Interview mit David Bach von TI&M

Bewaffnete Zöllner, der Kampf gegen Formulare und die beste App des Jahres

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TI&M hat mit "Via Strassenabgaben" bei den Best of Swiss Apps Awards 2019 den Master of Swiss Apps gewonnen. Auftraggeber war die Eidgenössische Zollverwaltung. David Bach, Head of Mobile Bern bei TI&M, spricht im Interview über die "Transformation" der Zollverwaltung und über den Kampf gegen Formulare.

David Bach, Head of Mobile Bern, TI&M (Source: zVg)
David Bach, Head of Mobile Bern, TI&M (Source: zVg)

Herzliche Gratulation zum Gewinn des Master of Swiss Apps 2019. Was bedeutet der Award für TI&M?

David Bach: Vielen Dank für die Glückwünsche. Zunächst einmal ist der Master-Titel eine grosse Auszeichnung für das gesamte Team rund um die Via-App. Insbesondere gilt der Dank auch der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) und insbesondere dem Digitalisierungsprogramm DaziT, in dessen Rahmen Via entstanden ist. Für TI&M bedeutet der Award extrem viel, es ist auch unser erster grosser App-Award. Um ehrlich zu sein, es war auch eine riesige Überraschung für uns. Insbesondere freut uns, dass eine eher trockene Thematik gewürdigt wurde. Denn wer zahlt schon gerne Maut? Der Preis unterstreicht auch, dass die EZV auf dem richtigen Weg ist. Ganz nach dem Motto "Release early, release often" werden Prozesse der EZV kontinuierlich digitalisiert und verbessert, um sie für die Bevölkerung und Wirtschaft zugänglich zu machen.

Wie überzeugten Sie die Eidgenössische Zollverwaltung, den Auftrag an TI&M zu vergeben?

Die Entscheidung fiel eigentlich ganz unspektakulär. Der Auftrag basiert auf einem Rahmenvertrag, der nach einer WTO-Ausschreibung zwischen TI&M und dem Bundesamt für Informatik (BIT) geschlossen wurde. Für die Beschaffung zeichnete schliesslich die EZV verantwortlich. Im sogenannten Mini-tender-Verfahren, einem Wettbewerb zwischen allen Partnern des Rahmenvertrags, konnten wir die EZV schliesslich überzeugen, dass wir der ideale Partner für die Entwicklung der App sind. Diese erfolgreiche Partnerschaft besteht nun seit über einem Jahr und findet mit dem Master-Award ein zusätzliches Highlight.

Wie verlief die Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Zollverwaltung?

Anfänglich mussten wir uns erst finden. Glücklicherweise verwarf die EZV den ursprünglichen Plan relativ schnell, die App klassisch entlang eines Pflichtenhefts zu entwickeln. Wir konnten sie von einem agilen Vorgehen überzeugen. Auch wenn es für die Zollverwaltung noch nicht zum Daily Business gehörte, hat sich das Team sehr schnell in den bekannten Scrum-Rollen gefunden.

Wie teilten sich TI&M und die Zollverwaltung die Arbeit auf?

Wir verantworteten die Softwareentwicklung und das Design. Das fachliche Know-how, die Projektsteuerung sowie Vertrieb und Marketing waren in den Händen der EZV. Das App-Back-End wird zudem in der BIT-Cloud bei der Bundesverwaltung gehostet.

Gab es kulturelle Unterschiede zwischen Ihnen und der Zoll­verwaltung?

Das lässt sich bei so unterschiedlichen Organisationen nicht vermeiden. Zu Beginn erstaunte uns, wie viele unterschiedliche Rollen bei der EZV in einem solchen Projekt involviert sind. Da war vom bewaffneten Grenzwächter bis hin zur Businessanalystin alles dabei. Meiner Ansicht nach muss sich die EZV aber überhaupt nicht verstecken. Denn durch das seit etwa einem Jahr laufende Transformationsprogramm DaziT wurde vieles modernisiert und vereinfacht. Dies betrifft nicht nur die Prozesse und die IT, sondern auch die Mitarbeiter wurden sozusagen "agilisiert". Dieser kulturelle Wandel fordert natürlich eine Verwaltung mit 4000 Mitarbeitern stark. Gleichzeitig entfacht es aber auch das Potenzial, damit Projekte wie Via erfolgreich und schnell auf den Markt kommen können, was wiederum ganz das Credo von TI&M ist.

