Gaia-X

Gaia-X – Chance oder Sackgasse für Schweizer Datenräume?

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von Martin Andenmatten und Guido Greber, Gaia-X Hub Schweiz

Vertrauenswürdige, unabhängige und selbstbestimmte Datenräume sind essenziell für die digitale Schweiz. Die europäische Initiative Gaia-X wird oft diskutiert – doch was braucht die Schweiz wirklich? Eine Analyse der Herausforderungen, der internationalen Entwicklungen und der Optionen für eine zukunftsfähige Dateninfrastruktur.

Martin Andenmatten (l.), Chair Gaia-X Hub Schweiz, und Guido Greber, Vice-Chair Gaia-X Hub Schweiz
Martin Andenmatten (l.), Chair Gaia-X Hub Schweiz, und Guido Greber, Vice-Chair Gaia-X Hub Schweiz

Die digitale Transformation stellt die Schweiz vor die Herausforderung, eine sichere und effiziente Nutzung von Daten zu gewährleisten. Unternehmen, Behörden und die Bevölkerung sind auf vertrauenswürdige Datenräume angewiesen – digitale Ökosysteme, in denen Daten sicher gespeichert, verarbeitet und ausgetauscht werden können. Die gemeinsame, unternehmens- und länderübergreifende Nutzung solcher Datenräume birgt enormes Potenzial für neue Geschäftsmodelle, effizientere Prozesse und innovative Wertschöpfungsketten. Dabei geht es um weit mehr als nur um Cloud-Speicher; im Zentrum stehen die Kontrolle und Souveränität über die eigenen Daten.

Solche Datenräume müssen höchsten Ansprüchen genügen. Datensicherheit – der Schutz vor Cyberangriffen, unbefugtem Zugriff und Datenverlust – ist ebenso unabdingbar wie die strikte Einhaltung der Schweizer Datenschutzgesetzgebung (nDSG) und der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Gleichzeitig müssen diese Räume Interoperabilität gewährleisten, also den reibungslosen Datenaustausch zwischen verschiedenen Systemen und Anbietern, um eine unerwünschte Anbieterbindung (Vendor Lock-in) zu verhindern. Transparenz, sprich die Nachvollziehbarkeit, wer wann Zugriff auf welche Daten hat, und Souveränität, also die Möglichkeit für Nutzerinnen und Nutzer, selbst zu bestimmen, wo, durch wen und wie ihre Daten verarbeitet und genutzt werden, sind weitere zentrale Anforderungen.
Auf europäischer Ebene versucht die Initiative Gaia-X, einen Rahmen für eine vertrauensvolle und föderierte Dateninfrastruktur zu schaffen, die diesen Ansprüchen gerecht wird. Gaia-X setzt auf offene Standards und Interoperabilität, um einen «Datenraum» zu entwickeln, der europäische Werte wie Datensouveränität und Transparenz fördert. In den Medien wurde Gaia-X in letzter Zeit oft kritisch beurteilt, teilweise sogar für gescheitert erklärt. Die Kritik entzündet sich oft an der Komplexität des Projekts, der vermeintlich langsamen Umsetzung und einem Mangel an konkreten Anwendungsfällen und breiter Unterstützung durch die Industrie. Dabei besteht teilweise die Vorstellung, dass mit Gaia-X eine «europäische Cloud» als Antwort auf bestehende Hyper­scaler aufgebaut wird. Die Ambition, eine eigene Infrastruktur und Speicherumgebung zu errichten, wäre wohl vermessen – aber die Kontrolle und damit die Souveränität über die Daten dürfen wir nicht verlieren. Genau hier setzt Gaia-X mit dem Trust Framework an. Es ist jedoch wichtig, zu betonen, dass Gaia-X kein fertiges Produkt, sondern ein Rahmenwerk in Entwicklung ist – ein genügend ambitioniertes Vorhaben mit vielen Beteiligten und unterschiedlichen Interessen.

