Interview mit Thomas Greuter

So bringt die Migros Bank generative KI zum Einsatz

Uhr

Die Migros Bank hat generative KI bereits im produktiven Einsatz, auch im Kundendienst. ­Thomas Greuter, seit April 2024 CIO der Migros Bank, spricht über die Chancen und Heraus­forderungen von KI in der Finanzbranche, über den Wandel der CIO-Rolle und die Frage: Cloud oder nicht Cloud in Anbetracht der digitalen Souveränität?

Thomas Greuter, CIO, Migros Bank. (Source: zVg)
Thomas Greuter, CIO, Migros Bank. (Source: zVg)

Vor Ihrer Zeit bei der Migros Bank waren Sie unter anderem für die UBS und die Credit Suisse tätig. Wie tickt die IT-Abteilung der Migros Bank und inwiefern funktioniert sie anders als bei einer Grossbank?

Thomas Greuter: Die grundsätzlichen Fragestellungen, Ziele und Herausforderungen sind die gleichen, im Vordergrund steht für die Bank und damit die Kundinnen und Kunden der Bank die Gewährleistung des stabilen und zuverlässigen Betriebs und der operativen Verarbeitung des Bankgeschäfts. Im Vergleich zur Grossbank sind die Kommunikations- und Entscheidungswege unmittelbarer und die Anbindung zum Verbraucher enger, näher beim Kunden. Bedingt durch die organisatorische Grösse gilt es bei der Handlungsweise entsprechend den für die Bank angemessenen Massstab anzuwenden.

Bevor Sie in die Bankenbranche gewechselt sind, waren Sie CEO von Bechtle. Was hat Sie an einer Karriere im Bereich der Banken-IT gereizt?

Das ist viele Jahre her. Aber ich meine, dannzumal waren für mich die Aspekte der Internationalität, das Fachgebiet, die Komplexität in einer global agierenden Bank, der Aktionsradius und vor allem auch der Wechsel von der Lieferanten- auf die Kundenseite wichtig.

Was macht Ihrer Ansicht nach einen guten CIO aus? Und inwiefern verändert sich diese Rolle in einer Branche, die zunehmend technologiegetrieben ist?

Die inhaltliche Ausrichtung und die Aufgabe eines CIOs an sich haben sich letztlich nicht so stark gewandelt, die Rolle hingegen wurde durch die sich beschleunigende Digitalisierung in der Finanzindustrie strategisch wichtiger. Wichtiges Ziel für mich ist dabei als CIO die aktive Förderung und Weiterentwicklung der IT-Organisation und Teamarbeit. Mein Anspruch ist dabei, Teil der Lösung zu sein und das Business in einem Vertrauensverhältnis möglichst optimal und nachhaltig mit Technologie zu befähigen.

Die Migros Bank hat mehrere KI-Assistenten im produktiven Betrieb, nicht nur für interne Zwecke, sondern auch, um Kundenanfragen zu beantworten. Welche Erfahrungen machen Sie damit?

Wir machen derzeit sehr gute Erfahrungen mit unseren KI-basierten Anwendungen. Sowohl kunden- als auch mitarbeiterseitig. Der KI-Assistent kann allgemeine Anfragen schnell und rund um die Uhr beantworten, was die Effizienz des Kundenservice erheblich steigert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kundenkontakt können KI bei der Bearbeitung von E-Mails als unterstützendes Werkzeug einsetzen, indem sie die von der KI generierten Antworten mit ihrer Fachkenntnis überprüfen, ergänzen und anschliessend versenden.

Haben Sie Probleme mit KI-Halluzinationen oder der Antwortqualität im Allgemeinen? Und wenn ja: Wie gehen Sie damit um?

Derzeit haben wir die KI-Halluzinationen sehr gut unter Kontrolle. Wir haben sowohl technisch als auch fachlich einige Vorkehrungen getroffen, um Halluzinationen oder andere nicht gewünschte KI-Rückmeldungen zu unterbinden. Dazu gehört die Implementierung von Algorithmen, die inkonsistente oder unlogische Antworten identifizieren und korrigieren können. Um die sehr gute Antwortqualität gewährleisten und halten zu können, haben wir für unsere KI-Tools eine Wissensdatenbank aufgesetzt, die täglich geprüft, angepasst und ergänzt wird. Somit wissen wir genau, welche Informationen für die Antwortgenerierung verwendet werden können. Zusätzlich setzen wir auf ein kontinuierliches Monitoring und regelmässige Schulungen unserer Mitarbeitenden, um den Wissensbestand beziehungsweise Wissenstransfer sicherzustellen. Wir führen auch regelmäs­sige, intensive Tests und Feedback-Schleifen durch, um die Leistung der KI zu bewerten und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen. Durch diesen mehrschichtigen Ansatz können wir eine hohe Zuverlässigkeit und Korrektheit in den Antworten unserer KI gewährleisten.

