Interview mit Tom Sprenger, CTO von Adnovum

"Homeoffice soll bei uns möglich sein, aber nicht grundsätzlich"

Uhr | Aktualisiert
von René Mosbacher

Seit Beginn des Jahres ist Tom Sprenger CTO des IT-Anbieters Adnovum. Im Interview erzählt der ehemalige CIO des Unternehmens, was er in der neuen Funktion bewirken will und wie eine weitgehend hierarchielose Organisation im Unternehmen mit über 300 Mitarbeitern funktioniert.

Tom Sprenger hat am 1. Januar 2013 die Nachfolge von Christof Dornbierer (heute CEO) als CTO von Adnovum angetreten. (Quelle: Adnovum)
Tom Sprenger hat am 1. Januar 2013 die Nachfolge von Christof Dornbierer (heute CEO) als CTO von Adnovum angetreten. (Quelle: Adnovum)

Tom Sprenger, 42, ist diplomierter Informatik-Ingenieur ETH und Dr. sc. techn. Er ist seit 2000 bei Adnovum tätig und leitete ab 2002 die Schwesterfirma Adnovum Software Inc. im kalifornischen San Mateo. Zurück in der Schweiz baute er ab 2004 den Bereich Quality Assurance Engineering auf und wurde 2007 CIO und Mitglied der Geschäftsleitung. Als CIO war er für die globale IT-Infrastruktur von Adnovum verantwortlich und etablierte die strategischen Geschäftsbereiche IT-Consulting und Application Management. Seit Anfang 2013 verantwortet Tom Sprenger als CTO die technische Strategie der Firmengruppe. Tom Sprenger ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Uster.

Herr Sprenger, Sie haben die Funktion des CTO vom jetzigen CEO Christof Dornbierer übernommen – fühlen Sie sich da nicht etwas vorbelastet?

Keineswegs. Ich konnte von meinem Vorgänger eine gute Basis übernehmen. Zudem bin ich seit meiner Zeit in den USA bei Themen wie Tooling und Methodik für unser Software-Engineering relativ nahe dran. Als CTO bin ich für die Technologiestrategie verantwortlich. Es geht darum, festzulegen, mit welchen Technologiebausteinen wir Kundenlösungen bauen. Entscheidungen zur Technologiestrategie sind für den Erfolg von Adnovum absolut zentral. Sie werden nicht vom CTO im stillen Kämmerlein gefällt, sondern durch ein acht- bis zehnköpfiges Gremium aus erfahrenen Mitarbeitern – wir nennen sie die Nerdheads. Auch da war ich früher schon dabei.

Gibt es Bereiche, in denen Sie andere Akzente setzen werden?

Ich bin ein anderer Typ Mensch als mein Vorgänger, also werde ich gewisse Dinge anders anpacken. Mein Ziel ist es, das Software-Engineering bei uns technologisch für heutige und zukünftige Herausforderungen optimal aufzustellen, mit Fokus auf Erhalt von Flexibilität und Effizienz. Dies ist fundamental, um auf das sich laufend verändernde Umfeld adäquat reagieren zu können. An neuen Themen wird es uns dabei nicht mangeln.

Welches sind denn die neuen Themen?

In der IT wird das Frontend künftig viel wichtiger. Es passiert mehr auf dem Gerät, zugleich nehmen die Erwartungen an die Benutzeroberfläche stetig zu. Man muss sie rasch bauen und dem Kunden zeigen können. Bei Ausschreibungen für mobile Lösungen erhält heute nicht primär der den Auftrag, der das beste Backend anbietet, sondern der, der dem Kunden am schnellsten einen Eindruck geben kann, wie die Lösung auf dem Gerät aussehen wird. Im Zusammenhang mit Mobile Computing wird die Cloud wichtiger. Bekannte Fragestellungen – beispielsweise zur Sicherheit – müssen im Kontext Cloud neu beantwortet werden. Schliesslich verändert sich auch die Zusammenarbeit mit den Kunden. Sie wollen immer stärker in den Entwicklungsprozess integriert werden. Hierfür braucht es Verfahren, bei denen wir auf elegante Weise mit Kunden zusammen Software entwickeln können.

Mit dem Umbau der Geschäftsleitung ist bei Adnovum der Posten des CIO verschwunden, den Sie besetzt hatten.