Wie die Schweiz Einfluss nehmen kann

Die Schweiz, die nicht Mitglied der EU ist, geht in vielen Bereichen eigene Wege. Dabei ist es wichtig, zu betonen, dass Gaia-X eine europäische Initiative und kein EU-Projekt ist. Das gilt auch für die digitale Transformation und die Frage der Datenräume. Dennoch hat die Schweiz ein vitales Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit Europa, insbesondere im Wirtschaftsbereich. Für die Schweiz stellt sich daher die Frage, welche spezifischen Anforderungen Schweizer Unternehmen und Behörden an Datenräume haben. Die starke Exportorientierung der Wirtschaft, der traditionell hohe Stellenwert des Datenschutzes und die föderale Struktur des Landes sind hierbei wichtige Aspekte. Ebenso muss nicht nur geklärt werden, wie die Schweiz von den Entwicklungen auf europäischer Ebene, wie etwa Gaia-X, profitieren kann, sondern auch, wie sie aktiv Einfluss nehmen kann. Ziel muss es sein, dass spezifisch schweizerische Anforderungen in die Prüfmechanismen und Standardisierungsprozesse einfliessen. Es gilt, relevante Standards und Technologien zu evaluieren und gegebenenfalls zu adaptieren. Auch die Rolle der Schweizer Anbieter von Cloud- und Dateninfrastrukturdiensten muss definiert werden, wobei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen internationaler Zusammenarbeit und der Stärkung der heimischen IT-Wirtschaft anzustreben ist. Schliesslich muss sichergestellt werden, dass Datenräume den Bedürfnissen der gesamten Gesellschaft gerecht werden – Unternehmen aller Grössen, Behörden, Forschungseinrichtungen und der Zivilgesellschaft.

Die Schweiz hat dabei verschiedene Optionen. Sie könnte sich eng an Gaia-X anlehnen und die dort entwickelten Standards übernehmen, um am europäischen Datenraum teilzunehmen. Alternativ könnte sie eigene Standards entwickeln und einen «Schweizer Datenraum» mit spezifischen nationalen Anforderungen schaffen. Ein hybrider Ansatz, der Elemente aus Gaia-X mit eigenen Lösungen kombiniert, wäre ebenfalls denkbar, um eine optimale Balance zwischen Interoperabilität und Eigenständigkeit zu finden. Unabhängig vom gewählten Weg ist die aktive Förderung von Anbietern, die auf offene Standards setzen, eine wichtige Komponente. Aus diesem Grund haben wir entschieden, einen Gaia-X Hub Schweiz aufzubauen, um für Schweizer Unternehmen, Behörden, Forschungsinstitutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen die Potenziale von Gaia-X zu erschliessen und auf dieser Basis kollaborative Datenökosysteme zu schaffen. Der Gaia-X Hub  Schweiz wird innerhalb der Swiss Data Alliance koordiniert.

Ein ergebnisoffener Prozess ist gefragt

Die Frage der vertrauenswürdigen Datenräume ist für die Schweiz von zentraler Bedeutung. Es gibt keine Patentlösung. Was es braucht, ist ein transparenter und inklusiver Prozess, in dem die verschiedenen Optionen sorgfältig geprüft und die spezifischen Schweizer Bedürfnisse berücksichtigt werden. Die Schweiz sollte ihre Stärken – Datenschutz, Innovation, Neutralität – nutzen, um eine Datenin­frastruktur zu schaffen, die sowohl den wirtschaftlichen als auch den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht wird. Eine enge Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, insbesondere in Europa, ist dabei unerlässlich, ohne die eigenen Interessen und Werte zu vernachlässigen. Die Debatte um Gaia-X zeigt die Komplexität, aber auch die Dringlichkeit dieser Aufgabe für die digitale Zukunft der Schweiz. Ein offener und kritischer Dialog zwischen allen Akteuren – Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft – ist der Schlüssel, um diesen Weg erfolgreich zu beschreiten. Genau aus diesem Grund haben wir den Gaia-X Hub Schweiz gegründet – um diesen Dialog aktiv zu führen und gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln.

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