Live-Interview mit Manuel Alvarez, Leiter ICT am Ostschweizer Kinderspital

"Wir müssten einen solchen Test regelmässig durchführen"

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Letzten Sommer hat Manuel Alvarez, Leiter ICT am Ostschweizer Kinderspital, zusammen mit seinem Team den Ausfall ­eines der beiden Rechenzentren simuliert. Wie die Übung ablief, und warum ihn die Zusammenarbeit mit Ärzten manchmal herausfordert, erzählt er im Interview.

Manuel Alvarez, Leiter ICT am Ostschweizer Kinderspital: "Bisher existiert noch keine Cloud-­Lösung, die unseren Bedürfnissen entspricht."
Manuel Alvarez, Leiter ICT am Ostschweizer Kinderspital: "Bisher existiert noch keine Cloud-­Lösung, die unseren Bedürfnissen entspricht."

Das Ostschweizer Kinderspital hat seit 2013 ein redundantes ­Rechenzentrum. Nun haben Sie in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 2014 den Ausfall eines Ihrer beiden Rechenzentren ­simuliert. Wie ist der Test verlaufen?

Manuel Alvarez: Das Ganze erforderte eine gute Planung und Vorbereitung. Wir sind ein Spital, da muss gewährleistet sein, dass die Ärzte und Pflegenden weiterarbeiten können, auch wenn die Infrastruktur ausfällt. Das ist sehr wichtig. Daher mussten wir die Mitarbeiter einbeziehen. Wir mussten ausserdem gewährleisten, dass sie auch bei einem Komplettausfall der beiden Rechenzentren hätten lokal weiterarbeiten können. Das war vor allem für die Notfallabteilung sehr wichtig. Am Tag des Ausfalls schalteten wir im Hauptrechenzentrum alles aus und testeten gleichzeitig, ob die Daten im zweiten Rechenzentrum weiterhin vorhanden waren. Ob auf die Systeme zugegriffen werden kann und Daten erfasst und nicht nur gelesen werden können. Das ist in einer Notfallsituation ebenfalls wichtig. Wir achteten darauf, dass die Server, die virtuell im ersten Rechenzentrum laufen, synchronisierten. Wir zogen nicht einfach den Stecker. Letztlich war das Ganze ja eine Simulation und kein Ernstfall.

Gab es keinerlei Zwischenfälle?

Nun, wir fuhren die Server nach und nach herunter. Bei diesem Vorgehen bildeten wir bewusst Gruppen, nicht zuletzt, weil unser Storage nicht mehr auf unsere Bedürfnisse ausgelegt ist. Er ist mittlerweile vier Jahre alt und dementsprechend nicht mehr so schnell, wie er einmal war. Diesen auszuwechseln, wird übrigens ein neues Grossprojekt werden. Angefangen haben wir mit einer kleinen Gruppe von Servern, bei der es nicht tragisch gewesen wäre, wenn etwas schiefgegangen wäre. Dann hätte es keinen Sinn mehr ergeben, den Test weiterzuführen. Das funktionierte zwar, dennoch mussten wir letztlich die festgelegten Gruppen verkleinern. Das war der einzige Zwischenfall, den wir zu verzeichnen hatten.

Worauf haben Sie sonst noch geachtet?

Da die Simulation in der Nacht stattfand, war es sehr wichtig, dass die Leute verpflegt werden und unter anderem am Morgen ein Frühstück serviert wurde. Solche Dinge waren für das Gemüt der Leute, die da mitgeholfen haben, sehr wichtig. Da es das erste Mal war, dass wir eine solche Übung durchführen, war die ganze Situation zudem sehr speziell. Die ICT-Abteilung war neugierig und wollte sehen, was passiert. Unsere externen Partner waren bei der Simulation ebenfalls dabei. Es war wirklich eine grosse organisatorische Übung, bei der alles sehr gut lief. Dies auch deshalb, weil die richtigen Leute dabei waren, die damals das Rechenzentrum aufgesetzt hatten.

Wie haben Sie eigentlich das Datum ausgewählt?

Wir versuchten, ein Datum zu finden, das für das Spital passt. Man weiss ja etwa, wann wie viel läuft und wann die Phase ist, in der am meisten los ist. Nichtsdestotrotz waren wir darauf vorbereitet, falls genau in dieser Nacht Notfälle eingetroffen wären. In diesem Fall hätten wir den Test stoppen beziehungsweise rückgängig machen können.

Sie sagten, das Ganze habe sehr viel Vorbereitung benötigt. Wie lange im Voraus haben Sie diese Übung denn vorbereitet?

(Überlegt.) Das ist recht schwierig abzuschätzen, denn wir haben die Übung über Monate hinweg geplant. Insgesamt betrug die reine Vorbereitungszeit sicher etwa zwei ­Wochen.

