackt werden will. Demzufolge könnten wir die GPS-Abgriffe auch auf ein Minimum reduzieren beziehungsweise nur bestimmte, vordefinierte Wegstrecken sehr genau erfassen, inklusive Höhenprofil, Geschwindigkeit und so ­weiter.

Wie weit sind Sie da?

Wir sind daran, diese Funktion einzubauen. Die Schwierigkeit dabei ist, dass sie sehr grossen Einfluss auf das Gesamtsystem hat. Will jemand nicht genau getrackt werden, trifft dann aber eine andere Person und tauscht via App seine Daten mit ihr aus, sollten diese ja möglichst genau sein, weil uns sonst in einem Notfall nur ungenaue Daten zur Verfügung stehen. Feldtests werden hier zeigen, wie wir dies am besten lösen können. Eine Möglichkeit wäre, den Datenaustausch einzuschränken, wenn man innerhalb kurzer Zeit auf zwei Personen trifft.

Wie sieht das typische Nutzerprofil von ­Uepaa aus?

Anfangs hatten wir ein recht hohes Durchschnittsalter von 43 Jahren. Inzwischen haben wir eigentlich jedes Alter, je nach Bedürfnis der Nutzer. Die einen brauchen es als Schutzengel in der Hosentasche mit der automatischen Unfallerkennung. Das sind eher die älteren Leute. Gleichzeitig haben wir auch Jüngere, beispielsweise Downhill-Biker, andere lieben die Tracking-Funktion, das sind dann eher Väter oder Mütter. Der älteste Nutzer ist 93 Jahre alt – es gibt also sogar 93-Jährige mit Smartphones (lacht).

Machen sich Ihre Nutzer eigentlich Sorgen darüber, was mit ihren Daten passiert?

Ja, das lässt sich nicht vermeiden. Wir haben immer wieder Anfragen, was mit diesen Profildaten passiert und ob sie für andere Zwecke missbraucht werden. Unser Disclaimer ist ja sehr umfassend und räumt uns viele Rechte ein, die wir aber auch benötigen. Wir müssen beispielsweise rettungsrelevante Daten weitergeben können, auch an unsere Drittpartner im Ausland, falls jemand ausserhalb der Schweiz Hilfe benötigt. In Juristensprache übersetzt wirkt dann die Formulierung sehr offen, so nach dem Motto, dass wir theoretisch alles mit diesen Daten machen könnten, was wir faktisch natürlich nicht tun werden. Im Vergleich zu anderen Apps kann man aber unsere App via Knopfdruck selbst beenden und dann ist man wieder unsichtbar.

Wie viele Nutzer verzeichnet die App derzeit?

Wir haben gerade eben die Schwelle von 30 000 Nutzern überschritten. Das verändert sich jetzt jeden Tag, seit wir seit letztem Dezember in Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich aktiv sind.

Sind andere Länder in Planung?

Ja, da sind wir dran. Für uns hat das Ganze natürlich eine gewisse Tragweite, da es sich nicht nur um eine App handelt, sondern auch eine Notrufzentrale involviert ist, mit der wir zusammenarbeiten. Diese ist 24 Stunden und 7 Tage die Woche aktiv. Wir haben eine weitere App für die Rettungspartner entwickelt, die es erlaubt, aus der Luft nach einer vermissten Person respektive einem Handy zu suchen. Das heisst, wir versuchen, das Gesamtpaket anzubieten. Wenn jemand die App beispielsweise in den USA einschaltet, bringt das nicht viel, wenn weder Rettungspartner noch Notrufzentrale involviert sind. Darum wollen wir normalerweise diese Stellen auch an Bord holen, bevor wir die App in einem Land lancieren.

Sie bieten ja eine kostenlose Basis-App und eine Premium-App an, die etwas kostet. Ist das Ihr Finanzierungsmodell?

Ja, genau. Wir wollen mit diesem sogenannten Freemium-Modell ein B2C-Geschäft über den Endkunden aufbauen. Die Nutzer haben die Möglichkeit, über den Basisschutz hinaus die Premium-Funktionen im Tages-, Wochen- oder Jahresmodell als Abo zu lösen.