Das ist hier noch gar niemandem aufgefallen (lacht). Es hat rein praktische Gründe. Der Anteil an klassischen CIO-Aufgaben war während meiner Zeit ohnehin überschaubar. Weil wir während der letzten sechs Jahre ein sehr kompetentes Team und eine stabile Infrastruktur aufbauen konnten, kommen wir nun gut ohne diesen Posten aus. Manuel Kauf, der seit längerem die IT Operations leitet, hat einen Grossteil der CIO-Aufgaben übernommen.

Betreiben Sie überhaupt noch eine nennenswerte IT-Infrastruktur?

Selbstverständlich, wir betreiben 1500 virtuelle Server, und das wohlgemerkt mit fünf Mitarbeitern. Wir sind also recht effizient. Bei uns gibt es zwei Infrastrukturen. Die eine ist die klassische ICT mit Telefonie, E-Mail, Web, Security. Die andere ist unsere Entwicklungsumgebung. Wir haben uns durchaus schon überlegt, ob wir die nicht in die Cloud auslagern sollten. Daraus wurde aber nichts, weil sich kein Anbieter fand, der uns liefern konnte, was wir brauchen. Deshalb betreiben wir diesen Teil auf der eigenen privaten Cloud. Dort laufen auch die virtuellen Maschinen in verschiedenen Flavours. Vor eineinhalb Jahren haben wir die Infrastruktur in ein Datacenter in Zürich ausgelagert. Dort beziehen wir aber nur das reine Housing. Die Hardware gehört uns und wird von unseren eigenen Leuten betrieben. Das ist in unserem Fall matchentscheidend.

Ich habe gehört, dass Ihr Unternehmen eine weitgehend hierarchiefreie Zone ist.

Nicht ganz hierarchiefrei – aber wir legen Wert auf flache Hierarchien, das bringt kurze Entscheidungswege. Mittlerweile sind wir mit über 320 Mitarbeitern aber so gross, dass es minimale Führungsstrukturen braucht. Deshalb haben wir sogenannte Poolmanager eingeführt, die jeweils für eine Gruppe von 8 bis 10 Mitarbeitern verantwortlich sind. Viel wichtiger als ordnende Dimension sind bei uns aber die Projekte. Daraus ergibt sich eine sehr dynamische Organisation. Wir bilden Teams für Projekte und lösen sie nach Projektabschluss wieder auf. Die Mitarbeiter wechseln dann in andere Projekte. Das gibt uns die nötige Agilität, um Aufträge flexibel zu bearbeiten und auf den Markt zu reagieren.

Wie schaffen Sie es, dass sich die Mitarbeiter trotzdem mit der Firma und nicht nur mit dem Projekt identifizieren?

Natürlich ist das eine Gratwanderung. Es ist für den Erfolg wichtig, dass sich Mitarbeiter sowohl mit dem Projekt als auch mit der Firma identifizieren. Wir wickeln die Projekte so weit wie möglich im Haus ab. Hier erleben die Mitarbeiter die Firma, ihre Kultur und den Austausch mit Kollegen. Es soll sich niemand auf einem Projekt festbeissen, das wäre auch für das Projekt schlecht. Deshalb gibt es bei uns zum Beispiel auch keine Code Ownership. Was geschrieben wird, gehört dem Projekt oder der Lösung. Wichtig ist, den Mitarbeitern als Firma ein funktionierendes Umfeld und eine lösungsorientierte Kultur zu bieten.

Und das reicht, um sie zu halten?

Nebst einem attraktiven Arbeitsumfeld müssen wir auch fachliche Herausforderungen und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Zudem erwarten die Mitarbeiter eine funktionierende und moderne Infrastruktur und flexible Arbeitsmodelle. Wir arbeiten kontinuierlich daran, diesen Ansprüchen gerecht zu werden.

Wie muss eine IT aussehen, die ein derart projektzentriertes Arbeiten unterstützt?

Wir haben unsere IT und Projektinfrastruktur so optimiert, dass die verschiedenen Projekte möglichst ähnlich funktionieren. Das minimiert die Einarbeitungszeit und wir können die Mitarbeiter schnell und effizient über Projekte hinweg verschieben. Klar, es braucht eine fachliche Einarbeitung, die hängt vom Projekt und vom Kunden ab. Auch die Projektmethodik kann sich von Kunde zu Kunde unterscheiden. Beim einen arbeiten wir streng nach Wasserfall, beim anderen mit Scrum. Aber die Entwicklungsumgebung kommt einheitlich daher. Insbesondere beim Tooling achten wir darauf, dass wir stringent bleiben. Das Vorgehen soll immer dasselbe sein – beim Aufsetzen eines Projekts, beim Bau oder beim Testen.

