Die Rolle der Maschinen für Krankenversicherungen

Die Zukunft der Mensch-Maschinen-Interaktion

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von Adrian Bucher, Business-Development-Verantwortlicher für Krankenversicherungen, BSI Business Systems Integration

Die digitale Transformation verspricht eine neue Generation von intelligenten Maschinen, die als Chatbots oder selbstlernende Algorithmen menschliche Aufgaben übernehmen. Welche Rolle spielen die Maschinen für Krankenversicherungen? Haben sie das Potenzial, diese neu zu definieren? Eine aktuelle Studie gibt Aufschluss.

Adrian Bucher, Business-Development-Verantwortlicher für Krankenversicherungen, BSI Business Systems Integration. (Source: zVg)
Adrian Bucher, Business-Development-Verantwortlicher für Krankenversicherungen, BSI Business Systems Integration. (Source: zVg)

Der digitale Tornado transformiert auch die "heile Welt" der Krankenversicherungen mit hoher Geschwindigkeit. Automatisierte Prozesse versprechen nicht nur einen höheren Grad an Effizienz, sondern vor allem eine immer präzisere Personalisierung von Inhalten und Botschaften. Die Anforderungen der Kunden erhöhen den Transformationsdruck noch zusätzlich. Wer nicht die Kundensicht einnimmt, riskiert, Kunden zu verlieren. Der Schlüssel für gelebte Customer Centricity ist die Digitalisierung, die insbesondere für Krankenversicherungen grosse Chancen bietet. Aber was bedeutet Digitalisierung in der Krankenversicherungswelt?

"Mekka für Digitalisierung"

Otto Bitterli, bis vor Kurzem CEO bei Sanitas, beschreibt Krankenkassen gar als "Mekka für Digitalisierung". Sein Traum ist es, eine neue Realität zu schaffen für ein tradiertes System, "das in sich selbst verharrt". Im Zentrum dieser neuen Realität: "Der Kunde, seine Bedürfnisse, das Humankapital und unternehmerisches Denken; vertrauensvolle Trustpoints anstelle von blossen Touchpoints; ein neues Management, das neue Skills anzieht; und radikales Denken, denn es geht um eine neue Dimension", sagte der kundenfokussierte Digitalisierungspionier Bitterli am Pop-up-Event "Health Champions". Der Krankenversicherungs-Event der Co-Initiatoren BSI und Swisscom fand Ende Januar in Zürich statt.

Die aktuelle Studie "Decoding Digital Marketing" von W.I.R.E., die im Auftrag von BSI Business Systems Integration durchgeführt wurde, untermauert die Aussagen von Bitterli: Mit der Digitalisierung wird nicht nur das technologische Fundament neu definiert, sondern auch die Erwartungen der Kunden und Zielgruppen. Massgeschneiderte Informationen und Leistungen, die situativ und "On Demand" abrufbar sind, werden zur neuen Normalität. Die Herausforderung dabei ist die Orchestrierung der digitalen Matrix und eine nachhaltige Herangehensweise an eine zukunftsorientierte Wachstumsstrategie. Diese erfordert auch eine kritische Analyse des effektiven Potenzials neuer Technologien. Denn nicht alles, was digitalisierbar ist, wird auch zwingend digitalisiert. Und Daten sind nicht per se das neue Gold, sondern nur dann, wenn sie einen Nutzen für Kunden oder die Gesellschaft ­bringen.

Dass Daten per se Marktwachstum und Fortschritt garantieren, ist eine Illusion, die bei der Entwicklung von nachhaltigen Geschäftsmodellen offenkundig wird, betont auch Bitterli. "Die Geschichte vom digitalen Geschäftsmodell, das in fünf Minuten am Markt ist, ist eine Mär!" Bei aller Begeisterung für die Digitalisierung dürfe weder das eigentliche Versicherungsgeschäft in Vergessenheit geraten, noch der Kunde. "Die Digitalisierung ist nur ein Instrument zur Transformation", sagt Bitterli.

Szenarien für die Krankenkasse der Zukunft

Die digitale Transformation präsentiert sich gemäss der Studie nicht als einziger, linearer Vektor, der für Krankenversicherungen die Richtung vorgibt. Vielmehr bestehen die Chancen gerade darin, eine Strategie zu entwickeln, die auf den neuen Grundlagen aufbaut, aber einen eigenständigen Weg zeichnet. Triebkräfte der Veränderung und daraus resultierende relevante Szenarien für Krankenversicherungen:

  • Plattformen sind Macht
    Plattformen sind nicht nur im Retail Thema, weiss Karlo Lovric, Community Manager und Experte für Krankenversicherungen bei BSI. Weniger im Rahmen der Kernkompetenzen als im Sinne eines Care-Managements für Prävention (Ernährungsberatung, Fitness), Selbsthilfegruppen für Krankheiten wie Diabetes, Herzinsuffizienz und Depression oder digitaler Gesundheitshelfer. "Der Kunde wird zunehmend zum Produktmanager. Insbesondere im Zusatzversicherungsgeschäft entstehen zahlreiche Chancen für Innovationen", sagt Lovric.

