"Wir müssen uns fragen, wie wir die Monetarisierung im Mobile-Bereich vorantreiben können"
Olivier Rihs, CEO von Scout24, spricht im Interview mit der Netzwoche über Betrugsfälle im Anzeigenmarkt und wie Scout24 dagegen vorgeht. Zudem erklärt er, warum das Unternehmen Software in Vietnam entwickelt und wieso die Cloud für Scout24 kein Thema ist.

Herr Rihs, Scout24 bietet primär Anzeigen in den Bereichen Jobs, Immobilien und Autos an. Wie entstand dieser Mix?
Früher wurden in den Tageszeitungen vor allem Auto-, Stellen- und Immobilieninserate publiziert. Der Gründer von Scout24, Daniel Grossen, hatte die Idee, alle diese Kleinanzeigen digital aufzubereiten. Früher hatten wir beispielweise auch die Rubrik Travelscout mit Reiseangeboten. Das funktionierte nicht, weil der Markt bereits durch Anbieter wie Hotelplan und Kuoni konsolidiert war. Einer mehr war hier einfach zu viel.
Sie bieten neben den Webportalen unterdessen auch mehrere Gratis-Apps an. Haben Sie keine Bezahl-Apps?
Nein, alle Apps sind gratis. Das hilft dem Traffic auf unserer Plattform. Das sehen wir auch an den Nutzerzahlen. Die Nutzung im Mobile-Bereich steigt derzeit monatlich um 15 Prozent.
Das ist ein grosser Zuwachs.
Wir haben ausgerechnet, dass wir bis spätestens Ende 2014 die Hälfte des Traffics über Mobile-Geräte generieren werden. Daher bauen wir den Mobile-Bereich laufend aus. Wir mussten unsere Ressourcen multiplizieren, damit wir auf allen Kanälen Lösungen anbieten können.
Dann generieren Sie über den Mobile-Bereich derzeit gar keine Einnahmen?
Ja, das ist korrekt. Die Monetarisierung über Mobile ist sehr schwierig, die verfügbare Fläche für Werbung ist sehr gering. Ausserdem kann Werbung auf so kleiner Fläche vom Konsumenten auch als störend empfunden werden. Daher müssen wir uns fragen, wie wir die Monetarisierung im Mobile-Bereich vorantreiben können. In der Schweiz stehen wir noch am Anfang dieser Entwicklung. Wir befinden uns sozusagen in einer Art Lernkurve, die wir sehr schnell in den Griff bekommen müssen, da die Entwicklung im Mobile-Bereich rasant voranschreitet.
Wie schaffen Sie das?
Wir arbeiten daran, indem wir die Ströme auf unserer Website verfolgen und die Inputs der Nutzer mit berücksichtigen.
Woher kommen die Inputs der Nutzer?
Bei uns kann man auf jeder Plattform einen Kommentar schreiben. Zudem sehen wir die Bewertung unserer Apps direkt auch im App-Store. Unsere Apps sind seit zwei Jahren immer unter den Top Ten der kommerziellen Anbieter zu finden. In diesem Jahr wurde die Autoscout24-App bereits über 540'000 Mal heruntergeladen.
Wie sieht es bei den anderen Apps mit den Downloads aus?
Bei Immoscout24 registrieren wir seit Anfang 2012 bereits über 200'000 Downloads. Bei Jobscout24 sind es über 44'000 Downloads.
Sie sagen, Sie hätten Ihre Ressourcen verstärken müssen. Finden Sie denn genügend Personal trotz Fachkräftemangel?
Nein, nicht immer. Das ist eine unserer grössten Herausforderungen.
Wie sieht Ihre Lösung aus?
