Live-Interview

"80 Prozent der benötigten Funktionalitäten decken wir mit SAP ab"

Uhr | Aktualisiert
von Marion Ronca

August Harder, Leiter Informatik und Produktion der Coop-Gruppe, erklärt im Interview, welche IT-Projekte Coop gegenwärtig beschäftigen.

Gemäss August Harder hält sich die Coop-Gruppe im Bereich Social Media bewusst zurück. (Quelle: Netzmedien)
Gemäss August Harder hält sich die Coop-Gruppe im Bereich Social Media bewusst zurück. (Quelle: Netzmedien)

Herr Harder, Coop hat letzten August ein neues Warenwirtschaftssystem eingeführt. Was war der Grund, ausserhalb von SAP eine neue Lösung zu entwickeln?

Bei der neuen Lösung geht es um Warenwirtschaft auf Stufe Verkaufsstelle, das heisst, sie betrifft ausschliesslich die Prozesse in der Verkaufsstelle und nicht jene der Zentrale. Da Coop in den Verkaufsstellen insgesamt über 20 000 Personen beschäftigt, ist es für das Unternehmen sehr wichtig, dass die Prozesse so effizient wie nur möglich laufen. Aus diesem Grund haben wir geschaut, wie wir die Prozesse der Warenbewirtschaftung in der Verkaufsstelle unterstützen können und sind zum Schluss gekommen, dass die Prozessunterstützung von SAP in diesem Fall zu wenig unseren Bedürfnissen entspricht. Wir sind ja traditionell ein SAP-Kunde und setzen SAP wenn immer möglich ein.

Was waren das für zusätzliche Bedürfnisse, die Sie mit der neuen Applikation abdecken wollen?

Wir brauchen eine präzise Unterstützung des Warenwirtschaftsprozesses, so wie wir ihn definiert haben. Wir arbeiten stark nach dem Prinzip des «Management by Exeception». Zum Beispiel fordern wir die Verkaufsstelle auf, den Bestand zu zählen, wenn wir im System einen Negativbestand feststellen. Denn da kann etwas nicht stimmen. In der Realität gibt es ja keine negativen Bestände. Es gibt höchstens Null, aber Minus gibt es nicht. Das sind halt recht spezifische Prozesse. SAP hatte damals zwar auch ein Projekt mit der Firma GK, eine ähnliche Art von Applikation zu realisieren, aber wir haben uns dann doch entschieden, das mit Ergon Informatik zu machen.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Ergon Informatik?

Wir haben schon ein paar gute Projekte mit Ergon Informatik realisiert. Zum Beispiel entwickelten wir mit ihnen ein System für die Zeiterfassung und Personalplanung. Ergon ist aus unserer Sicht eine innovative Firma. Gleichzeitig ist es auch ein mittelständisches Unternehmen, für das wir ein wichtiger Kunde sind und von dem wir ernst genommen werden. Meistens entwickeln wir die Projekte mit ihnen zusammen. Sie haben den Lead, aber unsere Entwickler arbeiten auch mit, damit sie nachher die Systeme in unsere Umgebung einbetten, diese warten und bei Bedarf weiterentwickeln können. Wir können dank dieser Zusammenarbeit technisch viel dazulernen, da ja Informatik nicht unser Hauptgeschäft ist.

Was waren bei der Entwicklung des Warenwirtschaftssystems «Ergo» die besonderen Herausforderungen?

Wir hatten schon vor Ergo eine Eigenentwicklung. Diese war technisch und in Bezug auf ihre Erweiterbarkeit und Wartbarkeit am Ende des Lebenszyklus angelangt. Bei der alten Lösung liefen verschiedene Sachen schlecht. Sie unterstützte zum Beispiel das Pilotieren zu wenig, was bei Coop eine wichtige Rolle spielt. Wir pilotieren meistens 15 Läden und schauen, wie es läuft. Erst wenn sich das System bewährt, setzen wir es in den 1000 Läden ein. Mit der neuen Software können Pilotprojekte heute ganz einfach gesteuert werden. Doch auch die Performance, der Datenbankaufbau und die Datenstruktur waren von Beginn an gut aufgesetzt. Wo wir eher Probleme hatten, war beim Zusammenspiel zwischen der neuen Lösung und der Middleware. Diese verbindet SAP und ein paar andere Systeme wie jenes für die Zeiterfassung mit der neuen Lösung Ergo. Wir änderten die Art und Weise, wie die Daten fliessen und teilweise, wie sie verarbeitet werden. Das machte erhebliche Probleme und verzögerte die Einführung der Lösung. Mittlerweile sind die Probleme behoben.

