Automatisierung als Chance

Robotic Process Intelligence: kein Grund zur Angst vor Jobverlust

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von Manfred Jürgens, Solution Director, Nexum

Automatisierung wurde bisher eng mit Rationalisierung und dem Abbau von Arbeitsplätzen in Zusammenhang gebracht. Corona hat uns schliesslich gezeigt, wie wichtig die Menschen sind und dass selbst die verfügbaren Arbeitskräfte die Lage kaum mehr bewältigen können. Und jetzt auch noch digitalisieren und automatisieren? Oder gerade deswegen?

Über eine Million Jobs sind laut einer Studie durch die Automatisierung von bisher manuell erledigten Tätigkeiten bis zum Jahr 2030 bedroht: Nahrung für eine Angst, welche uns seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert begleitet: Dass irgendein Roboter unsere Arbeit übernimmt.

Dank Social Media werden angstmachende Theorien über Jobverlust und künftig sinnlosem Dasein von Fachkräften weiter befeuert. Zumindest in der Facebook-Timeline der Leute, die wirklich überzeugt sind, dass der Untergang naht.

Sie sind schon unter uns

Wo früher Redakteure als Gatekeeper versucht haben, entsprechend ihrer Zielgruppe die Publikation von Beiträgen zu steuern, verbreiten sich heute gleich mehrere Medienrealitäten innerhalb der Bevölkerung: "Zeig mir Deinen Facebook-Account und ich sag Dir, was Du über Corona denkst."

Das Medium ist also nicht mehr nur Vermittler, sondern beeinflusst die öffentliche Meinung gleich mit. Und eigentlich finden wir es doch gut, wenn wir die Informationen und die Werbung erhalten, die uns interessiert. Und eigentlich möchte ein Marketing-Manager auch nicht tausenden Interessensprofilen die relevanten Produkte und redaktionellen Inhalte zuordnen. Warum macht er es dann noch?

Die Pluralisierung von Kommunikationskanälen und das zunehmend individualisierte Informationsverhalten sind schon heute nur noch durch den zusätzlichen Einsatz von Roboterjournalisten zu bewältigen. Wer sonst soll einen Bericht über den heutigen Pollenflug am Walensee schreiben?

Corona hat uns wachgerüttelt

Es muss digitalisiert werden! Während Corona waren sich plötzlich alle einig!

Handelsunternehmen haben in den letzten Jahren ihre Online-Aktivitäten ausgebaut und waren bereit für den grossen Online-Durchbruch. Und dann kam Corona! Alles hat sich multipliziert: die Kunden, die Bestellungen, die Umsätze. Aber auch die Lieferzeiten, die Antwortzeiten für Kundenanfragen und die Zeit für die manuelle Freigabe aller Bestellungen. Die neue Realität: Man ist in Quarantäne, bestellt sich online Lebensmittel und erhält diese zwei Wochen nach der Quarantäne.

Auch andere Sektoren sahen sich dem Ansturm vielerorts nicht mehr gewachsen: Kurzarbeit und Kredite ohne aufwändige Prüfungen, ein Ansturm auf medizinische Einrichtungen und Krankenschein per E-Mail: Betrugsabwendung? Telemedizin? Fehlanzeige.

Automatisierung als Chance

Gelernt haben wir nun alle, dass in Zeiten von erhöhtem Bedarf an einem Angebot, menschliche Ressourcen nicht beliebig skaliert werden können. Selbst wenn, würde die Multiplikation menschlicher Ressourcen zur Sicherstellung eines Angebots oder einer Dienstleistung zu höheren Fehlerraten führen.

Viel besser wäre es doch, wenn skalierungsbedürftige Prozesse, solche, welche unter grossem Ansturm wie Black Friday oder im Saison-Schlussverkauf, automatisiert ablaufen. Nicht, um Mitarbeiter abzubauen, sondern um mit bestehender Belegschaft effizient genug zu sein, das in den vergangenen Jahren entstandene Mehr an Zielgruppen, Produkten, Substituten und Mitbewerbern zu bewältigen und Marktanteile zu sichern.

Ersetzt künstliche Intelligenz den Menschen?

Setzt man voraus, dass Maschinen sowohl logisch-rationale als auch eine emotionale Intelligenz (EQ) besitzen, so lässt sich diese EQ heute in verschiedenen Stufen betrachten. Anhand des Beispiels Auto erläutert:

  • Stufe 0: Der Scheibenwischer funktioniert auf Knopfdruck.

