Zukunftsblog ETH Zürich

Die Zukunft der Universitäten im digitalen Zeitalter

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Die digitale Revolution verändert die Gesellschaft: «Intelligente» Maschinen beginnen, die universellen Fragen zu stellen – und zu beantworten. Dieser epochale Wandel erfordert eine Neudefinition der Rolle der Universitäten, schreiben ETH-Präsident Lino Guzzella und Gerd Folkers, ETH-Professor für Wissenschaftsforschung.

(Source: cienpiesnf / Fotolia.com)
(Source: cienpiesnf / Fotolia.com)

Die Klöster unterhielten als Wächter und Kultstätten des Wissens einst enorme Schriftensammlungen, welche die Grundlage des heutigen Wissens bildeten. Die Abtei St. Gallen, deren Architektur, Schule und selbst deren Kräutergarten vielen klösterlichen Gemeinschaften als Vorbild dienten, hat nicht nur die Lebendigkeit des Wissens bewahrt, sondern auch die Lehre gefördert.

Während die im Skriptorium tätigen Mönche die althergebrachten christlichen Texte kopierten, wobei einige der Schreibenden kaum in der Lage waren, deren Inhalt zu verstehen, vermoderten die in römischen Manuskripten wie beispielsweise dem Traktat von Lukrez enthaltenen revolutionären Ideen in den Kellern der Klosterbibliotheken. Bis Poggio, ein "aufgeklärter" ehemaliger Sekretär des Papstes, der auf dem Rücken eines Esels durch das Land zog, auf den Schatz stiess. Der Historiker Stephen Greenblatt erzählt jedenfalls, wie Poggio De Rerum Natura wiederentdeckte.

Während beinahe tausend Jahren haben Universitäten Denkern eine Heimat geboten, die es sich zur Aufgabe machten, Weisheiten zu hinterfragen, und die damit dem wissenschaftlichen Fortschritt den Weg bereiteten. Denn in modernen und offenen demokratischen Gesellschaften herrschte Nachfrage nach individuellem, kollektivem, aber gleichzeitig auch gesellschaftlich relevantem Wissen. Mit der Erfindung der Druckerpresse vor 600 Jahren revolutionierte die Technologie nicht nur die Verbreitung von Wissen, sondern setzte dieses auch in einen kritischen und gesellschaftlichen Kontext.

Heute pflegen, verarbeiten und hinterfragen neue Medien Wissen – ähnlich, wie dies bereits vor sechs Jahrhunderten der Fall war. Trotz des technischen Fortschritts ist die Gesellschaft weiterhin mit grossen Hindernissen in Bezug auf transparente Prozesse und den Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen konfrontiert. In einer Zeit, in der maschinelles Lernen und Quantum Computing Einzug halten, stellt sich die konkrete Frage, wie das digitale Zeitalter die Wissensbeschaffung, das kritische Denken und letztlich auch die Zukunft der Universitäten beeinflussen wird.

Wissen und Wohlstand

Bildung, Wohlstand und Lebensqualität scheinen fest miteinander verbunden zu sein. Galileo Galilei zog schliesslich nicht deshalb den Zorn der Kardinäle auf sich, weil er die Sonne im Zentrum unseres Planetensystems ansiedelte, sondern, weil er sein Werk in italienischer Sprache veröffentlichen wollte, damit auch die "einfachen Leute" es verstehen konnten.

Getreu dem Ideal Galileis haben Universitäten nicht nur die Verantwortung, ihr Wissen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern auch, die vorherrschenden Weltbilder zu hinterfragen. Wissen und die Fähigkeit, es zu verarbeiten, sind das Kapital der Universitäten. Nur durch die kontinuierliche Pflege und den gewinnbringenden Einsatz dieses Kapitals können wir den Wohlstand einer offenen Gesellschaft und ihre Eignung im Wettbewerb mit anderen gesellschaftlichen Modellen steigern.

Immer schneller werden heute neue Technologien entwickelt und auf den Markt gebracht, was jeweils mit viel medialer Aufmerksamkeit einhergeht. Auch wenn es sehr viel länger dauert, bis sich Erkenntnisse durchsetzen, die es nicht in die renommierten wissenschaftlichen Journale schaffen, ist deren wirtschaftliches Potenzial dennoch gewaltig. Ein Beispiel dafür ist die neue Genome-Editing-Technologie CRISPR-Cas9. Nachdem die Methode jahrelang kaum Beachtung fand, streiten sich heute renommierte Universitäten um entsprechende Patente.

