Pascal Kaufmann, Gründer von Starmind, im Interview

"Menschen sind Small-Data-Maschinen"

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von Coen Kaat

Mit jeder neuen Generation werden Computer schneller und schneller. Aber werden sie dadurch auch intelligenter? Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, sagt Pascal Kaufmann, Gründer von Starmind. Im Interview erklärt er, warum.

Pascal Kaufmann, Gründer von Starmind. (Source: Netzmedien)
Pascal Kaufmann, Gründer von Starmind. (Source: Netzmedien)

Gibt es überhaupt so etwas wie eine künstliche Intelligenz (KI)?

Pascal Kaufmann: Was gemeinhin als künstliche Intelligenz bezeichnet wird, ist oft nur ein Derivat menschlicher Intelligenz. Erzeugnisse des menschlichen Geistes, die ein Programmierer in den Source Code verpackt hat. Diese Erzeugnisse bringen selbst jedoch nichts wirklich Neues hervor. Es sind eigentlich schnelle Rechenmaschinen, die eine isolierte, regelbasierte Aufgabe sehr schnell lösen können. Wie etwa das auf das Spiel "Go" spezialisierte Alphazero von Google. Derartige Maschinen sind extrem performant. In dem Bereich, für den sie entwickelt wurden, schlagen sie jeden Menschen. Ich glaube aber, dass es neben der Leistung noch eine weitere Achse braucht. Denn es mangelt ihnen an Kompetenz. Noch keine Maschine dieser Welt kann auf einem 10x10-Spielbrett Schach spielen, wenn sie gelernt hat, sich in einem üblichen 8x8-Schachbrett zurechtzufinden.

Was meinen Sie mit Kompetenz?

Kompetenz bedeutet für mich, dass man sich etwa fragt, was man eigentlich mit einem Paar Schuhe alles machen kann. Die Antwort der Maschine lautet natürlich, dass man sie anziehen kann. Ein Mensch kommt aber auch auf andere Ideen. Er könnte etwa sagen, dass man mit Schuhen auch Nägel einschlagen kann oder dass man ein kleines Schiffchen daraus bauen könnte. In dieser Fähigkeit, zu generalisieren und bestehendes Know-how auf unbekannte Situationen zu transferieren, zeigt sich die Intelligenz des Menschen. Eine KI, die performant und kompetent ist, könnte eine Aufgabe sehr schnell lösen, aber zugleich auch verstehen, worum es dabei geht. Ich will aber einen Schritt weiter gehen. Ich will Maschinen bauen, die neuartige Probleme lösen können, die sie vorher noch nie gesehen haben.

Ist Intelligenz nicht eine Frage der Geschwindigkeit, der Rechenleistung?

Es ist ein Irrglaube, zu denken, dass alles plötzlich intelligent wird, wenn der Rechner nur schnell genug ist. Es ist ja nicht so, dass Menschen extrem schnell rechnen können. Im Gegenteil: Menschen sind eher Small-Data-Maschinen. Und abgesehen davon sind Computer schon lange schneller als einzelne Hirnzellen. Hirnzellen feuern etwa im Bereich von 10 bis 20 Hertz – der Computerchip in einem iPhone hingegen im Bereich von Milliarden Hertz. Bloss weil Computer schneller werden, werden diese nicht auch automatisch klüger. Das Hirn könnte ja auch eine Art Superorganismus sein. Ein Gebilde aus Milliarden von verknüpften Hirnzellen, deren Zusammenarbeit ähnlich funktioniert wie ein Fischschwarm oder eine Ameisenkolonie.

Wie weit sind wir davon entfernt, eine echte menschenähnliche künstliche Intelligenz zu kreieren?

Es kommt nicht darauf an, wie intensiv man nach Kartoffeln gräbt, als vielmehr, wo man nach Kartoffeln gräbt. Aus meiner Sicht graben wir derzeit an der falschen Stelle. Rund 95 Prozent der Investitionen in KI stecken die Forscher in schnellere Computer. Diesen Weg könnte man wohl noch ewig verfolgen, ohne einen wirklichen, qualitativen Durchbruch zu erzielen: Das Wesen der Intelligenz oder das Bewusstsein sind bis heute noch unentdeckte Welten, vielleicht die letzten grossen Geheimnisse, die es zu lüften gilt. Einige wenige Projekte verfolgen einen anderen Ansatz. Wenn wir diese fördern, haben wir vielleicht schon in kurzer Zeit einen Durchbruch. Vielleicht sogar schon in den nächsten fünf bis zehn Jahren – wenn wir am richtigen Ort forschen! Es ist vergleichbar mit der Situation vor Isaac Newton.

