"Facebook ist nicht gleich Social Media"
Internetunternehmer und Social-Media-Stratege Mike Schwede warnt Firmen davor, bei Investitionen in Social Media zu stark auf Facebook zu setzen. Er nimmt bezüglich der Zurückhaltung der Banken kein Blatt vor den Mund und will nun mit dem App-Spiel Cooala für Furore sorgen.

Herr Schwede, Sie haben vor knapp einem Jahr Goldbach Interactive verlassen. Was haben Sie seither alles gemacht?
Ich habe mir eine neunmonatige Auszeit gegönnt und sehr viel mit meinen Kindern unternommen. Ich habe viel Sport gemacht und einfach mal Dinge getan, auf die ich Lust hatte, wie zum Beispiel Lesen oder Bloggen. Auch habe ich viele Leute getroffen. Und meine Frau, die ebenfalls als Social-Media-Beraterin tätig ist, konnte während dieser Zeit mehr Seminare geben.
Dann haben Sie ja auch noch die App Cooala lanciert. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Die Idee dazu trug ich schon länger mit mir herum, weil ich mit einigen Entwicklungen in Facebook nicht ganz einverstanden bin. Das eine Problem ist, dass Facebook eine private Social-Network-Dienstleistung ist, die immer mehr kommerzialisiert wird. Nutzer «liken» Seiten und erhalten unrelevante Informationen oder sie werden mit Sponsored Posts und Werbung bombardiert. Diese Flut von absender-getriebener Kommunikation langweilt und nervt. Eine Folge davon ist, dass Jugendliche immer weniger Lust haben, Marken zu "liken" und zu "followen". Die Quote liegt in den USA momentan bei sehr tiefen 9 Prozent, wie eine Studie zeigt. Ein weiteres Problem ist, dass Unternehmen viel Energie und Geld in Facebook-Aktivitäten investierten, um ihre eigene Reichweite auszubauen. Durch den Facebook-Algorithmus erreichen sie dann aber laut offiziellen Zahlen des Unternehmens nur rund 19 Prozent ihrer Fans. Klar ist jedoch: Wenn ein Unternehmen etwas wirklich Relevantes zu sagen hat, will es nicht 19, sondern 100 Prozent der Nutzer erreichen. Mit E-Mail-Marketing erreicht ein Unternehmen meist mehr Nutzer.
Das heisst, Sie wollen mit dem App-Spiel vorab jugendliche Nutzer abholen, die von Facebook und Co. frustriert sind?
Wir wollten primär das Prinzip der absender-getriebenen Kommunikation umdrehen. Unternehmen sollten dafür sorgen, für die Kunden spannend zu sein – dann kommen Interessierte von allein. Das Konzept der App ist einfach: Die Nutzer können Marken nach dem Hot-or-not-Prinzip bewerten. Bei ihren Lieblingsmarken können sie sich subskribieren und exakt angeben, was sie von der Marke haben oder wissen wollen. Zum Beispiel Produkt-News abonnieren, Produkte testen, an Umfragen oder an einem Event der Marke teilnehmen. Erst dann kann die Marke mit dem Nutzer in Kontakt treten und ihm genau das Gefragte bieten. Die Marke wird zum Empfänger.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Sobald genügend Personen zum Beispiel in Genf eine Probefahrt mit einem Audi wünschen, gehen wir zu Audi und schlagen ihnen vor, diese hochaffine Zielgruppe anzuschreiben. So verdienen wir unser Geld. Eine weitere Einnahmequelle sind anonymisierte Marktforschungsangaben. Wichtig ist: Das Unternehmen kann erst Kontakt aufnehmen, wenn die Nutzer etwas Bestimmtes wünschen – und nicht umgekehrt.
Wie ist Cooala bisher bei den Nutzern angekommen?
Wir haben in weniger als zwei Monaten, ohne gross Werbung zu machen, mehr als 1000 Nutzer gewonnen. Diese wiederum haben bisher über 70 000 Bewertungen abgegeben. Das bestätigt die Resultate aus dem vorherigen Markttest mit Jugendlichen: Sie spielten das Spiel stundenlang und hatten viel Freude am Entdecken neuer Marken. Damit ist ein wichtiger Zweck der App erfüllt: Sie schafft Awareness für Unternehmen.
Was sind die nächsten Schritte?
Wir werden neue Spiele einbauen. Dann geht es darum, die Datenbank mit Informationen über die Marken auszubauen. Sie umfasst bereits über 1000 Profile. Zusätzlich ergänzen wir diese mit Informationen und guten Bildern über die Marken und ihre Produkte. Dafür partnern wir mit Onlinemagazinen wie Realdriving.de oder Bestswiss.ch. In einem Monat fügen wir einen Newsstream ein. Dort erfährt der Nutzer Neuigkeiten zu den Marken, die er als relevant bezeichnet hat. Zudem wollen wir, basierend auf den Subskriptionen, den Nutzern weitere Vorteile anbieten.