Wie wirkt sich der KI-Einsatz auf die Belegschaft der Migros Bank aus? Fallen Arbeitsplätze weg oder verändern sich die Jobprofile?

Wir sehen KI als unterstützendes Instrument, um unsere Belegschaft bei der Erledigung ihrer Arbeit zu unterstützen – Stichwort «Employee Augmentation». Die gewonnene Zeit wird dazu genutzt, schwierigere Fälle detaillierter bearbeiten zu können und natürlich auch, um KI-Anwendungen zu überwachen; das Thema «Human in the Loop» für KI-Systeme ist für uns zentral. Die Jobprofile verändern sich natürlich Schritt für Schritt, je mehr KI verwendet wird. Es geht in eine Richtung, in der Mitarbeitende vermehrt im «Driver’s Seat» sitzen und die KI-Anwendungen steuern und überprüfen. Somit müssen Mitarbeitende genau verstehen, welche Chancen und Risiken durch die Nutzung von KI bestehen. Dies erfordert eine kontinuierliche Weiterbildung und Schulung unserer Mitarbeitenden, um sicherzustellen, dass sie die notwendigen Fähigkeiten entwickeln, um mit KI effektiv umzugehen. Darüber hinaus fördern wir eine Kultur der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, in der die Stärken beider optimal genutzt werden. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für Innovation und Kreativität in der täglichen Arbeit. Unsere Mitarbeitenden sind eingeladen, aktiv an der Gestaltung und Verbesserung der KI-Prozesse teilzunehmen, was zu einer stärkeren Einbindung und Zufriedenheit führt. Insgesamt sehen wir den KI-Einsatz als Chance zur Weiterentwicklung und Bereicherung der Aufgaben unserer Belegschaft, anstatt als Bedrohung für Arbeitsplätze. Wir sind bestrebt, diesen Wandel verantwortungsvoll zu gestalten und sicherzustellen, dass alle Mitarbeitenden von den Vorteilen der KI profitieren.

Können Sie sich vorstellen, generative KI auch in der Kundenberatung einzusetzen? Und wenn ja, wie kann man sicherstellen, dass die KI die Anforderungen bezüglich Suitability erfüllt, also etwa keine ungeeigneten Anlageempfehlungen für unerfahrene Kundinnen und Kunden abgibt?

Wir evaluieren kontinuierlich verschiedene Ansätze, um den Einsatz von KI in unserer Organisation zu optimieren. In Bezug auf die Kundenberatung legen wir grossen Wert darauf, diese persönlich zu gestalten. Als Bank, die den menschlichen Kontakt schätzt, streben wir danach, unseren Kundinnen und Kunden eine individuelle und personalisierte Beratung zu bieten. Allerdings sehen wir grosses Potenzial darin, generative KI als unterstützendes Werkzeug einzusetzen, etwa bei der Transkription, Zusammenfassung und Dokumentation von Kundengesprächen. In diesem Szenario würde unsere KI-Technologie als Hilfsmittel fungieren, während unsere Mitarbeitenden die Kontrolle behalten und sich voll und ganz auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden konzentrieren können, ohne durch administrative Aufgaben abgelenkt zu werden.

Wie sieht Ihre weitere KI-Roadmap aus?

Unsere KI-Roadmap sieht den Ausbau und die Skalierung der KI-Tools auf verschiedene Bereiche der Bank vor. Dabei konzentrieren wir uns auf folgende Schwerpunkte: Optimierung des Kundenerlebnisses, Effizienzsteigerung interner Prozesse, Risikomanagement sowie Schulung und Weiterbildung.

Die Payment-Branche wie auch E-Commerce-­Unternehmen bereiten sich auf KI-Agenten vor, die selbstständig Produkte auswählen und einkaufen können. Was halten Sie davon? 