Was bedeutete diese Simulation für die Mitarbeiter des Spitals?

Wir gingen so vor, dass wir aus den verschiedenen Fachbereichen Personen bestimmten, die für uns Tests durchführten. Bei den anderen wollten wir bewusst nicht, dass sie auf den Systemen arbeiten und rüsteten sie dementsprechend einfach mit Offlinemedien beziehungsweise Notebooks aus. Diese konnten sie uns am nächsten Tag übergeben, und wir erfassten dann die entsprechenden Daten nachträglich. Zudem fand am Tag vor dem Test ein Briefing mit allen Beteiligten statt. Und kurz vor dem Test gab es nochmals ein Briefing mit allen. Dort klärten wir ab, ob wir den Test wirklich durchführen können oder ob es Notfälle gibt, die dessen Durchführung unmöglich machen.

Jetzt haben Sie also die Gewissheit, dass bei einem richtigen Ausfall alles laufen würde?

Ja, ausser dem Intranet läuft alles. Das ist bewusst so, denn das Intranet ist nur eine physische Maschine, die wir nicht redundant haben. Das Intranet wird aktuell nur  als reines Informationssystem  durch die Mitarbeitende genutzt., Natürlich hatten wir vermutet, dass das zweite Rechenzentrum bei einem Ausfall des ersten weiterhin funktioniert, denn wir hatten es absichtlich so aufgebaut, aber getestet hatten wir es nie. Nun haben wir die Gewissheit, dass wir die Daten zurückholen können. Das ist speziell wichtig in Bezug auf die klinischen Informationssysteme. Darin enthalten sind unter anderem die elektronische Patientenakte, das Klinikinformationssystem und das Pflegesystem. Die elektronische Patientenakte enthält beispielsweise Röntgenbilder, Labordaten, EKG-Messdaten und so weiter.

Welche Lehren haben Sie aus dieser Simulation gezogen?

Wir merkten, dass wir einen solchen Test regelmässig durchführen müssten, so alle zwei bis drei Jahre etwa. Denn die Datenmenge in einem Spital wächst stetig, und da kommen die Systeme irgendwann an ihre Grenzen. Weiter haben wir daraus die Erkenntnis gezogen, dass wir für unsere Grös­se eine sehr gute Infrastruktur haben.

Wie viele Personen arbeiten denn bei Ihnen in der IT?

Mich eingerechnet sind wir zwölf Mitarbeiter, inklusive ein Praktikant und ein Lehrling.

Welche Teile Ihrer Infrastruktur betreiben Sie inhouse?

Wir virtualisierten alle unsere Server inhouse und haben deshalb keine physischen Server mehr. Dahinter steckt der Gedanke von Green IT. Sonst betreuen wir neben den Servern noch das ganze Netzwerk selbst und die Verkabelung. Letzteres ist etwas speziell für ein Spital.

Und was haben Sie outgesourct?

SAP betreuen wir bewusst nicht in unserem Haus. Bei unserer Grösse wäre das eine rechte Mammutübung. Wir bräuchten schnell einmal zwei, drei Spezialisten vor Ort, und deshalb ergibt es für uns keinen Sinn. Einen Teil des Netzwerks haben wir ebenfalls ausgelagert. Wir sind an das kantonale Netz angebunden. Das Radiologie-Informationssystem wird vom Kantonsspital St. Gallen gehostet, da sie das gleiche System nutzen. Sonst ist alles bei uns.

Was fasziniert Sie an Ihrer Tätigkeit als CIO in einem Kinder­spital? Das ist sicher anders als die Tätigkeit in einem Privat­unternehmen?

Ja, es ist schon sehr speziell. Ich war früher in der Privatwirtschaft tätig. Mich fasziniert, dass bei uns das Kind im Vordergrund steht. Das spürt man. Die Ärzte sind sehr kinderorientiert. Ein Kind sollte beispielsweise möglichst keine Spritze sehen, wenn sich das irgendwie vermeiden lässt. So wird es zuerst ohne Spritze anästhesiert, bis es schläft. Erst dann erhält das Kind die Spritze, wenn es sie nicht mehr sehen kann. Diese Rücksicht auf die Kinder fasziniert mich. Dementsprechend sind auch die Ärzte. Sie sind sehr lieb, sehr ruhig – einfach angenehm. In meiner Funktion als IT-Leiter muss ich daher auch Verständnis für sie haben. Ich muss verstehen, dass der PC und der elektronische Arbeitsplatz für sie nicht im Vordergrund stehen. Für uns Informatiker hingegen ist die Informatik im Vordergrund das Mass aller Dinge. Daher kämpfen wir manchmal ein bisschen mit der Mentalität der Ärzte und verstehen nicht, wieso ein Arzt jetzt seine Notizen mal wieder auf Papier macht. Der Arzt hingegen will einfach schnell etwas notieren, nimmt sich irgendwo einen Zettel und macht sich keine Gedanken darüber. Die Daten auf dem Zettel erfasst er dann erst nachträglich elektronisch. Solche Dinge waren für mich am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig. Ich arbeite ja erst seit Februar 2014 am Ostschweizer Kinderspital.

