Bye Desktop, hello Touchscreen

Windows 8: Was werden die Unternehmen tun?

Uhr | Aktualisiert
von Rodolphe Koller

Mit Windows 8 sollen Unternehmen den Weg Richtung Mobile- und Touchscreen-Anwendungen einschlagen und dabei eine vertraute IT-Umgebung beibehalten können. Die dazu nötigen Anpassungen könnten jene Unternehmen ausbremsen, die eben erst auf Windows 7 migriert haben.

Windows 8. (Quelle: Microsoft)
Windows 8. (Quelle: Microsoft)

Eine IT-Strategie ohne den Einbezug von Smartphones, Tablet-Computern, Apps und weiteren Aspekten der Consumerization der IT ist heute kaum mehr denkbar. Diese Trends – alle mit den Touchscreen-Endgeräten von Apple verbunden – sind nach ihrem Siegeszug im Privatkunden-Markt nun allmählich auch in den Unternehmen angekommen. Angesichts dieser Entwicklung wird Microsoft gerne vorgeworfen, die Tragweite einer Bewegung verschlafen zu haben, die mittelfristig gar das eigene Geschäft mit den Unternehmenskunden gefährden könnte. Diese kritischen Stimmen könnten diesen Herbst verstummen, denn Microsoft fährt mit dem neuen Betriebssystem «für mobile Geräte» schweres Geschütz auf.

Das Unternehmen lanciert das Betriebssystem in den vier Versionen Windows 8, Windows 8 Pro, Windows 8 Enterprise und Windows RT. Nicht zu vergessen sind zusätzlich die neuen Endgeräte. Dazu kommen ein überarbeitetes Office-Paket und neue Betriebssysteme für Server und Smartphones. Microsoft pokert hoch und hat mit einem Werbebudget von nahezu einer halben Milliarde Dollar allein für Windows 8 sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen im Visier. Es stellt sich jetzt die Frage, was die Unternehmen tun werden, denn viele von ihnen haben gerade erst die Migration ihres Geräteparks auf Windows 7 abgeschlossen.

Entworfen für Touchscreen-Endgeräte

Befragt man Microsoft und Systemintegratoren zu den Trümpfen, die Windows 8 für die Unternehmen bereithält, so lautet die erste Antwort, dass das System perfekt an die Touchscreen-Endgeräte, allen voran Tablet-PCs, angepasst sei. «Die Touchscreen-Oberfläche von Windows 8 wird die Unternehmen davon überzeugen, dieses System zu übernehmen, da sie den Trends in der Hardwareentwicklung und im Nutzerverhalten perfekt entgegenkommt», erläutert Manuel Michaud, Marketingleiter für Windows bei Microsoft Schweiz. Das Betriebssystem bietet beim Start eine Schnittstelle aus dynamischen «Kacheln» (tiles) für den Zugang zu den verschiedenen Diensten und Anwendungen, die dem Nutzer zur Verfügung stehen. Diese Benutzeroberfläche ist auch auf den Windows-Phones vorhanden und eignet sich besonders gut für die Touchscreen-Nutzung. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, zum herkömmlichen Desktop zurückzukehren, vor allem, wenn man keinen Touchscreen-Monitor besitzt oder wenn die gewünschte Anwendung für diesen Modus noch nicht geschaffen wurde.

Einige Analysten kritisieren, dass die Nutzer beim Start gezwungen sind, über diese neue Kachel-Benutzeroberfläche zu gehen. Damit bekräftigt Microsoft zwar die strategische Wende in Richtung Touch und positioniert sich klar gegenüber iOS und Android. Doch es gibt noch weitere Argumente, die für Unternehmen gegen einen Umstieg sprechen. So verfügen etwa viele in der Regel nicht über entsprechende Endgeräte und werden auch nicht auf die Schnelle ihren gesamten Gerätepark austauschen, ganz egal, wie attraktiv die Ultrabooks und Tablet-PCs auch sein mögen, die von Microsoft und seinen Partnern auf den Markt geworfen werden. Zudem wurden die meisten professionellen Anwendungen für die Bedienung mit der Maus und nicht mit einem Touchscreen-Monitor geschaffen. Von der Einlernphase der Mitarbeiter und ihren Folgen für den Helpdesk ganz zu schweigen.