Welche anderen Bereiche decken Sie nicht mit SAP ab?

Wir haben pro Jahr um die 500 IT-Projekte. 80 Prozent der von uns benötigten Funktionalitäten decken wir mit SAP ab. SAP begleitet Coop schon seit längerem. Wir haben das SAP-R/3- System 1999 in Betrieb genommen und immer weiter ausgebaut. Wir versuchen mit einer möglichst kleinen Werkzeugkiste möglichst viele Funktionalitäten zu gewinnen. Es gibt drei Bereiche, für die wir mit SAP keine Lösung gefunden haben: Die Warenwirtschaft in den Filialen, die decken wir, wie gesagt, mit der Software Ergo ab. Für die Kasse haben wir eine Software von GK im Einsatz, und für die Lagerbewirtschaftung nutzen wir die Logistiksoftware Wamas von SSI Schäfer. Hier entschieden wir uns ganz bewusst aus Verfügbarkeitsüberlegungen für eine dezentrale Lösung, damit nicht alles an einem Ort, sondern eben dezentral ist, wo sich auch unsere Lager befinden.

Handelt es sich bei der Lagerbewirtschaftungssoftware auch um eine Neuentwicklung?

Wir nutzen unsere Lagerbewirtschaftstungssoftware schon seit rund zehn Jahren. Jetzt werden wir auch in diesem Bereich eine neue Lösung einführen, die ebenso von der Firma SSI Schäfer von Grund auf neu entwickelt wurde. Das erste Lager haben wir kürzlich damit in Betrieb genommen, und weitere werden folgen. Die Entwicklung einer neuen Version war vor allem durch die neuen technologischen Möglichkeiten motiviert. Nach zehn, fünfzehn Jahren ist eine Software in der Regel reif für eine Überarbeitung.

Spielen bei der Lagerbewirtschaftung auch mobile Geräte eine Rolle?

In der Lagerbewirtschaftung haben wir eigentlich schon immer mit mobilen Geräten gearbeitet. Gerade erst entwickelten wir die Oberfläche der Geräte weiter. Auch bei unserem Warenwirtschaftssystem achteten wir darauf, dass die Oberfläche der Mobilgeräte den Prozess optimal unterstützt. Entsprechend entwarfen wir die wichtigsten Felder so gross wie möglich und überlegten uns bei jedem Feld genau, ob es verständlich ist und ob es den Prozess optimal unterstützt. Sehr wichtig war uns auch, dass die Mitarbeiter die jeweilige Information finden, die sie brauchen. So mussten wir herausfinden, was zentrale und was Detailinformationen sind, die nur in Ausnahmenfällen angezeigt werden. Das wichtigste Feld ist zum Beispiel das Bestellfeld für Colis, das wurde möglichst gross gestaltet. Es scheinen einfache Sachen zu sein, aber sie spielen doch eine wichtige Rolle. Dieses Feld wird bei Coop über eine Million Mal pro Tag angeschaut. Bei mobilen Geräten möchte man ja ein möglichst schlankes und leichtes Gerät haben. Das bedeutet dann, dass die Bildschirme nicht sehr gross sein können. Dadurch wird der Platz auf dem Bildschirm knapp und damit sehr wertvoll.

Ist das Kassensystem auch neu?

Ja, die Lösung von GK-Software wurde auch in den letzten Jahren entwickelt und eingeführt. Sie existiert für sieben verschiedene Formate und hat auch Touchscreen-Unterstützung. Wir haben ja jetzt auch Self-Checkout-Kassen, bei denen der Kunde die Kasse bedient. Dort konnten wir dieselbe Oberfläche, wie sie die Kassiererinnen haben, mit ein paar Anpassungen übernehmen.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen in der Zukunft?