Das heisst, Ihre Ärzte laufen noch nicht mit den Tablets durch die Gänge?

Nein, leider nicht. Da haben wir noch Nachholbedarf. Aber mein Ziel ist es, den Ärzten Werkzeuge an die Hand zu geben, die ihnen das Arbeiten erleichtern. Wir wollen sie unterstützen, damit sie sich für die Kinder mehr Zeit nehmen können. Damit sie merken, dass sie einfacher arbeiten können, wenn sie ein Tablet nutzen, statt Notizen auf einem Stück Papier zu machen. Das ist dann eine Erleichterung für mich, für die Eltern des Kindes und letztlich auch für das Kind selbst. Das heisst, wir müssen schauen, wie wir mit mobilen Geräten die Prozesse optimieren können. Das Ziel wäre, dass wir in Zukunft wenig bis kein Papier mehr benötigen.

Haben Sie dafür bereits ein Projekt aufgegleist?

Nein, aber es ist eine Idee, die so langsam fruchtet. Zuerst will ich der Spitalleitung zeigen, was möglich ist. Da muss ich langsam vorgehen und ihnen ein wenig die Angst vor der Informatik nehmen (lacht). Ich muss genauso vorsichtig vorgehen, wie sie es mit den Kindern tun. Wir müssen die Ärzte an Bord holen und können sie nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellen, wie das in anderen Unternehmen manchmal der Fall ist. Vor allem müssen wir dabei auf die Bedürfnisse der Ärzte eingehen, sodass es für alle angenehm ist. Eines der Killerkriterien für ein Tablet ist beispielsweise, dass es in die Ärztekittel-Tasche passt. Denn ein Arzt braucht teilweise beide Hände für seine Patienten. Dafür müssen wir eine Lösung finden und werden schauen, wie andere Spitäler solche Projekte umsetzen.

Wann, denken Sie, werden sie dieses Projekt umsetzen können?

Ich denke nicht, dass wir es so bald durchziehen können, aber vielleicht in den nächsten drei bis vier Jahren. Die Zukunft in der Informatik ist ziemlich klar. Wir müssen mobil werden.

Wenn Sie die Tablets dann einmal eingeführt haben, benötigen Sie Apps. Werden Sie diese selbst entwickeln können?

Nein. Wir wollen Apps nutzen, die es bereits gibt.

Welches Betriebssystem nutzen Sie derzeit?

Wir haben zurzeit Windows XP bei uns im Einsatz, das wir gerade durch Thin/Zero Clients ersetzen. Es werden alle PCs und Notebooks virtualisiert, und in Zukunft dann auch Tablets. Mit dieser Virtualisierung schaffen wir auch die Basis für mobile Geräte. Damit hat jeder Mitarbeiter sein persönliches Profil auf seinem Gerät, sobald er eingeloggt ist. Natürlich ist es schneller als Windows XP. Dieses Projekt setzen wir bis Ende 2015 um. Da sind wir schon sehr weit. Wir haben die Realisierungsphase bereits hinter uns und stehen nun kurz vor der Einführungsphase. Die Projektplanung mussten wir auf die Anzahl Patienten, die bei uns sind, ausrichten. Wir rechnen grundsätzlich damit, dass von Januar bis in den Frühling am meisten Patienten bei uns sind. Das ist so ein Erfahrungswert. Dementsprechend können wir erst im Frühling mit der Einführung beginnen. Obwohl ich am liebsten schon heute mit dem Rollout anfangen würde (lacht).

Das heisst, Sie stellen dann auf Windows 8.1. um?

Genau. Da erhoffen wir uns, dass es mit der Virtualisierung künftig auch einfacher werden wird, das Betriebssystem zu aktualisieren.

Haben Sie noch weitere Projekte?

Ja. Seitens  der Ärzte sind Hybrid OP, die ganz modernen Operationssäle, bei denen mit Touchbildschirmen gearbeitet wird und Bilder mit einem externen Arzt geteilt
werden können umseine Meinung einzuholen, gefragt. Das wird dieses Jahr realisiert werden müssen, das ist unumgänglich.

Was sind die Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?