Das gilt auch für Ihre Aussenwachten in Budapest und Singapur?

Ja, die Projektinfrastruktur ist so aufgestellt, dass sie ortsunabhängig laufen kann und immer dieselben Resultate liefert. Es spielt grundsätzlich keine Rolle, wo eine Entwicklermaschine oder ein Projektserver steht.

Gibt es in den ausländischen Niederlassungen physische Entwicklungsrechner oder hängen alle an Ihrer Private Cloud?

Wir bieten von Zürich aus gewisse zentrale Services, die die Niederlassungen über abgesicherte Standleitungen beziehen. Mit der Distanz steigt aber auch die Latenz. Zwischen Singapur und der Schweiz sind das bereits 250 Millisekunden – damit lässt sich in der Entwicklung nur schlecht arbeiten. Deshalb haben die Niederlassungen auch ihre eigene Infrastruktur, eigene Entwicklungsmaschinen und Projektserver. Dazu kommen lokale Mail-Server oder Telefonieanlagen.

Wie handhaben Sie eigentlich das Mobile Computing?

Mobile Computing ist zum einen in Kundenprojekten ein Thema. Zum anderen ist es seit längerem unsere Strategie, die Mobilität unserer Mitarbeiter zu erhöhen. So läuft gerade eine Initiative mit dem Namen «Code Anywhere». Wir stellen die Arbeitsplätze der Entwickler auf Notebooks um, damit sie von irgendwo her an ihrem Code arbeiten können. Neben dem persönlichen Nutzen für den Mitarbeiter bringt das Vorteile für die Firma. Wird zum Beispiel in Singapur an der Entwicklungsumgebung etwas nach Code-Anywhere-Richtlinie gebaut, so funktioniert das in Zürich und in Budapest auch sofort. Das ist momentan noch nicht automatisch der Fall. Wir gewinnen mit dem Projekt also nicht nur bei der Mobilität unserer Mitarbeiter, sondern können neue Lösungen zuverlässig über alle Standorte transportieren.

Läuft das am Ende auf geteilte Arbeitsplätze und Heimarbeit hinaus?

Shared Desks sind eine Frage der Kultur und bei uns aktuell kein Thema. Unsere Mitarbeiter sollen ein Umfeld haben, in dem sie sich wohlfühlen und entsprechend leistungsfähig sind. Wie weit Homeoffice möglich und sinnvoll ist, hängt stark von der Rolle des Mitarbeiters und dem Projekt ab. In kreativen Phasen ist es besser, die Beteiligten nahe beisammen zu halten. Kreativität ist ja ein Gruppenprozess. In Zeiten, in denen einfach effizient produziert werden muss, können die Leute hingegen problemlos verteilt arbeiten. Homeoffice soll bei uns möglich sein, aber nicht immer und nicht grundsätzlich.

Wie gross ist der Druck seitens der Mitarbeiter, von zuhause aus arbeiten zu können?

Das Bedürfnis ist je nach Lebensabschnitt unterschiedlich gross. Das ist absolut nachvollziehbar und es soll auch möglich sein. Aber wir finden auch, die Mitarbeiter sollen profitieren, wenn sie bei uns vor Ort arbeiten. Es ist wertvoll, wenn sie sich in einer angenehmen Umgebung mit Kollegen austauschen können. Deshalb betreiben wir auch kein Body Shopping. Wir verkaufen nicht den einzelnen Mitarbeiter, sondern die Firma als Brainpool. Kurz: Wir haben die Mitarbeiter gerne in der Firma.

Wie lösen Sie die Collaboration?

Eines meiner wichtigsten Themen als CIO war, die Mobilität der Mitarbeiter zu erhöhen. Sie sind zunehmend unterwegs und brauchen die nötigen Werkzeuge, um ausser Haus gut arbeiten zu können. Nach verschlüsselten Memorysticks folgten Firmen-Smartphones mit Mail und Kalender. Jeder, der will, erhält heute ein Notebook. Damit man die Geräte sinnvoll nutzen kann, bieten wir Services für kollaboratives Arbeiten wie Chat und Webex. Weiter hat jeder Standort einen Sitzungsraum mit Kamera. Und unsere Entwicklungsumgebung ist so aufgebaut, dass Kollaboration auch auf der Ebene des Codes möglich ist. Es gibt entsprechende Code Repositories und TWikis. Als Kür wollen wir nun auch die Kunden auf die Kollaborationsplattform bringen.

