E-Economy: Viel Potenzial, aber eine durchwachsene Bilanz
Die E-Economy birgt viel Potenzial. Doch wo steht die Schweiz, was die elektronische Wirtschaft betrifft? Wie positioniert sie sich im Vergleich zum Ausland? Und welche Möglichkeiten eröffnen sich der Schweiz mit E-Economy? Die Netzwoche hat Experten befragt.
Was die IT betrifft, sind drei Dinge wichtig, um die elektronische Wirtschaft in der Schweiz – die sogenannte E-Economy – zu fördern: eine elektronische Identität (also beispielsweise die SuisseID), ein elektronisches Register für Unternehmen und Verwaltung sowie ein elektronisches Identity und Access Management (IAM), das mit der elektronischen Identität verknüpft ist. Diese technischen Projekte bergen aber gewisse Tücken. Beim IAM beispielsweise hapert es zurzeit an der Finanzierung, bei der SuisseID an der Verbreitung.
Doch eins nach dem anderen. Das Schweizer IAM soll in der elektronischen Geschäftswelt sicherstellen, dass jemand, der sich als Arzt ausgibt, auch wirklich ein Arzt ist. Das Gleiche gilt für den CIO einer Firma oder einen Anwalt. Dies ist nötig, weil im elektronischen Geschäftsverkehr kein Briefpapier und keine Unterschrift Auskunft darüber gibt, von welcher Stelle ein Schreiben stammt.
Das IAM-Projekt wurde von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) gefördert. Die Fachhochschule Bern hat zusammen mit Swisscom einen Proof of Concept erarbeitet – doch fertig gebaut ist die Lösung noch nicht. "Um das jetzt umzusetzen, muss ein Investor einige Millionen in die Hand nehmen", sagt Christian Weber, Leiter E-Government für KMU beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).
Um Investoren zu finden, braucht es ein Geschäftsmodell. So könnte beispielsweise jeder, der eine Abfrage macht, einen Rappen zahlen, wie Weber vorschlägt. Vielleicht liessen sich Investoren auch dadurch überzeugen, dass die Schweiz mit ihrem IAM-Konzept gegenüber anderen Ländern einen Vorsprung hat. Dies habe sich laut Weber an der letzten World eID-Konferenz in Nizza gezeigt.
Wo steht die SuisseID?
So viel zum IAM. Doch was ist mit der SuisseID? Der sogenannte standardisierte elektronische Identitätsnachweis existiert seit drei Jahren. Den Durchbruch geschafft hat die SuisseID aber noch nicht. Gemäss der aktuellen Studie des Seco, dem "Bericht zur Studie Firmen und E-Government 2011", kennt erst ein Drittel der Firmenvertreter in der Schweiz die SuisseID. In der Bevölkerung ist der Anteil mit 13 Prozent, also rund einem Achtel, sogar noch kleiner. Insgesamt besitzen zudem erst 5 Prozent der Firmenvertreter einen derartigen Identitätsnachweis.
Der Hauptgrund für die geringe Begeisterung ist vermutlich der Mangel an Anwendungen, um ihn einsetzen zu können. Müssten Firmengründer beispielsweise eine SuisseID besitzen, um ihr Unternehmen im Handelsregister eintragen zu können, würde deren Verbreitung sicher sprunghaft steigen. Stattdessen fragen sich die Unternehmen, ob die SuisseID in Zukunft überhaupt verbreitet verwendet wird. Zumindest ist das laut Weber die Frage, die ihm Unternehmensvertreter am häufigsten stellen. "Da ist eine gewisse Unsicherheit vorhanden, weil die Unternehmen nicht wissen, ob es sich wirklich lohnt, Geld zu investieren", sagt er.
Das bestätigt auch Mariano Masserini, Pressesprecher der Schweizerischen Post. Für Businesskunden bietet die Post eine Logistikplattform namens "My Post Business" an. Unternehmensvertreter können sich dort entweder mit einer E-Mail-Adresse und einem Passwort oder mittels der SuisseID identifizieren. Laut Masserini melden sich die meisten noch auf dem gewohnten Weg, sprich mit Passwort und E-Mail-Adresse, an. Die Nutzung der SuisseID sei im Vergleich dazu eher bescheiden.
Für Ralf Wölfle, Leiter Kompetenzschwerpunkt E-Business an der Fachhochschule Nordwestschweiz, ist die zögerliche Entwicklung der SuisseID die Folge einer übertrieben wirtschaftsliberalen respektive staatskritischen Haltung in der Schweiz. Bei der SuisseID waren Zeit und Mittel für Vorbereitung, Konsensbildung, Verbreitung und Marketing schlicht nicht ausreichend, findet er.
Die Entwicklung der Rahmenbedingungen für eine prosperierende E-Economy sollte aber nicht allein den Kräften des Marktes überlassen bleiben, so Wölfle. Organe wie das Seco sollten sich stärker und aktiver für die E-Economy engagieren und sich damit auseinandersetzen. Zudem sollten sie internationale Entwicklungen systematisch beobachten und eine Willensbildung und Positionierung anregen und gegebenenfalls moderieren. "Die Schweiz könnte sich durch bessere Rahmenbedingungen unterscheiden", sagt Wölfle, "zum Beispiel durch kompetentere Regelungen im E-Commerce, Datenschutz oder der Internet-Provider-Haftung".
