SBB kauft rund 20'000 Zeilen Code

"Die SBB sind nicht spät, sondern wir waren früh dran"

Uhr | Aktualisiert

Android-User lieben sie: die App Fahrplan Schweiz. Nun wurde sie an die SBB verkauft. Die Macher Jorim Jaggi und Selim Cinek sowie Harald Horber, Plattform Manager Mobile SBB, erklären im Interview, wie es dazu kam.

Herr Jaggi, als Sie mit der Entwicklung von Fahrplan Schweiz begannen, gab es bereits Android-Apps für eine SBB-Abfrage. Warum überhaupt eine neue programmieren?

Jaggi: Die damals bereits vorhandenen Apps überzeugten mich nicht. Sie waren in der Bedienung mühsam, und ich dachte mir: das kann man doch besser machen. Vor allem die Stationseingabe war umständlich gelöst. Bereits gesuchte Stationen musste man immer wieder aufs Neue eintippen, eine Favoritenliste gab es nicht. Auch wurden dem Nutzer während der Eingabe keine Vorschläge angezeigt und Teileingaben waren unmöglich.

Um diese Features zu realisieren, braucht es eine Datenbank. Gibt es eine solche?

Jaggi: Leider ist eine solche im Netz nur schwer zu finden. Ursprünglich wollte ich die Daten aus OpenStreetMap extrahieren. Nachdem ich mehrere Stunden gesucht hatte, fand ich eine Stationsdatenbank. Nun ging es schnell: Nach einer Woche gab es eine erste Alphaversion. Nach zwei Monaten schrieb ich ein paar Freunde an, um die App im kleinen Nutzerkreis zu testen. Nach drei Monaten war die erste Version im Android Market.

Cinek: Schon früh stieg auch ich mit ein bei der Entwicklung, und im Juli 2010 kam die erste offizielle Version raus. Wir kündigten die App in einigen Foren an und "ETH Life" publizierte einen Artikel dazu. Kurze Zeit später wurde die SBB auf uns aufmerksam.

Wie hat die SBB reagiert?

Horber: Am Anfang ging es um die Frage, ob es überhaupt zulässig ist, ohne die Einwilligung der SBB eine solche App publik zu machen. Dies war strittig. Nach anfänglichen Bedenken wurde uns aber schnell klar, dass es der falsche Weg gewesen wäre, gleich mit der Rechtskeule zu drohen. Stattdessen suchten wir gemeinsam eine Lösung.

Jaggi: Für uns war es ein riskantes Unterfangen. Die SBB hätte schneller sein können als wir und uns mit einer offiziellen App den Wind aus den Segeln nehmen können. Wir rechneten aber damit, dass es bei grösseren Unternehmen wohl etwas länger gehen würde, bis sie auf der Android-Welle mitreiten. Also haben wir es gewagt. Das zweite Risiko war, dass die SBB uns rechtlich zu einer Abschaltung zwingen würde. Dazu kam es aber zum Glück nicht.

Das erinnert an das iPhone, für das es anfangs ebenfalls eine inoffizielle SBB-App gab.

Horber: Das ist korrekt. Auch beim iPhone wurde frühzeitig eine Fahrplan-App von der Firma include7 auf den Markt gebracht. Dort suchte die SBB ebenfalls die Zusammenarbeit mit den Entwicklern anstatt einer Konfrontation. Auf Android lief es nun ähnlich. Wir setzten uns mit Jorim und Selim zusammen und wollten alles über die App und ihre Motive als Entwickler wissen.

Jaggi: Wir wussten ja, dass wir uns rechtlich auf Glatteis bewegten. Hätten wir Geld für die App verlangt, hätte die SBB uns wohl härter angepackt. Zudem gab es bereits andere Apps, die gratis waren. Es wäre also nicht einfach gewesen, mit einer kostenpflichtigen App überhaupt Geld zu verdienen.

Cinek: Es gab noch die Möglichkeit, Werbung einzubauen. Bei über 115'000 Downloads wäre für uns schnell eine beachtliche Summe zusammengekommen. Vielleicht hätten wir einen Betrag im fünfstelligen Bereich verdienen können. Aber es war nie unser Plan, mit der App Geld zu verdienen.