Wir entwickeln seit über zwei Jahren MobileApplikationen in Vietnam. Allerdings entstand die erste Autoscout24-App 2008 am Hauptsitz in Flamatt. Am liebsten hätten wir natürlich alle Entwickler an diesem Standort. In der Schweiz sind jedoch nicht genügend Fachkräfte zu finden. Demgegenüber haben wir in Vietnam ausreichend Kapazitäten, unsere Applikationen drei- bis viermal im Jahr updaten zu können. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit und stetigem Dialog mit den Mitarbeitern vor Ort. Es ist ein Austausch auf Augenhöhe, eine Partnerschaft.
Was sind die Vor- respektive Nachteile des Entwicklungsstandorts Vietnam?
Vietnam ist ein sehr junges Land. Über 50 Prozent der Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt. Der Wille, etwas Neues zu lernen und die Dynamik sind in Vietnam fantastisch. Es boomt regelrecht. Das sind die Vorteile. Doch es gibt auch Nachteile. Das Know-how ist nach wie vor reduziert. Wir haben recht komplexe Applikationen, was am Anfang sehr viel Aufwand und sehr viel Koordinationsarbeit erfordert. Als erschwerende Umstände kommen auch die Zeitverschiebung und die unterschiedliche Mentalität hinzu.
Sparen Sie damit auch Kosten?
Nicht unbedingt, nein. Wir investieren viel in den Auf- und Ausbau von Know-how und in die laufende Optimierung der Zusammenarbeit. Mitarbeiter aus Vietnam kommen nach Flamatt, Mitarbeiter aus Flamatt gehen nach Vietnam – dieser Austausch macht es möglich, dass wir unsere Releases durchführen und Features optimieren können.
Wie viele Releases veröffentlichen Sie pro Jahr?
Im Jahr machen wir en gros einen grossen Release und drei kleinere. Wenn wir dies mit unseren Plattformen multiplizieren, also mal vier, inklusive Motoscout24, kommen wir auf zwölf Releases pro Jahr.
Wen zählen Sie in der Schweiz zu Ihren Hauptkonkurrenten?
Weltweit gesehen gehört natürlich Google zu unseren Konkurrenten. Aber in der Schweiz zählen auch Tamedia und Ricardo dazu.
Wie läuft das Anzeigengeschäft?
2001, nach dem Platzen der Internetblase, hatten wir eine sehr schwierige Zeit. Aber ab 2003 waren bei uns sämtliche Portale profitabel. Seither geht es aufwärts. In all diesen Jahren ist vieles schiefgegangen, aber durchaus auch einiges gut (lacht).
Fasziniert Sie Ihre Arbeit?
Ja, das tut es. Einerseits fasziniert mich die Entwicklung, die wir durchgemacht haben. Zu Beginn, als Start-up, wussten wir nicht, wie wir die Rechnungen und die Löhne zahlen sollen. Nun sind wir zwar kein Start-up mehr, versuchen aber trotzdem, diesen Geist aufrechtzuerhalten. Der Platz für Innovationen wird mit steigender Komplexität zwar leider immer kleiner. Wir versuchen nach wie vor, uns an neuen Projekten zu messen und fragen uns stets, was wir noch tun könnten. Andererseits fasziniert mich die Zusammenarbeit mit Menschen, was einen Grossteil meiner Arbeit ausmacht. Dadurch habe ich auch die Möglichkeit, junge Menschen weiterzuentwickeln und zu fördern.
Und was bereitet Ihnen am meisten Sorgen?
Es ist schwierig, die richtigen Leute zu finden. Wir wollen daher Rahmenbedingungen schaffen, damit sich die Mitarbeiter weiterentwickeln können und auch Spass bei der Arbeit haben. Wir haben in Flamatt ein Minergie-Haus gebaut, verfügen über ein eigenes Restaurant – keine Kantine. Zudem haben wir einen Fitnessraum und stellen über Mittag Mountainbikes zur Verfügung. Wir versuchen wirklich, ein Ambiente zu schaffen, damit sich unsere Mitarbeiter wohlfühlen. Ich habe den Eindruck, dass uns dies gut gelingt. Wir haben relativ wenige Absenzen und loyale Mitarbeiter, die schon seit Jahren für uns arbeiten. Der Rest ist Business. Das kann man sehr nüchtern betrachten. Manchmal sind wir erfolgreich, manchmal weniger.