Die Idee von KI-Agenten, die selbstständig Produkte auswählen und einkaufen können, ist zweifellos faszinierend und bietet Chancen, birgt aber auch Risiken. In der Payment-Branche und im E-Commerce könnten solche Technologien die Effizienz steigern und das Kundenerlebnis durch personalisierte Empfehlungen verbessern. Für die Bankenwelt jedoch halte ich es für noch etwas verfrüht, vollständig auf solche KI-Agenten zu setzen. Bankprodukte sind oft sehr individuell und erfordern eine persönliche Beratung, um den spezifischen Bedürfnissen und finanziellen Zielen unserer Kunden gerecht werden zu können. Wir erwarten nicht, dass in naher Zukunft KI-Agenten über unsere Website komplexe Bankprodukte wie Hypotheken oder Privatkredite abschliessen werden. Es gibt jedoch bestimmte Bereiche, in denen wir uns den Einsatz von KI-Agenten vorstellen können, wie etwa bei der Eröffnung von Konten oder der Bestellung neuer Karten. Diese Prozesse könnten durch Automatisierung noch effizienter gestaltet werden, ohne die persönliche Betreuung unserer Kunden zu vernachlässigen. Ob unsere Kundinnen und Kunden die KI-Agenten ­nutzen werden, können wir nur bedingt beeinflussen, und die Akzeptanz bleibt abzuwarten. Die Chancen solcher Technologien liegen in der potenziellen Effizienzsteigerung und der Möglichkeit, Routineaufgaben zu automatisieren. Die Risiken hingegen betreffen die Komplexität und den persönlichen Charakter vieler Bankprodukte, die eine menschliche Interaktion und Beratung erforderlich machen. Daher ist es wichtig, diese Entwicklungen sorgfältig zu beobachten und abzuwägen, wie sie sinnvoll und verantwortungsvoll in den Bankensektor integriert werden können.

Viele Banken setzen zumindest vordergründig auf «digitale Kundenerlebnisse». Was heisst das konkret für die Migros Bank? Wie digital ist Ihre Customer Journey heute wirklich, etwa bezüglich Kontoeröffnung, Kreditvergabe oder Vorsorgeberatung?

Entlang der Geschäftsstrategie für die Migros Bank haben wir in den letzten Jahren viel in die digitalen Kundenkanäle investiert und bauen diese laufend weiter aus. Ergebnis ist, dass wir im dritten Jahr in Folge zu den Top 2 der «digitalsten Retailbanken der Schweiz» gehören. Damit ermöglichen wir unseren Bankkunden die freie Wahl zwischen digitalen und physischen Kanälen. Innerhalb der Bank unterstützen wir diese strategischen Ziele entlang der Prioritätensetzungen mit der erforderlichen Technologie, der Integration und mit Lösungen. Die Ende-zu-Ende-Durchgängigkeit und Prozessvereinfachungen bleiben dabei eine wichtige Zielsetzung und werden mit eigens dafür geschaffenen Programmen gezielt adressiert.

Die Migros Bank ist Teil der Migros-Gruppe mit ­eigenen IT-Ressourcen. Inwiefern ist Ihre IT-­Abteilung strategisch unabhängig – und wo gibt es Synergien oder auch Reibungen mit der IT der ­Migros-Gruppe?

Der operative Betrieb der IT für die Migros Bank erfolgt weitgehend unabhängig und getrennt. Damit verbunden bearbeiten wir die bankspezifischen und marktregulatorischen Themen dabei unabhängig von der Migros-Gruppe. Die Zusammenarbeit mit der Migros-Gruppe ist sehr gut etabliert und positiv. Als regulierter Finanzdienstleister haben wir aber spezifische Anforderungen und Vorgaben, die wir zu berücksichtigen haben, die über die Bedürfnisse der weiteren Migros-Gruppe hinausgehen. Das Ergebnis ist, dass wir in regelmäs­siger Abstimmung gemeinsame Fähigkeiten und Grundlagen definieren – etwa bei Supportapplikationen, Infrastruktur, Netzwerk und Kommunikation – und auch spezifische Abgrenzungen vereinbaren – für digitale Kundenkanäle und bankfachliche Applikationen etc.

Wie ist die IT der Migros Bank aufgestellt, etwa bezüglich der Systeme, der Belegschaft und des IT-Budgets?

Wir haben uns im Sommer 2024 neu aufgestellt, indem wir verschiedene Teilbereiche der IT in einer gemeinsamen Organisation innerhalb des GL-Bereichs Technology & Operations zusammengeführt haben. Wir bieten das volle Einsatz- und Themenspektrum vom Change bis hin zum operativen IT-Betrieb der Bank an. Unsere Zielsetzung ist dabei, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln ein Optimum an Effizienz und Effektivität anzustreben, bei gleichzeitig hoher Qualität und einem stabilen und resilienten Betrieb.

