Interview mit Thomas Lang von Carpathia Consulting

"Der Onlineverkauf ist je länger desto mehr harte Knochenarbeit"

Uhr | Aktualisiert
von Interview: Simon Zaugg

Ausländische Onlineshops, allen voran Zalando, drängen in die Schweiz. Der Wettbewerb wird härter. E-Commerce- Berater Thomas Lang von Carpathia Consulting verrät im Interview, wo genau sich Onlineshops noch steigern können, auf welche Rahmen bedingungen sie sich einstellen müssen und was er vom 3-D-Secure-Verfahren hält.

Thomas Lang von Carpathia Consulting stellt den Schweizer Multichannel-Händlern ein gutes Zeugnis aus.
Thomas Lang von Carpathia Consulting stellt den Schweizer Multichannel-Händlern ein gutes Zeugnis aus.

Herr Lang, zuerst eine persönliche Frage: Wie kaufen Sie ein? Was im Webshop? Was im stationären Handel?

Sortimentsbezogen gibt es für mich fast keine Grenzen. Ich kaufe fast alles online, sogar die Autoreifen – was früher beinahe unvorstellbar war. Tendenziell häufiger kaufe ich unterdessen Modeartikel. Zudem würde ich gerne auch mehr Lebensmittel online einkaufen. Doch da sind für mich die Hürden noch zu hoch.

Auf welche Hürden treffen Sie?

Damit die Lieferung gratis ist, muss ich für einen bestimmten Betrag einkaufen. Der ist für mich derzeit zu hoch. Ich kaufe auch mal Lebensmittel für einen kleineren Betrag ein. Da mag ich nicht noch 10 bis 20 Franken extra für die Lieferung bezahlen. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass die Logistik für Lebensmittel teuer und anspruchsvoll ist.

Wo sonst sind Sie noch auf den stationären Handel angewiesen?

Bei den kurzfristigen Bedürfnissen: bestellt um 15 Uhr und geliefert um 17 Uhr – so weit sind wir hier noch nicht. Es gibt allerdings – unter anderem in New York – vielversprechende Versuche. Wir werden sehen.

Welche Modeartikel kaufen Sie online?

Alles, was ich kenne, wie zum Beispiel Poloshirts, Hemden oder Schuhe. Einen Massanzug will ich dann doch lieber noch anprobieren. Das Problem ist, dass mir bei Artikeln und Marken, die ich nicht kenne, bei den meisten Onlineshops spezifische Hinweise fehlen. Zum Beispiel, dass ein Anzug klein oder gross geschnitten ist. Diese Informationen sind im stationären Handel gang und gäbe.

Modeshops würden also gut daran tun, online mehr Beratungsleistung anzubieten?

Da gibt es sicher noch Luft nach oben. Das Hauptargument für Beratungsleistungen ist ja, Fehlkäufe zu vermeiden und damit die Retourenraten zu senken. Die hohe Retourenrate scheint im Modebereich ein echtes Problem zu sein. Ich sehe das nicht so dramatisch. Die Retourenrate war schon beim Versandhandel immer relativ hoch.

Weshalb jammern denn die Onlineshop-Betreiber?

Die Margen sind gesunken. Es tobt ein Preiskampf. Zudem hat die Preistransparenz enorm zugenommen. Das ist der entscheidende Unterschied im Vergleich zum Versandhandel: Dort war der Anteil an Eigenmarken hoch. Es gab quasi ein Preismonopol der jeweiligen Anbieter. Dieses fällt bei Onlineshops, die stark auf bekannte Marken setzen, fast ganz weg. Der Vertrieb von renommierten Marken hat zudem den Vorteil, dass er für den Kunden ein nicht zu unterschätzendes Vertrauenselement ist.

Neuerdings kann man sich dank des deutschen Start-ups Upcload mittels Webcam vermessen lassen. Was sagen Sie zu dieser Idee?

Die Idee ist spannend, aber im Grunde nichts Neues. Die Möglichkeit, sich ausmessen zu lassen und ein Profil von sich zu hinterlegen, war während geraumer Zeit auch im stationären Handel populär.

Es wird auch als Allheilmittel gegen die hohe Retourenrate angepriesen.

Es kann für einen Webshop ein durchaus spannendes Kundenbindungswerkzeug sein. Solange es allerdings derart einfach ist, die Waren zurückzuschicken, stellt der Rückversand für den Kunden keine Hürde dar. Zudem halten sich die Kosten für Retouren in Grenzen.

Wo sehen Sie die unbestrittenen Vorteile von Onlineshops?

Im stationären Handel beschleicht mich jeweils das Gefühl, dass ich nur einen kleinen Ausschnitt des Sortiments zu Gesicht bekomme. Irgendjemand, beispielsweise der Produktmanager, hat für mich schon eine Auswahl getroffen. Dieses Gefühl habe ich im Webshop nicht. Dort sehe ich die ganze Breite des Sortiments des betreffenden Shops.

Sie haben zuvor die Beratungsleistungen angesprochen. Wie könnten Webshop diese konkret verbessern? Mit Social-Media-Funktionalitäten?

