Hintergrund

Homeoffice - da fehlt doch was?

Uhr
von Erika Meins, ETH Zürich

Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Warum es aus wissenschaftlicher Sicht für unsere Leistungsfähigkeit und unser Wohlbefinden trotzdem gut ist, ab und zu ins Büro zurückzukehren, erklärt Erika Meins von der ETH Zürich.

(Source: tirachardz / Freepik.com)
(Source: tirachardz / Freepik.com)

Kennen Sie das auch? Der Tag war streng durchgetaktet, unzählige Themen parallel bearbeitet, mit geschätzten Kollegen per Mail/Chat/Call im Kontakt und trotzdem: Statt erfüllt, fühlen wir uns nach einem intensiven Tag im Homeoffice manchmal einfach nur erschöpft, orientierungslos und leer.

Dabei sind die Möglichkeiten des digital unterstützten ortsunabhängigen Arbeitens ein Segen. In der Pandemie konnte vielerorts die Arbeit nahtlos von zuhause weitergeführt werden: Trotz räumlicher Distanz arbeiten wir mit Arbeitskolleginnen parallel an Dokumenten oder in virtuellen Workshops gemeinsam an digitalen Whiteboards. Gleichzeitig hat die Pandemie auch klar die Grenzen des Homeoffice als Dauerzustand aufgezeigt. Neben physischer Erschöpfung und emotionaler Leere erlebten viele einen Verlust des Raum-​ und Zeitgefühls: Die Küche wird zur Cafeteria, die Wohnzimmercouch zum Arbeits-​ und Freizeitort und die Grenzen zwischen gestern, heute und morgen lösen sich zunehmend auf. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es dafür verschiedene Erklärungsansätze.

Zunächst ist das Phänomen der Erschöpfung nach Videokonferenzen, auch als "Zoom-​Fatigue" bezeichnet, mittlerweile gut erforscht: Virtuelle Meetings gehen mit einem grösseren kognitiven Aufwand einher – verursacht durch Mikroverzögerungen in der Übertragung, dem Wegfallen von "Social Cues", dem ununterbrochenen Starren auf den Bildschirm. Unser Gehirn benötigt schlicht mehr Energie, um Informationen aufzunehmen, was uns physisch ermüdet. Pausen sind während und zwischen Videokonferenzen umso wichtiger.

Gleichzeitig steigt die Versuchung der Ablenkung. Wer hat während eines der zahlreichen virtuellen Meetings nie parallel E-​Mails beantwortet oder Mitteilungen auf dem Smartphone gelesen? Allerdings ist Multitasking eine Illusion. Das vermeintliche parallele Arbeiten besteht vielmehr aus seriellen Miniarbeitsunterbrechungen. Dies reduziert paradoxerweise unsere Fähigkeit, zwischen Aufgaben zu wechseln und reduziert messbar unsere Merk-​ und Leistungsfähigkeit. Um dem entgegenzuwirken, können wir Mail-​ und andere Benachrichtigungen abschalten und nicht benutzte Arbeitsprogramme schliessen.

Einheitsbrei im Kopf

Der Wegfall des Arbeitsweges, oder nur schon der ausbleibende Wechsel von einem Sitzungszimmer zum nächsten, geht einher mit einem Wegfall visueller Eindrücke, Gerüche und Geräusche. Fehlende variierende sensorische Reize, gekoppelt mit fehlender Bewegung, tragen allerdings zum Verlust der Orientierung im Alltag bei und beeinträchtigen unsere kognitive Leistungsfähigkeit. Das mag erklären, warum im Homeoffice die Tage zu einem gefühlten Einheitsbrei verkommen und es uns Mühe macht, auseinanderzuhalten, wer was in einem der zahlreichen virtuellen Meetings gesagt hat.

Neuere neurowissenschaftliche Studien zeigen zudem, dass unser Gehirn Informationen zu physischen und virtuellen Objekten unterschiedlich verarbeitet. Je nachdem, ob wir auf ein Objekt in der virtuellen oder physischen Realität fokussieren, werden unterschiedliche Hirnregionen aktiviert. Welche Auswirkungen das auf Leistungsfähigkeit oder Wohlbefinden hat, ist aus wissenschaftlicher Sicht noch unklar. Klar ist hingegen, dass diese Fragen immer zentraler werden, insbesondere mit einer zunehmenden Verwendung von immersiven Frontier-​Technologien wie dem Metaverse.

Soziale Verbundenheit und Wohlbefinden

Schliesslich kann der Wegfall von physischen persönlichen Interaktionen im Arbeitsalltag unser Wohlbefinden negativ beeinflussen und nur zu einem gewissen Grad durch digitale Kontakte kompensiert werden. Soziale Kontakte sind für unsere mentale und körperliche Gesundheit essenziell, wenn auch je nach Persönlichkeit stärker oder schwächer ausgeprägt. Nachgewiesen ist, dass physische soziale Kontakte einen beruhigenden und regulierenden Effekt auf das Nervensystem haben und damit zur Reduktion von Stress beitragen. Neue Studien zeigen zudem, dass von verschiedenen Kommunikationsarten während des Lockdowns vor allem Face-​to-Face-Interaktionen einen positiven und langanhaltenden Effekt auf unser Wohlbefinden hatten. Das gilt auch für das Gefühl von sozialer Verbundenheit unter Arbeitskollegen: Bei Face-​to-Face-Interaktionen ist dieses am stärksten, gefolgt von Videocalls, Telefon und – am untersten Ende – Textnachrichten.

Das zeigt, wie wichtig es ist, wieder ins Büro zurückzukommen – zumindest teilweise – und sonst physische Erlebnisse zu ermöglichen, ein Buch oder eine Zeitung physisch lesen, regelmässig nach draussen gehen. Und wenn physische Treffen mit Arbeitskolleginnen oder Kunden längere Zeit nicht stattfinden: lieber einmal einen virtuellen Videoaustausch initiieren oder zum Telefon greifen, als noch eine Mail oder eine Chatnachricht zu senden. Das vielfältige Angebot an digitalen Interaktionsmöglichkeiten ist eine grosse Chance. Zentral ist eine bewusste Art und Weise der Nutzung. Setzen wir digitale Anwendungen gezielt ein und ermöglichen so deren verantwortungsvollen Einsatz in einer hybriden Arbeitswelt – sei es als Arbeitnehmer oder Arbeitgeberin.

Dieser Artikel erschien zuerst bei ETH News.

Webcode
DPF8_248249