Wie weit ist die Migros Bank beim Thema Cloud-Adoption? Welche Teile Ihrer Infrastruktur sind ­bereits ausgelagert und wo bleiben Sie bewusst ­On-Premise?

Wir befinden uns in der Phase der Transformation zu Cloud-Technologien und haben bereits verschiedene Dienste aus der Cloud – wir verfolgen dabei einen risikobasierten und hybriden Ansatz. Damit verbunden haben wir unsere eigenen Applikationen in den vergangenen Jahren konsequent auf eine moderne, containerbasierte Microservice-Architektur umgebaut und damit die Voraussetzungen für ein Deployment in Private und Public Clouds geschaffen. Wichtig ist dabei nicht «one size fits all». Für uns steht im Vordergrund, neben On-Premise die Private Cloud zu nutzen, kombiniert mit Anwendungen aus der Public Cloud. Absehbar wird die On-Premise-Infrastruktur für das Kernbankensystem unverändert bleiben. Das Ziel ist, den gezielten Einsatz und richtigen Mix der verschiedenen Konzepte und Möglichkeiten für die Bank zu finden. 

Wie bewerten Sie den Einsatz von Cloud-Diensten der grossen US-Anbieter wie AWS, Microsoft oder Google Cloud angesichts der sich verschärfenden Diskussion um digitale Souveränität?

Die Skaleneffekte und der Professionalisierungsgrad im Aufbau, Betrieb und bezüglich Resilienz durch Hyperscaler sind definitiv ein nicht zu vernachlässigender, wenn nicht entscheidender Faktor – letztlich geht es um die Abwägung von Vor- und Nachteilen. Wir nehmen diesbezüglich die Risiken ernst und investieren deshalb auch bewusst weiterhin in Know-how und Hardware zum Betrieb der eigenen Private Cloud als Alternative. Bei gewissen Diensten im Bereich Produktivität, kombiniert mit KI – Office 365, Teams mit Copilot etc. –, wird es in Zukunft zunehmend schwierig sein, sich als Anwender diesem Trend und damit dem Innovationsmainstream sowie dem Risiko einer Teilabhängigkeit und Kostenfolgen zu verschliessen.

Wie schwierig ist es derzeit für die Migros Bank, Tech-Talente zu rekrutieren – und wie attraktiv ist der Finanzsektor heute für Entwicklerinnen und Entwickler?

Der Finanzsektor bleibt unserer Einschätzung nach attraktiv für Tech-Talente, die ein Interesse und eine Affinität zur Mitgestaltung und zum Betrieb von kundenorientierten und innovativen Lösungen haben. Im Kern unterstützt die IT der Migros Bank in erster Linie die Ziele und Bedürfnisse der Bank. Das heisst, wir sind als IT nicht ein Start-up in der Softwareentwicklung oder ein reiner Development-Shop, bei uns stehen der Bezug und Beitrag zum Business, zu unseren Kunden und damit zu bankfachlichen Themen immer im Vordergrund. Über alles gesehen konnten wir in letzter Zeit die von uns gesuchten IT-Profile gut besetzen. Die Auswahl und Verfügbarkeit hängen von unterschiedlichen Faktoren ab, bei spezifischen Funktionen kann die Suche teilweise etwas länger dauern. Gerade in den Bereichen Automatisierung, Datenmanagement und KI bieten wir spannende Einsatzgebiete für Entwicklerinnen und Entwickler.

Wenn Sie in fünf Jahren auf Ihre heutige Arbeit als CIO der Migros Bank zurückblicken – woran würden Sie den Erfolg Ihrer IT-Strategie messen?

Wir haben als IT-Organisation zusammen mit unseren Partnern die erfolgreiche Digitalisierung und Umsetzung der strategischen Bankziele mit modernen und resilienten Anwendungen für die Kunden effizient und effektiv ermöglicht und weiter vorangetrieben.
 


Zur Person
Thomas Greuter ist seit April 2024 Chief Information Officer (CIO) der Migros Bank. Zuvor war er für die UBS, zuletzt als Head of Chief Digital and Information Office Europe, Middle East & Africa, und davor für die Credit Suisse als Director Information Technology in Singapur tätig. Von 2001 bis 2005 hatte Greuter als CEO einer Teilgesellschaft des IT-Systemhauses Bechtle fungiert. Weitere berufliche Stationen waren die Swissair-IT-Tochter Atraxis und Swisscom. Thomas Greuter hat einen Bachelor in Ingenieurwissenschaft der Hochschule für Technik Zürich und einen Master of Business Administration der Berner Fachhochschule.

Webcode
xsysRhPV