Die könnten sicher spannend sein, gerade um Hinweise wie jene zum Schnitt des Anzugs zu geben. Solche Hinweise müssen nicht zwingend vom Shop-Mitarbeiter kommen, sie können auch von anderen Kunden stammen. Wichtig ist sicher auch eine detailgetreue Bebilderung. Von einem Schuh darf es ruhig zehn verschiedene Aufnahmen geben. Man sollte ihn auch nicht nur isoliert anschauen können. Oder wenn ich einen Stuhl kaufen möchte, dann will ich den an verschiedenen Tischen stehen sehen, um vergleichen zu können. Es gibt viele Möglichkeiten, wie zum Beispiel eine Videoanleitung, wie man einen Kinderwagen zusammenklappt. Ein Video bietet gegenüber einer schriftlichen Bedienungsanleitung deutliche Vorteile.

Was macht sonst noch einen aktuell guten Webshop aus?

Ein guter Webshop muss den Kunden innerhalb von Sekunden vermitteln, dass diese am richtigen Ort sind. Das kommt stark auf die Zielgruppe an. Ich staune manchmal, wie schwer sich einige Webshops diesbezüglich tun.

Sie haben vor kurzem den ersten E-Commerce-Award verliehen. Was ist Ihr Fazit aus dem Anlass?

Ende November kündigten wir die Preisverleihung an. Die Einreichperiode dauerte dann von Anfang Januar bis Ende Februar. Es meldeten sich über 100 Onlineshops und die Resonanz in der gesamten Branche, von Agenturen, über Shopbetreiber bis hin zu Lösungsanbietern und weiteren Dienstleistern beispielsweise aus Logistik und Payment war sehr positiv. Dies zeigte uns, das wir auf dem richtigen Weg sind und das ein Bedürfnis für einen solchen Anlass vorhanden ist. Am Ende hatten wir über 130 Kategorien Bewerbungen. Deshalb werden wir auch im nächsten Jahr die zweite Auflage organisieren.

Was ist Ihnen am Anlass besonders aufgefallen? Haben sich bekannte Trends bestätigt? Gab es Überraschungen?

Früher war der Onlineshop für viele ein Nebenbei-Projekt. Heute ist er je nach Aufstellung des Unternehmens zum zentralen oder zumindest zu einem wichtigen Kanal geworden. Dies hat sich in den Gewinnerprojekten gezeigt. Die Prozesse, die Kommunikation und die Servicequalität sind heute sehr gut. Alles ist sehr gut integriert.

Da landen wir beim Begriff Multichannel. Wo steht die Schweiz hierbei im internationalen Vergleich?

Die Schweizer Shops können sich sehen lassen. Dies zeigte sich beispielsweise an der Internetworld in München Ende März, bei der dieses Jahr zum ersten Mal auch E-Commerce-Awards verliehen wurden. Ich sass dort in der Jury. In der Kategorie Multichannel kamen drei von fünf Projekten aus der Schweiz: Möbel Pfister, PKZ und Doodah. In manchen Ländern wird schon etwas als Multichannel eingestuft, wenn man es online bestellen und dann im Shop abholen kann. Da sind wir in der Schweiz doch schon einige Entwicklungsstufen weiter. Ein weiteres gutes Beispiel ist Ex Libris. Das Unternehmen hat am Best of Swiss Web den Business-Efficiency-Award gewonnen. Daran sieht man auch, dass sich Multichannel rechnet. Es ist zwar mit sehr hohen Investitionen verbunden, die Kosteneffizienz ist dann aber auch sehr hoch. Ex Libris erzielte einen Return on Investment innerhalb weniger Monate.

Warum sind die Schweizer im Multichannel so gut?

Da Multichannel unter anderem eine logistische Herausforderung ist, spielt sicher auch die Grösse des Landes eine Rolle. Es gibt nicht allzu viele Filialen. Ein Erfolgsfaktor ist es auch, dass man hierzulande mit den höchsten technologischen Standards arbeitet. Zudem habe ich den Eindruck, dass der Glaube an Multichannel sehr ausgeprägt ist.

Der aktuelle E-Commerce-Report prophezeit dem Schweizer E-Commerce steigende Gewinne und Umsätze in den nächsten Jahren. Welche Befunde finden Sie besonders erwähnenswert?

Es hat sich bestätigt, dass Online nicht mehr jene Goldgrube ist, die es vor ein paar Jahren noch war. Einige Player stagnierten oder wuchsen zuletzt nicht mehr so stark. Der Onlineverkauf ist je länger desto mehr harte Knochenarbeit. Insbesondere auch deshalb, weil die Margen teils sehr tief sind. Wenn da in der Logistik etwas nicht klappt, dann ist der Deckungsbeitrag weg.

Dann drängen verstärkt ausländische Player in die Schweiz.

Da ist zuletzt enorm viel passiert. Es sind viele Hürden gefallen. Einige neue Logistikdienstleister übernehmen die Zollformalitäten und das Retourenhandling. Zalando zum Beispiel verschickt alles direkt aus Deutschland mit Schweizer Frankatur. Sie bringen die Ware mit dem Lastwagen an die Schweizer Grenze. Die Verzollung übernimmt ein Logistikpartner und die Post die Feinverteilung.