Demgegenüber bleibt indes anzumerken, dass diese bremsende Wirkung nur vorübergehend ist, denn mit der Zeit werden die Unternehmen Touchscreen-Anwendungen und -Endgeräte einsetzen und die Mitarbeiter sich daran gewöhnen. Zudem verfügt Microsoft mit dem neuen Office über eine sogenannte «Killer App», um Windows 8 nach vorn zu bringen. Diese wird in den Endgeräten unter Windows RT vorinstalliert sein. Das Office-Paket ist sowohl bei Unternehmen als auch bei Privatpersonen fest installiert, und die in diesem Sommer neu vorgestellte Version bietet spezifische Funktionen für die Nutzung mit einem Touchscreen oder einem Eingabestift.

Alle Endgeräte in derselben Umgebung

Noch wichtiger als die Touchscreen-Benutzeroberfläche ist zweifelsohne, dass die Unternehmensversion von Windows 8 alle Endgeräte – private und berufliche, Desktops und Tablet-PCs – unter einem Dach vereint. Das System stellt insbesondere Funktionen zur Verfügung, die speziell für die Verwendung von Endgeräten konzipiert wurden, die nicht vom Unternehmen verwaltet werden, wie beispielsweise die privaten Computer der Mitarbeiter (BYOD) oder der externen Berater. Windows To Go ermöglicht so den Start der professionellen Umgebung auf dem Privat-PC von einem USB-Stick aus und gewährleistet den sicheren Zugang zu den Unternehmensressourcen. Über eine Speziallizenz – Companion Device – kann jeder Nutzer bis zu vier Endgeräte nutzen. Diese Option deckt auch den virtuellen Modus (VDI) ab, der die Nutzung von Touchscreen-Endgeräten und USB-Peripheriegeräten noch besser unterstützt.

Windows 8 Enterprise bietet mit «DirectAccess» auch Verbesserungen für Remote-Benutzer an. Mit dieser Lösung können die Mitarbeiter auf das Unternehmensnetzwerk zugreifen, ohne eine VPN-Sitzung eröffnen zu müssen. Die IT-Administratoren können die Konformität der Geräte zudem besser prüfen. Bei der Verwaltung der Endgeräte und der Nutzer können sich die Administratoren dabei auf die neueste Version von Windows Intune stützen, die von nun an für alle Mobilgeräte einsetzbar ist. Dazu gibt es neue Werkzeuge zur Einführung und Verwaltung der Touchscreen-Anwendungen wie etwa der «Applocker». Gemäss Lionel Zufferey, Associate Director bei Lanexpert, könnten alle oben genannten Funktionen die IT-Leiter überzeugen, die bislang bei der Anerkennung der Tablet-PCs gezögert haben: «Mit Windows 8 haben die Unternehmen die Möglichkeit, Tablet-PCs innerhalb einer stabilen und vertrauten Umgebung einzuführen.»

Windows 7 oder Windows 8?

Was werden die Unternehmen also tun? Ganz gleich, welche Vorteile das neue Betriebssystem bietet, die Entscheidung der Unternehmen über den Einsatz von Windows 8 hängt vor allem von der aktuellen Situation ihres Geräteparks ab. Viele Unternehmen, die gezwungen waren, Windows XP aufzugeben, haben zuletzt auf Windows 7 migriert, sind gerade dabei oder beabsichtigen dies in naher Zukunft. In der Schweiz verwenden derzeit gemäss den aktuellen Zahlen von Profondia 52 Prozent der Unternehmen Windows 7. Mehr als die Hälfte von ihnen nutzen es parallel zu einer früheren Version, was auf eine laufende Migration hindeuten kann.

Auf seinem Blog empfiehlt Erwin Visser, Windows-Leiter bei Microsoft, den Unternehmen, die auf Windows 7 migrieren, ihre Migration fortzusetzen und die Funktionen von Windows 8 zu prüfen. Sie sollten dabei insbesondere die hohe Kompatibilität der beiden Plattformen sowohl hinsichtlich der Anwendungen als auch der Hardware testen. Dieser Sichtweise schliesst sich auch sein Kollege Manuel Michaud von Microsoft Schweiz an: «Man macht ja nicht jedes Jahr eine Migration. Ich meine aber, dass es in Zukunft üblich sein wird, in den Unternehmen mehrere Betriebssysteme parallel zu verwenden.» Den Unternehmen, die noch mit XP oder Vista arbeiten, empfiehlt Microsoft, direkt auf Windows 8 zu wechseln.