Das wirft ja primär einmal Fragen zur Sicherheit auf.

Selbstverständlich. Mit diesem Problem müssen sich heute viele Branchen befassen, denn nicht nur bei uns wird der Kunde immer tiefer in die Kernprozesse der Firma integriert. Meine Vision: Der Kunde arbeitet auf denselben Instrumenten wie die internen Mitarbeiter. Nun müssen die Systeme so gebaut werden, dass man über Identity- und Access-Management steuern kann, wer was darf. Aber in diesen Themen fühlen wir uns ja glücklicherweise sehr zuhause.

Das heisst, Sie brauchen hierfür Ihre eigene Lösung?

Sicher, das ist eine Grundvoraussetzung – das Motto heisst: "Eat your own Dogfood!" Alles andere wäre unglaubwürdig. Wir verwenden unsere Lösungen sowohl im Intranet als auch für den Extranet-Access durch Mitarbeiter und Kunden.

Apropos Sicherheit – sind Sie in letzter Zeit auch aus dem Internet angegriffen worden?

Heute wird praktisch jede Firma, die sich irgendwie exponiert und am Internet hängt, irgendwann angegriffen. Unsere Security-Infrastruktur hat diesen Attacken bis jetzt erfolgreich standgehalten.

Aber im Prinzip wären Sie mit Ihren Sicherheitslösungen schon ein interessantes Zielobjekt.

Ja, aber gleichzeitig müssten sich die Angreifer gut überlegen, was denn der Angriffsvektor sein könnte. Ich glaube nicht, dass eine technische Attacke auf eine Sicherheitsfirma erfolgversprechend ist. Ich würde das anders machen.

Wie?

Sagen wir es einmal so: Es gibt viele Möglichkeiten ausserhalb der Technik – Social Engineering etwa. Bei vielen Firmen ist dieser Weg der mit Abstand einfachste. Dieses Risiko haben wir aber im Auge.

Womit wir wieder bei der Firmenkultur wären – zufriedene Mitarbeiter sollen ja weniger anfällig für solche Attacken sein.

Voilà – für mich ist die Kultur überhaupt der wichtigste Wert in unserer Firma. Ein grosser Teil unseres Erfolgs beruht auf unserer Kultur in Kombination mit dem Know-how. Und das Know-how wiederum haben wir, weil unsere Mitarbeiter bei uns bleiben.

Stichworte

Das kann ich jederzeit empfehlen:
Ein Besuch von San Francisco. Die kulturelle Vielfalt und die einmalige Topologie und Lage der Stadt machen sie zu einem Erlebnis.

Darüber habe ich zuletzt gelacht:
Heute morgen über einen kernigen Spruch meiner Kinder. Ich lache generell gerne. Man soll auch sich selbst nicht zu ernst nehmen.

Darüber habe ich mich zuletzt geärgert:
Über unnötige Leerläufe in meinem Umfeld.

Heute in zehn Jahren:
Möchte ich mich immer noch mit mindestens gleich spannenden Aufgaben wie heute auseinandersetzen.

Über das Unternehmen

Das Schweizer Informatikunternehmen Adnovum entwickelt und integriert Business- und Sicherheitssoftware für anspruchsvolle Kunden wie Banken, Versicherungen und Behörden. Adnovums Markenzeichen sind technologische Kompetenz, Innovationskraft und Qualität im Sinn der Schweizer Ingenieurstradition.

Das Dienstleistungsangebot von Adnovum umfasst die Bereiche Application Development & Integration, Security Engineering, IT-Consulting und Application Management. Die Produkt-Suite Nevis von Adnovum bietet Sicherheit für Weblösungen. Damit können auch Businessprozesse online abgewickelt werden, die strengen Security- und Compliance-Vorgaben genügen müssen.

Adnovum wurde 1988 gegründet. Am Hauptsitz in Zürich und in den Büros in Bern, Singapur und Budapest arbeiten heute über 300 Personen, 70 Prozent davon sind Software-Ingenieure mit Hochschulabschluss.