Wie viel Arbeit steckt eigentlich in der Fahrplan Schweiz App?

Jaggi: Rund 300 Personenstunden. Unsere Applikation hat um die 20'000 Zeilen Code. Dazu haben wir mehr als 100 Grafiken produziert. Selim hat das Design entworfen, programmiert haben wir beide. Zusätzlich hat uns noch Samuel Hitz, ein Mitstudent an der ETH, unterstützt.

Schlussendlich kam es zum Verkauf. Wie teuer war das für die SBB?

Horber: Das bleibt geheim. Was ich aber sagen kann: Wir holten Offerten von Drittanbietern ein und prüften auch eine Eigenentwicklung. Der Kauf war eine Möglichkeit von vielen.

Die billigste?

Horber: Nein, ganz und gar nicht. Es gab günstigere Optionen. Der Preis war am Ende nicht ausschlaggebend. Unser Benchmark war die iPhone-Version, die beliebteste Smartphone-App in der Schweiz überhaupt. Für uns war klar: Wenn wir etwas für Android bringen, muss es mindestens gleichwertig sein wie auf dem iPhone. Alles andere hätten die Nutzer nicht goutiert. Die Fahrplan Schweiz App legte dafür die Basis - der Kauf lag also nahe. Die Verhandlungen mit den Herren Jaggi und Cinek waren spannend. Im Package haben wir ihnen unter anderem auch je ein 1-jähriges Hochschulpraktikum bei SBB E-Business angeboten, wenn sie dann den Bachelor in der Tasche haben. Sie zieren sich aktuell noch ein wenig, aber das kommt wohl schon gut. Alles in allem: eine echte Win-Win Situation.

Warum kam die SBB eigentlich erst jetzt auf Android?

Horber: Wir haben den Markt schon länger beobachtet. Für uns wurde Android gegen Ende 2010 interessant. Damals explodierte die Plattform in der Schweiz richtiggehend. Vorher hatte sie zwar bereits rund fünf bis zehn Prozent Marktanteil, aber in der Gesamtbetrachtung war es eben immer noch ein Nischenmarkt. Die SBB muss die Masse erreichen, nicht die Nische. Es gibt ja noch weitere Betriebssysteme, unter anderem Bada, WebOS, Meego und Brew.

Jaggi: Die SBB sind nicht spät, sondern wir waren früh dran. Anfang 2010 war Android in der Schweiz noch ein Nischenprodukt. Schnell war aber klar, dass es sich auch hierzulande rasend schnell entwickeln würde. Heute ist Android das am schnellsten wachsende Mobile-Betriebssystem überhaupt. Das macht die Plattform für uns als Entwickler natürlich attraktiv.

Was ist mit Windows Phone 7?

Jaggi: Als ich mein Handy gekauft hatte, wusste ich bereits, dass ich auf Android entwickeln wollte. Windows Phone 7 war damals noch gar nicht angekündigt.

Cinek: Wir müssen den Markt im Auge behalten. Zeitlich bedingt haben wir uns bisher auf die Plattformen iOS und Android beschränkt. Falls sich Windows Phone 7 allerdings als starker Wachstumsmarkt zeigen sollte, werden wir auch für jene Plattform entwickeln. Wir haben schon viel Erfahrung mit .NET und Windowsprogrammierung. Deshalb würde für uns eine Umstellung keine grosse Hürde darstellen.

Horber: Es war wohl tatsächlich nicht so, dass am Vorabend der weltweiten Markteinführung massenhaft Menschen vor den Telecom Shops dieser Welt campiert hätten, um als erste ein Windows Phone 7 zu ergattern. Auch wenn die Bedieneroberfläche mit den sogenannten Tiles sehr stilvoll daherkommt. Für die SBB, welche als eine der wenigen Schweizer Unternehmen schon Ende Oktober eine Windows Phone 7 App lancierte, birgt die Zusammenarbeit mit Microsoft und ihren Entwicklungspartnern ein vielversprechendes Potential - nicht zuletzt seit der Ankündigung der weitreichenden Partnerschaft mit Nokia.