  • Die 4. Dimension
    Smartphones und zweidimensionale Screens treten langfristig in den Hintergrund. Die Vermittlung von Inhalten und Botschaften verlagert sich in den mit digitalen Schnittstellen erweiterten physischen und den virtuellen Raum. Ein Beispiel dafür ist der virtuelle Physiocoach der CSS: In einer "Mixed Reality" erhalten Patienten über ihre Brille Anweisungen zu ihren therapeutischen Übungen. Swica hat mit Benecura die erste medizinische App lanciert, die Patienten durch den SymptomCheck navigiert und individuelle Empfehlungen zum weiteren Vorgehen erteilt.

  • Bot gegen Bot alias "Kill the Noise"
    Dank der Robotisierung kann die Frequenz von Botschaften erhöht und die Sichtbarkeit am Markt gesteigert werden. Dies kann zu einer Reizüberflutung der Kunden führen, die wiederum smarte Bots zur Filterung einsetzen. "Es ist wichtig, der Reizüberflutung besondere Aufmerksamkeit zu schenken und zu eruieren, was der Kunde will und zulässt. Nachhaltigkeit, Vertrauen und Mehrwert müssen im Zentrum stehen", ist Lovric überzeugt. Er plädiert für ein "Weniger ist mehr": weniger, dafür gezieltere personalisierte Inputs mit Kundenmehrwert, und das nicht über alle Kanäle, sondern auf die Kundenbedürfnisse abgestimmt. Opti-Channel statt Omni-Channel sozusagen. Algorithmen, die lediglich Reichweite erzielen sollen, verlieren hingegen an Relevanz.

  • Das Zeitalter der Werte
    Das klassische Marketing wird als Quelle für Produktinformationen von den sozialen Medien zunehmend verdrängt. Anstelle von Beeinflussung wird in Zukunft die Glaubwürdigkeit im Fokus stehen. Basis dafür sind eine wertebasierte Positionierung und langfristige Kundenbindung. "Krankenversicherungen sollten ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, Menschlichkeit, Verlässlichkeit und des Vertrauens vermitteln. Sie müssen aber auch flexibel bleiben, den Markt und die Kundenbedürfnisse im Blick haben und mit den Erwartungen der Kunden gehen", so Lovric. Zudem bietet eine klare Wertepositionierung eine Chance zur Differenzierung auf dem Markt, ist der Health-Experte überzeugt.

  • Differenzierung durch das Gehirn
    Marketing wird vermehrt datenbasiert und automatisiert. Der Mensch macht jedoch immer noch den grossen Unterschied aus. "Wir glauben daran, dass es den Menschen weiterhin brauchen wird. Menschenkenntnis, Erfahrungen und Empathie bleiben zentral im Health. Maschinelle Algorithmen müssen zwingend überwacht und angepasst werden", ist Lovric überzeugt.

Von der Fiktion zu den Fakten: Digitale Handlungs­felder für Krankenversicherungen

Aus diesen Szenarien ergeben sich zentrale Handlungsfelder mit Chancen für Krankenversicherungen, die Digitalisierung aktiv mitzugestalten:

  • Basisstruktur für das Kundenerlebnis der Zukunft
    "Die meisten Krankenversicherer haben in den letzten Jahren ihre Hausaufgaben gemacht und moderne Kernsysteme installiert, die auch die zentralen Sicherheitsfragen in Bezug auf Verträge und Leistungen adressieren. Viele arbeiten noch an einer vollständigen Daten- und Systemintegrität, die auch Leads und Interessenten sowie sämtliche Marketingdaten enthält und die neuen Anforderungen bezüglich Datenschutz abdeckt", erklärt Lovric. Jedoch gebe es insbesondere im Marketing viele Tools – von der Website, über das Portal, diverse Apps, Newsletter- und Umfragetools etc. –, die noch sehr heterogen betrieben würden.

  • Kunden besser kennenlernen
    Die individuelle Bereitschaft, Daten zur Verfügung zu stellen, variiert stark. "Leistungsdaten dürfen von Gesetzes wegen nicht für Marketingzwecke verwendet werden. Um einem Kunden einen besseren Spitalaufenthalt oder eine bessere Betreuung zu ermöglichen, sind die Kunden aber durchaus bereit, gewisse Daten zu teilen. Wichtig dabei ist, dass der Kunde zustimmt und weiss, wofür die Daten verwendet werden", sagt Lovric.

  • Ökosystem entwickeln
    Kooperationen mit neuen Partnern gewinnen an Bedeutung, kommt die Studie zum Schluss. Das unterstreicht auch Bitterli: "Krankenkassen sind eine künstliche Erfindung. Welcher Kunde sollte sich für eine Krankenkasse interessieren? Erst wenn man den Menschen versteht, kann man sagen, welche integrale Leistung bestehend aus Spital, Arzt, Versicherung für den Kunden relevant sein kann. In diesem Kontext wird der Kunde zum König. Er sagt uns, welche Industrie er haben will."

Konsequente Kundensicht

Nur diejenigen Krankenversicherungen, die in Digitalisierung investieren, werden überleben. Kleinere Anbieter oder arrivierte Digitalisierungsverweigerer werden verlieren oder übernommen. Neue Anbieter, die konsequent die Kundensicht einnehmen und rein auf digitale Kanäle und Online setzen, werden das Zusatzversicherungsgeschäft aufmischen. Digitalisierung ist im Sinne einer besseren Customer Experience und kundenfokussierten Echtzeit-Reaktionen zu verstehen – als Zukunftsstrategie, in deren Zentrum der Kunde und seine Bedürfnisse stehen.

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