Die Aufmerksamkeit, die den Veröffentlichungen zu diesem Thema und den damit verbundenen potenziellen bzw. tatsächlichen Marktchancen, zuteilwird, ist für die Universitäten deshalb wichtig, weil dadurch Investoren angezogen werden. Wenn eine Universität aufzeigen kann, dass ihre Produkte sofort marktfähig sind, verbessert dies den Ruf, den sie bei den Steuerzahlern und letztlich auch den Politikern geniesst.

Demokratie und kritisches Denken

Universitäten bewegen sich seit mehr als tausend Jahren im "Wissensmarkt". Seit Gründung der Universität Bologna haben Universitäten Wissen verarbeitet und durch Reflexion und Transformation neue Sichtweisen hervorgebracht. Der empirische Ansatz als wesentlicher Bestandteil der Lehre hat der Zeit standgehalten und sich hinsichtlich Aufwand und Ertrag immer wieder als wirksame Methode erwiesen. Die Struktur einer Universität erfordert eine strikte Methodologie, um die nächste Generation zu lehren, wie sie Wissen kritisch einsetzen, hinterfragen und reformieren kann. Dieser Prozess ist nur dann möglich, wenn Universitäten innerhalb eines demokratischen Systems existieren, das uneingeschränkte Meinungsfreiheit zulässt.

Jedes "Warum" zieht das etablierte Weltbild in Zweifel, verbessert aber zugleich das gesellschaftliche Verständnis und hilft den Menschen, ihren Weg durch die Welt einfacher zu finden. Wissensbasierte Fortschritte haben Krankheiten wie Pocken und Kinderlähmung ausgerottet, die Massenkommunikation demokratisiert und die Mobilität revolutioniert. Neue Medien und maschinelles Lernen begünstigen einen grundlegenden Wandel von Bildung und Forschung.

Es mag eine gewisse Zeit dauern, aber auch Maschinen werden vielleicht irgendwann in der Lage sein, "Warum"-Fragen zu stellen, nach systematisch geordneten Antworten zu suchen und dabei einen methodischen Ansatz zu verfolgen. Dennoch wird die Aufgabe, die Erkenntnisse künstlicher Intelligenz durch Argumentation und Nachweise zu validieren, ein wesentlicher Bestandteil unserer Diskurskultur bleiben. Durch ihre Fähigkeit zu Empathie, Intuition und Abstraktion werden sich die Menschen weiterhin von intelligenten Maschinen unterscheiden. Dank unserer Fülle an emotionaler Intelligenz werden Roboter uns nie ersetzen.

Die Zukunft der Universitäten

Keiner bestreitet, dass das Fundament der Wissenschaft auf festen Strukturen aus Axiomen, Gesetzen und Theorien beruht, und kritisches Hinterfragen des vorherrschenden Weltbilds ist ein Leitprinzip. Dennoch gerät die akademische Welt zuweilen in Versuchung, eher nach Bestätigung zu suchen statt nach Unstimmigkeiten. Lieber werden positive Resultate aufgeführt und Sichtweisen verengt, als die Zwänge einer einzelnen Disziplin durchbrochen. Diese problematische Haltung führt zu einer Publikationsverzerrung (Publication Bias), zu "alternativen Fakten" und im schlimmsten Fall zu Betrug. Es ist deshalb die Pflicht unserer Universitäten und eigentlich aller Wissenschaftler und ihrer Institutionen, den Peer-Review-Prozess kontinuierlich zu überprüfen und zu verbessern.

Weil der technologische Fortschritt sowohl die Schaffung als auch die Verbreitung von Wissen grundlegend verändert, haben Universitäten ihre einst so dominante Rolle verloren. Sie stehen heute im Wettbewerb mit einer Vielzahl von Wissensanbietern, die 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche und weltweit zugänglich sind. Eines ist deshalb sicher: Dem Geschäft mit dem Wissen stehen wesentliche Veränderungen bevor. Mit der Demokratisierung des Wissens wird wertebasiertes kritisches und kreatives Denken zum Alleinstellungsmerkmal einer Universität. Davon sollten die Universitäten profitieren, indem sie den Austausch zwischen verschiedenen Welten, Sprachen und Denkweisen weiter pflegen. Wenn sie das tun, werden sie sich selbst kritisch und kreativ weiterentwickeln.

(Quelle: ETH Zürich Zukunftsblog)

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