Die Cyberangriffe auf Unternehmen mehren sich. Haben Sie im Anzeigenmarkt auch mit Betrugsfällen zu kämpfen?
Genau genommen haben wir täglich Probleme dieser Art. Wir sind nicht die Einzigen, die im E-Commerce-Bereich davon betroffen sind. In den letzten drei Jahren hat uns dies gut sechs Millionen Franken gekostet, inklusive technischer Investitionen, technischer Massnahmen, Hardware und zusätzlichen Personals.
Wie war die Situation vor 2009?
Vor drei Jahren waren solche Delikte kaum ein Thema. Damals hatten wir vielleicht vier bis fünf Fälle pro Jahr. Das war dann schon viel.
Wie gehen die Betrüger vor?
Mit "Angriffen" sind eigentlich Delikte gemeint, die zum Ziel haben, der Plattform selbst zu schaden und deren Verfügbarkeit ausser Kraft zu setzen. Mit kostspieligen Dispositiven schützen wir uns vor solchen Attacken. Im Betrugsfall verschicken die Täter Phishing-Mails und greifen so auf bestehende Vertragskunden-Accounts zu. Sie inserieren dann für nicht existierende Angebote und fordern natürlich Vorauszahlung. "Am Werk" sind nicht nur Einzelpersonen, sondern teilweise auch kriminelle Organisationen.
Was unternehmen Sie in solchen Fällen?
Wir informieren unsere Nutzer immer wieder über die Gefahr von Phishing-Mails. Scout24 würde niemals Nutzerdaten per E-Mail abfragen. Dennoch kommt es hin und wieder vor, dass Konsumenten darauf hereinfallen. Wer den Betrug bemerkt, sollte sich unbedingt mit unserer Hotline in Verbindung setzen. Was die Pseudo-Angebote betrifft, haben wir eine Überwachung in unserem Callcenter eingerichtet. An sieben Tagen die Woche, jeweils von 4 Uhr bis 23 Uhr, überprüfen unsere Mitarbeiter manuell etwa 500 Inserate pro Tag. Dabei handelt es sich um Inserate, die direkt registriert wurden und nicht über Schnittstellen zu uns gelangt sind.
Wie viele dieser 500 Inserate schaffen es auf die Website?
Verglichen mit der Gesamtzahl an Inseraten werden zwischen fünf bis zehn Prozent nicht aufgeschaltet.
Haben Sie diese Betrugsfälle inzwischen im Griff?
Wir haben 99,8 oder 99,9 Prozent dieser Attacken unter Kontrolle. 100 Prozent sind nicht möglich. Wir müssen einfach ungemein aufpassen, genauso wie unsere Nutzer auch. Kleinere Betreiber von Portalen, bei denen man gratis inserieren kann, dürften es schwieriger haben, diesen Angriffen zu begegnen. Ihnen stehen nur rein technische Möglichkeiten zur Verfügung, da sie weniger Geld zur Verfügung haben. Wir hingegen können auch entsprechende Investitionen tätigen, um den Betrügern zu begegnen.
Wie werden sich solche Betrügereien in Zukunft entwickeln?
Klar ist, dass die Angriffe in Zukunft nicht abnehmen werden. Zudem haben die Angreifer sehr schnell bemerkt, dass wir unsere Sicherheitsmassnahmen verstärkt haben. Daraufhin haben auch sie ihre Bemühungen intensiviert. Phishing-Mails beispielsweise sehen mittlerweile richtig gut aus, fast schon wie ein Scout24-Newsletter. Was den Service betrifft, ist es wichtig, dass wir in kritischen Momenten für den Kunden da sind, um ihm das nötige Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Dieses Angebot werden wir in Zukunft sicher ausbauen.
Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie in der Zukunft?
Wir stellen uns die Frage, wie wir in Zukunft mit den verschiedenen Gerätetypen umgehen, die auf unsere Daten zugreifen wollen. Zudem wird die Datenmenge immer mehr zunehmen. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft beispielsweise die Hälfte des Contents Videos sein werden.
Also beispielsweise ein Wohnungsrundgang per Video?
Genau. Sie könnten Ihre Daten ja einfach in der Cloud lagern. Da wir Daten nicht lagern, sondern möglichst schnell ausliefern möchten, betreiben wir unsere komplexen Webapplikationen auf performanten und optimierten Hardwareplattformen. Damit können wir beispielsweise auch das Antwortzeit-Verhalten selbst beeinflussen. Eine solche Betriebsumgebung kann uns die Cloud im Moment noch nicht bieten.
An welchen IT-Projekten arbeiten Sie zurzeit?
Neben dem Mobile-Bereich haben wir auch alle unsere Plattformen auf den neuesten Stand gebracht. Letztes Jahr haben wir diesbezüglich mit Autoscout begonnen, wo wir eine zehnjährige Grundarchitektur hatten. Auch Jobscout wurde im vergangenen Jahr umgebaut. Dieses Jahr haben wir nun Schritt für Schritt mit Immoscout angefangen. Zudem investieren wir jährlich etwa 3 Millionen Franken in Weiterentwicklungen.
Wo sehen Sie Scout24 in etwa fünf Jahren?
Derzeit sind sehr viele Anbieter aktiv. Der Markt ist aber begrenzt und wird sich bestimmt konsolidieren. In fünf bis sieben Jahren wird es immer mehr E-Commerce geben. Ob man dann allerdings ein Auto übers Internet bestellen und kaufen kann, würde ich nicht wetten. Aber es geht sicher zunehmend in die Richtung, dass man mehr Dienstleistungen übers Web abwickeln kann. Zudem denke ich, dass Webportale ihre Dienste künftig vermehrt kostenpflichtig anbieten werden, beispielsweise Zeitungen, die ihre Artikel gegen Bezahlung offerieren. Fakt ist, dass sich aus dieser Entwicklung auch immer wieder neue Chancen abzeichnen.
Zur Person
Olivier Rihs ist seit April 2011 CEO der Scout24 Schweiz AG. Von 2009 bis 2011 war er für das kommerzielle Geschäft der Marktplätze Autoscout24, Motoscout24, Immoscout24 und Jobscout24 verantwortlich. Seine Karriere bei Scout24 begann Rihs 2002 als Chief Operation Officer (COO). Von 2005 bis 2009 wirkte er als Direktor der Plattform Autoscout24. Zuvor war er rund zehn Jahre in der Automobil industrie tätig. Der 42-jährige Bieler ist Vater zweier Kinder. Er hat an der Universität Lausanne ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen.
Zur Firma
Die Scout24 Schweiz AG mit Sitz in Flamatt (FR) ist ein Schweizer Netzwerk von OnlineMarktplätzen für Autos (www.autoscout24.ch), Motorräder (www.motoscout24.ch), Immobilien (www.immoscout24.ch), Stellen (www.jobscout24.ch) und Partnerschaften (www.friendscout24.ch). Die Scout24 Schweiz AG ist zu 49,9 Prozent im Besitz der Ringier Digital AG (früher Media Swiss Group), die Deutsche Telekom AG ist über ihre Tochter, Scout24 Holding in München, mit 50,1 Prozent beteiligt. Mit den zwei Mutterhäusern entwickelt die Scout24 Schweiz AG neue Produkte und verbreitet diese über alle bestehenden und zukünftigen (Medien-)Kanäle. Im Bereich der Online-Rubrikeninserate hat Scout24 mit Ringier einen direkten Zugang zu Print, Radio und Fernsehen.

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