Wie unterscheidet sich "Via-Strassenabgaben" von anderen Apps, die Sie schon entwickelt haben?

Via ist die erste komplette App von TI&M für eine Bundesverwaltung und soweit uns bekannt auch eine der ersten "Bundes-Apps", die einen klassischen Papierformular-Prozess durchwegs digitalisiert. Durch den starken Fokus auf Usability musste zudem der Styleguide des Bundes (CI/CD Bund) um Mobile-Komponenten erweitert werden. Dieser Mobile Styleguide kann nun auch für weitere Apps verwendet werden. Aktuell wird gerade die andere App der EZV, "Quickzoll", von uns überarbeitet und wird in den nächsten Tagen in einem neuen Gewand erscheinen.

Welches Entwicklungsmodell haben Sie für die App genutzt?

Die Entwicklung erfolgte agil nach Scrum-Methodik. Zudem bedienten wir uns Techniken wie des Design Thinkings, um neue Lösungsansätze auszuloten.

Wie sahen die einzelnen Schritte der Entwicklung aus?

Aufgrund der vorgegebenen Timeline starteten die Design- und Usability-Studien parallel zur App-Entwicklung. Bereits nach zwei bis drei Sprints hatten wir einen Visual-Prototyp und eine iOS/Android-App mit einem reinen funktionalen Stand. Dies würde man im Idealfall vielleicht etwas anders angehen, hat aber erstaunlich gut funktioniert. Nach ein paar weiteren Iterationen wurden dann die Erkenntnisse aus den Design-Sprints in die Entwicklung übernommen.

Wie haben Sie die App im Alltagsbetrieb getestet?

Die App durchlief mehrere Test-Iterationen. Angefangen bei Usability-Tests mit Mitarbeitern bis hin zu den finalen Tests direkt an der Grenze mit potenziellen Nutzern der App. Das permanente und intensive Testen
war schliesslich einer der Hauptfaktoren des Erfolgs
der App.

Was waren die grössten technischen Herausforderungen?

Die grösste Herausforderung lag in der Ausgangslage an sich. Versuchen Sie einmal korrekt das Formular 15.19 für die "Pauschale Schwerverkehrsabgabe für ausländische Fahrzeuge" auszufüllen. Die Gesetzesgrundlagen und diversen Ausnahmen vereinfachen das leider auch nicht gerade. Das alles mussten wir in eine benutzerfreundliche App packen.

Wie sind Sie diesen Herausforderungen begegnet?

Der Erfolg lag in umfangreichen Nutzer- und Usability-Tests. Ohne diese hätten wir das Ziel nicht erreicht, die PSVA in unter zwei Minuten zu entrichten. Und dies egal, wo man sich gerade befindet.

Welche Features wollen Sie noch einbauen?

Der Fokus der App liegt auf Reisecars und schweren Wohnmobilen, diese machen über 95 Prozent der Nutzer aus. Es gibt jedoch noch einige weitere Spezialfälle, die auch noch implementiert werden müssen, bevor die Papierformulare ad acta gelegt werden können. Einen Parallelbetrieb wird es aber sicher noch einige Jahre geben. Naheliegend und auch von Usern gewünscht ist natürlich die E-Vignette. Mit dem Bundesratsentscheid von diesem August für eine partielle Einführung ab 2022 könnte dies in den nächsten Jahren sicher auch zum Thema werden.

Wie geht die Entwicklung der App nun weiter?

Die App ist nun seit Mai 2019 live. Der aktuelle Fokus liegt darauf, möglichst viele User von den Papierformularen hin zur App zu transferieren. Via ist jedoch nicht das einzige Mobile-Projekt der EZV. Das Team arbeitet daran, weitere Prozesse zu digitalisieren! Wer weiss, vielleicht sieht man sich nächstes Jahr wieder.

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