Im Premium-Modell stehen den Nutzern ja neben den Basisfunktionen die Fernabfrage der Route zur Verfügung, die sie anfangs erwähnt haben, sowie die Unfallerkennung und die Kameradenhilfe. Wie funktionieren die Unfallerkennung und die Kameradenhilfe?

Sobald das Smartphone fünf Minuten lang keine Bewegung mehr registriert, geht die App davon aus, dass das Telefon entweder verloren gegangen ist oder der Träger ein ernsthaftes Problem hat. Danach versucht das Handy während weiterer fünf Minuten, die Person via Vibration und Alarmierung zu wecken. Wenn dann wieder nichts passiert, sucht die App im Umkreis von 500 Metern nach anderen Uepaa-Nutzern, die Erste Hilfe leisten könnten und liefert Informationen und Koordinaten zu der möglicherweise verletzten Person. Damit ein Alarm letztlich bis zu uns in die Notrufzentrale gelangt, braucht es immer jemanden, der physisch auf dem Smartphone einen Knopf drückt.

Wieso kann der Alarm nicht direkt ausgelöst werden?

Wir wollen keine Fehlalarme oder unnötige Flugstunden generieren. Zudem lässt Apple keine App im eigenen App-Store zu, die einen automatischen Rettungsprozess startet. Auch wäre es relativ einfach, ein Handy zu verlieren und so einen Fehlalarm auszulösen.

Kommen wir zu Ihrer IT-Infrastruktur. Wie sieht diese aus?

Unsere operativen Systeme sind in Irland. Wir haben uns für die Amazon-Infrastruktur entschieden. Die ist  zwar, gerade für ein Start-up, nicht die günstigste, aber sie ist skalierbar, wenn man sie wirklich skalieren muss. Ansonsten haben wir noch einige Entwicklungsserver für die Entwicklung auf Mac oder Android. Da wir auf Mac entwickeln, haben wir auch nur Macs für unsere Arbeitsplätze.

Nutzen Sie Cloud Computing?

Wir nutzen Google Business Accounts für das kommerzielle Tagesgeschäft. Und wir haben Cloud-Services für die Buchhaltung. Unsere Daten legen wir ebenfalls in der Cloud ab – auf Wuala.

Wie sieht es mit der Konkurrenz aus?

Es gibt unzählige Rettungs-Apps, bei denen man einen Notruf-Knopf drücken kann. Es gibt auch diverse Hardwaresysteme, die sich bei der Unfallerkennung zu etablieren versuchen. Und es gibt unzählige Tracking-Apps. Aber ich meine, dass wir mit der Offnet-Funktion und Kameradenhilfe wirklich einen ­Nischenmarkt gefunden haben. Die Frage ist im Moment, in welche Richtung wir uns nebst dem alpinen Case bewegen wollen. Möglicherweise wäre es denkbar, unsere Notfall-­App auch für Kidnapping-Fälle und Ähnliches zu nutzen.

Woher kommt eigentlich der Name Uepaa?

Das ist ein Ausdruck der Freude oder des Erstaunens, der von mir stammt. Ich habe ihn immer benutzt, wenn ich auf einem frischen Tiefschneehang über eine Klippe gesprungen bin. Die URL habe ich dann irgendwann registriert, lange vor der Gründung der Firma.

STICHWORTE

Das kann ich jederzeit empfehlen:
Chaltes Plättli am Cavloc See (bei Maloja)

Darüber habe ich zuletzt gelacht:
Meine Tochter

Darüber habe ich mich zuletzt geärgert:
Roaming-Kosten im Ausland

Heute in zehn Jahren:
Werde ich wohl graue Haare haben ...

ZUR PERSON

Mathias Haussmann wurde 1972 als einziges Kind in eine Unternehmerfamilie geboren. 1996 schloss er sein Studium an der FHNW in Electronic Engineering ab. 2003 erwarb er einen Executive MBA in Glasgow (Strategy & Entrepreneurship). Haussmann arbeitete von 1997 bis 2006 bei Phonak (heute Sonova) in verschiedenen leitenden Positionen. Ab 2006 war er für 4 Jahre bei Biotronik tätig. 2010 gründete er Uepaa und leitet das Unternehmen seither als CEO. Mathias Haussmann lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Zürich.

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