Editorial

AI to the Danger Zone

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Joël Orizet, stellvertretender Chefredaktor. (Source: Netzmedien)
Joël Orizet, stellvertretender Chefredaktor. (Source: Netzmedien)

Man könnte meinen, KI habe inzwischen auch die hintersten Winkel der Lebenswelt erobert. Selbstständig grillende Grills, selbstfahrende Kinderwagen mit Gesichtserkennung, Toiletten mit integriertem Licht- und Audiosystem, Duft-Dispenser und kontaktlos auf- und zuklappendem Klodeckel … Die diesjährige Ausgabe der Tech-Messe CES in Las Vegas gab einen Vorgeschmack darauf, wie KI dereinst den Alltag prägen wird. Mehr zu den an der CES präsentierten Neuheiten lesen Sie hier.

Statt in echter KI-Innovation üben sich einige Hersteller allerdings in Schaumschlägerei. Längst nicht überall, wo KI draufsteht, ist auch tatsächlich KI drin. Dementsprechend sprechen einige Experten schon von KI- respektive AI-Washing – analog zum Green- oder Ethics-Washing.

Doch KI wirbelt nicht nur die Produktwelt, sondern auch die Weltpolitik durcheinander. Am diesjährigen Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos war künstliche Intelligenz denn auch ein Schlüsselthema, bei dem man sich, zumindest auf der Vorderbühne, in einem Punkt einig zu sein schien: Es braucht vertrauenswürdige KI-Modelle und entsprechende Leitlinien. Dies, weil sich trotz aller offenkundigen Chancen mehr und mehr Risiken bemerkbar machen. Gemäss WEF-Umfrage zählen zurzeit KI-gesteuerte Falschinformationen und Desinformation zu den grössten Gefahren – und das in einem Jahr, in dem 4 Milliarden Menschen, unter anderem in den USA, in Gross­britannien und Indien, zu Wahlen aufgerufen sind.

Längerfristig betrachtet zeichnet sich ein weiteres Risiko ab: Der Einsatz von KI könnte weltweit die Hälfte aller Jobs verändern und die Einkommensungleichheit verschärfen, wie aus einer Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) hervorgeht. Diejenigen, deren Produktivität durch KI steigt, könnten auf überproportional steigende Löhne hoffen – alle anderen dürften jedoch zurückfallen, schätzt der IWF. Demnach besteht also die Gefahr, dass KI die Kluft zwischen Arm und Reich respektive zwischen den technologisch Habenden und Nicht-Habenden vergrössert.

Nun könnte man meinen, dass die öffentliche Wahrnehmung von künstlicher Intelligenz ins Negative dreht – was jedoch falsch wäre. Tatsächlich findet vielmehr eine Korrektur übertriebener Erwartungen statt: Die KI-Euphorie, die so manche Technologiekonzerne geschürt hatten und im vergangenen Jahr auch deren Börsenkurse beflügelte, weicht einem vorsichtigen Optimismus, der mit Bedacht auf Risiken unterlegt ist – und das ist gut so. Denn je mehr man sich mit den gesellschaftlichen Konsequenzen von Technologien befasst und darüber streitet, desto geringer ist die Gefahr, dass es eines Tages rückblickend heisst: Wir haben es doch nur gut gemeint.
Bezüglich der KI-Regulierung hehre Absichten zu betonen, bringt also herzlich wenig. Denn – um ein Sprichwort zu bemühen, das gemeinhin dem irischen Dramatiker George Bernard Shaw zugeschrieben wird – gute Absichten können auch den Weg zur Hölle pflastern. Entscheiderinnen und Entscheider aus Politik und Wirtschaft sollten sich also besser heute schon überlegen, wie wir künftig mit den nicht beabsichtigten Folgen der KI-Revolution umgehen wollen.

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