Sie sind zudem als Social-Media-Berater tätig. Wie stark vereinnahmt Sie Cooala?
Cooala beansprucht etwa 60 bis 70 Prozent meiner Arbeitszeit. Geld verdiene ich jedoch derzeit mit den Beratungsmandaten – noch nicht mit Cooala.
Wann wollen Sie den Break-even schaffen?
Wir haben jetzt erste Zahlen und Erfahrungen gesammelt und suchen ein bis zwei Investoren, damit wir Vollgas geben können. Zum Break-even benötigen wir dann insgesamt rund eineinhalb Jahre. Derzeit prüfen wir ein erstes Übernahmeangebot.
Sie sind seit einigen Monaten bei der Gamification-Plattform Questli im Verwaltungsrat. Warum dieser Schritt?
Das Konzept fand ich schon immer cool. Zudem mag ich Herausforderungen. Das Problem war, dass die Plattform lange nicht vom Fleck gekommen ist. Unterdessen läuft es deutlich besser: Die Nutzerzahlen steigen, das Unternehmen erwirtschaftet Umsatz. Das Team leistet sehr gute Arbeit. Ich helfe nun mit, die Strategie weiterzuentwickeln. Zudem gibt es einige Parallelen zu Cooala: Auch Questli braucht Reichweite, Kontakte zu Marken und Agenturen. Dazu kann ich mit meinem Netzwerk beitragen.
Kommen wir zurück zu Facebook. Das Unternehmen scheint nun unter anderem mit Mobile Advertising langsam richtig Geld zu verdienen. Das widerspricht doch eigentlich Ihrer These, dass die Nutzer sich genervt fühlen und sich abwenden?
Das widerspricht sich nicht: Die Werbeeinnahmen kommen ja nicht von den Nutzern, sondern von werbetreibenden Unternehmen. Damit diese ihre Fans überhaupt in ausreichender Zahl erreichen können, müssen sie heute schon Gelder investieren. Zur Werbeflut: Diese Entwicklung macht grundsätzlich jede Plattform in ihrem Lebenszyklus durch. Auch Blick.ch oder 20min.ch mussten lernen, dass zu viel Werbung nicht zwingend mehr Gewinn generiert.
Dann gehen Sie davon aus, dass Facebook die Balance finden wird?
Man darf nicht vergessen, dass Facebook enorm viele Daten besitzt, viele Nutzer hat und vieles testen kann. Daher wird das Unternehmen sicherlich lukrative Einnahmenquellen finden – zum Beispiel im Mobile-Segment, wo die Aufmerksamkeit für Werbung höher ist als auf einem grossen Bildschirm. Grundsätzlich stellt sich jedoch die Frage, wie wichtig Werbung längerfristig sein wird oder ob es besser wäre, den Marken kostenpflichtige Dienstleistungen und Werkzeuge anzubieten. Das fände ich sinnvoller und nachhaltiger. Letztlich sollte sich alles am Kernnutzen von Facebook orientieren, nämlich an der Interaktion zwischen Freunden. Dank Facebook ist unsere Welt ein bisschen bunter und freundlicher geworden.
Ich habe vor kurzem einen Facebook-Kommentar von Ihnen gelesen zum Programm der Social-Media-Marketing-Konferenz des "Internet-Briefings". Sie meinten dort, dass Facebook "passé" sei und man besser Themen wie "Beyond Facebook" diskutieren sollte. Was haben Sie damit konkret gemeint?
Das Problem ist, dass die Leute meistens in Plattformen denken. Das ist naheliegend, weil es handfest ist. Diese Sichtweise birgt jedoch Gefahren: Man baut ein Klumpenrisiko auf, investiert Geld in nur eine Plattform und implementiert keine nachhaltige Verhaltensänderung im Unternehmen. Zudem ist man den Launen des Plattformanbieters völlig ausgeliefert. Man beschränkt sich auch von der Denkart her auf einen Kanal. Facebook ist nicht gleich Social Media – davon muss man sich lösen. Man sollte sich eher fragen, was die Entwicklung gesamtheitlich für das Unternehmen bedeutet.
Zum Beispiel?
Die Unternehmen müssen sich bewusst sein, dass wir uns in einem fundamentalen Kommunikationswandel befinden. Social Media hat Verhaltensänderungen zur Folge. Sowohl Öffentlichkeit wie auch Mitarbeiter wollen miteinbezogen werden. Unternehmen müssen also Kapazitäten aufbauen, um die Mitbestimmung zu fördern – auch intern - und Hierarchien abbauen. Letztlich geht der Trend in Richtung Netzwerkorganisationen. Die Grenzen zwischen Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten verschwimmen.
