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Von Norwegen lernen, heisst siegen lernen

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Vor Kurzem hat ein Amt in Norwegen entschieden, die Rentenabrechnungen nur noch elektronisch zu versenden. Der ­Verband der norwegischen Pensionäre wehrt sich zwar noch gegen diese Zwangsdigitalisierung, die Geschichte ist aber ein interessantes Lehrbeispiel für den Lauf der Digitalisierung.

Christof Zogg ist Director Digital Business bei den SBB
Christof Zogg ist Director Digital Business bei den SBB

Nein, es geht nicht um die nordische Ski-WM in Lahti, die kürzlich stattfand und an der die Norweger wieder einmal den Medaillenspiegel und die 36-jährige Marit Bjørgen nach einer Saison Babypause all ihre Konkurrentinnen nach Belieben dominiert haben. (Genau genommen geht’s nicht mal ums Siegen, sondern bloss ums Sparen, aber was macht man nicht alles für einen knackigen Kolumnentitel). Es geht um einen kürzlich in der NZZ erschienen Artikel mit dem Titel "Norwegens Rentner auf den Barrikaden".

 

Hybrid ist aller Digitalisierung Anfang

Darin war zu lesen, dass das norwegische Arbeits- und Wohlfahrtsamt eben entschieden hatte, die Rentenabrechnungen künftig nur noch elektronisch zu versenden. Der Interessenverband der norwegischen Rentner wehrt sich aktuell zwar noch gegen die Zwangsdigitalisierung (dialektischerweise mit tausenden analogen Protestkarten), und der finale Entscheid von Arbeitsministerin Anniken Hauglie steht noch aus. Dennoch handelt es sich bereits jetzt um eine sehr interessante Geschichte, welche die Quintessenz aller Digitalisierungsbemühungen beschreibt: Neue digitale Dienstleistungen und Prozesse starten in der Regel im Hybridbetrieb mit den alten, analogen Systemen und kosten so nicht weniger, sondern zunächst mal mehr Geld. Die richtigen Einsparungseffekte entstehen erst dann, wenn nur noch das digitale System weiterbetrieben werden muss.

Natürlich spart der norwegische Staat mit jeder nicht mehr auf Papier versandten Rentenabrechnung bereits 6 Franken, richtig sparen lässt sich aber erst mit dem mutigen Entscheid, gar keine Totholz-Reports mehr zu verschicken. Das ist der Lauf der Digitalisierung. Die Einführung von E-Voting als weiteres Beispiel spart in ihrer Hybridphase netto keinen Steuerfranken, weil erst die fälschungssichere Abstimmungslösung entwickelt werden muss und die Auflage des Abstimmungsbüchleins und des Versandportos erst allmählich sinkt.

 

Flä… Flä… Flätrate für alle Inländer!

Doch der Lauf der Digitalisierung ist kein Naturgesetz, und in der Schweiz könnte viel getan werden, um die digitalen Effizienzsteigerungsschätze schneller und vor allem flächendeckend zu heben. Stellen Sie sich etwa vor, der Bundesrat und die öffentliche Verwaltung müssten sich weniger um Details wie höhere Zölle für Gewürzfleisch kümmern (hat da jemand "Bü-Bü-Bündnerfleisch" gesagt?), sondern legten sich mit aller Kraft ihrer Macht ins Zeug, die Basis für eine Schweizer Volldigitalisierung zu schaffen.

Starten könnte man damit, dass das Bakom in der Grundversorgungskonzession vorschreibt, dass jedes Telekommunikationsunternehmen jedem Inländer einen Basisinternetzugang gratis anzubieten hat (2 Mbit/s dürften fürs Erste reichen). Ob dieser Dienst staatlich subventioniert werden müsste oder sich für Swisscom und Co. bereits aufgrund des Upselling-Potenzials rechnen würde, bliebe zu diskutieren. Ergänzt mit einem öffentlich erreichbaren Angebot an Webterminals (junge Menschen sagen dazu Apple Store), könnten auch jene Zielgruppen erreicht werden, die sich privat keine digitalen Devices anschaffen wollen oder leisten können.

Ich weiss, der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und Zwangsdigitalisierung ist kein schönes Wort – aber müssen wir nicht alle manchmal ein wenig zum Glück gezwungen werden?

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