Wie beurteilen Sie denn den Markteintritt von Zalando?

Hinter Zalando stecken die Samwer-Brüder, die bereits erfolgreich Klone von Ebay und Groupon aufgebaut und für viel Geld verkauft haben. Zalando ist ein ebensolcher Klon, nämlich vom Amazon-Tochterunternehmen Zappos. Das Unternehmen ist jetzt seit einem halben Jahr in der Schweiz, dürfte dieses Jahr einen Umsatz im zweistelligen Millionenbereich erwirtschaften und hat heute bereits einen Markenbekanntheitsgrad von gefühlten 90 Prozent. Derzeit schreibt Zalando Millionenverluste. Im Moment geht es wohl vor allem darum, den Firmenwert aufzupumpen. Für einen Anbieter aus Übersee wird es billiger sein, den europäischen Klon zu übernehmen als mit diesem zu konkurrieren und nebenher die gesamte Organisation aufzubauen. So haben die Samwers ein Millionenvermögen angehäuft und bauen derzeit Amazon-Klone unter Lazada.com in Südostasien. Eben dort, wo Amazon noch nicht präsent ist.

Da hatten es die deutschen Discounter Aldi und Lidl doch einiges schwerer.

Im stationären Handel ist das natürlich völlig anders. Man muss physisch präsent sein, sprich, vor allem Land kaufen und Leute einstellen. Zalando dagegen braucht keine physische Organisation in der Schweiz. Die operieren von Berlin aus. Zudem ist die Skalierungsfähigkeit im Onlinehandel um Stufen ausgeprägter als im stationären Handel.

Wie sieht es mit international erfolgreichen Schweizer Onlineshops aus?

Als Erstes fallen mir Blacksocks und Freitag ein, die beide international erfolgreich sind. Sie handeln mit Produkten, die man einfach verschicken kann. Dazu kommt bei Freitag ein Alleinstellungsmerkmal beim Produkt und bei Blacksocks das Element der Dienstleistung. Nicht vergessen darf man Nespresso. Das Unternehmen exportiert von der Schweiz aus und macht die Schweiz zum grössten Kaffeeexporteur der Welt. Zudem haben international erfolgreiche und bekannte Schweizer Marken wie Victorinox oder Swatch auch im Onlinehandel ein enormes Potenzial.

Onlinehändler beschweren sich seit geraumer Zeit über das 3-D-Secure-Verfahren, das das Einkaufen mit der Kreditkarte sicherer machen soll, jedoch vor allem dazu führe, dass Verkäufe abgebrochen würden. Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand der Dinge?

Rein technisch gesehen kommt mit dem 3-D-Secure-Verfahren ein neuer Player ins Spiel. Der Verkaufsprozess wird unterbrochen. Das ist ein Conversion-Killer. Nur geben das die Payment-Anbieter nicht gerne zu. Die Händler auf der anderen Seite spüren die Verluste, können diese aber technisch nicht messen und deshalb auch nicht belegen. Wenn man jedoch mit Händlern spricht, dann ist die Lage eindeutig. Sie sagen, dass es bei den meisten Rückfragen im Callcenter um Fragen rund um 3-D-Secure geht.

Was wäre denn die Alternative?

3-D-Secure ist eine Krücke für ein Zahlungsmittel, das per se nie für den Distanzkauf gedacht war. Die Kreditkarte ist dafür da, dass man sie hinlegen kann und der Verkäufer die Unterschrift und eventuell auch das Foto vergleichen kann. Was jetzt online passiert, sind Übergangsversuche. Wenn die Kreditkartenfirmen es nicht hinkriegen, eine sichere und gleichzeitig benutzerfreundliche Lösung anzubieten, dann werden es andere tun. Es gibt unterdessen Kreditkarten mit einem Display drauf, wo Codes eingeblendet werden können. Es handelt sich um ähnliche Verfahren wie beim E-Banking. Das sind die letzten Versuche, um ein Stück Plastik zu retten.

Zur Person

Thomas Lang ist Gründer und Geschäftsführer der Carpathia Consulting GmbH in Zürich. Zudem doziert er zum Thema Onlinevertrieb an verschiedenen Instituten
und Fachhochschulen. Er ist Co-Autor des Buches "E-Commerce Konkret" sowie von Studien und Fachartikeln. Lang referiert an internationalen Kongressen zum Thema Mobile- und E-Commerce und schreibt regelmässig Blog-Einträge zu aktuellen Entwicklungen im E-Commerce unter: http://blog.carpathia.ch

Zur Firma

Die Carpathia Consulting GmbH wurde 2000 gegründet und ist eine unabhängige und neutrale Unternehmensberatung für E-Business und E-Commerce. Sie berät Kunden, sowohl B2C wie auch B2B, aus den verschiedensten Branchen, die insgesamt ein Onlinevolumen von über einer Milliarde Franken umsetzen. Die Kompetenz schwerpunkte liegen auf Strategie, Konzeption und Conversion.