Wie meinen Sie das?

Bevor Newton der Apfel auf den Kopf gefallen sei, so die Überlieferung, war man der Auffassung, die Bewegungen der Planeten und Sterne seien für Menschen schier unergründlich. Dank des Apfels (oder eines Geistesblitzes) erkannte Newton allerdings die Regeln und formulierte sie in den bekannten, einfachen Newtonschen Sätzen. Genau so spricht man auch jetzt von der menschlichen Intelligenz. Man werde das nie verstehen und gewiss nie reproduzieren können. Doch auch hier könnte eines Tages der Apfel fallen oder ein Forscher von einer kleinen Drohne getroffen werden, der dann den historischen Geistesblitz hat.

Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass wir eines Tages menschenähnliche künstliche Intelligenz kreieren können?

Das ist die gleiche Zuversicht, die der Mensch hatte, als er einen Vogel sah und ein Flugzeug bauen wollte. Es muss möglich sein, denn man sieht ja, dass es existiert. Der Mensch kann heute schon künstliche Herzen und künstliche Hände bauen. Alles, was die Natur erschafft, kann der Mensch prinzipiell nachbauen, so auch die menschliche Intelligenz. Wir wissen nur noch nicht wie.

Und was passiert, sobald wir wissen wie?

Dann werden wir einer künstlichen Spezies Leben einhauchen. Ich bin davon überzeugt, dass wir eines Tages künstliche Wesen werden bauen können, bewusste Maschinen, die ähnlich denken wie Menschen. Vielleicht werden diese Maschinen auch 1000 Mal gescheiter sein als Menschen, wer weiss. Für mich ist das der natürliche Gang der Evolution.

Wie nutzt so eine bewusste Maschine der Menschheit?

Leben zu schaffen, ist ein alter Menschheitstraum. Von Prometheus über den Golem bis zu Frankenstein – in fast jeder Kultur gibt es eine vergleichbare Sage. Es ist eine der letzten Grenzen. Das letzte grosse Wettrennen in der Wissenschaft. Sobald wir künstliche Intelligenz kreieren können, kann diese die gesamte Wissenschaft beschleunigen und revolutionieren. Mit menschenartiger KI könnte man etwa die medizinische Forschung extrem beschleunigen, den Alterungsprozess stoppen, Krankheiten eliminieren oder die 17 globalen UNO-Ziele lösen, wie Armut und Hunger zu besiegen. Deshalb ist die KI derart mächtig und verführerisch, quasi der heilige Gral der Wissenschaft, mit dem Unterschied, dass wir wissen, dass es KI geben muss, der heilige Gral hingegen entspringt einem Mythos und seine Existenz ist nicht bewiesen. Zehntausende Wissenschafter und Unternehmer weltweit sind der Suche nach KI verfallen und dies aus verschiedensten Gründen. Die einen treibt der Erfindergeist, andere Ruhm, Ehre, Ansehen, Dritte sehen in der KI die Lösung aller Probleme, eine weitere Gruppe möchte im Besitz der KI sein, bevor dies andere sind.

Und was wird dann aus dem Menschen?

Überraschenderweise wird der Faktor Mensch in einer vollends digitalisierten Welt immer wichtiger. Technologie ist eine Commodity. Jeder kann sie kaufen. Deshalb wird das menschliche Element an Wert zunehmen. Darum ist es aber auch wichtig, dass wir Menschen eine Symbiose mit der Technologie eingehen, um so in einer hochtechnologisierten Welt mithalten zu können. Vielleicht wird sogar ein neues Menschenbild entstehen.

Der Nutzen einer KI für den Menschen ist offensichtlich. Aber wie profitiert diese KI vom Faktor Mensch?

Gegenfrage: Wie profitiert das Feuer vom Menschen? Die KI, genauso wie Feuer, ist ein Werkzeug, das zum Guten wie auch zum Schlechten eingesetzt werden kann. So, wie wir gelernt haben, das Feuer zu kontrollieren, werden wir auch lernen müssen, die KI zu kontrollieren. Eine Alternative dazu gibt es nicht für uns, daher bin ich optimistisch, dass wir die KI zum Wohle des Menschen einsetzen werden.

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