Editorial

Barrierefreiheit by Design

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Christoph Grau, stellvertretender Chefredaktor, Netzwoche (Source: Netzmedien)
Christoph Grau, stellvertretender Chefredaktor, Netzwoche (Source: Netzmedien)

Beeinträchtigungen von Menschen sind so vielfältig wie das Leben selbst. Es gibt viele Ausprägungen von Seh-, Hör-, Greif-, Geh- oder mentalen Behinderungen. Erschwert wird dies noch dadurch, dass auch mehrere Behinderungen gleichzeitig vorhanden sein können. Genauso komplex sind ­Lösungen, um Menschen mit Behinderungen Zugang zur ICT zu ermöglichen. Dies ist beim Bau eines barrierefreien Hauses nicht anders als beim Programmieren einer Software, der Entwicklung einer App oder ­Website wie auch beim Designen eines Laptops. Jedoch sind Menschen mit Behinderungen nur selten in die Entwicklung von ICT-Produkten eingebunden. Oft wird erst am Ende geschaut, ob nicht auch noch das eine oder andere Feature für die Barrierefreiheit eingebaut werden kann. Das Ergebnis sind dann mehr oder weniger ausgereifte Lösungen. Etwa eine Vorlesefunktion oder die Möglichkeit, Texte zu vergrössern.

Doch Barrierefreiheit sollte schon zu Beginn Bestandteil des Entwicklungsprozesses sein. Das Produkt wird dadurch auch nicht unbedingt teurer, wie eine Studie der Universität St. Gallen zeigt. Sozusagen «Barrierefreiheit by ­Design». Zentral ist, die Betroffenen direkt mit einzubinden. Denn nur sie wissen, was ihnen wirklich hilft.

Das Internet beseitigt räumliche Grenzen und schafft damit gewissermassen Barrierefreiheit. Gleichzeitig werden aber durch das Design der Anwendungen in der Bedienung erneut Grenzen gesetzt und beeinträchtigte Menschen wieder von der Nutzung der Tools ausgeschlossen. Damit wird nicht nur ein erheblicher ­Kundenkreis, sondern eine ganze gesellschaftliche Gruppe ausgeschlossen.

Ebenso verhält es sich mit dem Smartphone. Dieses eröffnet auch Menschen mit Behinderungen, etwa über Apps, nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Aber welche App kann schon einfach über die Sprachsteuerung bedient werden? Versteht Siri auch Personen mit Sprachstörungen? Und was ist mit Menschen, die kognitive Beeinträchtigungen haben? Verstehen sie überhaupt die Komplexität mancher Anwendungen? Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten. ­Keine Lösung wird Menschen mit Behinderungen vollends gerecht. Aber es könnte mehr in diese Richtung unternommen werden. Denn die Möglichkeiten durch neue Technologien sind zahlreich. Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Big-Data-Analyse, Sensorik oder auch Mensch-Maschine-Interaktionen. All diese Themen können, clever eingesetzt, einen enormen Mehrwert für Menschen mit Behinderungen bieten.

Barrierefreiheit ist auch ein Wirtschaftsfaktor, denn allein in der Schweiz haben rund 1,6 Millionen Menschen eine Behinderung. Auch durch die Alterung der Gesellschaft bleibt das Thema aktuell. Also, Ihr Entwickler: Denkt gleich von Anfang an an die Barrierefreiheit und bindet die Betroffenen ein! Nur so schafft man Produkte, die Menschen mit Behinderungen einen echten Mehrwert bieten! Es ist nicht einfach, aber es lohnt sich! Lesen Sie mehr dazu ab Seite 40.

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