Für Weber indes ist klar, dass die Akzeptanz einer elektronischen Identität ihre Zeit braucht. Er verweist in diesem Zusammengang auf ein EU-Projekt namens Stork. Dabei gehe es darum, die nationalen Identitäten europaweit nutzbar zu machen. "Die Idee ist, dass ich mit meiner SuisseID Ende 2014 in Dänemark zum Beispiel ein Bankkonto eröffnen kann, ohne vor Ort sein zu müssen", sagt er.
Ist das nicht ein etwas ehrgeiziger Vorsatz? Weber relativiert: Das Ziel sei, in zwei Jahren ein Pilotprojekt zu haben, um zu beweisen, dass es funktioniert. Derzeit arbeitet die Fachhochschule Bern im Auftrag des Seco an einem solchen Pilotprojekt. Bis aber eine länderübergreifende elektronische Identität europaweit eingeführt ist, werden vermutlich noch einmal zehn Jahre vergehen. "Das hat man ja auch beim Bancomaten gesehen – der hat zehn Jahre gebraucht, bis die Bevölkerung ihn einigermassen akzeptiert hat", so Weber.
Zumindest die technischen Voraussetzungen für einen Erfolg sollten beim Stork-Projekt gegeben sein: Die für die SuisseID verwendete Technik, die sogenannte Security-Assertion-Markup-Language (SAML), wird auch von Stork verwendet. Zudem basiert die SuisseID auf den europäischen Telekommunikationsstandards ETSI. Somit ist die SuisseID sowohl technisch wie auch organisatorisch EU-kompatibel, wie Weber sagt. Man habe in der Schweiz absichtlich keine proprietäre Lösung verwendet, obwohl es Tendenzen gegeben habe, eine eigene "Schweizer Lösung" zu entwickeln.
SuisseID versus deutscher Personalausweis
Laut Weber zeigt ein Vergleich mit dem maschinenlesbaren Personalausweis in Deutschland, dass sich die Schweiz bezüglich Anwendungsfelder für die SuisseID gut entwickelt hat. Während in der Schweiz zurzeit über 230 Einsatzmöglichkeiten zur Verfügung stehen, sind es in Deutschland mit einem zehnmal grösseren Markt nur rund 130 mögliche Anwendungen.
Unterschiede sieht Weber auch bei der Aktivierung der elektronischen Identität. Um dies in Deutschland zu tun, müsse man einige administrative Hürden überwinden. Bei der SuisseID ist der Ablauf dagegen verhältnismässig einfach. Man muss einen Antrag ausfüllen, seine Identität beispielsweise bei den SBB, der Gemeinde oder der Post bestätigen lassen und den Antrag an die zuständige Stelle schicken. Daraufhin erhält man die SuisseID per Post. Anschliessend muss man sie noch online aktivieren. Dieser letzte Schritt ist allerdings zugegebenermassen etwas umständlich.
Speziell an der SuisseID ist, dass darauf keine Daten gespeichert sind, sondern nur Name, Vorname und eine Identifikationsnummer, die dann wiederum mit den dazugehörigen Datenbanken verknüpft ist. Früher habe man die Schweiz deswegen belächelt. Andere Länder wie Deutschland speichern alle erforderlichen Daten direkt auf dem entsprechenden Personalausweis. Doch die Daten ändern sich viel zu schnell, als dass man sie einfach auf einer Karte speichern könnte. "Nun kommen die anderen zu uns und fragen uns, wie wir dieses Problem gelöst haben", so Weber.
Doch wie funktioniert dieses Prinzip der Identifikationsnummer überhaupt? Nehmen wir an, ein Nutzer will bei Coop@home einkaufen – dazu benötigt er seine SuisseID und seinen PIN-Code. Will er Alkohol einkaufen, muss Coop sicher sein, dass er dafür bereits alt genug ist. Für diese Altersabfrage ist das System der SuisseID zuständig. Zuerst holt es sich die Zustimmung des Nutzers, fragt dann dessen Jahrgang in der entsprechenden Datenbank ab und informiert schliesslich Coop, dass der Nutzer alt genug ist (oder eben nicht), ohne aber dessen Alter zu verraten.
Weitere Hoffnung für die elektronische Identität gibt es übrigens dank der neuen Identitätskarte (ID), die in zwei bis drei Jahren erhältlich sein wird. Damit würde der Erwerb der SuisseID (noch) einfacher. Sie könnte mehr oder weniger in einem Guss mit der neuen ID beantragt werden – statt wie beschrieben in einem separaten Prozess.