Bei den klassischen Warenwirtschaftsprozessen haben wir einen guten Stand. Handlungsbedarf sehen wir vor allem bei den verschiede2 nen Möglichkeiten der Vertriebskanäle, sei es beim stationären Handel, beim E-Commerceoder bei den mobilen Applikationen. Die neuenAnforderungen der Kunden machen eine bessere Orchestrierung der Vertriebskanäle notwendig. Ein Kunde möchte sich zum Beispiel online über ein Produkt informieren, es aber im Laden kaufen. Oder umgekehrt, er möchte im Laden von einem Verkäufer beraten werden und seinen Einkauf nach Hause geliefert bekommen. Um diese Prozesse zu koordinieren, braucht es viel Kommunikation, und das Telefon kommt entsprechend oft zum Einsatz. Dies ist wenig effizient. IT-Systeme müssen diese Prozesse radikal vereinfachen. Das stellt die IT vor neue Herausforderungen. Wenn zum Beispiel ein Kunde aus einem Regal etwas mitnimmt, darf dieser Artikel oder die Anzahl der Artikel vor dem Kauf im Internet nicht mehr angezeigt werden. Jetzt ist es aber so, dass die Bestände vor allem am Abend stimmen und nicht während des Tages. Dazu müsste man das in Echtzeit machen. Hybris, das kürzlich von SAP aufgekauft wurde, ist zum Beispiel für Shops in diesem Bereich eine gute Lösung. Für die Sicht auf den Kunden bietet wiederum SAPs Customer Activity Repository, CAR, eine Lösung, um zu sehen, was in den verschiedenen Kanälen läuft.

Wo steht Coop derzeit im Bereich Multi-Channel?

Wie gesagt, für den Kunden läuft es, für uns ist es hintenrum aufwändig und kompliziert. Wir möchten jetzt erste Projekte im Bereich Multi-Channel in Angriff nehmen. In einem ersten Schritt versuchen wir, die verschiedenen Systeme über eine Schnittstelle zu verbinden. In einem zweiten Schritt schauen wir, ob wir nicht vielleicht eine elegantere Lösung finden können. Auch in den Supermärkten versuchen wir nun immer mehr, die Bestände in Echtzeit zu erfassen. Hana von SAP ist da ein Stichwort. Bisher konnten wir die Bestände ja nur am Abend zählen, weil der Buchbestand dann für alle Belieferungen und alle Abverkäufe richtig ist. Während des Tages kannten wir den Buchbestand wie gesagt nicht. Mit Hana bekommen wir das jetzt in Echtzeit hin.

Coop erfasst mit der Supercard schon länger Kundendaten. Was machen Sie daraus?

Entgegen einer verbreiteten Auffassung ist es noch nicht lange her, dass Coop Kundendaten auswertet. Tatsächlich ist es so, dass wir bis Ende des letzten Jahres Analysen auf Kassenbondaten immer anonym machten und nie auf den Kunden bezogen. Jetzt haben wir unsere Politik und die Geschäftsbedingungen geändert. Bevor wir aber die Daten eines Kunden auswerten können, muss dieser seine Zustimmung geben. Auch stimmen wir das Ganze mit dem Datenschutzbeauftragten ab. Die Kundendatenauswertung wird heute noch nicht in grossem Stil betrieben. In einzelnen Marktsegmenten, wo es für unsere Kunden auch attraktiv ist und wo sie es erwarten, geben wir aber Empfehlungen auf der Grundlage der getätigten Einkäufe ab. Dies zum Beispiel bei Coop@home, wo wir die Kunden namentlich kennen müssen, um sie beliefern zu können.

Ist Social Media ein Thema für Coop?

Wir sind der Meinung, dass Social Media etwas ist, das von den Kunden verlangt wird und weniger von den Händlern kommt. Auch glauben wir, dass viele es gar nicht wünschen, dass ein Retailer, der in dieser Frage ja parteiisch ist, dort mitmacht. Wir halten uns also bewusst zurück. Ein Bereich, wo wir hingegen sehr aktiv sind, ist jener der mobilen Apps. Wir haben eine grosse App mit vielen Funktionen, aber auch viele kleinere, die wir relativ schnell lancieren und bei denen wir schauen, wie sie bei den Kunden ankommen. Im Bereich Mobil-Shopping ist das Wachstum ja ziemlich stark, darum setzen wir auch immer mehr auf diesen Kanal. Unsere App für Coop@home stösst auf rege Zustimmung. Mittlerweile werden über 20 Prozent der Bestellungen mobil getätigt.