Die Analysten hingegen sind der Ansicht, dass sich die Unternehmen mit der Einführung von Windows 8 nicht beeilen werden, unabhängig von ihrem Interesse an Tablet-PCs und Touchscreen-Schnittstellen. «Die Einführung eines neuen Windows-Systems erfolgt wieder auf klassische Weise: Nur wenige Unternehmen stürzen sich auf die neue Version, auch wenn sie noch so gut ist», erklärt Al Gillen, Analyst bei IDC. Diese abwartende Haltung erklärt sich vor allem durch die Beliebtheit von Windows 7 und die Tatsache, dass viele Verwaltungs- und Sicherheitstools auf dem neuen System noch nicht laufen. Alberto Castelli, Technical Director bei Lanexpert, äussert ebenfalls Vorbehalte: «Als Systemintegratoren ist es unsere Aufgabe, die Unternehmen zu begleiten und zu beraten, aber nicht, sie zur Einführung eines neuen Systems zu drängen.»

Windows 8 oder Windows RT?

Eine weitere Frage betrifft die professionellen Anwendungen. Unter Windows 8 können die Unternehmen gleichzeitig ihre Windows-7-Anwendungen (Win32) und die für die neue Schnittstelle entworfenen Anwendungen (WinRT) laufen lassen. Auf Geräten, die mit den energiesparenden ARM-Chips ausgestattet sind und unter Windows RT laufen, funktionieren hingegen keine Win32-Anwendungen, sondern nur WinRT-Anwendungen, die vor allem HTML5 mit Javascript verwenden.

Somit müssen die Unternehmen und die Entwickler zwischen Windows 8 und Windows RT für ihre Endgeräte und zwischen Win32 und WinRT für ihre Anwendungen wählen. Mit anderen Worten: Sie müssen sich zwischen einer vom Desktop übernommenen hybriden Welt und der neuen Welt der Smartphones und Touchscreen-PCs entscheiden. Aus dieser Zwickmühle hilft auch Microsoft nicht heraus, da es gleich zwei neue Betriebssysteme mit je einem Surface-Tablet anbietet. Für Michael Silver, Analyst bei Gartner, besteht kein Zweifel, dass die Zukunft WinRT gehört, da dies einen technologischen Wandel in derselben Grössenordnung wie der Wechsel von DOS zu NT darstellt: «Windows 8 markiert den Anfang vom Ende der Win32-Anwendungen auf dem Desktop. Microsoft wird Win32 weiterhin unterstützen, wird aber die Entwickler ermutigen, leichter zu verwaltende und attraktivere Anwendungen unter WinRT zu schreiben.»

Was werden die Unternehmen tun?

Experten zufolge starten die kompletten Migrationen nach Windows 8 nicht vor Ende 2013. Bis dahin wird wahrscheinlich der Einsatz von Windows 7 weiter zunehmen. Parallel dazu werden vermutlich viele IT-Abteilungen das neue Betriebssystem testen und auswerten – aus Interesse, aus reiner Neugier oder um den Anwendern entgegenzukommen, die gerne Tablet-PCs bei ihrer Arbeit nutzen möchten. Während dieser Übergangsphase werden sich manche Unternehmen auch in der Anwendungsentwicklung und in der Einführung von Endgeräten für spezielle Funktionen und Branchen versuchen, in denen der Touchscreen einen tatsächlichen Vorteil bietet.

Für die Unternehmen hat Windows 8 den Vorteil, dass es einen sanften Übergang vom Desktop zum Touchscreen in mehreren Schritten ermöglicht. Für Microsoft ist es eine Möglichkeit zu vermeiden, dass sich die Unternehmen im Moment der Abnabelung und der endgültigen Hinwendung zur Welt der Tablet-PCs anderweitig orientieren.