Bei uns dauert alles etwas länger. Es ist hier nicht wie in der Privatwirtschaft. Man muss für alles ein bisschen mehr Geduld aufbringen. Unsere Kunden, also die Pfleger, Ärzte und Spitalmitarbeiter, sehen sehr oft den Nutzen der Informatik nicht. Zudem können sie die Anforderungen nicht so formulieren wie jemand, der täglich mit einem PC arbeitet und genau sagen kann, was ihn stört. Wir müssen wirklich versuchen, herauszufinden, wo genau das Problem liegt. Das ist nicht immer einfach.

Wie finden Sie das Problem denn heraus?

Ich mache es so, dass ich bei einem neuen Projekt die Involvierten zu mir hole und ihnen den Weg aufzeige, wie ich vorgehen will. Dann hole ich bei ihnen die Anforderungen ein. Dafür muss ich ihnen einen Rahmen geben. Ich kann nicht einfach Anforderungen einholen und erwarten, dass unsere Kunden wissen, wie wir dann diese umsetzen. Ich muss ihnen daher zeigen, wie wir in der Informatik arbeiten und ihnen klar aufzeigen, was wir von ihnen benötigen. Wir müssen mit den Leuten sprechen. Kommunikation ist da sehr wichtig. Ausserdem müssen wir Verständnis haben, wenn ein Arzt einmal keine Zeit hat oder im Stress ist. Wir wissen nicht, was er den ganzen Tag durch schon erlebt hat.

Wie sieht es mit dem Thema Cloud bei Ihnen aus?

Das ist sehr interessant und wichtig. Gerade für uns im Office-Bereich. Unsere Mitarbeiter sind häufig unterwegs, nehmen an Kongressen teil und führen Forschungsarbeiten im In- und Ausland durch. Dafür nehmen sie natürlich ihr Notebook mit und nutzen vielleicht auch mal einen USB-Stick. Für diese Fälle wäre es sinnvoll, wenn ihre Daten in der Cloud verfügbar wären.

Sprechen Sie da von Office 365?

Ich glaube, Office 365 wäre eine Variante, ja. Wir könnten auch Onedrive von Microsoft nutzen. Es muss einfach professionell sein. Das Problem ist, dass die Server beziehungsweise die Daten in der Schweiz sein müssen. Denn es sind immer Patientendaten im Spiel. Daher muss die Cloud in einem Spital wirklich sicher sein. Wir müssen daher die Garantie haben, dass die Daten in der Schweiz bleiben und sicher sind. Sonst wird das nicht realisierbar sein. Bisher existiert noch keine Cloud-­Lösung, die unseren Bedürfnissen entspricht. Die Zeit im Spitalbereich ist einfach noch nicht reif dafür.

Haben Sie hier nicht schon allein von Gesetzes wegen ziemlich viele Restriktionen?

Ja, vom Datenschutzgesetz her. Denn wir arbeiten mit sensiblen Daten. Das ist ein sehr heikles Thema.

Was passiert denn, wenn ein Arzt einen USB-Stick im Ausland verliert?

Unsere USB-Sticks sind alle verschlüsselt. Wenn jemand das Passwort dreimal falsch eingibt, wird der Stick automatisch formatiert. Wir und das restliche Personal dürfen nur USB-Sticks des Ostschweizer Kinderspitals benutzen. Natürlich haben wir nie die Garantie, dass sie sich daran halten. Diese Garantie hat man in keinem Unternehmen. Das Gleiche gilt für die Notebooks, die sind ebenfalls verschlüsselt. Wenn sie am Netz sind, können wir die Daten remote löschen. Ausser den USB-Sticks und den Notebooks – und den digitalen Diktiergeräten – stellen wir unseren Mitarbeitern derzeit keine mobilen Geräte zur Verfügung. Aber wir setzen bei uns auf die mobile Leistungserfassung.

Was heisst das?

Das heisst, dass wir alles, was wir am Patienten machen, mobil erfassen. Jeder Patient erhält einen Patientenbarcode, wenn er eingeliefert wird. Medikamente, Verbandsmaterial, Behandlungen und so weiter werden mit einem speziellen Gerät erfasst. Das wird dann im Materialbewirtschaftungssystem abgebucht, und je nach Bedarf wird das entsprechende Material wieder nachbestellt. Wir haben das voll integriert. Das ist nicht bei vielen Spitälern so.

Und wie machen es die anderen Spitäler?

Einen Teil der Prozesse wickeln sie elektronisch ab und einen Teil mit Zetteln.

Im Ernst?

Ja, meines Wissens erfassen viele Spitäler vieles noch manuell.

Ist das nicht furchtbar kompliziert?

Nun, umgekehrt war es für uns schon ein grosser Aufwand, das umzusetzen. Denn alles braucht einen Barcode, und die Prozesse mussten umgestellt werden. Die Mitarbeiter müssen daran denken, alles einzuscannen. Heute ist das für sie normal, sie überlegen sich das gar nicht mehr. Trotzdem mussten sie sich zuerst daran gewöhnen. 

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