Sie meinen, dass viele Unternehmen das noch nicht begriffen haben?
Social-Media-Projekte werden oft sehr blauäugig angepackt oder schöpfen das Potenzial nicht annähernd aus. Zur Jahrtausendwende hatten wir übrigens eine ähnliche Situation: Viele Unternehmen stellten damals einfach zusätzlich einen Prospekt auf ihre Website und dachten, das reiche. Damit kam man allerdings nicht wirklich weit. Wenige Unternehmen integrierten "online" wirklich in ihr Businessmodell. Das gleiche passiert in Social Media heute: Es reicht eben nicht, nur jemanden einzustellen, der eine Facebook-Seite betreut und zwischendurch ein paar nette Beiträge schreibt.
Studien zufolge geben Unternehmen noch wenig Geld für Social-Media-Aktivitäten aus. Ergo ist der Stellenwert noch nicht wirklich hoch. Weshalb eigentlich?
Ich finde es ziemlich erschreckend, wie viel Geld in der Schweiz heute noch in Printwerbung investiert wird. Dies, obwohl inzwischen erwiesen ist, dass dies nicht wirklich effizient ist. Dagegen wird online sehr wenig investiert. Das finde ich gefährlich für die längerfristige Entwicklung eines Unternehmens. Wer Social Media macht, sollte es entweder richtig oder gar nicht tun. Die Schweizer Mentalität ist jedoch häufig so, dass man ein wenig pröbelt und schaut, was die anderen tun. Diese Second-Mover-Mentalität ist nicht ideal.
Weshalb?
Wenn man nur kleine Budgets zur Verfügung stellt und nicht richtig daran glaubt, dann wird auch wenig passieren. Das ist eine Art Self-Fulfilling Prophecy: Man geht von Anfang an davon aus, dass es wahrscheinlich nichts bringt, investiert deshalb wenig und fühlt sich dann am Ende bestätigt, wenn es so ist. Ein Inserat pro Jahr im "Tagi" wird genauso wenig bringen. Unternehmen wie Swisscom und Migros, aber auch KMUs wie Thömus Veloshop zeigen, wie man es richtig macht.
Es gibt viele Gründe für eine ablehnende Haltung. Zum Beispiel wird im Finanzumfeld argumentiert, dass sich in Social Media zu wenig finanzkräftige Kunden tummeln. Was sagen Sie dazu?
Es gibt Hersteller von Luxusuhren, die sehr aktive, exklusive Online-Communitys anbieten. Zielen die nicht auf dieselbe Zielgruppe wie die Banken?
Das klingt, als wäre das ein schlechtes Argument.
Das wichtigste Gut einer Bank ist das Vertrauen. Man baut jedoch kein Vertrauen auf mit einer Werbung, die sagt, wie lange es die Bank schon gibt. Es gibt viele Studien, die aufzeigen, dass die Werbung immer weniger Glaubwürdigkeit hat. Vertrauen kann ich durch gute Dienstleistungen und durch den Dialog mit den Kunden aufbauen. Und Social Media ist Dialog. Dann muss man sich auch die Zahlen anschauen: Unterdessen nutzen über drei Millionen Schweizer Facebook und mehrere Hunderttausend sind auf Twitter aktiv. Zudem gibt es Millionen Blogs, mit guten Suchmaschinenplatzierungen, die Kaufentscheidungen wesentlich beeinflussen. Welche Plattformen können das sonst bieten? Wer nicht begriffen hat, wie wichtig diese Earned Media sind, der hat «online» nicht begriffen.
Sie gehen gleich weiter an die Lift-Konferenz in Genf. Was erwarten Sie?
Ich bin das erste Mal dort. Bisher ging ich meistens an "LeWeb" oder an die "Re:publica". Ich erwarte Inspiration. Ich will spannende Leute kennenlernen und hoffe auch, dass wir mit Cooala die Venture Night von Alp ICT gewinnen (am Ende gewann die Gesichtsanimationssoftware Faceshift, die Red.). Ganz grundsätzlich finde ich es wichtig – auch als Botschaft an frische Start-ups –, an solche Konferenzen zu gehen und dort seine Ideen mit ausgesuchten Experten zu diskutieren. Marktreife entwickelt man nicht im stillen Kämmerlein, sondern im Austausch.

Westschweizer IT-Dienstleister Silicom übernimmt Dialogue Logique

"KI ist die Beschleunigerin"

"Akzeptanz ist die wichtigste Messgrösse"

Wie Unternehmen Multi- und Hybrid-Cloud-Umgebungen beherrschen

Wie können Schweizer KMUs Tech-Talente anheuern und halten?

Was Mitarbeitende wirklich bindet – der psychologische Vertrag

Von der Wohnzimmer-Firma zur Nummer eins in der Europäischen Union

Wenn die Infrastruktur bremst – wie Unternehmen sich selbst ausbremsen

Econis holt Co-CEO an Bord