  • Stufe 1: Ein Signal zur Erinnerung an eine Pause. Das Auto nimmt einen körperlichen, psychischen Zustand auf Basis gefahrener km des Menschen an, ohne ihn am Menschen direkt zu messen.

  • Stufe 2: Stirn-Temperaturscanner oder Pulsmesser am Lenkrad liefern Daten, um die Klimaanlage passend einzustellen.

  • Stufe 3: Mehr Sensoren helfen, Gefahrensituationen zu erkennen, die Vitalität des Fahrers selbstlernend einzuschätzen und bei Bedarf autonom zu reagieren.

Klare Grenze für Maschinen ist jedoch die selbständige Handlung in unbekannten Kontexten ohne definiertes, zu erreichendes Ziel. Maschinen erfinden keine neuen Funktionen, keine neuen Produkte und repräsentieren keinen Unternehmenswert. Sie ersetzen keine Menschen.

Alle Stufen arbeiten auf der Basis von zugeführten Daten und den dadurch repräsentierten Zuständen, welchen entsprechende Handlungen zugeordnet sind. Handlungen können sogar korrigiert werden, jedoch nur innerhalb des durch Menschen vorgegebenen Handlungsportfolios. Es handelt sich also um Tätigkeiten, welche durch die immer grösser werdenden Entscheidungskontexte manuell nicht mehr effizient erledigt werden kann.

Bei diesen Tätigkeiten kann Robotic Process Intelligence, die Kombination von Prozessautomatisierung und KI, zum Einsatz kommen.

Robotic Process Intelligence

Entsprechend dem EVA-Prinzip lässt sich Robotic Process Intelligence in drei Ebenen unterteilen:

1. Input Intelligence

Gelieferte und gesammelte Informationen in unterschiedlichen Formaten führen zu hohen Aufwänden bei der Strukturierung und Verarbeitung. Auf Basis von selbstlernenden Mapping-Algorithmen, Natural Language Processing und Kontextanalysen lassen sich automatisiert Produktinformationen im PIM erfassen oder Kundenfeedbacks im CRM strukturieren.

2. Operational Intelligence

Entscheidungen sind ein Konstrukt aus zugrundeliegenden Daten, zu erreichenden Zielzuständen und möglichen Optionen. Selbstlernend durch punktuellen Eingriff oder durch automatisierten Abgleich von gewünschtem und erreichtem Ziel, können immer wiederkehrende Entscheidungen vollständig automatisiert werden. Zum Beispiel die Bestimmung des richtigen Zeitpunkts zur Preisreduktion eines Artikels (Dynamic Pricing) oder die Zuordnung von Promotionen, Kampagnen und Produktempfehlungen zu Zielgruppen (Recommendations). Input Intelligence liefert hierzu einen Teil der Datenbasis.

3. Output Intelligence

Statt vorgegebener Textbausteine für Call-Center-Agents: Es existieren Algorithmen, zur Erkennung von Zusammenhängen in Texten. So kann Kundenkommunikation automatisiert werden. Per E-Mail, Chatbots, Newsletter-Automation oder sogar als unterstützendes Instrument für den Mitarbeiter in der Filiale. Initiiert durch Entscheidungen auf Basis von Operational Intelligence.

Fazit

Oft haben wir in der Vergangenheit erkannt, dass Prozesse zu langsam sind, Unternehmen zu wenig flexibel sind, um auf die immer steigenden Anforderungen des Marktes zu reagieren. Ein Hauptgrund dafür ist, dass unsere Ressourcen von den kleinen, immer wiederkehrenden Aufgaben des Tagesgeschäfts absorbiert werden.

Automatisierung ist also kein Grund für Angst vor dem Jobverlust, sondern die Möglichkeit, mit der nur dem Menschen vorbehaltenen Empathie die Differenzierung des eigenen Wertangebotes eines Unternehmens zu schärfen und neue Geschäftsfelder aufzubauen.

Literatur:

Fischer, P. (2019). NZZ: So funktioniert der Strukturwandel.

Sonnad, N. (2014). Is your job at risk from robot labor?

Schäfer, M; Wessler, H. (2020). Öffentliche Kommunikation in Zeiten künstlicher

Intelligenz

Maitra, J. (2014). Die Roboterjournalisten sind schon unter uns.

Raehlmann, I. (2020). Corona! Die Krise der Verschlankung und ihre Folgen

Ehlers. A. (2019). Medizin 4.0 (Digital Health) – Chancen und Risiken.

Förstl, H. (2012). Theory of Mind.

Jürgens, M. (2020). Netzwoche. Data Driven Business.

Maier, M. et al. (2019). Digitale Welt. Was ist Affective Computing?

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