SuisseID, biometrische Daten und NFC
Die neue ID bietet aber noch weitere Vorteile. Man kann sie via Chip auch mit biometrischen Daten und einer RFID ausstatten. Letzteres eröffnet Möglichkeiten für den öffentlichen Verkehr: Mit einem RFID-Chip könnten Zugpassagiere in Zukunft ohne Billet reisen. Sie würden einfach in den Zug einsteigen und ihren Chip von einem Chipleser oder einem Gerät des Kontrolleurs auslesen lassen. Ende Monat erhielten sie eine Abrechnung für ihre Fahrten. Inhaber des Generalabonnements könnten sich über den Chipleser als solche identifizieren.
Das Projekt ist hochpolitisch und wurde schon oft diskutiert, aber bisher gab es noch keinen konkreten Vorstoss seitens der SBB. Immerhin hat der Verband des öffentlichen Verkehrs (VÖV) Ende Februar bekannt gegeben, dass ab 2015 das General- sowie das Halbtaxabonnement künftig auf einer Karte mit einem lesbaren RFID-Chip gespeichert sein sollen. Dieses Projekt steht auch anderen Verkehrsverbünden offen, zum Beispiel dem Zürcher Verkehrsverbund oder Bernmobil. Im Idealfall könnten also Nutzer ihre ganzen Zonenkarten samt Halbtax auf einer Karte speichern. Dies ebnet möglicherweise den Weg zum künftigen Reisen ohne physisches Billet. Die SBB haben sich bisher aber nicht dazu geäussert. Sie verwiesen auf Anfrage der Netzwoche an den VÖV.
E-Economy in der Schweiz
Das Thema E-Economy gewann 2010 im Rahmen der Stabilisierungsmassnahmen gegen die Finanzkrise Bedeutung. Das Seco erhielt von der damaligen Vorsteherin Doris Leuthard den Auftrag, ein Papier zur Förderung der E-Economy in der Schweiz zu erstellen. Zwei der fünf erarbeiteten Massnahmen wurden umgesetzt. Eine davon ist die elektronische Identität, heute SuisseID, die zweite ist die Idee einer zuständigen Stelle für E-Economy in der Schweiz.
Seit dem Wechsel von Bundesrätin Leuthard ins Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, ist E-Economy im Bundesamt für Kommunikation angegliedert und wird in der Strategie für eine Informationsgesellschaft in der Schweiz behandelt. In einem Kapitel dieser Strategie ist festgelegt, welche Ziele die E-Economy verfolgen soll. Dazu gehört unter anderem, den elektronischen Datenverkehr in Unternehmen und der Verwaltung zu vereinfachen.
Zudem publiziert das Seco jedes Jahr einen Monitoring-Bericht, der die aktuelle Situation der E-Economy beleuchtet und etwaige Handlungsfelder definiert. So sieht der Bericht 2012 Handlungsbedarf für E-Health und E-Education. Der Bericht 2013 ist gerade nach Redaktionsschluss der vorliegenden Ausgabe erschienen.
Doch es gibt nicht nur Geschäftsfelder mit Handlungsbedarf, sondern auch solche mit viel Potenzial. Dazu gehört unter anderem die Analyse von Big Data oder Micro Data. Dies erläutert Weber anhand einer leicht überspitzten Anekdote, die ihm an einer Konferenz in Paris zu Ohren gekommen ist: Man stelle sich ein Paar vor, beide um die 25 Jahre alt, noch nicht verheiratet und in getrennten Haushalten lebend. Auf einmal erhält der Mann Pampers-Werbung. Warum? "Die Detailhändler können aufgrund des Einkaufsverhaltens der Frau schliessen, dass sie schwanger ist – möglicherweise noch bevor sie selbst es bemerkt hat." Dieses Beispiel zeigt, welche Möglichkeiten die Analyse von grossen Datenmengen bietet.
Weber, der neben seiner Funktion im Seco auch im Steuerungsausschuss für die Informationsgesellschaft Schweiz sitzt, ist dort dafür zuständig, die Interessen der elektronischen Wirtschaft zu vertreten. Zudem engagiert er sich für E-Economy in der Schweiz, weil er davon überzeugt ist, dass sich unser Land in Zukunft nach neuen Verdienstmöglichkeiten umsehen muss. Dies unter anderem aufgrund der Finanzkrise und weil der asiatische Markt global gesehen immer wichtiger wird. Müssen wir uns also in Zukunft warm anziehen? Es kommt darauf an, wie man die Sache betrachtet: "Die Schweiz steht in der E-Economy aufgrund ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen wie Rechtssicherheit, Stabilität und hohem Bildungsniveau grundsätzlich gut da", sagt Wölfle. "Aber ein lösungsorientiertes Vorantreiben der E-Economy fehlt."
Niemand sei zuständig und in der Lage, die Strategie des Bundesrates auf die konkreten Fragestellungen herunterzubrechen. Die EU dagegen zeige den politischen Willen dazu, setze Gremien ein und stelle Mittel bereit, werde aber durch die Heterogenität der Mitgliedstaaten ausgebremst. "Die Schweiz hätte hier einen Vorteil. Sie könnte schneller sein."

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